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Der Junge, der Kennedy erschoss
Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Die Sioux haben ihn erwischt, ein Pfeil in den Rücken. Sioux sind feige und von vorne hätten sie ihn nie gekriegt. Er war schnell.
Meine Mutter sagte zu mir, er sei jetzt an einem besseren Ort und dass ich auf meinem Fahrrad nur noch vor dem Haus fahren dürfe und auch nur, wenn sie aus dem Fenster schaue.
Ich sagte: „Ma’am, ich bin jetzt der Mann im Haus“, sie drückte mich an ihren Rocksaum und weinte.
Das ist die erste echte Erinnerung, die ich habe. Ich fahre Fahrrad, sehe meine Mutter hinter der Fensterscheibe weinen, mache „Hooooo, Brauner“, ziehe das Vorderrad meines Pferdes hoch und bringe es zum Stehen, laufe ins Haus hinein und sage zu meiner Mutter: „Ma’am, ich bin jetzt der Mann im Haus.“ Die erste echte Erinnerung in meinem Leben.
Sie müssen das gewusst haben.
Ich mochte die Western. Die Stimmen, mit denen die Männer sprachen. Reiten fand ich toll. Die Prärie, der Staub, die Musik, jedes Mal, wenn man in einen Saloon ging, gab es die Musik. Und eine Pferdetränke. Dieses Entschlossene, Klare – nein, das würde zu weit gehen. Das hab ich damals nicht gesehen, aber das könnte sein. Dass ein kleiner Junge, der seinen Vater verloren hat, - aber ich mochte doch Western schon, bevor sie meinen Vater erwischt haben. Oder nicht? Denk nach, Duke, denk nach.
„Reden Sie öfter mit sich selbst?“
„Hm?“, ich schrecke hoch. Der Mann mir gegenüber hat einen schwarzen Holzfällerbart, aber wie mit einer Nagelschere gestutzt. Vielleicht ist er Franzose.
„Ob Sie öfter mit sich selbst reden?“
„Ja, kann schon sein, tun das nicht alle Menschen?“
„Und Sie nennen sich selbst Duke?“
„Nach John Wayne. Der Duke. Sie nennen sich doch auch Doc.“
„Nein, tu ich nicht.“
„Hm.“ Mit ziemlicher Sicherheit Franzose.
Meine Mutter mochte Dallas. Und jedes Mal, wenn J. R. Ewing im Bild war, sagte sie: „Guck mal, da ist doch ein Cowboy“, nur weil der einen doofen Hut aufhatte. Bitte, als würde ich auf so was reinfallen. Zum Cowboysein gehört mehr als ein Hut. Zum Beispiel lachte der ständig und laberte. Das tun Cowboys nicht.
Wenn Dallas lief, konnte man nicht mit ihr reden.
„Und das hat Sie bedrückt?“
„Kann ich bitte weiter erzählen?“
Der bärtige Franzose winkt mit der Hand: „Nur zu.“
Dabei wollte ich gerade dann mit ihr reden. „Bitte, Ma’am. Wir müssen hier weg. Hier ist es nicht sicher. Sie können jederzeit zurückkommen.“
Aber nichts, sie saß in ihrem Sessel und schaute dem falschen Cowboy zu und irgendwelchen Ladies, dabei war ich nicht mal bewaffnet. Ich hätte sie gar nicht beschützen können.
„Vor wem glaubten Sie Ihre Mutter beschützen zu müssen?“
„Vor den Sioux, hören Sie nicht zu?“
Sioux sind hinterhältig. Normale Indianer leben in Stämmen, wenn ihnen etwas nicht passt, dann malen sie ihre Gesichter an, setzen sich auf die Pferde und gehen auf Kriegspfad, aber die Sioux sind hinterhältig, weil die Franzosen hinter ihnen stecken. Die Franzosen haben ihnen beigebracht, wie man heimtückisch kämpft. Sie schleichen sich in der Nacht an, töten dich und deine Mutter und alle, die du liebst, und nehmen deinen Skalp, wenn du schläfst. Sie bringen dich dazu, Dinge zu tun, die du nicht tun willst, aber die Franzosen wollen, dass du das tust. Sioux sind raffiniert.
