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Der Gott der Farm
Komm schon, bück dich, du willst es doch auch.
Sie bückt sich nach vorne und ich kann ihren Apfelarsch sehen. Mein Gott, wie ich Aerobic liebe.
Und jetzt abwechselnd jede Schuhspitze antippen, Baby.
Sie tippt und tippt und tippt. Es wackelt und wackelt und wackelt. Viel besser als MTV.
Komm schon, dreh dich um. Zieh dich aus. Streichel dich ein bisschen. Ist schweineheiß hier. Hast bestimmt ein paar Eiswürfel im Kühlschrank.
Ich schließe meine Augen und denke ganz fest und laut Eiswürfel, Eiswürfel, Eiswürfel.
Als ich meine Augen wieder öffne, liegt sie auf dem Boden und macht eine Kerze. Ziemlich antiklimatisch.
Ich ziehe meine Hand aus der Jogginghose und setze das Fernglas ab.
Zu Weihnachten werde ich ihr irgendwas schenken, der guten Vanessa. Für all die glücklichen Stunden. Vielleicht ein Laufband und ein XS-Trikot, oder so.
Oder gleich einen Vibrator.
Ich schlendere zum Kühlschrank und hole mir das letzte Jever, wiege es eine kleine Weile in meiner Hand und rolle es mir über die Stirn. Hundstage. Scheiß Hundstage. Aber wenigstens kommt keiner auf die Idee, die Rollläden herunterzulassen oder Pullover zu tragen. Obwohl Pullover ja auch was für sich haben.
Tagsüber fernsehen ist ziemlich ätzend. Und bis die Mellencamp bei offenem Fenster den Sushi-Boy empfängt, dauert es noch ein paar Stunden. Vielleicht könnte ich Schach spielen, oder so was.
Ach, Scheiß drauf.
Ich greife zur Fernbedienung.
Al öffnet die Tür und kurz darauf seinen Mund. Ich weiß schon, was er sagen wird: Heute kam eine fette Frau in den –
Die Kiste blitzt auf und wird schwarz. Das Licht über mir flackert. Der Ventilator bleibt stehen.
Na ja, vielleicht ganz gut so. Tagsüber fernsehen ist wirklich ätzend.
Wahrscheinlich schmatzt das Sofa genüsslich, als ich mich hoch quäle.
Salziger Schweiß hat meine Augenbrauen aufgeweicht und sickert mir in die Pupille. Ich wische mir mit der Hand durch die Augen, aber dadurch wird es nur noch schlimmer. Auch schweißnass, alles schweißnass.
Ich mache ein paar kreisende Bewegungen mit meinen Schultern und setze mich wieder ans Fenster. Vanessa sitzt auf ihrem Sofa und enthaart sich die Beine mit Wachsstreifen. Ich schaue schnell weg. So etwas kann einem ja alles versauen. Dann muss man ständig daran denken. Könnte ich ihr auch gleich beim Pissen zuschauen. Man ist ja nicht pervers. Zwei Stunden am Tag – das ist medizinisch absolut vertretbar. Alles darüber hinaus wäre schon zwanghaft. Aber okay, heute Stromausfall, also Ausnahme.
Das Mellencamp-Fenster leer. Andrea leer. Katja leer. Mann, diese Scheiß Workaholic-Tussis.
Ich mache im Kopf eine kleine Liste. Vorteile der Sex and the City-Ära: Frauen achten auf ihren Körper, ziehen sich vernünftig an und täuschen vor, nymphoman zu sein. Nachteile der Sex and the City-Ära: Alle glauben, beruflichen Erfolg haben zu müssen, sind arrogant, zickig, frigide und nicht mehr zu bezahlen.
Hoffentlich bricht bald die Desperate Housewives-Ära an.
Nicht, dass sich meine Situation dann sonderlich verbessern würde.
Egal. Drei Viertel meines Privatquartetts aushäusig und das Sahnehäubchen im Moment so sexy wie Roseanne.
Scheiße, ich muss wirklich aufhören, tagsüber fernzusehen.
Mal gucken, was es sonst noch so gibt.
Ich lasse meinen Fernglasblick über unbekannte Gefilde schweifen.
Jemand klopft auf meine Schulter. Ich drehe mich um. Tim. Er fuchtelt mit seinen Händen lächerlich in der Gegend herum, ich stoße ihm einen Finger in den Bauch und endlich beginnt er, vernünftig mit mir zu sprechen. Ich lese von seinen Lippen, dass ich ein Vorstellungsgespräch verpasst habe und was ich hier mache, es sei noch nicht acht und blablabla.
Ich nehme den Zettel und halte ihn Tim hin. Dort steht schon seit Stunden „Nicht stören! Das hier ist wichtig, du Zivi-Assi. Geh ein paar Ärsche wischen“. Ich drehe mich wieder um.
Normalerweise vermeide ich es ja, Vanessa und den anderen auf ihre Lippen zu schauen. Jedenfalls auf die Gesichtslippen. Das ist einfach zu desillusionierend, aber jetzt, also das hier, das ist eine ganz eigene Welt, wie auf einer Ameisenfarm.
