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Der größte Surrealist aller Zeiten

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24.09.2000
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Der größte Surrealist aller Zeiten

Bin ich nicht der größte Surrealist aller Zeiten?, fragte sich Gott und setzte sich wieder vor den Fernseher. Er hasste Fragen, vor allem solche, die beantwortet werden wollten und ansonsten keine Ruhe gaben.

Er saß auf dem großen, goldenen Lehnstuhl und trommelte mit den Fingern im Takt von „We will rock you!“. Er liebte Queen, aber da Er sowieso schon alles von ihnen kannte, ließ Er es bleiben, den Rhythmus zu klopfen.

Nun gut, dachte Er, ich habe die Erde in sechs Tagen erschaffen und hätte ich die Sonne nicht so schnell um die Erde drehen lassen, dann wäre es sich auch an einem Vormittag ausgegangen und ich hätte nach dem Mittagessen frei gehabt. So ein Mist!

Aber immerhin, Er hatte zwar sechs Tage verloren, aber noch eine Ewigkeit vor sich, somit hielt sich der Schaden in Grenzen. Vor sich sah Er Adam und Eva, Kain und Abel, Moses, Jesus, Mohammed, Ghengis Kahn, Darwin, Einstein, Hitler, und bald danach den Untergang der Menschheit auf einer großen Zeitleiste. Bis auf den Untergang war schon alles abgehakt, aber nun war sein Kugelschreiber leer und ohne Häkchen kam Er sicher durcheinander und so ließ er es lieber bleiben. Er seufzte. Irgendwie ging im Moment alles schief.

Ich habe überhaupt keine Zeit, sagte Er laut zu sich selbst, schließlich bin ich ein zeitloses Wesen.

Er wartete einen Moment erwartungsvoll, lachte, klopfte sich mit der flachen Hand auf die Oberschenkel und wischte sich eine Träne aus den Augen. Danach legte Er seinen Kopf deprimiert auf seinen Schoß und lauschte dem leeren Echo seines verhallenden Lachens. Es ist so langweilig Gott zu sein, das kann sich keiner vorstellen...

Aber genug Trübsal geblasen! Es wird Zeit, sein lang geplantes Vorhaben in die Tat umzusetzen und dem Bestseller einen zweiten Teil zu verpassen. Seine Finger kribbelten bereits und so fuhr er seinen Laptop hoch, um wieder einmal ein paar Worte zu tippen. Stolz strich er über die Tastatur. Ein wunderschöner Laptop um wenig Geld. Und während Er über die Vorzüge von eBay nachdachte, klickte er auf die Datei „Bibel II – die Herrlichkeit geht weiter.doc“.

Das wird super, dachte Gott. Der Gedanke an den Erfolg von „Bibel“, das das meist verkaufte Buch der Welt ist, motivierte ihn noch mehr. Und seine Fähigkeiten als Autor sind unbestreitbar. Manche mögen sagen, tja, wer Gott heißt, verkauft schon wegen seines Namens Millionen von Bücher, aber ganz so war es ja auch wieder nicht, liebe Freunde. Schließlich verkauften sich auch jene Bücher, die er unter Pseudonymen schrieb, viel besser, als alle anderen... Und mittlerweile tat es ihm auch gar nicht mehr leid, dass er den Menschen als einzige Möglichkeit mit Ihm zu kommunizieren, die Fähigkeit zu lesen mitgegeben hatte. Klar, sie beteten auch, meditierten und machten andere seltsame Rituale, die sie sich selbst beigebracht hatten, aber Lesen war göttlich, das konnte keiner bestreiten. Und die Menschen lasen viel.

Mittlerweile war die Datei hochgefahren und Gott betrachtete selbstbewusst sein Werk:

Die Bibel II – Die Herrlichkeit geht weiter

ENDE

Er lächelte stolz. Der Anfang und das Ende hätte Er ja schon. Fehlt nur noch die Kleinigkeit in der Mitte. Aber genau daran scheiterte es. Irgendwie hatte er sich mit Bibel I selbst ein Bein gestellt. Schließlich geht die Welt am Schluss unter, das darf natürlich nicht passieren, wenn ein zweiter Teil glaubhaft sein sollte.

Nun gut, mal überlegen... Gott tippte ein paar Worte, was etwas mühsam war - da er lediglich die 2-Finger-Technik beherrschte - sich aber lohnte. Sich sogar sehr lohnte, wie Er fand.

