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Der Heiligenschein

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21.06.2016
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Der Heiligenschein

„Ach, wie einfach wäre die Welt, wenn eine leuchtende Aura anzeigte, ob dieser oder jener Mensch zu den Guten gehörte!“ – Frei nach Friedrich Nietzsche

I
„Schon wieder Sonntag!“, stellte der Pfarrer mit einem Schnaufen fest, das wie ein Stein auf seiner Brust lag. Mit Müh und Not erhob sich Andreas Thiel aus dem einseitig belegten Doppelbett, schlurfte hinüber auf den Flur und ging ins Bad. In einer leidlichen Geste öffnete er die Vorhänge, die majestätisches Licht eines späten Frühlings in den kleinen Raum strömen ließen – es tat ihm fast ein bisschen weh. Mechanisch stieg er dann in die Dusche, wusch sein ergrautes Haar, föhnte es, vertrieb mit der besonders minzigen Zahnpasta den üblen Geruch der vergangenen, verflossenen Nacht, und hievte sich, Unterlagen unter dem Arm, in seinen, für Dienstzwecke unabdingbaren Privatwagen. Weder für Gebet noch Frühstück blieben dabei Zeit – und es störte ihn nicht einmal mehr.
Die Straßen waren noch frei. Hier in der Gegend, die als eine der gottlosesten der Welt galt, konnte Andreas Thiel das Gaspedal durchdrücken. Er lächelte leicht und schaute kurz in die Sonne. Als er an einer Ampel in einem der kleinen, sterbenden Orte halten musste, sah er einem kleinen Kind in die Augen, das auf ihn zeigte und breit lächelte. Es versuchte seine Mutter auf den Fahrer aufmerksam zu machen. Doch als diese schaute – er konnte es nur noch schemenhaft im Rückspiegel ausmachen – war er bereits von Dannen gefahren, einen Ort weiter, zur Jakobuskirche. Die Glocken läuteten, es war 9.45 Uhr, er war viel zu spät für denjenigen, der als erster da sein sollte. Er betrat das imposante, mehrfach restaurierte, angenehm kühle Gotteshaus mit betretener Miene.
Im Inneren reckte sich sogleich die alte Frau Forrenheim auf. Sie saß dort vorne, dritte Reihe, in der Mitte, wie auch sonst. Wie immer, war sie als erste hier. Scheinbar war sie auch die einzige – nein, oben der Organist, Herr Peters, nicht viel jünger als die Dame. Doch wo war der Küster?
„Guten Morgen, Frau Forrenheim“, rief Herr Thiel im gemächlichen Schritt, den müden Blick kaschierend, herüber. „Wo ist denn Küster Borjahn?“
Doch die Frau stand dort und regte sich nicht. Er wollte nicht an die Salzsäule denken, als er sie so sah, sondern vielmehr an einen medizinischen Notfall. Sie erschien ihm wie eine absonderliche Mischung aus einer Planeten, die sich langsam um ihre eigene Achse drehen, und einer Ziege, die ihre eigene Milch getrunken hatte, so wart waren ihr Augen. Sie begann zu zittern.
„Frau Forrenheim“, sprach er und neigte den Arm vor, zur Notstütze, „ist alles in Ordnung?“
Dann lachte sie. Zuerst war es ein leises, tastendes Lautgebälk, das zusehends die sonntagliche Atmosphäre einsaugte, so, als würde sie jemanden Großes einladen, um dann in mehrmaligen Anläufen ganz und gar hervorzubrechen. Sie lachte und jauchzte und fiel Pfarrer Thiel plötzlich vor die Füße!
„Aber was haben Sie denn?“, fragte der Gottesmann ungläubig.
Sie aber redete nur wirr: „Mein Mann, der hat ja immer gesagt, wenn ich in die Kirche ging: ‚Und, gibt’s da auch was zu essen? Nein? Na, dann geh du mal allein!‘ Ernst ist schon viele Jahre tot… aber ich… und meine Oma hat ja schon immer an den Christus geglaubt, obwohl sie im Krieg war… und ich, ich habe oft gezweifelt, ja, ja, Pfarrer Thiel, ich sag’s Ihnen… und manchmal habe ich mir gedacht: ‚Ach, der Herr Superintendent macht’s schon besser mit der Predigt…!‘ Aber jetzt, so wie ich sie hier sehe – jauchzen könnte ich! Jauchzen! Denn es war ja doch nicht umsonst!“
Hinter ihnen plötzlich ein lauter Knall! Als Pfarrer Thiel sich umgedreht hatte, sah er seinen Organisten, der in den Bankreihen darniederlag. Sofort eilte er hinüber, um Herrn Peters in die stabile Seitenlage zu bringen. Wie immer roch der Glatzkopf übel, und hatte selbst jetzt eine Grimasse aufgesetzt, die Pfarrer Thiels Nerven bereits jetzt strapazierte: Gleich würde er ausschweifend und schneckenhaft-langsam an einen längst vergessenen, nur lokal bekannten romantischen Komponisten erinnern, während sein eigenes Orgelspiel ständig die falschen Töne traf. Ihn schämten solche Gefühle, gerade jetzt, in dieser Notsituation. Doch er sah in die Augen eines Staunenden. Herr Peters starrte zu ihm hinauf und konnte den Blick nicht mehr aus dem Gesicht des Pfarrers wenden. Speichel rann ihm hinab, als er den Mund öffnete.
„Er sieht es auch!“, bemerkte Frau Forrenheim, die hinter Verletzten und Versorgten getreten war.
„Würden Sie mir bitte in die Soutane greifen?“, brummte der Pfarrer, der Peters mit sanfter Bestimmtheit zur Ruhe niederdrückte. „Ich meine, greifen Sie doch bitte mal in meine Tasche und holen Sie mein Handy hervor, ja? Frau Forrenheimer!“
Sie brauchte einen Moment. Sie zitterte. Ihr Strahlen schien auf den Liegenden abzufärben. Pfarrer Thiel aber wählte nur den Notruf.

