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Der Journalistenalptraum

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12.11.2008
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Der Journalistenalptraum

„ Schönen Guten Tag, Herr... ähm... "
(Verdammt! Was heißt das Gekritzel?)
„Uschanarotz. Aber die meisten sagen Rotzi zu mir."
(Oh Gott. Wenn ich lache, bin ich tot.)
„Herr ... äh ... Rotzi"
„Nur Rotzi, bitte."
(Soll das ein Lächeln sein? Das ist ja grauenhaft. Jetzt kriege ich bestimmt wieder einen Alptraum)
„Ah, ja. Rotzi. Zunächst einmal vielen Dank, das Sie sich zu einem Interview mit ‚Mittelerde heute' bereit erklärt haben."
„Aber das mache ich doch gerne."
(Jetzt kratzt der sich auch noch zwischen den Beinen. Iiihh.)
„Unsere Leser sind sicherlich ganz begierig zu erfahren, wie es sich so als Monster lebt."
„Na, na, na. Wir wollen doch nicht in die überkommenen Klischees abgleiten, oder?"
(Ohgottogottogott, warum streicht der jetzt über dieses schartige Schwert? Ist das Blut oder Rost? Wenn ich das hier überlebe, erwürge ich diesen verdammten Redakteur. Mich zu einem Interview mit einem progressiv-intellektuellen Ork zu schicken. Arschloch.)
„Natürlich, natürlich. entschuldigen Sie bitte ... Rotzi. Also: was können Sie unseren Lesern über Ihr Leben berichten?"
„Nun, lassen Sie mich zuallererst einmal sagen, dass das Bild, das Tolkien von uns
gezeichnet hat, völlig übertrieben ist. Wir sind weder die blutrünstigen Bestien, als die wir verschrien sind, noch kann man uns ernsthaft als die Geißel von Mittelerde bezeichnen."
(Bääh. Hat der gerade aufgestoßen? Was zum Teufel hat der gefressen? Leiche am Spieß? Mir wird schlecht.)
"Aber Sie müssen schon zugeben, dass das Motto Ihres Stammes :’Jeder esse so viel er kann, egal, ist´ s auch der Nebenmann’ dieses Image bedient."
"Ach wissen Sie, die Geschichte der Orks ist auch eine Geschichte voller Missverständnisse und Irrtümer. Sicherlich ist in der Vergangenheit hin und wieder mal ein Mensch oder ein Elb irrtümlich in einem Orkmagen gelandet. Aber wollen wir deshalb gleich eine ganze Volksgruppe diskriminieren?"
"Ich kenne ein Orkkochbuch, dass damit beworben wird, es sei das meistgelesene Kochbuch aller Orkstämme. Es hat den Titel: 101 Rezepte, vom Menschenauflauf bis zum Elbsuffleé."
(Ich bin tot. Ich bin nur zu stur zum umfallen. Gleich holt er mit dem Schwert aus und mein Redakteur spart das Honorar. Gut, dass ich meinen Nachruf schon geschrieben habe. Hasst mich mein Unterbewusstsein? Habe ich versteckte Selbstmordtendenzen? Warum kann ich nicht einfach meine große Schnauze halten?)
"Aber das sind doch nur fantasievolle Umschreibungen für ganz alltägliche Rezepte. Wir Orks kämpfen seit Jahren für eine Imageverbesserung. Wir verteilen Flugblätter in Dörfern, unterstützen die Landbevölkerung indem wir Schädlinge bekämpfen und so weiter. Wir sind nett zu den Leuten."
"Deshalb rennen auch alle beim Anblick eines Orks schreiend weg."
"Wie meinen?"
(Shit, habe ich das etwa laut gesagt?)
"Äh ... Ich meinte gerade, dass sicherlich noch viel Arbeit zu leisten ist, bis es zu einer Verständigung zwischen Ihnen und den Völkern Mittelerdes kommen wird. Mein Redakteur weiß übrigens, dass ich heute hier bin."
"Das ist sehr schön für ihn. Sehen Sie, es ist sehr schwierig über Völkerverständigung zu sprechen, wenn ein wütender Mob axt- und fackelschwingend hinter Ihnen her ist."
(Vielleicht helfen ja ein Bad und das Weglassen von abgeschlagenen Köpfen als Gürtelschmuck. Man weiß schließlich nie, wessen Verwandten man da am Schwertgurt baumeln hat.)
"Ja, das kann ich mir vorstellen."
(Kann ich nicht. Ich kann mir allerdings vorstellen, eine Fackel zu schwingen. Oder eine Axt. Badet der Typ eigentlich nie? Meine Nase flüchtet gleich.)
"Ja, das ist ein großes Problem. Deshalb treten wir auch lieber in größeren Gruppen auf. Wir fühlen uns dann sicherer."
"Aber fürchten Sie nicht, dass eine Horde Orks, die sich auf ein Dorf zubewegt, durchaus als Bedrohung empfunden werden könnte?"
"Sehen Sie? Genau das meine ich. Nur weil in den Köpfen das Bild des Orks als das Böse an sich herumgeistert, ist echter Dialog nicht möglich."
"Nun ja, in vielen Fällen endete der Versuch des offenen Dialogs mit der Auslöschung ganzer Dörfer."
"Aber das ist doch übelste Propaganda. Nur weil einige Fehlgeleitete, von denen sich im Übrigen die meisten Orks distanzieren, überreagiert haben, werden jetzt alle Orks über einen Kamm geschoren."
"Nun, wir sind etwas vom Thema abgekommen. Sie wollten uns von Ihrem Leben berichten. Bitte, fahren Sie fort."
