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03.11.2025
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Der Job

Kapitel 1

Heute.

Oliver saß auf einer Bank im Central Park, als er eine Stimme hinter sich hörte.
„Möchtest du einen Job?“, fragte ein Mann in einem blauen Slimfit-Anzug.
Oliver sah ihn verwirrt an. Er war auf der Suche, seitdem er das College beendet hatte. Der Mann hatte die Hände in den Taschen und blickte ihn erwartungsvoll an.
Oliver musterte ihn. Was mochte so ein Wall-Street-Yuppie von ihm wollen?
„Um was geht es?“
„Das werde ich dir morgen sagen.“ Der Mann blickte auf seine teure Uhr. „Sei morgen um dieselbe Zeit hier, dann werde ich dir von diesem Job erzählen.“
Der Mann ging ein paar Schritte, bevor er noch mal über die Schulter zurückblickte.
„Es wird sich lohnen.“ Dann verschwand er.
Oliver versuchte, die Absurdität der Situation zu begreifen, aber er erinnerte sich schnell daran, dass er in Manhattan lebte und die Menschen hier generell unberechenbar sein konnten.
Doch dieser Mann schien nicht unberechenbar. Nein, dafür umgab ihn etwas anderes.
Er hatte etwas gespürt, das ihm als New Yorker fremd vorkam. Es war Vertrautheit.
Aber was blieb ihm übrig? Seit Monaten nur Absagen, keine Vorstellungsgespräche, nichts.
Und so beschloss er, diesen Mann wiederzusehen.

Kapitel 2

Morgen.

Als Oliver am nächsten Tag zur Bank kam, wartete der Mann schon.
Seine Hände waren wieder in den Taschen und er trat nach einem kleinen Stein. Das Licht der Mittagssonne ließ den Park heller leuchten als sonst.
„Hallo, Oliver“. „Ich wusste, dass du kommst.“
Oliver stutzte. Hatte er ihm gestern seinen Namen gesagt?
Der Mann fuhr fort, als wäre nichts dabei: „Ich bin Unternehmer, Oliver. Ich bin dabei, eine große Firma zu gründen, und ich brauche Mitarbeiter. Ich dachte dabei zuerst an eine Tagesstelle. Ich will sehen, wie loyal du bist.“
Er nickte Oliver zu. „Komm, lass uns ein Stück gehen. Es ist gleich hier vorne.“
Er folgte ihm den Weg entlang, bis er plötzlich anhielt.
„Wir sind da.“
„Okay“, sagte Oliver, dessen Verwirrung nun komplett war. „Wer sind Sie und was soll das für ein Job sein?“
Der Mann sagte nur: „Sieh nach unten.“
Oliver blickte hinab. Er stand in einem Kreis, der durch das Steinmuster des Weges gebildet wurde.
„Okay, und jetzt?“
„Hier ist dein Job“, erklärte der Mann. „Wenn du morgens von acht bis abends um sechs hier stehst, bekommst du von mir 80 Dollar.“
„Und was soll ich machen?“
„Gar nichts“, sagte der Mann. „Nur vier Regeln befolgen: Verlasse nicht deinen Arbeitsplatz. Stell keine Fragen. Komm pünktlich zur Arbeit. Und mache pünktlich Feierabend.“
„Das soll ein Witz sein, oder?“, fragte Oliver.
„Es ist kein Witz.“ Der Mann trat neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schulter, als seien sie alte Geschäftspartner. „Wir werden wachsen und sehr viel Geld verdienen. Das willst du doch, oder?“
„Ja“, sagte Oliver zögerlich, „aber … nur rumstehen?“
„Das ist der Job.“ Der Mann sah ihn eindringlich an. „Hör zu. Komm morgen. Mach diesen Tag – nennen wir es einen Probetag. Wenn es dir nicht gefällt, suchst du dir einen anderen Job. Was hältst du davon?“
Oliver dachte an Catelyn und wie schick er sie von diesen 80 Dollar heute Abend zum Essen ausführen wollte. Das war die einzige Antwort, die zählte.
Der Mann drehte sich um und ging, ohne Olivers Antwort abzuwarten. Als er ein kleines Stück weiter gegangen war, rief er über die Schulter zurück:
„Es wird sich lohnen!“

Kapitel 3

Ein Jahr später.