II

Er kannte die jungen Leute, die als Rettungssanitäter arbeiten; den einen, dessen Namen er nicht mehr im Kopf hatte, musste er vor einigen Jahren aus dem Konfirmationsunterricht werfen lassen. Nun war dieser auf ein Knie hinabgegangen und starrte ebenso.
„Was ist hier los?“, fragte der Pfarrer unverständlich. Herr Peters, auf der Liege aus dem offenen Gefährt heraus, sabbelte Unverständliches. Forrenheimer hatte die Hände zum Gebet gefaltet. Und der Kollege seines ehemaligen Konfirmanden, schoss ein Bild mit seinem Smartphone. Noch bevor der fotografierte Andreas Thiel protestieren konnte, trat der junge Mann mit dem großen silbernen Nasenring an seine Seite.
„Deswegen sind die sind so“, murmelte der Mann und zeigte ihm das eben geschossene Bild.
Was er da hinter seinem eigenen Kopf entdeckte, erschien ihm so vertraut, zugleich fremd. Er hatte es auf tausenden Bildern gesehen: Als Kind, der zum ersten Mal begriff, was dort an den Wänden der Kirche hing; als Jugendlicher, der viel lieber die Schülerinnen in der Christenjugend kennenlernen wollte; als Student, der aufmerksam all die Texte las und das Bildnis des Gekreuzigten wie ein Automat nebenher verarbeitete; schließlich der berufstätige, zusehends ausgelaugte Mittler zwischen Gott und den Laien, der diesen Modus der Datenanalyse nie ganz abgestreift hatte.
„Das ist überaus… katholisch“, lautete sein verwundertes Urteil. Er biss sich auf die Lippe, die Frage schon auf den Lippen, ob er das Bild irgendwie manipuliert habe; allein, er fragte dann doch nicht.
Die anderen Leute hier waren nicht zu gebrauchen: Forrenheimer wie Peters, die beiden anderen Sanitäter, und schließlich erste Schaulustige, die eigentlich doch in die Kirche gehen sollten, des Gottesdiensts wegen.
„Also ich glaub nicht an Gott oder, dass er einen Sohn hat“, brummte der Fotograf und schüttelte den Kopf, auf dass der große silberne Nasenring bei ihm wackelte. „Ist mir eigentlich ziemlich egal, was Sie da haben. Sollten’s aber mal untersuchen lassen, eh?“
„Hm! Ich hoffe irgendwie, die Anderen tun’s Ihnen nach.“ Thiel warf einen skeptischen Blick über die Schulter.
Woraufhin der Nebenmann doch eher überrascht fragte: „Ich dachte euch Kirchenheinis gefällt so etwas doch? Bisschen Show und so?“
„Wenn Sie wüssten! Na los, bringen Sie ihn bitte weg!“
Mittlerweile war es 10.31 Uhr. Der Krankenwagen war von dannen gefahren, unter größtem Protest des darniederliegenden Organisten, während er auch Frau Forrenheim davonschicken wollte, die jedoch hartnäckig blieb, dann eben auf der Bank sitzend, gleich neben den Eingang zum Kirchenhof, apostolisch. Auch die restlichen Versammelten verteilten sich, Gemeinde wie Nicht-Christen zugleich. Sie tuschelten zwischen Grabsteinen und Aushangstafel, und Allergiker ignorierten für ihre Blicke den aufkommenden Pollenflug.
Endlich erschien Küster Borjahn. Der brillentragende Pullunderfreund schwang sich von seinem klapprigen, silberglänzenden Sammlerstück-Fahrrad und näherte sich geschwind. „Es tut mir leid, ich hatte eine Panne mit dem guten Stück dort!“, säuselte er und deutete auf das Gefährt. Als er dann aber vor der Autoritätsperson zum Stehen kam, blinzelte er mehrfach. „Pfarrer Thiel, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“
„Ich muss heute etwas zu oft gähnen“, erwiderte Thiel in einer zu sanften Stimme für jede unterschwellige Art von Sarkasmus. Dieser fiel kaum einem Gesprächspartner je auf. „Ist vielleicht ganz gut, dass der Gottesdienst heute ausgefallen ist. Sie waren ja auch nicht da.“
„Oh, verzeihen Sie, verzeihen Sie! Mein Fahrrad, ein Platten, drüben, bei der Molkerei-Ruine…“
„Ich sehe nichts von einem-“
Borjahn war zur anderen Seite getreten, hatte ihn fast umrundet. „Also, ich sag’s Ihnen: Ich war mir schon immer sicher, dass Sie etwas Besonders sind! Ich werde gleich den Superintendenten anrufen! Keine Sorge, ich mache das, ich kam ja auch zu spät!“
Vor jedem Protest war der Mann war schon in die Kirche gelaufen und hatte seinen Teil getan. Später warteten sie allesamt, die Gemeinde draußen in der Kirche selbst und er, der gesagte hatte, nur einen Moment für sich zu benötigen, in der Sakristei. Andreas Thiel wunderte sich vor dem Kreuz. Mit seinem eigenen Telefon hatte er ebenfalls ein Bild von sich geschossen. Mithilfe verschiedener, sogenannter Filter – Funktionen, ihm bis dato weitestgehend unbekannt – untersuchte er die grimmige Dreiviertelaufnahme von Kopf und Hals. Selbst in dunkelstem Schwarz-Weiß thronte eine runde, helle Scheibe gleichmütig hinter seinem Kopf. Wenn er mit der Hand nachfühlte, spürte er nichts. Auch im Spiegel verschwand sie nicht. Und da mittlerweile einige graue, regenschwangere Wolken am Himmel aufgetaucht waren, konnte ebenso eine optische Täuschung vollends ausgeschlossen werden.
Die Tür flog auf und Superintendent Neumann stürmte herein. Borjahn, an seiner Seite, wurde mit einer harschen Bewegung angewiesen, den Schaulustigen aus der gefüllten Hauptkirche den Blick zu versperren. Er hatte viele Stimmen gehört, ja, doch diese Fülle – er hatte sie zuletzt gesehen als er ein Kind war, an Weihnachten, weit fern von hier, als sie „Herr, bleib bei mir, der Abend bricht herein“ sangen und er beschlossen hatte, Gott zu dienen.
„Der Herr sei gepriesen!“, stieß Neumann aus als er endlich zur Ruhe gekommen war und Thiel lange genug gemustert hatte. „Ich schreibe Briefe an den Bürgermeister, aber das ich so etwas noch einmal sehe…!“
„Es ist überaus katholisch“, bemerkte Borjahn von der Seite, „aber doch faszinierend, nicht wahr?“
Ein strenger Blick zum Küster ließ diesen mit bübischem Grinsen zu Boden blicken. Dann ging der Superintendent einen Schritt auf Thiel und schärfte die Augen adlerhaft hinter seiner randlosen Brille – bis seine Nase wild zurücksprang. „Moment mal, Thiel… Haben Sie etwa getrunken?“
„Scheiße.“
„Thiel!“
„Der Herr verzeih’s!“
Auch Neumann umrundete ihn eingehend, wedelte mit der Hand mehrfach über seinen Kopf, oder prüfte den Lichteinfall, ehe er mit kritischer Miene nachfragte: „Nun? Irgendeine Erklärung hierzu?“
„Eigentlich nicht, Herr Neumann. Superintendent. Ich bin heute Morgen aufgestanden wie sonst auch. Jeden Sonntag.“
„Und haben Sie gestern Abend genauso viel getrunken wie ebenje?“
Er schwieg, jedenfalls für einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf und sagte leise: „Weniger. Doch anscheinend noch genug.“
„Nichts also anders als sonst, wie?“
„Nein.“
„Dann… muss es wohl ein Wunder sein!“
„Wie? Einfach so?“
Borjahn bemerkte: „Wir könnten das ganze ökumenisch regeln!“
Doch der Einwurf wurde ignoriert. „Einfach so“, bestätigte Neumann.
„Aber- Was geschieht jetzt?“
„Wir müssen die Sache an eine höhere Stelle weiterleiten!“