„Was tun?“
„Kennedy erschießen, aus Rache dafür, dass sie Neufrankreich verloren haben.“
„Erzählen Sie doch bitte weiter von Ihrer Mutter, das interessiert mich.“
Einmal saß ich vor dem Fernseher, als ich von draußen Geräusche hörte. Meine Mutter lachte, während der Duke gerade in eine Bar ging und Saloonmusik zu hören war. Ich schaltete den Fernseher ab und sah zur Tür.
Meine Mutter kam herein, sie hatte sich das Gesicht bleich geschminkt wie eine Indianerin, die eine Lady sein wollte. Und hinter ihr stand ein Mann mit kurzen Haaren, einer kantigen Nase und so einem Wischiwaschi-Kinn.
Meine Mutter ging auf mich zu - sie roch schwer, nach Rauch und Schweiß - und strich mir durchs Haar. Sie sagte: „Das hier ist Dennis.“ Und zeigte auf den Mann hinter ihr. Dann sagte sie: „Und das hier ist der Duke.“
„Ihre Mutter hat Sie nicht wirklich Der Duke genannt.“
„Nennen Sie mich einen gottverdammten Lügner?“
„… der Duke“, also, sagte sie und hat diesem Dennis mit dem linken Auge zugezwinkert, sich dann zu mir hinuntergebeugt und mir ins Ohr geflüstert: „Vertragt euch gut.“
Dann ist sie in die Küche gegangen oder ins Bad, jedenfalls weg.
„Du magst Cowboyfilme?“, fragte mich dieser Dennis.
„Western“, und da hab ich schon gewusst, dass ich diesen Dennis nicht mochte, obwohl ich noch gar nicht wissen konnte, dass er ein Sioux war. Aber Cowboyfilme sagen nur Leute, die von Western keine Ahnung haben.
„Dann hab ich hier vielleicht was für dich.“ Und da griff dieser Dennis hinter sich und holte einen Revolver raus, ließ sogar die Trommel aufschnappen und legte so einen roten Kreis hinein und mit dem Daumen spannte er den Hahn.
„Hier, Partner“, sagte er und warf den Revolver schnell hoch, so dass der sich in der Luft drehte, fing ihn dann am Lauf auf und reichte ihn mir herunter, mit dem Griff in meine Richtung.
Ich packte mit beiden Händen danach und hielt ihn dann, aber Dennis drückte mit dem Handrücken den Lauf von sich weg und sagte: „Aber nie auf Menschen zielen.“ Und zwinkerte mir so zu und machte auch ein schnalzendes Geräusch. Wie der Duke, wie John Wayne.
Auf einmal hörte ich hinter mir meine Mutter aufschreien und als ich mich zu ihr umdrehte, war sie noch blasser als vorher. Ihre Wangen waren aber ganz rot und ihre Stimme überschlug sich richtig, sie rannte auf mich zu und riss mir den Revolver aus den Händen. Sie warf sich richtig gegen den Dennis, klopfte mit ihren Fäusten gegen seine Brust und drängte ihn zur Tür raus.
Und weil der Dennis einen Kopf größer war als die Mama, hätte der das ja leicht verhindern können und ich hätte nichts dagegen tun können, weil ich ja unbewaffnet war, den Revolver hatte der Dennis ja wieder. Aber der Dennis schaute über den Kopf meiner Mutter hinweg mich an und streckte den Zeigefinger aus und den Daumen und formte damit so eine Pistole, zielte auf mich und drückte ab. Und als meine Mutter das gesehen hat, hat sie sich noch energischer gegen den Dennis geworfen, aber ich hab auch mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole geformt, dem Dennis auf die Schulter gezielt und abgedrückt.
Und da hat er sich an die Schulter gegriffen, ist rückwärts getaumelt, weil mein Mutter ihn ja immer noch geschubst hat, und ist der Länge nach hingefallen. Meine Mutter hat die Tür zugeschmissen, sich einen Moment dagegen gelehnt und ist dann auf mich zugesprungen und hat mich an sich gedrückt.
Ich öffne meine Augen. Wenn ich erzähle, hab ich sie immer geschlossen. Das geht besser. Der Doc sitzt in seinem Sessel mit den Lehnen und wendet mir das Profil zu. Auf dem massiven Schreibtisch vor ihm liegt eine Akte, meine Akte. „Keine Fragen, Doc?“
„Sollte ich, Ihrer Meinung nach, welche haben?“
Ich lege zwei Finger an meine Stirn und nicke ihm zu. Vielleicht ist er doch kein Franzose.
