Der große Knoten
Der große Knoten
„Wenn wir einen Körper zusammen bewohnen würden, könnten wir uns auch nicht näher sein, als wir es jetzt sind“
Bei diesem Satz hatte sie dieses unvergleichliche Glänzen in den Augen, ich sah es nicht, aber ich weiß es. Mit diesen funkelnden Steinen beobachtete sie mich und meine Zigarette ganz genau, während ich da saß, auf dem Ast und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Ich habe aufgehört mich dafür zu hassen, nachdem ich diesen Augenblick tausend Male durchlebt habe, wieder und wieder, ich sage ihnen, Niemand kann Geschehenes rückgängig machen. Solch eine Zeit ist wie eine Hängematte zwischen dem Baum der Geburt und dem des Todes, doch anstatt sich hinein zulegen und in unregelmäßigem Takt darin hin und her zu schwingen, steht man dumm davor und legt dieses James Dean Verhalten an den Tag.
Ich denke, das Gehirn ist wie ein gespanntes Seil mit schier endlos vielen Knoten darin, an dem man sich entlangetastet. Wenn man einen Knoten nicht gelöst bekommt, kann man ihn überspringen und zum nächsten übergehen, doch früher oder später muss man zum übergangenen Knoten zurück, sonst wird das Seil nie ganz gerade. Ausgerechnet in dem Zug, der mich zu meinem größten Knoten bringt, ist die Toilette defekt.
Auch eine Angewohnheit, die ich nur schwer unterdrücken kann, sobald ich den unangenehmen Kern eines belastenden Gedankens erreicht habe, unterbreche ich mich selbst mit etwas vollkommen belanglosem, wie der Zugtoilette zum Beispiel.
Ich habe oft versucht, mich zu erinnern, Nächte habe ich damit zugebracht, es zu versuchen, aber ich weis einfach nicht mehr, wer von uns beiden auf die Idee kam sich auf den Ast zu setzen, sie oder ich.
Den Kopf habe ich mir am Kissen wundgescheuert, ich kann das Bild nicht mehr vor mir sehen, jedenfalls nicht deutlich. Ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Erlebnisse erst in der Erinnerung einen Wert erhalten, obgleich sie ihn doch vorher schon hatten, man erkennt es nur erst später.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich nie wieder ein vergleichbares Gefühl empfunden, wie damals auf dem Ast. Das was unten war, lag in einer sicheren Entfernung und das was oben war, rückte ein ganzes Stück näher, das war uns damals wohl nicht bewusst, aber wir haben es gefühlt und das Gefühl ist mir unendlich viel mehr wert, als jede kluge Erkenntnis.
Fast jeden Tag las sie mir, nachdem wir auf den Ast geklettert waren, ein Gedicht aus ihrem kleinen, roten Buch vor und immer habe ich ihre Schrift bewundert. Eigentlich hat sie mehr gemalt, als geschrieben und der erste Buchstabe am Satzanfang war immer ganz besonders aufwendig, mit Schnörkeln und Schlaufen, die manchmal sogar über den Blattrand hinauszugehen schienen.
Eines der Gedichte hat sich besonders in mein Gedächtnis eingebrannt, ich trage es mir jeden Morgen selbst vor, kurz nach dem Aufstehen. An diesem Herbsttag im Oktober zog ich zum ersten Mal in jenem Jahr meinen wärmsten Pullover an, denn ein Sturm trieb die eisige Luft durch die Gassen des Dorfes und über die weiten Felder.
Ich wünscht´ mich fortgerissen
von dem Baume der Gewohnheit
kein trüber Ast würd´ mich missen
ist er meiner Last doch Leid.
Das kurze Schweben ist es
wonach ich mich verzehre
nur ein leichter Hauch des
Vergessens jeder Schwere.
Hielt´ die Erde dann den Flug
und beendete mein Leben
war es mir doch genug
nur einmal kurz zu schweben.
Den wahren Inhalt von Gedichten versteht man meistens erst, wenn man erkennt, warum man sie vorher nicht richtig verstanden hat, doch dann ist es meistens zu spät.
Es verhält sich wohl so, man kann glauben sie zu verstehen und man kann fühlen sie zu verstehen, der Glaube ist mir verloren gegangen, ich fühle jetzt.