III
Noch am selben Tag waren sie zum Bischof aufgebrochen. Dieser aber, eingenommen durch andere Geschäfte und den Berichten nicht sonderlichen Glauben schenkend, vertröstete die Suchenden. Also warteten Thiel und Neumann, sowie ein ganzes Gefolge gewünschter wie unliebsamer Begleiter. Erste Menschen schossen Bilder vom noch immer müden Pfarrer, der nicht recht wusste, wie ihm geschah.
Man fasste den Entschluss, Thiel wieder aufs Land zurückzubringen und vorerst im Pfarrhaus zu belassen. Neumann wollte „Kundige“ (er spezifizierte diese Bezeichnung nicht weiter) auf den besonderen seltsamen Fall aufmerksam machen, während der betroffene Thiel doch die Öffentlichkeit möglichst meiden sollte.
Schon am nächsten Tag, gegen 12 Uhr, Thiel war gerade eine Stunde wach, fand dieser gleich zwei Dutzend Schreiben in seinem übervollen Briefkasten vor. Darunter war eine Grußkarte des Sohnes seines Organisten, Peters Junior, der pflichtschuldig für die Rettung des Vaters dankte, sogleich aber Erkundigungen suchte: Stimmte es, was man über ihn sagte? Missmutig legte Thiel den Text auf dem Garderobentisch ab.
Dabei betrachte er sich im Spiegel. Nichts hatte sie verändert, der Schein war immer noch dort. Noch immer spürte er nichts, und auch in der Nacht hatte sich die Veränderung nicht bemerkbar gemacht. Immerhin aber hatte er lange durchschlafen können – vielleicht also war da doch etwas, das dieses kleine Wunder (er zögerte, es so zu nennen) als Mittel Gottes tief in seinen Alltag einschrieb.
Eine Stunde später, er hatte eine Konserve mit Erbseneintopf warm gemacht, klingelte es an der Tür. Zu seiner Überraschung stand der Ex-Konfirmand vor der Tür, neben ihm eine skeptisch dreinblickende, dann umso erstaunter werdende Frau jungen Alters mit ungewaschenem Haar und billiger Schminke. „Wir brauchen ihre Hilfe“, sagte der Mann und starrte auf den Schein.
Irgendwie hatten sie es dann in seine Küche geschafft. Er bot ihnen Tee an, in der Annahme, sie würden ihn ohnehin ablehnen – und doch tranken sie die Kamille, die unbeliebteste aller Teesorten, als wäre es ein kühles Bier am brennenden Strand. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie seinetwegen so handelten.
Bruno war sein Name, sie hingegen hieß Laura. Durcheinander redeten sie und offenbarten Zorn füreinander. Ihre Liebe, so dieses Wort denn nicht zu groß für die gegenseitige Zickerei war, verfügte über zahlreiche Baustellen. Sie wurden laut miteinander. Erst als er sagte: „Nun bleiben Sie Beide doch mal ruhig und hören einander zu!“, schienen die Streithähne auf einmal wie aufeinander eingestimmt; zwei Violinisten, die sich zuvor geweigert hatten, zusammenzuspielen, bis sie begriffen, dass Stücke für Zwei lediglich im Duett funktionierten; nur das dies eben Facebook-faszinierte Fahrzeugfans waren. Dann, ehe er überhaupt wusste, was das hier alles sollte, was er wirklich für sie getan hatte, waren die Beiden schon wieder gegangen, Hand in Hand die Dorfstraße herabmarschierend. Als Thiel die Tür schloss, sah er gut gekleidete junge Männer mit Sonnenbrillen und großen Kameras.
Er fragte sich eingehend, was das alles sollte. Für eine ganze Stunde stand er vor dem Spiegel. Er bemühte den weiten Wissensspeicher des Internets. Beides konnte ihm jedoch keinerlei neue Kenntnisse vermitteln; nichts, was er nicht schon von Gott suchte. So versuchte Andreas Thiel es mit dem anderen großen Modus der Lebensführung: nicht wissen, sondern glauben. Auf Knien war er niedergesunken und blickte irgendwo gen Südosten, wo er Jerusalem und Golgotha vermutete. Er betete. Weder fühlte er sich bestärkt in seiner Sache, noch abgewertet. Er mochte ein Gottesmann mit Alkoholproblem sein, der zu spät zur Arbeit kam. Das aber machte ihn nicht anders als viele andere Arbeitnehmer im Land. Für Andreas Thiel war die Sache klassisch lutherisch: Gott war irgendwo dort, er war entfernt, und er liebte durch seinen Sohn. Das musste er vermitteln. Und wenn es nicht stimmte und seine Schafe nicht in den Himmel kamen, dann hätte er eben ein ähnliches Problem wie ein Bankberater, der zu schlechten Investitionen geraten hatte.
Am Abend klingelte es abermals. Thiel saß auf dem Sofa und versuchte all den Trubel auszublenden, nachdem er zuvor einige gescheiterte Versuche der Rekonstruktion unternommen hatte. Entsprechende handschriftliche Notizen lagen zerknüllt auf dem Boden herum, ein Mann mit Heiligenschein schaute nun Fußball im Fernsehen. Stetig hatte er auf sein Telefon geblickt, doch zu seiner Überraschung blieb jede Nachricht aus. Dann läutete es, das Surren in seinen Ohren ließ ihn sogleich aus der Döserei aufschrecken. War der Superintendent, in unzähligen Gesprächen mit dem Bischof und anderen verstrickt, direkt hierhergekommen?
Als er müde, die Soutane gestrichen, die Tür öffnete, lächelten ihm zwei betörend duftende Anzugträger entgegen. „Herr Andreas Thiel?“, hauchte die eine Stimme, ehe ihm klar wurde, dass ein Teil des modischen Paars eine Frau war.
„Das dürfte ich sein, schätze ich, ja“, murmelte er und musterte sie kurz zu interessiert.
„Wir würden Sie gerne bitten, uns zu begleiten“, erwiderte sie freundlich und deutete hinüber auf einen ein paar Meter entfernt geparkten schick-schwarzen BMW, Pfarrerskleidung nicht unähnlich.
„Begleiten? Wohin?“, fragte er verwundert.
„Zur Bundeskanzlerin!“