Oliver stand in seinem Kreis und befolgte die Regeln. Die Monotonie machte ihm nichts mehr aus. Catelyn und er wollten bald heiraten und eine Familie gründen.
Sein Wohlstand war so groß, dass er es kaum fassen konnte. Das Schicksal schien es diesmal gut mit ihm zu meinen.
Und jeden Tag kam der Mann, um ihm sein Gehalt zu geben. So auch heute.
Es war kurz vor sechs.
„Mein bester Angestellter“, begrüßte ihn der Mann. „Du bist loyal, zuverlässig und eine Bereicherung für mich.“ Er reichte Oliver seine 200 Dollar.
„Danke, Boss.“
„Komm, lass uns ein Stück gehen“.
„Ich befördere dich, Oliver. Du hast die vier Regeln eisern befolgt“, erklärte der Mann. „Dein neues Jahresgehalt beträgt 700.000 Dollar. Und jetzt sieh nach unten.“
Oliver blickte hinab und sah, dass er nun in einem viel größeren Kreis stand.
Der Mann verschwand wieder und rief über seine Schulter, während er zwei Finger in die Luft hob: „Ich habe es dir gesagt, Oliver! Es wird sich lohnen!“
Aber wird es sich wirklich lohnen? Dachte Oliver, ein halbes Leben in einem Kreis zu stehen?
Der Weg zu seiner Wohnung kam ihm länger vor als sonst.
Als er die Tür öffnete, stand Catelyn bereits im Flur, als hätte sie auf ihn gewartet. Sie sagte nichts.
Sie hob einfach nur ihre Hand. Darin ein Schwangerschaftstest. Positiv.
Olivers Zweifel, die eben noch so schwer gewogen hatten, lösten sich in einem einzigen Augenblick in Luft auf.
700.000 Dollar waren nicht länger der Lohn für einen sinnlosen Job. Sie waren die Zukunft seiner Familie.

Kapitel 4

Zehn Jahre später.

„Oliver, mein bester Angestellter.“
Der Boss reichte ihm einen Koffer. „Willst du nachzählen?“
Oliver lächelte. „Nein, Boss. Danke.“
„Komm, lass uns ein Stück gehen.“ Der Boss legte Oliver einen Arm um die Schulter, als sie den Parkweg entlanggingen.
„Es wird Zeit, Oliver“, verkündete der Boss. „Du wirst befördert. Du bist von nun an meine rechte Hand. Du bekommst zwanzig Prozent meines Unternehmens und ein Jahresgehalt von 2,6 Millionen Dollar.“
Er machte eine kurze Pause. „Und… du darfst eine Frage stellen.“
Oliver fragte, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken: „Werde ich den Rest meines Lebens in diesem Kreis verbringen, Boss?“
Der Mann lächelte. „Das entscheidest du, Oliver. Du entscheidest, wann genug ist. Du kannst jederzeit zu deiner Familie gehen.“
Oliver dachte an Catelyn und seine beiden Töchter, an all die Zeit, die er hätte mit ihnen verbringen können. Aber er dachte auch an ihre College-Ausbildung, die Reisen, das sorgenfreie Leben. Er streckte die Hand aus.
„Deal.“
„Sehr gut“, sagte der Boss. „Denk immer daran, Oliver: Ein Mann definiert sich nicht durch seine Erinnerungen, sondern durch seine Taten.“