Wieder das Klopfen auf der Schulter. Ich winke mit meiner freien Hand nach hinten ab, während die andere weiter das Fernglas hält und mich in das Leben unserer Nachbarn eindringen lässt.
Es ist ein Mikrokosmos aus Eifersucht, Hass und Furcht. Fräulein Mellencamps Mutter, die zusammen mit dreiundzwanzig Katzen im Stock über ihr wohnt, lästert am Telefon gerade über den alten Sack in der Nachbarwohnung. Der wiederum keift seine Frau an und schreit, er hätte doch ihre Schwester heiraten sollen.
Der Sushi-Boy poppt derweil zwei Etagen unter ihnen einen jungen Mann in den Hintern. Vanessa hat Katja gerade zu Besuch und sie lästern beide über Andrea, wie nuttig die sich anziehe und so weiter. Und der Hausmeister im Erdgeschoss zieht sich seinen vierten Joint rein.
Es ist ein kleines Reich, mit kleinen Problemen an einem wahnsinnig heißen Tag.
Ich kann gar nicht genug davon bekommen. Und es ist definitiv besser als tagsüber fernzusehen.
Ich strecke mich auf meinem Stuhl aus und reibe mir über die Augen.
Der Sushi-Boy besteigt gerade die Mellencamp. Komisch, mir ist früher nie aufgefallen, dass er sie am liebsten von hinten nimmt.
Katja ist bei Andrea zu Besuch und die beiden lästern über Vanessa, dass sie wieder zugenommen habe und so weiter. Das ist umso lustiger, weil zehn Minuten vorher noch Vanessa auf Katjas Stuhl saß und zusammen mit Andrea festgestellt hat, welche Unsummen Katja für ihre Klamotten ausgebe.
Ich glaube nicht, dass es zwischen den dreien und mir noch mal so wird wie früher. Aber das Risiko muss man eben eingehen, wenn man einer Frau auf die Lippen schaut.
Ich gähne ein wenig. Aber was soll ich machen? Vielleicht verpasse ich irgendetwas Wesentliches, obwohl das Ganze doch ein wenig langweilig geworden ist - mit der Zeit.
Tim klopft auf meine Schulter. Ich drehe mich müde zu ihm um.
Was soll das alles? Was steht da auf dieser Tafel? Was bedeuten all diese Namen? Was ist das für eine gelbe Flüssigkeit in den Wasserflaschen? Hast du schon den Brief an die Stadt geschrieben wegen des Stroms? Blablabla. Ich winke ab und wende mich wieder den kleinen Ameisen zu.
Das Ganze könnte aber schon ein wenig Aufregung vertragen. Jemand sollte wirklich mal mit einem Stock in der Farm herumstochern.
Ich schreibe ein paar Briefe, dusche mich, ziehe mich an und tätige ein paar Erledigungen.
Ich stehe vor dem Fenster, habe die Arme über meiner Brust verschränkt und bestaune mein Werk. Bin schon ein bisschen stolz auf mich.
Heute Mittag fing es an. Das Tierschutzamt hat Mellencamp senior die dreiundzwanzig Katzen weggenommen. Die hat daraufhin dem armen Hausmeister eine Riesenszene gemacht. Der bekam später Besuch von der Polizei. Betäubungsmittelmissbrauch. Anonyme Anzeige. Ich rechne fest damit, dass er sich noch heute Abend bei ihr revanchiert. Er streichelt ständig über seinen Besenstil und kifft sich Mut an.
Genau so spannend ist die Nebenhandlung mit Andrea. Hat doch glatt jemand „Nutte“ mit roter Farbe an ihre Tür geschrieben und das nur, weil jemand Vanessa ein Päckchen Diätpillen hat zukommen lassen.
Ich bin schon gespannt, was passiert, wenn Katja ihre Waschtrommel öffnet. Hätte keine Wachsmalstifte in ihrer Jackentasche vergessen sollen, die Gute.
Oh, und bei Mellencamp junior hängt der Haussegen auch ein wenig schief. Diese bösen, bösen Fotos. Bricht einem das Herz. Kann’s kaum erwarten, was heute Abend passiert.
Für den alten Sack oben ist mir noch nichts Gutes eingefallen. Aber seine Frau wird gleich einen Liebesbrief in der Post finden. Wie kann er sie nur mit ihrer eigenen Schwester betrügen? Also wirklich.
Ich setze mich und sehe, dass es gut war.
Andrea hat sich gerade in Vanessas Haar gekrallt und drischt ihren Kopf gegen die Wand.
Der Hausmeister klopft an Frau Mellencamps Tür. Mit seinem Besenstiel.
Der Sushi-Boy ist ans Bett gefesselt und Fräulein Mellencamp hat einen schwarzen Dildo und einen Schneebesen in der Hand. Das wird wehtun.
Die Frau des alten Sacks hat ihre Koffer gepackt und ist vor zwei Stunden ausgezogen. Bestimmt nicht zu ihrer Schwester.
Katja liegt in ihrem Bett und weint vor sich hin. Eine ziemliche Enttäuschung.
Das Licht in meiner Wohnung beginnt endlich zu flackern.
Ich klopfe mir die Hände ab und setze mich wieder vor den Fernseher.
Sogar Gott hat sich am Ende einen Tag frei genommen.