IV
Er hatte nicht abgelehnt – wie hätte er auch ablehnen können? Auf teuren Ledersitzen gefangen, verfluchte er seine eigene Passivität. Zwei Stunden waren sie durch den Abend gefahren, auf einen kleinen restaurierten Landsitz, nicht weit von der Hauptstadt entfernt. Dort empfing sie ihn in einem historisch gut rekonstruierten Kaminzimmer mit herrschaftlich hoher Decke. Sie war freundlich und demütig, so, wie er sie aus dem Fernsehen kannte, ganz besonders aus den Übertragungen der evangelischen Gottesdienste zu den großen Festen. Und was sie ihm nach höflicher Begrüßung dann sagte, war simpel, zugleich doch eingängig: „Sie haben jetzt eine neue Aufgabe gefunden und ich hoffe, Sie nutzen diese weise, für Deutschland, für Europa und für sich selbst.“
„Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin“, begann er langsam, „aber ich weiß nicht recht, dass ich etwas einsetzen kann, was ich dann einsetzen kann, und ob ich es überhaupt tun sollte…“
„Was wollten Sie sonst tun?“, fragte sie. Bisher hatte sie den Schein kaum betrachtet.
Thiel hob die Schultern. „Urlaub machen – in meiner Wohnung. Dem Bischof meine Situation schildern.“
„Was sagt Ihre Kirche denn? Bestimmt gibt es auch dort schon einige Überlegungen…“
„Da wissen Sie mehr als ich, Frau Bundeskanzlerin.“
Diese lächelte schmal und faltete ihre Hände zur Raute. „Positivität und Offenheit und die gesamte Gesellschaft im Blick behalten. Die EKD ist ein starker Partner in unseren Reihen.“
Viel konnte er dazu nicht sagen, es bleib bei einem Nicken. Und dann, nach einigem Gebäck und dem Austausch von Nebensächlichkeiten, war die Kanzlerin wieder verschwunden, hinausgerufen durch einen dringenden Telefonanruf. Die schöne Agentin von zuvor legte ihm einige wichtige Papiere hin, denen er ohne viel Murrens eine Unterschrift gab.
Kaum jedoch hatte er eben dies getan, erschien die Kanzlerin erneut und fragte ihn: „Pfarrer Thiel, was soll ich denn nun machen, wenn Sie mich da draußen aufhängen wollen?“
Seine Brauen schellten nach oben. Sie erschien ihm so selbstsicher, und da fragte sie ihn nach einigen Schreihälsen. „Nun, es gibt solche Leute in meiner Gemeinde auch“, versuchte er es wieder vorsichtig und tastend. „Die eigene Position zu vertreten, mit Gott, auf die Bibel zu verweisen und das Leiden der Völker dort, wäre jetzt meine Antwort.“
In den Augen der Kanzlerin sah er wieder dieses Erleuchten. Obwohl er seinen Ratschlag selbst nicht einmal für sonderlich überzeugend hielt, nickte die Regierungschefin mit aufgehellter Miene und wünschte einen schönen Abend.
Die beiden Begleiter fuhren ihn durch eine sternengetränkte Nacht wieder nach Hause. Er sah ihre interessierten Blicke im Rückspiegel; davon ab, verhielten sie sich professionell. Sie warteten, bis er wieder in der Pfarrwohnung verschwunden war. Ermattet fiel er ins Bett.
Am nächsten Morgen: Endlich ein Anruf von Superintendent Neumann. „Thiel, wir sollten uns in zurückhaltender Beobachtung üben. Das empfiehlt auch der Bischof.“
„Und was ist damit gemeint, wenn ich so frei fragen darf?“, fragte der Mann mit Heiligenschein zurück.
„Dass Sie erst einmal so weitermachen wie bisher“, erwiderte Neumann zurück, mit dieser leichten Schwellung in der Stimme, die fehlende Überzeugung symbolisierte. „Gehen Sie in die Gemeinde und predigen Sie das Wort des Herrn! Und wenn die Kirchen nun voller werden, dann wird das eben so.“
„Das wäre nur zu hoffen, was?“
„Natürlich! Sie wissen ja, Thiel, dass Gott in allem wirkt, auch dem Alltäglichen. Aber der Alltag ist nun einmal der Alltag. Der fällt keinem auf.“