„Da wachte Johannes auf“, las Gott den Prolog laut vor. „Keine Reiter, kein Schaf und kein Weltuntergang. Alles war nur ein Traum. Ha ha! Johannes lachte und als er es seiner Frau erzählte, lachte sie auch. Und auch die Nachbarn lachten noch Tage über seinen albernen Traum. Träume sind oft lustig und Gott ist herrlich.“

Nicht schlecht. Vielleicht etwas holprig fürs Erste, aber nach 2000 Jahren Pause schon einmal nicht schlecht. Er sah hinunter auf die Erde und dachte an den Erfolg, den er mit seinen bisherigen Büchern hatte und lächelte. Er war sehr aufgeregt.

Aber wie sollte das Konzept nun sein? Wieder eine Kurzgeschichtensammlung mit Gott als Rahmenhandlung oder ein ganzer Roman... Kurzgeschichten, überlegte er laut, das ist, was die Leute lesen wollen! Na dann: In medias res.

„Gott ist herrlich.“ Boah, super Anfang!

Doch seine Anfangseuphorie verflog schnell. Seine Finger wollten nicht mehr tippen, sein Kopf war leer. Oh Mann, dachte Gott, jetzt hab ich eine Schreibblockade. Zu blöd! Was sollte Er denn nun machen?

Er ging in dem leeren Raum auf und ab, setzte sich unter seinen Schreibtisch und verbrachte eine halbe Ewigkeit damit, während eines Handstandes Wasser zu trinken und die Luft anzuhalten, aber nicht einmal was gegen Schluckauf Wunder wirkte, half gegen seine Schreibblockade.

Er brauchte einen guten Aufmacher, der die Leute dazu bringt, weiterzulesen... Ich hab’s! jauchzte Gott und gab folgendes in die Tastatur ein: „Und dann starb Gott!“ Ha, ein Knaller!

„Und so kam es...“, schrieb Gott weiter und nach fünf Minuten hatte er bereist 627 und eine viertel Seite. Nicht schlecht, meinte Er.

Gott zündete sich eine Marlboro an, öffnete ploppend eine Flasche Bier und wischte den feuchten Kreis, den die Bierflasche auf dem Glastisch hinterließ, nicht weg. Und noch während er darüber schmunzelte, das manche Menschen tatsächlich glaubten, Gott könne eine Frau sein, riskierte er einen Blick aus dem Fenster und sah auf seine Leserschaft hinunter.

Und irgendetwas machte ihm stutzig. Er sah auf die Straßen hinunter, sah den Menschen beim Essen und beim Fernsehen zu. Sah, wie sie auf ihren fliegenden Autos durch die Lüfte kreisten und Roboter herumkommandierten. Doch irgendwas stimmte nicht. Irgendetwas war zu viel oder...

Und dann hatte Gott die Erleuchtung. Es war nicht irgendetwas zu viel, etwas fehlte. Die Straßenschilder bestanden aus Bildern und Geruchszeichen. Untertitel in den Filmen waren durch elektronische Emotionssimulatoren ersetzt worden und als er weiter blickte, sah er, dass die Bibliotheken zu ordinären Hyperraumventilatoren umgebaut worden waren. Die Menschen konnten Beamen, Roboter bauen und Hyperraumventilatoren basteln, aber sie hatten die Fähigkeit zu lesen verloren. Das war sein Untergang. Niemand würde je seinen Erfolgshit lesen können...

Gott trank seine Flasche Bier leer und schnippte die Marlboro achtlos weg. Zu lange hatte Er an seinem Erfolg als Autor gebastelt, sich in einem Traum voll Ruhm und Ehre verloren und sich nicht um seine Leser gekümmert. Zu lange hatten sie keine Nachricht von ihm erhalten. Was nützte es schon, lesen zu können, wenn sich die Menschen untereinander mentale MSN Messages schicken konnten. Er hätte es wissen müssen! So wie sie die Fähigkeit zur Nächstenliebe verlernt hatten, als sie begriffen, dass man mit Geld alles kaufen konnte, so hatte sich nun auch die Fähigkeit zu lesen als redundantes Evolutionsüberbleibsel zurückgebildet.

Gott schmiss die Flasche an die Wand, wo sie berstend zerbrach. „Im übrigen hast auch du Schuld, dass mir das mit der Evolution passierte!“, schrie Er der Bierflasche hinterher, musste aber bald begreifen, dass alles nichts nutzte. Bibel II wurde für immer ungelesen bleiben.

Gottes Kopf lag auf seinem Schoß, als er deprimiert seufzte: „Ja, ich bin der größte Surrealist aller Zeiten, gar kein Zweifel...“ Gott fuhr seinen Laptop hinunter und tippte nie wieder ein Wort.

 
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Hallo Peter!