Von den meisten ihrer Gedichte weis ich nur noch Bruchteile, oft sind es auch nur einzelne Worte, doch dabei sehe ich ihr Gesicht ganz deutlich vor mir, wie verzaubert sie Worte wie „grollendes Rauschen“ oder „liebestrüb“ aussprach, nein, wie sie sie sang. Jeden Morgen sage ich es mir auf, jeden Morgen.
An dem Tag im Oktober, als sie mir das fallende Glück vortrug, saßen wir wieder auf dem Ast. Ich hielt eine kleine Schüssel mit Kirschen in der Hand, meine Mutter hatte sie mir mitgegeben. Wir aßen sie pausenlos und spuckten die Kerne in hohem Bogen ins taufrische Gras.
„Halt mal die Hände auf“ sagte sie überraschend, dann nahm sie die restlichen Kirschen und legte sie mir in die Hände. Mit der Schüssel in der Hand wollte sie vom Ast springen, was sie oft und gerne tat. Ich legte alle Kirschen in meine linke Hand und hielt sie mit der rechten am Oberarm fest.
„Tu das nicht, du weist, ich mag das nicht“ Ich mochte es wirklich nicht, es war für mich nur schwer mit anzusehen, wie sie jedes Mal aus dieser Höhe vom Ast sprang. Doch wie immer lies sie sich nicht davon abhalten, sie sagte ganz unbekümmert „lass mich nur, mir passiert nichts“ dann sprang sie, landete und lies sich lachend durch das Gras rollen, wie immer.
Erst als sie die Schüssel in einiger Entfernung vom Baum auf den Boden stellte, ahnte ich was sie vor hatte.
„Wir machen jetzt Kirschkernzielspucken“ rief sie mir von unten zu und kletterte danach erneut auf den Baum. Als sie wieder neben mir auf dem Ast saß, bemerkte sie erst, wie klein die Schüssel von dort oben eigentlich war und das sie sie etwas zu weit weggestellt hatte.
„Oh, das ist eine Herausforderung“ stellte sie erstaunt fest und grinste mich siegessicher an.
„Wer die Schüssel trifft, darf sich etwas vom anderen wünschen und der ist dann verpflichtet das zu tun, ok?“
Sie reichte mir die rechte Hand und ich schlug ein, obwohl ich meine begründeten Zweifel hatte, dass überhaupt einer von uns die Schüssel treffen würde. Sie nahm eine Kirsche aus meiner Hand, lutschte darauf rum, bis sie den Kern auf ihrer Zunge zu spüren schien und hielt sich dann mit beiden Händen am Ast fest, um weit auszuholen.
Der Kirschkern verfehlte die Schüssel um mindestens drei Meter.
„Naja“ beurteilte sie ihren Versuch schulterzuckend „Vielleicht wächst an der Stelle nächstes Jahr wenigstens ein Kirschbaum“ dann sah sie mich erwartungsvoll an. Es war schwierig das Ziel anzuvisieren ohne geblendet zu werden, es war noch früh am Tag und die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Horizont.
Als ich spucken wollte, verlor ich das Gleichgewicht und fiel beinahe vom Ast. Mein Kirschkern landete wegen des missratenen Versuchs genau vor uns, höchstens zwei Meter vom Baum entfernt.
„Soll ich die Schüssel für dich etwas näher heranholen?“ fragte sie von leisem Lachen unterbrochen.
„Nein danke, ich muss mich erst mal auf die Entfernung einspucken“ doch es fiel mir schwer bei dieser Antwort ernst zu bleiben, es muss einfach zu dämlich ausgesehen haben. Irgendwie wünschte ich mir, dass sie beim nächsten Versuch die Schüssel treffen würde, hauptsächlich aus Neugier, was sie von mir zu tun verlangen würde. Sie nahm den Kirschkern aus dem Mund, nachdem die Frucht drum herum abgelutscht war und schob den Zeigefinger der anderen Hand in den Mund. Nachdem sie den Zeigefinger wieder herausgenommen und ihn mit bedeutungsvollem Gesichtsausdruck in die Luft gestreckt hatte, sagte sie „Aha“ nahm den Kirschkern wieder in den Mund und spuckte ihn mit all ihrer Kraft in die angepeilte Richtung.