V
Sonntage vergingen, der Frühling wurde zum Sommer, und die Kirchen des Andreas Thiel waren prall gefüllt. Selbstverständlich kamen sie seinetwegen, wobei manche Kommentatoren die Flucht in die alten Steingemäuer mit der dort angenehmen Kühle zu erklären versuchten. Skeptiker wurden auch vom Mann mit der gelblichen Scheibe hinter dem Kopf nicht bekehrt. Wohl aber wurden jene mit weiten und offenen Herzen von neuen Einsichten und Kräften beseelt. Viele verließen Gottesdienste und andere Veranstaltungen mit größter Fröhlichkeit. Pfarrer Thiel konnte dies in seinem sozialen Nahbereich mehrfach überprüfen: Küster Borjahn nahm seine Sache wieder ernster und ließ die Ausreden sein, Frau Forrenheim hatte neue Tiefe entdeckt, und Organist Peters spielte imposant wie ein Meister.
Nicht, dass sich etwas geändert hatte. Er folgte noch immer den Predigtenbuch des aktuellen Jahres und garnierte die Weisheiten des Evangeliums kaum mit persönlichen Anekdoten, wie es seit jeher von Pfarrern erwartet wird. Andreas Thiel hielt sich nie für einen schlechten Kirchenmann – jedoch auch nie für einen besonders guten.
Alsbald wurde Thiel dann von seinen Oberen eingeladen auf einer Großveranstaltung der Evangelischen Kirche Deutschlands, der EKD, zu sprechen. „Das ist bestimmt nicht mein Thema“, zweifelte der Pfarrer während des Vorbereitungsgesprächs durch den Hörer zu Superintendent Neumann. „Kirchliches Arbeitsrecht? Die Bedeutung der EKD für die demokratische Ordnung? Keine Ahnung, wirklich nicht…“
„Ah, das ist ja gar nicht so wichtig!“, beschwichtigte die andere Seite ihn. „Sie müssen auf dem Podium ja nicht so viel sagen – Hauptsache, Sie sind präsent!“
Und so hatte sich Andreas Thiel breitschlagen lassen, auf einer Freilichtbühne eines Theaters zu sitzen. Dorthin hatte man ausweichen müssen, weil der Besucherandrang groß war. Stetig wurde er gemustert, Menschen hielten Plakate mit seinem Konterfei in die Höhe. Kirchenvertreter, Minister und Filmsternchen besahen ihn ausgiebig und lächelten ihm unentwegt zu. Sogar eine Gruppe internationaler Besucher, Theologen und Gelehrte aus aller Welt, saßen in der zweiten Reihe und musterten ihn mit forscherischem Interesse. Jeder noch so kleine Laut, den er von sich gab, wurde aufgenommen – noch immer. Thiel hatte einiges gehofft: Auf geringeren Andrang, oder aber das Verschwinden dieser Sache hinter seinem Kopfwinden. Nichts dergleichen.
Er hatte ein weiteres Mal mit der Kanzlerin gesprochen. Per Telefon hatte sie ihn nach einer verzwickten Lage im Umgang mit den Osteuropäern befragt. Seine Antwort war ein vages Abwägen und die Bedeutung von Tradition und Souveränität der ehemaligen Ostblockländer, die diese nicht leicht aufgeben wollte, ganz ähnlich seines ersten Rats an sie. Dergleichen hatte sie selbst bereits viele Male gesagt – ja, er könnte nicht sicher sein, ob sein eigener Rat nicht von den Worten der Regierungschefin selbst beeinflusst war. Eine Woche später hatte sie, in ganz und gar untypischerweise, sehr direkt und garniert mit Bibelzitaten die Betonung von Staaten, Bünden und Nächstenliebe betont – es sah aus, als sei der Kompromiss tatsächlich fruchtbringend.
„Herr Thiel, Sie sind ja ein Symbol sagen einige“, riss die kritisch dreinblickende Moderatorin Anna Freising ihn aus seinen Gedanken. „Sie sind ein Symbol für die Rückkehr der Religion in die Politik. Viele Menschen verstehen nicht, warum die Kirche heute eine Sonderstellung bedürfte. Auch haben wir heute hier auf dem Podium gehört, das strukturelle Verhältnis zwischen Staat und Kirche sei – Zitat – ‚verkrustet‘. Sie scheinen nun der Gegenbeweis zu sein. Es ist, als hätte Gott den Buben oder Joker aus seinem Kartenstapel gezogen und in der Mitte des Spieltisches platziert. Was sagen Sie zu solchen Beschreibungen?“
Sein zaghaftes Lächeln versuchte die Anspannung zu kaschieren. Im Publikum hatten sie solidarisch gelacht oder das Kreuz geschlagen (es waren auch viele Katholiken gekommen, und auf einmal wollte sogar der Papst viel mehr Anstrengungen in der Ökumene unternehmen).
„Die Kirche hat ihre Berechtigung“, antwortete Pfarrer Thiel. „Sie ist ja nicht nur Gottesdienst, sondern verfolgt auch viele soziale-“
Die Menge hatte genickt, doch die Moderatorin fuhr ihm sogleich zwischen die Worte: „Das ist richtig, aber das war ja nicht die Frage, Pfarrer Thiel. Die Frage lautete, ob das alles eine Sonderstellung begründet. Kirchen-Arbeitsrecht zum Beispiel.“
„Nun, ich denke, dass- Also, die Trennung zwischen Staat und Kirche ist der Demokratie angemessen-“
„Aber die Kirche ist ja nicht so einfach vom Staat getrennt“, warf Anna Freising zurück und erntete einiges kritisches Aufgrollen im Publikum. „Bischöfe werden beispielsweise als Beamte bezahlt“, fügte sie noch hinzu, zum allgemeinen Verdruss eines harmoniebedürftigen Publikums.
Er schaute hinüber zu seinen vermeintlichen Unterstützern, dann zur Moderatorin, die ihn mit festem Blick sezierte. Seine Erwiderung begann vorsichtig: „Sie haben in Ihrer kleinen Einleitung gesagt, ich wäre ein Symbol, für das, was mir widerfahren ist-“
„…von dem Sie immer noch nicht wissen, wie es passiert ist?“
„Richtig. Jedenfalls bin ich hier und mache, was ich immer tue, und versuche zu helfen, wo ich kann. Im Übrigen- Im Übrigen bin ich nicht frei von Sünde, wie einige ja meinen. Trotzdem schwirrt das da“ – er deutete auf seinen Hinterkopf und die Menge frohlockte – „herum, wie es nun mal herumschwirrt.“
„Aber-“
Die Zuschauer murmelten wohlwollend, als er eine Nuance lauter wurde, um fortzufahren: „Ich will damit nur sagen, dass ich auf diese Fragen keine Antworten weiß. Ich mache meine Aufgabe im Kleinen. Ob’s nun falsch ist, Bischöfe wie Beamte zu behandeln, kann ich Ihnen nicht sagen, Frau Freising. Ich sitze nur hier, weil ich- Ich weiß auch nicht, warum.“ Ein kleiner Lacher, der die leichte Verzweiflung Thiels gar nicht bemerkte.
„Doch wenn Sie’s deuten müssten“, wollte die Moderatorin wissen, „welche Deutung würden Sie dann für Ihren Heiligenschein und seine gesellschaftliche Relevanz vorschlagen?“
Alle Augen lagen auf ihm. Er dachte in diesem Moment: Es ist so nutzlos, es leuchtet ja nicht einmal richtig im Dunkeln. Dann sagte er: „Wenn ich es mir anmaßen dürfte, würde ich fast sagen, dass uns so etwas zeigt, was Luther schon im Anschluss an Matthäus betonte: ‚Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.‘“ Einige pfiffen, andere klatschten für wenige Sekunden frenetisch. Er nickte irgendwo in die Menge und durchblätterte sein geistiges Inventar nach besseren Zitaten aus der Heiligen Schrift.
„Das müssen Sie erläutern“, sagte die Moderatorin in analytischer Kühle.
„Ich will damit einfach sagen, dass unsere liberale Haltung, jeder könne für sich selbst das Richtige finden, vielleicht zu simpel ist. Sie war einmal notwendig, zu einer Zeit, in der auch meine Kirche kein Hort der Freiheit war. Jetzt aber sind wir womöglich in ein anderes Extrem zurückgeschlagen. Alles ist beliebig.“
Auch der Rest des Podiums nickte. Und Anna Freising sagte – immerhin! – nichts und musterte ihn weiter, auf Schwachstellen hin.
Die Stille des Publikums war ihm unheimlich, weshalb ein Drang in ihm aufkeimte, sich zu erklären: „Es ist doch eine Binsenweisheit, zu sagen, jeder solle für sich selbst entscheiden, was ein gutes Leben ist. Oder, dass viele Ressourcen und viel Entscheidungsfreiheit wichtig seien. Das ist, nun, nicht das, was uns in die Nähe von Gott bringt. Ich bin nicht der erste, der das sagt.“
„Die Kirche sollte also wieder eine aktivere Rolle im Leben der Menschen stehen und klarere Wege aufzeigen?“
Andreas Thiel hob seine Schultern etwas. Ein kurzer Sprung in die Vergangenheit, und er dachte an seinen Jugendpfarrer, der ihm zeigte, wie wichtig diese Aufgabe war, die Schulkameraden von ihm als lächerliche Hampelei abtaten. Der Moderatorin nickte er dann zu und antwortete: „Vielleicht, ja. Darauf ist sich schwierig zu einigen, aber ein wenig mehr Gottesfürchtigkeit, ein wenig mehr die Bibel verstehen, ein wenig mehr begreifen, was Jesus eigentlich will…“
Sie waren immer lauter geworden und hatten irgendwann „Halleluja!“ gerufen. Die heftigsten Klatscher versuchten nun auf die Bühne zu gelangen, bis der Sicherheitsdienst eingreifen musste. Andreas Thiel ging das Bild nicht mehr aus dem Kopf: wie die Leute nach seinem Gewand griffen.
Irgendeine kluge Person hatte einmal gesagt, dass Jesus, so er heute auftauchen würde, verlacht und verspottet, gar nicht mehr erkannt würde. Daraufhin hatten andere kluge Personen darüber sinniert, was also zu tun wäre, damit Jesus sichtbar sei. Niemand hatte aber einen Gedanken daran verschwendet, was denn beim Gegenteil geschähe. Am nächsten Tag kaufte er sich eine stattliche Anzahl an Hüten.