Kapitel 5

50 Jahre später.

Oliver stand immer noch in seinem Kreis und wartete wie eh und je. Die Jahre hatten ihn gezeichnet. Sein Haar war schlohweiß, sein Gesicht von tiefen Falten durchfurcht, und seine Haltung war krumm von der unnatürlichen Starrheit des Stehens.
Catelyn war vor langer Zeit gestorben. Seine Kinder hatten ihn vergessen. Alles, was er in diesen fünf Jahrzehnten geleistet hatte, war, in diesem Kreis zu stehen und auf das Ende des Arbeitstages zu warten.
Er ließ den Kopf sinken.
Ein Geräusch auf dem Kiesweg ließ Oliver aufschrecken. Er musste nicht aufblicken, um zu wissen, wer es war.
Sein Boss kam, einen Koffer in der Hand. Er schien um keinen Tag gealtert.
„Oliver, mein Freund“, begrüßte er ihn. „Du wirst es nicht glauben, aber du wirst befördert – mal wieder. Du bist jetzt der Boss. Du hast alle Anteile meines Unternehmens und ein Jahresgehalt von 67 Millionen Dollar.“
Oliver lächelte. Es war ein warmes, ehrliches Lächeln – das erste seit Jahrzehnten.
„Danke, Boss“, erwiderte er leise. „Aber das ist diesmal nicht nötig.“
Er drehte sich nicht um. Er schritt den Parkweg entlang, den er seit sechzig Jahren nicht bewusst wahrgenommen hatte. Der Boss, der nie alterte, existierte für ihn in diesem Moment nicht mehr. Oliver stützte sich auf seinen Stock und ging langsam, Schritt für Schritt, als würde er jeden Augenblick der gewonnenen Freiheit genießen.
Er ging zu der Bank, auf der alles begonnen hatte, und ließ sich schwerfällig nieder. Er schloss die Augen und atmete tief den Duft des Herbstlaubes ein.
Er sah sich selbst im Kreis stehen. Aber plötzlich überlagerte eine andere Szene das Bild: Er sah Catelyn. Ihren Blick, als sie ihm den positiven Test zeigte, nicht die Angst, sondern das ungläubige, strahlende Glück.
Er sah seine Tochter am Tag des College-Abschluss, die ihm seine Hand hielt, und er spürte wieder den stolzen Druck ihrer Finger.
Er öffnete die Augen und sah den Ehering seiner Frau, den er neben seinem eigenen trug, und erinnerte sich nicht an den Tag des Verlustes, sondern an den Tag ihrer Hochzeit und das Versprechen, das er ihr gegeben hatte.
„Sie haben mich nach meinem Leben gefragt“, flüsterte er. „Nicht nach meinem Job. Der Job war nur ein leerer Kreis. Aber meine Erinnerungen… die haben sich gelohnt.“

 

Ich musste gut nachdenken, weil ich noch nicht sein Dilemma verstanden habe. Einerseits verbringt er wenig Zeit mit der Familie, andererseits hat er aber keinen unangenehmen Job und das ist, was mich verwirrt.

Er fragt zwar, ob er nur herumstehen soll, aber meckern tut er an keiner Stelle. Der College-Abschluss wird nur ein einziges Mal erwähnt. Im Prinzip hättest du ihn weglassen können.

Seit Monaten nur Absagen, keine Vorstellungsgespräche, nichts.
Knapp zusammengefasst. Vielleicht könnte man daraus trotzdem ein kurze Erzählung machen.

Oliver stutzte. Hatte er ihm gestern seinen Namen gesagt?

„Okay“, sagte Oliver, dessen Verwirrung nun komplett war. „Wer sind Sie und was soll das für ein Job sein?“
Oliver lässt sich schnell ablenken und bohrt dann nicht weiter nach. Das ist, was ich zu seiner Persönlichkeit gelernt habe.

Oliver blickte hinab und sah, dass er nun in einem viel größeren Kreis stand.

Der Weg zu seiner Wohnung kam ihm länger vor als sonst.
Die beiden Sätze machen stutzig. Ich hätte mich gefreut, wenn es dazu ein bisschen mehr Analyse gibt, ob es vielleicht doch magisch oder eher psychologisch ist.

Oliver fragte, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken: „Werde ich den Rest meines Lebens in diesem Kreis verbringen, Boss?“
Der Mann lächelte. „Das entscheidest du, Oliver. Du entscheidest, wann genug ist. Du kannst jederzeit zu deiner Familie gehen.“
Ist es wirklich so, dass er mit seiner Familie gar nicht so viel Kontakt hat? Es kam mir nicht so vor. Warum außerdem für den Rest des Lebens? Die Stärke der Abhängigkeit kam mir nicht so stark vor.

Ein Geräusch auf dem Kiesweg ließ Oliver aufschrecken. Er musste nicht aufblicken, um zu wissen, wer es war.
Widerspricht sich etwas.

Oliver stützte sich auf seinen Stock und ging langsam, Schritt für Schritt, als würde er jeden Augenblick der gewonnenen Freiheit genießen.
Und genau jetzt wirkt das Wort Freiheit fehl am Platz. Wie sehr hat er gelitten? Ich sehe dazu noch keine Stelle im Text, außer wenn man sich anschaut, dass die Töchter ihn nicht sprechen. Das Dilemma wird aufgelöst, aber ich sah von Anfang kein Dilemma.

Den mysteriösen "Teufel" hatte ich auch mal in einer Geschichte. Wenn er nicht altert, meinst du es im übertragenen Sinne?