Ich habe deine Geschichte gern gelesen, weil sie komisch ist, aber auch, weil mehr dahinter steckt, als es auf den ersten Blick scheint.

Drei Dinge werden in dieser Gottfigur zusammengeführt: 1. Du verarbeitest herkömmliche Gottesvorstellungen und du spielst mit dem alten Topos von Gott als Autor, der das Buch der Welt schreibt. 2. Das gibt dir die Möglichkeit zur Satire, denn dieser Autorgott macht alle Phasen durch, die ein normaler Autor auch hat, von Selbstüberschätzung bis hin zur Schreibblockade. 3. Dein Gott ist aber auch ein durchschnittlicher Mann mit den normalen Süchten, Verhaltensweisen und seelischen Nöten. Die Zusammenführung dieser drei Aspekte in einer Figur ist dir jedenfalls gut geglückt.

Aber es steckt noch etwas in deiner Geschichte, das ich interessant gefunden habe:

Und mittlerweile tat es ihm auch gar nicht mehr leid, dass er den Menschen als einzige Möglichkeit mit Ihm zu kommunizieren, die Fähigkeit zu lesen mitgegeben hatte. Klar, sie beteten auch, meditierten und machten andere seltsame Rituale, die sie sich selbst beigebracht hatten, aber Lesen war göttlich, das konnte keiner bestreiten. Und die Menschen lasen viel.

Gott lässt sich aber selbst im Buch der Welt sterben, woraufhin die Schrift und damit auch das Lesen von der Erde verschwindet. Man könnte das so deuten: Da das letzte Signifikat, der Ursprung von Allem, verschwindet, lassen sich Schriftzeichen nicht mehr deuten, ist Lesen also nicht mehr möglich. In der Aufklärung, die ja mit Säkularisierung einhergeht, hat man diese Stelle, die vorher Gott als erster Ursprung eingenommen hat, auf den letztlich alles verweist, mit dem Genie besetzt.

noch ein paar kritische Anmerkungen und Fehler:

Er liebte Queen, aber da Er sowieso schon alles von ihnen kannte, ließ Er es bleiben, den Rhythmus zu klopfen.

Die Logik dieses Satzes entzieht sich mir!

da er lediglich die 2 Finger-Technik beherrschte - sich aber lohnte. Sich sogar sehr lohne, wie Er fand.

Zwei-Finger-Technik
sich sogar sehr lohnte, wie er fand - Zeit!!

„Da wachte Johannes auf.“ las Gott den Prolog laut vor

auf“, las

aber nicht einmal was gegen Schluckauf Wunder wirkte, half gegen seine Schreibblockade.

ich würde besser finden: aber nicht einmal das, was gegen Schluckauf...

Er braucht einen guten Aufmacher, der die Leute dazu bringt, weiterzulesen

Gott redet von sich doch nicht in der dritten Person, oder? Oder du musst hier auch Präteritum als Zeitform nehmen. Es gibt vielleicht auch noch andere Stellen in dem Text, wo du das nicht konsequent durchhältst! Bitte nochmals daraufhin durchlesen!

Und so kam es...“ schieb Gott weiter und nach 5 Minuten hatte er bereist 627 ein viertel Seiten.

Das ist schön, EIN Satz und gleich fünf Dinge zu verbessern :D : „Und so kam es...“, (1) schrieb (2) Gott weiter und nach fünf (3) Minuten hatte er bereits (4) 627 1/4 (5, ich finde es sieht so besser aus) Seiten.“

Und noch während er darüber schmunzelte, das manche Menschen tatsächlich glaubten

schmunzelte, dass

mentale MSN Messages

schöner Stabreim, aber besser mit Bindestrich: MSN-Messages

Gottes Kopf lag auf seinem Schoß als er deprimiert seufzte

Schoß, als


Die letzte Frage, die sich mir zu dem Text noch stellt, ist, WIE kann jemand diese Geschichte über Gott noch schreiben, wenn Schreiben nicht mehr möglich ist, der Erzähler muss also noch über Gott stehen! :lol:

Liebe Grüße
Andrea

 

Hallo Andrea,
oh mein Gott (sozusagen)!

Jetzt hast du bereits schon vor einem Jahr diese Kritik geschrieben und ich hab dir weder geantwortet (schlimm) noch gedankt (noch schlimmer). Hiermit möchte ich beides machen: Vielen herzlichen Dank für diese tolle und konstruktive Kritik!!!

Ich hab mich gleich daran gemacht, alle Fehler auszubessern.

Schön dass dir die Geschichte gefallen hat. Und jetzt noch schnell lesen und schreiben, bevor alles aus ist. :D

LG Peter

 

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