VI
Irgendwann hatte er jeden Anruf ignoriert und sein Smartphone auf einem Spaziergang im nahen Wald vergraben (lange hatte es gedauert, bis er sich überhaupt einigermaßen unerkannt aus dem Haus schleichen konnte). Dann hatte er sich ein Taxi kommen lassen, dem Mann einen besonders spendablen Betrag gegeben, und sich nach Süden bringen lassen. An einer Klosterpforte endete die lange Fahrt, und die katholischen Brüder fragten nicht, als er das Schweigegelübde annahm und zu einem Mönch auf Probe wurde. Alle konfessionellen Unterschiede, die noch zu klären seien, waren ausgesetzt. Es galt, zur Ruhe zu kommen und der Welt, wenigstens für eine Zeit, den Rücken zuzukehren. Sogar Superintendent Neumann, anfangs in größter Rage, hatte irgendwann verstanden.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Dohlenmann

puh, finde den Text echt anstrengend zu lesen.
Da ist mir als Leser viel zu wenig Show. Fast alles wird mir vorgekaut, erzählt. Und dann noch so, dass ich mir kaum was dadrunter vorstellen kann.

Mit Müh und Not erhob sich Andreas Thiel aus dem einseitig belegten Doppelbett, schlurfte hinüber auf den Flur und ging ins Bad. In einer leidlichen Geste öffnete er die Vorhänge, die majestätisches Licht eines späten Frühlings in den kleinen Raum strömen ließen – es tat ihm fast ein bisschen weh. Mechanisch stieg er dann in die Dusche,
Was kann ich mir unter "mit Mühe und Not" vorstellen? Was ist eine "leidliche Geste", wie steigt man "mechanisch" in die Dusche?
Nur ein Beispiel, wie es oft bzw. fast nur im Text vorkommt.

war er bereits von Dannen gefahren
von dannen

ist schon viele Jahre tot… aber ich… und
ist schon viele Jahre tot … aber ich … und
Ohne Leerzeichen nur, wenn Wort unvollstän...
Sonst Leerzeichen, wenn Wort komplett.

bemerkte Frau Forrenheim,
Frau Forrenheimer!“
Gewollt? Wenn ja, dann habe ich den Witz nicht verstanden.

„Aber- Was geschieht jetzt?“
Aber ... was geschieht jetzt?
Bindestrich ist hier unpassend.