Der Kern schlug von unseren gespannten Blicken verfolgt ein paar Zentimeter vor der Schüssel auf, sprang jedoch noch mal ein kleines Stück hoch, berührte den Rand der Schüssel und kullerte schließlich hinein.
„Das glaube ich ja nicht“ platzte es aus mir heraus, während ich mit weit geöffnetem Mund die Schüssel anstarrte. Sie war mindestens ebenso überrascht, wie ich, unterdrückte ihre Verwunderung aber sofort und drehte ihren Kopf mit überlegenem Gesichtsausdruck zu mir.
„Tja, Windberechnung, Zielsicherheit und Spucktechnik“ ich konnte es immer noch nicht fassen.
„Und was soll ich jetzt tun?“ fragte ich unsicher, denn ich wusste, dass sie sich viele peinliche Dinge für mich ausdenken konnte. „Du“ sagte sie und deutete mit dem Zeigefinger auf mich „du wirst jetzt vom Baum klettern, dich dort unten hinstellen und ein Lied für mich singen“ Damit hatte sie einen unangenehmen Punkt bei mir getroffen, denn singen konnte ich noch nie.
„Aber mir fallen doch gar keine Lieder ein“ versuchte ich mich herauszureden.
„Dir wird schon was einfallen, ich warte“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute mich selbstsicher an, mir blieb keine Wahl. Ich lies mir Zeit beim Herunterklettern und versuchte mich krampfhaft an irgendwelche Liedertexte zu erinnern, doch das Einzige, was mir einfiel war -Junge komm bald wieder- .
Meine Mutter sang es immer, wenn sie an ihrer Töpfermaschine saß und Gefäße aus Ton erschuf, ich sah ihr oft dabei zu. Als ich unten angekommen war, saß sie immer noch mit verschränkten Armen dort und lies ihre Beine hin und her baumeln.
„Kann ich nicht doch was anderes machen, einen Handstand oder so?“ Einen Handstand konnte ich zwar auch nicht, aber der Versuch hätte wahrscheinlich weniger peinlich gewirkt als mein Gesang.
„Nein“ rief sie von oben „ich möchte jetzt mein Ständchen hören“
Beim ersten Versuch brach mir schon in der dritten Silbe die Stimme ab und außerdem hatte mein Gekrächze ein paar Krähen aus den umliegenden Bäumen aufgescheucht. Ich schloss die Augen und setzte ein zweites Mal an, doch ich kam nur bis zum Ende der ersten Strophe, denn sie saß auf dem Ast, hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und rief „Aufhören, bitte aufhören“ und lachte dabei, diesem Lachen konnte man nichts übel nehmen. Ich kletterte wieder auf den Baum und setzte mich neben sie.
„Jetzt weist du, warum mich meine Mutter im Fußballverein und nicht im Kirchenchor anmelden wollte“
Nachdem ich das gesagt hatte schauten wir uns eine Weile an und brachen schließlich in lautes Gelächter aus. Die nächsten Kirschkernspuckversuche waren wenig ernst zu nehmen und gingen auch ausnahmslos daneben. Die Sonne stand schon etwas höher am Himmel und wärmte die kalte Oktoberluft ein wenig auf, als sie die letzte Kirsche in den Mund nahm. Nachdem sie das Fruchtfleisch abgelutscht hatte, schien ihr plötzlich etwas einzufallen. Sie schaute mich mit weit geöffneten Augen an, schob den Kischkern mit der Zunge zur linken Wange und bemerkte erstaunt „Jetzt habe ich ja einen Versuch mehr als du, ich hatte doch angefangen oder?“
Nach kurzem Überlegen fiel mir auf, dass sie Recht hatte. „Das ist nicht so schlimm“ sagte ich beiläufig und fügte noch hinzu „mach nur, ich treffe heute eh nicht mehr“ Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, so geht das nicht, gleiches Recht für alle“ und da ich wusste, dass es zwecklos war sie von diesem Gedanken abbringen zu wollen, willigte ich mit einem „na gut“ ein und hielt die Hand auf. Darauf vorbereitet, dass sie mir den Kirschkern gleich in die Hand legen oder vielleicht spucken würde, achtete ich nicht weiter darauf und richtete meinen Blick für den letzten Versuch nochmals auf die viel zu weit entfernt stehende Schüssel.