"Ja, Sie haben recht. ich habe mich wieder zum Polemisieren hinreißen lassen. Mein Leben? Na ja, wie Sie sehen, lebe ich recht bescheiden. Die Miete für diese Zwei-Raum-Höhle frisst einen Großteil meiner Veteranenpension auf."
"Sie beziehen eine Veteranenpension? Das ist ja interessant. Wer zahlt die denn?"
"Die Sauron-und-Saruman Pensionskasse für Ork-Soldaten. Wissen Sie, so schlecht waren die beiden gar nicht. Haben immer gut für die Überlebenden gesorgt. Waren ja auch nur ein paar. Hö, hö. hö."
"Ja, sehr nett. Netter Witz. Ha, ha."
"Wieso Witz? Junger Mann, vor Ihnen sitzt einer der wenigen Überlebenden der Schlacht um Mordor. Ich weiß noch, damals, als diese Massen von Ents auf uns zurannten, da ..."
(Och, nee. Nicht schon wieder so eine Ich-erschlug-zwanzig-Elben-Kriegsgeschichte.)
"Das ist bestimmt sehr interessant, aber unsere Leser sind sicherlich mehr an Ihrem ganz privaten Leben interessiert. Wie ist denn zum Beispiel so Ihr Tagesablauf? Wie lebt der moderne Ork denn so?"
"Wissen Sie, seit wir keine Schlachten mehr schlagen, ist das Leben schon etwas langweilig geworden. Deshalb konzentrieren wir uns ja so auf die Völkerverständigung. Aber manchmal fehlt mir das Schlachtengetümmel schon. Sehen Sie mal!"
(Ist der wahnsinnig? Der kann doch in dem engen Raum nicht einfach dieses Riesenschwert schwingen. Sind das meine Haare, die da gerade zu Boden fallen? HILFE!)
"Was sagen Sie? Beeindruckend, hä? Jaa, das waren noch Zeiten."
"I-i-in d-d-dder Ta-a-a-t. Ähem. Hatte ich erwähnt, dass mein Redakteur weiß, wo ich bin?"
"Warum erwähnen Sie das dauernd? Mache ich Ihnen etwa Angst?"
"N-nein, natürlich nicht. So ein liebenswürdiges Mon, äh, so eine liebebswürdige Person wie Sie doch nicht."
(Los, schmeichle ihm noch ein bisschen. dann kommst Du vielleicht mit dem Leben davon.)
"Na, ich dachte schon, Sie wären auch so voreingenommen. Wissen Sie ... "
(Komm mir bloß nicht zu nahe. Dieser Gestank. Luft! Ich ersticke!Warum muß der sich denn jetzt so zu mir herüberbeugen?)
"... wir Orks haben ja keine Lobby, nicht so wie diese blöden Elben. Oder die Zwerge, diese Alkoholiker. Aber das darf man ja nicht laut sagen. Wissen Sie, was dieser Legofratz, oder wie hieß der? Wissen Sie, was der gemacht hat? Erst hat er den Kameraden in die Eier getreten. Und wenn sie dann am Boden lagen, dann hat er Ihnen einen Pfeil ins Auge gerammt. So sieht´ s nämlich aus. Von wegen bester Bogenschütze von Mittelerde. Pustekuchen. Oder diese hinterhältigen Zwerge. Hacken einem die Beine ab, damit sie leichter an den Kopf kommen. Oder hämmern einem die Axt einfach in den Schritt. Aber wir Orks sind ja soooo böse."
(Oh Mann, gleich rastet der aus. Ich muss ihn beruhigen.)
"Das waren ja mal sehr offene Worte. Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie das in Rage bringt.“
(Heuchler. Aber geschickt. Er beruhigt sich wieder. Gleich nachsetzen.)
„Abschließende noch eine Frage, die insbesondere unsere Leserinnen interessieren wird: gibt es eine Frau Rotzi?"
"Nein, leider nicht. Wissen, mit der mageren Rente ..."
"Wie bedauerlich. Nun, ich danke Ihnen ..."
"Ich sagte: bei der MICKRIGEN Rente ..."
(Häh? Oh Mist.)
"Oh, das Honorar. Entschuldigen Sie. Hier, bitte."
"Danke sehr. Äh, das mit den Elben und so, das schreiben Sie doch nicht, oder?"
"Wollen Sie etwa die Presserechte beschneiden?"
(Bin ich eigentlich wahnsinnig? Ich war doch schon fast lebend hier raus.)
"Die Rechte nicht. Aber Sie haben ja zwei Hände. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?"
(Ein Psychopath. Ich wusste es. Ich muss hier raus. Sofort.)
"Ich muss jetzt gehen. Mein Redakteur, Sie wissen ja."
"Mann, jetzt entspannen Sie sich mal. Das war ein Scherz. Ihr Menschen seit immer viel zu nervös. Deshalb werdet ihr auch nicht so alt. Schreiben Sie ruhig, was Sie möchten."
(Puh. Ich dachte schon.)
"Auf Wiedersehen, Rotzi."
(Nichts wie raus. Und den Redakteur erwürge ich. Dann lasse ich ihn wiedererwecken und bringe ihn noch mal um. Verdammter Job. Ich werde langsam zu alt dafür.)
"Auf Wiedersehen. Und denken Sie immer daran: ich weiß, wo Sie wohnen."
(Shit)

 

Hallo Milchkaennchen,

und danke fürs Lesen und die Kritik.

Die Schreibe ist natürlich großes Kino.

Mhm, eher großes Damentennis :).

Nein, mal ehrlich, das Kompliment ehrt mich, ist aber ein bisschen zuviel des Guten.

Trotzdem vielen Dank für die schöne Kritik und das ich dich zum Lachen bringen konnte.

Lieben Gruß
Dave

 

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