Der Irrglaube
Die schrille Klingel. Ein letzter kritischer Blick in den Spiegel, bevor der Knopf für unten betätigt und die Wohnungstür angelehnt wird. Die Musik spielt zum wiederholten Mal das Lied des ersten Erwachens.. aber das weiß keiner. Klack klack klack.. die Stufen werden rasch genommen. Schon öffnet sich die Tür. Ein verschmitztes Lächeln.. ein wissender Blick.. ein zärtlicher und noch leicht nervöser erster Kuss. Die Berührungen dabei sind flüchtig und unbeholfen. Die Aufregung legt sich schnell. Die wiedergewonnene, vergessen geglaubte Vertrautheit hilft. Nahezu unbedeutende Worte werden gewechselt und hinterlassen eine laut schreiende Stille, wenn sie verklingen. Finger huschen über die bebenden Körper. Haare werden vorsichtig aus dem Gesicht gestrichen und offenbaren die brennende Lust in den leicht geöffneten Augen. Der Kuss ist intensiv und fordernd.. von beiden Seiten gleichermaßen. Zu lange ist es her. Das Verlangen überrennt den Verstand. Leidenschaft macht sich breit. Kleidungsstücke fallen erleichtert zu Boden. Die Zeit scheint still zu stehen. Begehrende Blicke. Lippen werden befeuchtet und finden sich auf nackter Haut wieder. Sie suchen einander und geben sich dem neckenden Lustspiel willig hin. Schnelle Atemgeräusche durchschneiden die Luft. Die Welt beginnt zu taumeln und sich wahllos zu drehen. Wie in Extase nimmt das Zusammenspiel der Geschlechter seinen Lauf. Die gegenseitige Hingabe wird im Nu aufgesogen. Minuten in denen alles vollkommen in Ordnung ist, vergehen wie im Flug. Tabus gibt es nur wenige. Alles, was beiden Freude bereitet, muss getestet werden. Zwei Menschen, in diesem einen Moment glücklich vereint. Die wahnsinnige Stimmung hat nahezu ihren Höhepunkt erreicht. Das erzückte Miteinander scheint nie enden zu wollen..
..aber tut es letzten Endes doch. Nachdem die Zeit wieder ihre gewohnten Bahnen zieht, fällt die Tür ins Schloss und der Blick erneut in den Spiegel. Das derzeitige Glück der verspürten körperlichen Nähe überflügelt noch das Verlangen nach menschlicher Nähe auf Dauer. Mit dem Wissen der bevorstehenden Zeit allein erfolgt der Weg zum Bad. Die Vorfreude auf das nächste Treffen dieser Art tröstet schon jetzt und lässt den Irrglauben aufleben, in diesen Minuten nicht allein gewesen zu sein.