 

Vielen Dank für das ehrliche und aufschlussreiche Feedback zu „Der Job“. Es freut mich sehr, dass die zentrale Prämisse und das emotionale Ende gewürdigt wurden.

Die von Ihnen angesprochenen Punkte sind nicht nur verständlich, sondern treffen den Kern der Geschichte, die bewusst als allegorische Parabel über den Wert der Zeit und die Falle der materiellen Sicherheit konzipiert wurde.
Hier finden Sie eine Erklärung, wie die kritisierten Elemente in der Gesamtstruktur der Parabel funktionieren sollen:

Die Rolle des Unrealistischen (Allegorische Intention)

Die Geschichte vermeidet bewusst den sozialen Realismus, um die psychologische Botschaft zu überhöhen. Im Gegensatz zu einer konventionellen Kurzgeschichte, in der jeder Charakter und jede Motivation realistisch sein muss, sind in einer Parabel die Figuren und Ereignisse Symbole für abstrakte Konzepte.

Zur Monotonie und emotionalen Distanz (Der Preis des Goldkäfigs)

Sie fragen zu Recht, ob Oliver nicht mehr Kontakt zu seiner Familie hat und warum diese nicht darunter leidet.
Intention der Abwesenheit: Die fehlende Interaktion ist der zentrale Tauschhandel, den Oliver eingeht. Er tauscht seine gelebte Zeit (physische und emotionale Anwesenheit) gegen finanzielle Sicherheit. Der Job mag sinnlos sein („nur rumstehen“), aber das System verlangt seine Loyalität und seine Zeit.
Die Wahrnehmung der Familie: Die Familie leidet nicht materiell. Sie haben ein sorgenfreies Leben, können reisen, und die Töchter erhalten eine Top-Ausbildung. Oliver kauft ihr Glück. Die tragische Ironie ist, dass er durch diese materielle Zuwendung die emotionale Bindung verliert. Dass er am Ende vergisst, wie sich die Hand seiner Tochter anfühlte, zeigt, dass der Preis der Abwesenheit höher war als die Gewinne.

Zur unheimlichen Figur des Bosses (Die Allegorie der Macht)

Der Boss ist bewusst keine realistische Figur. Die Testleser-Frage, ob Oliver ihm seinen Namen gesagt hat, ist dabei besonders wichtig.
Der Verführer: Der Boss ist die Allegorie des Kapitalismus oder des großen Verführers. Er weiß Olivers Namen und kennt seine tiefsten Wünsche und Nöte („Ich wusste, dass du kommst“). Er muss keine realen Informationen sammeln, weil er das System selbst repräsentiert, das menschliche Schwächen sofort erkennt.
Das Altern: Dass der Boss nicht altert im Gegensatz zu Oliver, der 60 Jahre verliert, symbolisiert die zeitlose, unerbittliche Natur des Systems. Das System verbraucht menschliche Lebenszeit, ohne selbst Konsequenzen zu tragen.

Zu Olivers Passivität und dem „Deal“ (Die Psychologische Falle)

Der Punkt, dass Oliver zu schnell „Deal“ sagt und seine Passivität, spiegelt die Konditionierung wider, der er erliegt.
Die Gehorsamkeit: Die Regeln des Jobs sind die Regeln jeder toxischen Karriere: „Verlasse nicht deinen Arbeitsplatz. Stell keine Fragen.“ Oliver lernt, nicht zu hinterfragen. Er wird zu einem reinen Werkzeug seines Jobs.

Die falsche Frage: Nach 10 Jahren, als er das Recht hat, eine Frage zu stellen, fragt er nicht nach dem Sinn des Jobs oder dem Boss selbst. Stattdessen fragt er: „Werde ich den Rest meines Lebens in diesem Kreis verbringen, Boss?“. Er ist so konditioniert, dass er nur die Grenzen seiner Abhängigkeit befragen kann, nicht die Natur seiner Freiheit.
Die finale Verweigerung der Beförderung und die Konzentration auf die Erinnerungen („Der Job war nur ein leerer Kreis. Aber meine Erinnerungen… die haben sich gelohnt“) soll die finale Rückkehr Olivers zu sich selbst darstellen, unmittelbar bevor er stirbt.

Vielen Dank noch einmal für die kritische Lektüre. Sie hat bestätigt, dass die allegorischen Elemente stark genug sind, um Fragen aufzuwerfen – und genau das ist das Ziel einer Parabel.

 

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