Für den Hauch eines Herbstwindes war das, was ich an meinem Ohr und meiner Wange spürte zu warm, doch ich wagte nicht zu ahnen, dass es ihr Atem war, der mein Gesicht sanft umstrich. Erschrocken drehte ich meinen Kopf zu ihr und der Anblick ihrer näher kommenden Lippen lies das Blut durch meine Adern schießen. Mein Herz blieb beinahe stehen und dann war es auch schon wieder vorbei. Ich hatte den Kirschkern im Mund und konnte den Wind spüren, wie er meine feuchten Lippen kühlte. Völlig fassungslos und unfähig ein Wort zu sagen schaute ich sie an.
„Nun mach, es ist dein letzter Versuch“ sagte sie und lächelte mich dabei an, als wäre nichts gewesen. Ich war ganz und gar unfähig in diesem Augenblick das Ziel genau anzupeilen oder mich auf meinen Spuckversuch zu konzentrieren. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, eigentlich hätte ich gar nicht treffen dürfen, eigentlich konnte es gar nicht funktionieren... eigentlich wollte ich diesen Kischkern nicht mehr aus meinem Mund lassen! Der oktoberwind muss den Kern in die Schüssel getragen haben, oder jemand anders, jedenfalls war ich nicht mal mehr in der Lage verwundert zu sein, als ich das klingende Geräusch der Schüssel vernahm, nachdem der Kern einfach hineingefallen war. Ich schaute wie gebannt zum Horizont, genau in die Sonne. Alles war so hell, nichts anderes war mehr da, nur noch das gleißende Licht und dieses Gefühl.
Nachdem sie einen Augenblick lang mindestens ebenso überrascht und ungläubig geschaut hatte, wie ich, sagte sie „Na dann wünsch dir mal was, musst dich aber anstrengen, mir ist nichts so schnell peinlich“
Ich überlegte noch kurz, ob ich meinen Gedanken wirklich aussprechen sollte, aber ich konnte nicht anders.
„Ich möchte gar nichts Großartiges, ich möchte nur, dass du mich mal mit zu dir nach Hause nimmst, vielleicht kann ich deine Eltern ja mal kennen lernen“
Ich kann bis heute nicht ermessen, wie groß die Welt gewesen sein muss, die im nächsten Moment in mir zusammenbrach. Ihre heiteren Gesichtszüge, die meine Augen noch mehr durchdrangen als das Sonnenlicht, wurden immer ernster und schienen zu versteinern. Sie sprang ohne ein Wort zu sagen vom Ast und ging. Ich wusste nicht, wie mir geschah, ich hätte weinen wollen, doch ich war zu verwirrt und blieb noch Stunden auf dem Ast sitzen und starrte die selbstgetöpferte Schüssel meiner Mutter an, mit den zwei Kirschkernen darin.
Waren sie schon auf der Zugtoilette? Sie ist immer noch kaputt, denke ich. Es sieht bestimmt seltsam aus, wenn ein Mann wie ich ihnen gegenübersitzt, der nichts an Gepäck dabei hat, außer einem kleinen Bäumchen, aber wissen sie, wenn ich den dünnen Stamm dieses Bäumchens umfasse, muss ich ein wenig lächeln. Ich kann mit einer Hand ganz herumfassen und komme sogar mit dem Zeigefinger wieder an den Handballen.
Wir haben das früher oft gemacht. Ich habe mich auf die eine Seite des Baumes gestellt und sie sich auf die andere und wir haben versucht den Stamm zu umfassen. Unsere Fingerspitzen hätten sich auch beinahe berührt, es fehlten höchstens noch zwei oder drei Zentimeter. Wir versuchten es bestimmt zwei Mal pro Woche, um zu sehen, ob unsere Arme schon länger geworden waren. Vor kurzem hatte ich einen seltsamen aber schönen Traum. Wir haben den Baum umfasst und unsere Finger berührten sich auf beiden Seiten, dann fielen plötzlich alle Blätter auf uns hinab und wir ließen uns in das Laub fallen, ich kann sie jetzt noch lachen hören.
Ich glaube, die Fahrt dauert nicht mehr sehr lange, es sind schon ein paar Schatten mit Koffern am Abteil vorbeigegangen.