Man fasste den Entschluss, Thiel wieder aufs Land zurückzubringen und vorerst im Pfarrhaus zu belassen. Neumann wollte „Kundige“ (er spezifizierte diese Bezeichnung nicht weiter) auf den besonderen seltsamen Fall aufmerksam machen, während der betroffene Thiel doch die Öffentlichkeit möglichst meiden sollte.
Hier wird viel Inhalt in zwei Sätze gepackt. Warum zeigst du das nicht? Dialoge wären hier vor allem auch angebracht.

An einer Klosterpforte endete die lange Fahrt, und die katholischen Brüder fragten nicht, als er das Schweigegelübde annahm und zu einem Mönch auf Probe wurde. Alle konfessionellen Unterschiede, die noch zu klären seien, waren ausgesetzt. Es galt, zur Ruhe zu kommen und der Welt, wenigstens für eine Zeit, den Rücken zuzukehren. Sogar Superintendent Neumann, anfangs in größter Rage, hatte irgendwann verstanden.
Das ist das Ende der Geschichte.
Das klingt wie eine Zusammenfassung der abschließenden Geschehnisse. Da fehlt jegliche Szene.
Sorry, aber für mich ist so was Erzählerisches nichts.

Viele Grüße,
GoMusic

 

Danke für deine Kritik. Ich finde es immer ein wenig schwierig, sinnvolle Attribute für Figuren zu verwenden und dann doch nicht auszuholen. Deshalb versuche ich für meine Geschichten einen Mittelweg zu finden - also Attribute, die man als Leser selbst noch etwas auffüllen kann.

Die Zusammenfassung am Ende ist durchaus so beabsichtigt, eine Art Epilog. Der Leser sollte die Handlung der Hauptfigur durch die Infos zuvor deuten können, war so die Idee.

 

Endlich erschien Küster Borjahn. Der brillentragende Pullunderfreund schwang sich von seinem klapprigen, silberglänzenden Sammlerstück-Fahrrad und näherte sich geschwind.

Für Andreas Thiel war die Sache klassisch lutherisch: Gott war irgendwo dort, er war entfernt, und er liebte durch seinen Sohn.

Nun stammt die „Satire“ keineswegs von den Satyrn (Gefolgsleuten des Dionysos) oder dem grotesken Satyrnspiel der Griechen ab, sondern von der lateinischen „satura“ (später „satira“), einer mit unterschiedlichen Früchten gefüllten Schale, und ich weiß nicht, ob es ein Vergnügen ist, wenn ich „Satiren“ aufsuche, die sich auf Tucholskys
Satire dürfe alles"
mit dem kleinbürgerlichen statement verknüpft,
Humor sei, wenn man trotzdem lache" -
wie es die zuvor zitierten Sätze anzeigen, die ihren kleinbürgerlichen Witz auf andere aus den verwendeten Adjektiven
Endlich … brillentragende Pullunderfreund … seinem klapprigen, silberglänzenden … geschwind
beziehen, wobei Brille und Pullunder beliebig mit dem (adjektivistischen) Partizip des Verbs „tragen“ (zB eine tragende Säule) austauschbar sind. In dem zitierten Stil zieht sich die Geschichte hin und will kein Ende nehmen.

Adjektivis neigt zu Gartenlaube und Kitsch und wenn ein Heiligenschein sichtbar sein soll – niemand trägt oder trug je einen, denn als Kopfbedeckung wäre er unbrauchbar und nutzlos wie ein steifer Nacken, zu Zeiten der Christenverfolgung sogar tödlich (auf Sri Lanka und in Ägypten braucht es nicht einmal dieses nutzlosen Kopfschmuckes). In der bildenden Kunst hatte er die Funktion, den Heiligen unter anderen Figuren zu kennzeichnen - nicht jeder war an einem Pfeil im Leib gekennzeichet wie der Heilige Stephan. „Satira“ als die gefüllte Schale meint die „bunte Mischung“, die Satire sein sollte.
Satire prangert Missstände an, verdeutlicht sie in der Übertreibung mittels Ironie und [beißendem] Spott an Personen, Ereignissen, Verhältnissen, die sie der Lächerlichkeit preisgibt und mit scharfem Witz geißelt. Ich bring es gern auf den Punkt mit dem Satz: „Fräulein, werfen Sie Ihr Kind weg. Ich mach Ihnen ein neues.“ (Näherungsweise bei Tucho, wenn ich auch nicht mehr weiß, wo.) Satire muss weh tun – und nicht mal Heinz Erhardt verspüre ich … Dass ich schon fast fürchte, die von @GoMusic gestellten, schlichten Fragen

Was kann ich mir unter "mit Mühe und Not" vorstellen? Was ist eine "leidliche Geste", wie steigt man "mechanisch" in die Dusche?
würden nie beantwortet – wobei der Satz
Mit Müh und Not erhob sich Andreas Thiel aus dem einseitig belegten Doppelbett, schlurfte hinüber auf den Flur und ging ins Bad.
in der Redensart ja eigentlich nur weiter Adjektive („gerade noch/höchst angestrengt“ usw.) versteckt, verdeckt -, aber wie dem auch sei,

huy,

dachte ich, das ist ja mal ein Debüt von nicht mal 20 Normseiten (60 Zeichen/Zeile, 30 Zeilen/Seite unrer Courier 12 pt., der Type der guten alten Schreibmaschine) und dann gleich mit einem Nietzsche Zitat, das wird was werden und logische Konsequenz, mit der Seitenzahl wächst das Fehlerrisiko, von denen mein Vorredner ja schon einiges aufgezeigt hat – nun in der Reihenfolge ihres Auftritts (Auslassungspunkte und Gedankenstrich – oder was immer das „-“ für ein Strich sein soll – hat schon mein Vorredner aufgezeigt, zieht sich aber – wahrscheinlich bistu da einer selbstaufgestellten Regel gefolgt – durch den ganzen Text.

Musstu selber schauen. Aber itzo geht's los!