Irgendwann bin ich auch vom Ast heruntergestiegen und habe die Schüssel mit nach Hause genommen und die zwei Kirschkerne in die Hosentasche gesteckt, dort sind sie immer noch. An den folgenden drei Tagen stand ich allein an unserem Baum, von Morgens bis Abends, ganz allein. Am vierten Tag sah ich sie schon von Weitem über die Wiese gehen und wir kletterten wieder auf den Ast, keiner von uns hat noch mal ein Wort darüber verloren. Wir hatten einen sehr schönen Oktober, in dem sie mir noch viele Gedichte vortrug, aber irgendwas war da, irgendetwas lag auf ihr, doch ich traute mich nicht danach zu fragen, ich habe mich einfach nicht getraut.
Ich zittere übrigens nicht weil mir kalt ist, ich denke es ist, weil der Zug bald am Ziel ist, ich war schließlich nie wieder dort, seitdem wir damals so plötzlich weggezogen sind.
An den Tag vor dem großen Knoten erinnere ich mich sehr gut. Es war der letzte Tag im Oktober und sie hatte mir am Morgen auf dem Ast ein Gedicht vorgelesen, an dessen Inhalt ich mich nicht mehr erinnere, aber ich weis noch, wie es hieß „Ewige Erinnerung“ und die Lücke ist noch da, die Lücke des fehlenden Inhalts, die so schmerzt. Als wir vom Ast heruntergeklettert waren sagte ich ihr noch, dass ich am nächsten Morgen keine Zeit haben würde, da meine Mutter mit mir schon ganz früh in die Stadt fahren wollte, um mir ein paar feste Schuhe für den Winter zu kaufen. Sie lächelte etwas betrübt, gab mir die Hand, wie immer, aber ließ sie nicht sofort wieder los, sondern drückte sie fest und lächelte dabei. Ich habe mir damals wirklich keine Gedanken darum gemacht, vielleicht wollte ich es auch nicht.
Ich behielt meine neuen Schuhe gleich an, als wir am frühen Nachmittag aus der Stadt zurückkamen. Ist es nicht seltsam, dass ich mich ausgerechnet daran erinnere? Als wir ins Dorf hereinkamen, fiel meiner Mutter auf, dass einige kleinere Geschäfte geschlossen hatten und sehr wenig Menschen auf der Straße waren, ich dachte mir nicht viel dabei. Es war stürmisch, sehr stürmisch und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, von wem wir es erfahren hatten. Ich habe meine Mutter Jahre später mal über die ganze Sache ausgefragt, doch ich fürchte, sie hat mir nicht alles erzählt, oder erzählen wollen.
Jetzt sind wir bald da, der Zug wird schon langsamer.
Ein Malergeselle hat sie auf dem Weg zur Arbeit gefunden. Ich wünschte, es wäre ihr Vater gewesen, der an diesem Tag, dem ersten November, zufällig vorbeigegangen wäre, er hätte es ein sollen!
Man erzählte, sie habe mit den Blättern im Sturm hin und her geschaukelt, so leicht und so zerbrechlich.
Man sagte, die Sonne lag den ganzen Tag hinter den Wolken.
Man berichtete, ihre Mutter solle zwei Wochen weinend am Fenster gesessen und kein Wort gesagt haben.
Man verkündete, ihr Vater habe am übernächsten Tag wieder arbeiten können.
Man berichtete, ein Arbeiter musste auf den Ast klettern und das Seil mit seinem Taschenmesser durchschneiden.
Man sagte, sie sei heruntergefallen ins kühle Gras und viele Blätter mit ihr.
Man sprach, es gab da einen Jungen, mit dem sie sich regelmäßig traf.
Die neue Wohnung in der weit entfernten Stadt hatte meine Mutter sehr schnell gefunden und angemietet. Zwei Tage vor unserem Umzug stand ich allein und weit entfernt auf der Wiese, als zwei Gärtner mit einer Motorsäge versuchten ein großes Zeichen eines wundervollen Menschen zu entfernen, doch sie nahmen nur das, was für alle sichtbar war.
Man sagte, da sei sich das Dorf einig.
Wir scheinen angekommen zu sein, der Zug hat gehalten. Sie werden die nächste Station auch noch verschlafen mein Herr, ich und dieses Bäumchen müssen jetzt jedenfalls aussteigen, wir haben noch einen Knoten zu lösen.