Es versuchte[,] seine Mutter auf den Fahrer aufmerksam zu machen.
(der Infinitiv hängt von einem Substantiv ab)

Erste Flüchtigkeit

Doch als diese schaute – er konnte es nur noch schemenhaft im Rückspiegel ausmachen – war er bereits von Dannen gefahren, …
warum Flüchtigkeit? Weiter unten wird korrekt geschrieben
Der Krankenwagen war von dannen gefahren, unter größtem Protest ...
Sie erschien ihm wie eine absonderliche Mischung aus einer Planeten, die sich langsam um ihre eigene Achse drehen, …

Zuerst war es ein leises, tastendes Lautgebälk, das zusehends die sonntagliche Atmosphäre einsaugte,…
Umlautung zu „sonntägliche“

Aber jetzt, so[,] wie ich sie hier sehe – jauchzen könnte ich!
"wie" leitet einen vollsrändigen Satz ein

Wie immer roch der Glatzkopf übel[...] und hatte selbst jetzt eine Grimasse aufgesetzt, die Pfarrer Thiels Nerven bereits jetzt strapazierte:
Komma weg, weil die Konjunktion „und“ es hervorragend vertritt

Ich, Du und er können uns schämen, aber nicht

Ihn schämten solche Gefühle, gerade jetzt,…
ihn „beschämten“ Gefühle

Er kannte die jungen Leute, die als Rettungssanitäter arbeiten; den einen, dessen Namen er nicht mehr im Kopf hatte, musste er …
warum das präsente „arbeiten“ inmitten des Prät.?

Noch bevor der fotografierte Andreas Thiel protestieren konnte, trat der junge Mann mit dem großen[,] silbernen Nasenring an seine Seite.
Ohne Adjektiv wäre der Nasenring durchgegangen, nicht aber mit zweien zugleich, die gleichrangig sind. Da ist nämlich ein Komma zu setzen, was durch die Gegenprobe mit „und“ („mit dem großen und silbernen Nasenring ...“) belegt werden kann und uns nicht bekannt ist, ob es auch „kleine silberne Nasenringe“ oder gar „große goldene“ dort gibt

Flüchtigkeit

„Deswegen sind die sind so“, murmelte der Mann …
Da stritten zwo Formulierungen in Deinem Kopf, wobei die unterlegene (ein schlichtes „Die sind so“ ihre Spur hinterlässt

Als Kind, der zum ersten Mal begriff, …
ohne Komm.

..., gleich neben den Eingang zum Kirchenhof, apostolisch.
Im Deutschen gibt‘s die Verbindung in der Form mit dem Fugen-en eigentlich nicht (anderes Beispiel: Burghof), weil die Fuge zufällig mit der Pluralendung zusammenfällt (dazu als Beispiel der Hühnerhof, weil der selten ein einziges Huhn beherbergt). Nun ist der Kirchhof identisch mit dem Friedhof (der nun nicht die ewige Ruhe als Frieden meint, sondern ein „umfriedetes“ Gelände, dass oft in der Nähe eines Gotteshauses liegt). Die Lösung, wenn Kirchhof und Friedhof eben nicht zusammenfallen, wäre die Auseinanderschreibung „Hof der Kirche“ oder „der Kirche Hof“

Vor jedem Protest war der Mann war schon in die Kirche gelaufen …

Schon am nächsten Tag, gegen 12 Uhr, Thiel …
Zahlen werden in der Literatur i. d. R. ausgeschrieben. Ich bevorzuge bis zur zwölf (Du kannst aber jede Zahl ausschreiben, ist ja nicht verboten, wird aber ab 13 langweilig, weil dann jede Zahl zusammengesetzt ist und eine Zahl wie 7.777.777.777 nur sinnlos Zeilen füllt und gleichzeitig die Fehlerquote erhöhen kann, besonders, wenn jede Ziffer anders wäre ...

Dabei betrachte er sich im Spiegel. Nichts hatte sie verändert, der Schein war immer noch dort.
vllt. besser "sich"

„Nun bleiben Sie Beide doch mal ruhig und hören einander zu!“, schienen …
„beide“ klein, wie gleich die „zwo“
..., dass Stücke für Zwei lediglich im Duett funktionierten;
, wo er Jerusalem und Golgotha vermutete.
Golgatha

Zwei Stunden waren sie durch den Abend gefahren, auf einen kleinen[,] restaurierten Landsitz, nicht weit von der Hauptstadt entfernt.
(s. o. zu gleichrangigen Attributen/Adjektiven)

Seine Brauen schellten nach oben.
Kann ich nicht hören und glaub ich auch nicht!

Jetzt aber auch noch zu Deinem eigentlich Anliegen, das ich ja erkenne und zwar, wenn gegen Ende auf das Arbeitsrecht hingewiesen wird, das Teil des verfassungsmäßig garantierten Kirchenrechtes ist, denn so weit es mit den allgemeinen verfassungsmäßigen Rechten übereinstimmt, dürfen die Kirchen eigene Regeln treffen, wie ja auch Großunternehmen innerbetriebliche Regelungen treffen. Bekanntermaßen hört Demokratie hinter den Werks-/Verwaltungsmauern auf. Überall müssen zumindest die Repräsentanten des Betriebes – und sei es ein kirchliches - die betriebsinternen Regeln beachten und die waren bis vor Kurzem in kirchl. Veranstaltungen strenger als in weltlichen. Erste Änderungen hab ich als Presbyter mitdurchsetzen können, indem etwa ein von der MAV bestimmter Mitarbeitervertreter zu den Presbyteriumssitzungen eingeladen wurde – wäre ja noch schöner, wenn Luthers Erbe vernachlässigt würde. Mit ihm wurde ein erstes Pflänzchen Demokratie in Mitteleuropa gesetzt, als die Gemeindemitglieder eine Art Senat (Presbyter sind formal nix anderes als „Älteste“/“Senatoren“ und wären sie nur 34 Jahre alt wie ich, als ich in solch ein Gremium gewählt wurde) wählen konnte, der unabhängig von einem fernen Rom den Pfarrer bestimmte.

Während das kirchliche Recht liberalisiert wird, versucht der Neo-Liberalismus die Arbeitsrechte, die blutig erkämpft wurden, wieder einzuschränken und dann abzuschaffen. Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema, das aber alle angeht, nicht nur den Rentner.

Mein Tipp für Dich: Versuch‘s mal mit allein „notwendigen“ Adjektiven und einem kürzeren Text, der ohne Umschweife zum Thema kommt.

Wird schon werden,

meint der

Friedel,

der noch einen schönen Restsonntag wünscht

 

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