Ab da konnte ich mit dem Duke zusammen Indianer töten. Ich schaute fern und wenn der Duke umzingelt war oder jemand Böses vor ihm stand, formte ich mit Daumen und Zeigefinger meinen Revolver und half ihm und ich hätte auch jeden Sioux erwischt, der meiner Mutter was wollte. Ich war schnell, verdammt schnell. Die Indianer im Fernsehen fielen wie die Fliegen. Wenn man sie reiten sah, in so einer ganzen Meute, da schrieen sie ja immer „Houu-Louuu-Wouuu“ oder so, da hab ich sie erwischt, einen nach dem anderen, zuerst hab ich auf den ganz vorne im Bild gezielt und mich dann nach hinten durchgearbeitet.
Und einmal, als ich mit meiner Mutter reden wollte, sie aber wieder Dallas geschaut hat, da hab ich mich hinter dem Sofa versteckt, als Deckung, und diesem J.R. Ewing mit dem falschen Cowboyhut genau zwischen die Augen geschossen.
„Er … er wurde nicht zwischen die Augen getroffen, Kristin Shepard hat ihn nur angeschossen und wurde nicht belangt, weil sie sein Kind austrug - Oh.“ Der Doc lächelt. „Entschuldigen Sie, meine Frau und ich sind … waren große Dallas-Fans. Erzählen Sie ruhig weiter.“
Doch ein Franzose.
Meine Mutter weckte mich eines Morgens und sagte: „Komm, wir gehen Cowboys schauen.“
Ich quengelte natürlich ein bisschen, als sie mir die Jacke anzog und meinen Koffer packte. Ich wusste ja gar nicht, dass ich einen Koffer habe. Und irgendwann hab ich sie dann gefragt, ob das ein Trick war. Und ob wir jetzt zu dem besseren Ort fahren, von dem sie immer erzählt hat. Aber das müsste sie gar nicht, ich wüsste ja, dass die Sioux meinen Vater erwischt haben.
Sie machte: „Psst. Das wird die schönste Zeit in unserem Leben. Wir fliegen nach Texas. Cowboyland.“
Aber in Wirklichkeit sind wir nur nach Dallas geflogen.
„Ihre Mutter beschließt also einfach, mit ihrem kleinen Sohn nach Dallas, Texas, zu fliegen. So mir nichts, dir nichts.“
„Haben Sie etwas gesagt?“, frage ich, weil der Doc nur gemurmelt hat.
„Nein, nichts“, lügt er. Aber er hat etwas gesagt, ich habe es genau gehört, er will mich nur verwirren.
Es war kein Cowboyland, es war wie in ihrer Serie, wie in Dallas. Wir zogen rum und sie sagte: „Hier ist im Film Ewing Oil.“ Und ständig ging sie einkaufen und ich musste jedes Mal vor den Umkleidekabinen warten. Die Menschen dort haben auch nicht wie bei uns gesprochen, wie im Fernsehen, sondern anders. Manche hatten zwar einen Cowboyhut auf, aber niemand hatte ein Halfter um. Die Leute trugen zwar Stiefel, aber saubere, da war kein Sand auf den Straßen, das war wie bei uns.
Wir sind dann einen Tag raus gefahren und haben uns Pferde angeschaut, in einer Arena, und Clowns, die auf ihnen geritten sind und Lassotricks vorgeführt haben. Als würde ich nicht merken, dass das nicht echt ist. Also, bitte. Konnten froh sein, dass ich niemanden erschossen habe da. Ich hab ja echt versucht, mich anzustrengen damals, um ihr eine Freude zu machen. Hab das Glasgebäude angestarrt, bis mir der Nacken wehgetan hat, vom vielen Ewing Oil schauen.
Ich frag mich, wie sie meine Mutter dazu gekriegt haben, genau dann nach Dallas zu fliegen und mich mitzunehmen. Und woher sie wussten, dass ich das kann mit den Fingern. Sie müssen gewartet haben, bis der Duke stirbt und dann genau geschaut haben, wann das nächste Kind auf die Welt kommt.
„Sie? Die Sioux?“
Sie müssen mich die ganze Zeit beobachtet haben. In meinem Kopf drin gewesen sein und in dem meiner Mutter. Haben meinen Vater erwischt, nur damit ich so werde, wie ich bin. Ich werde sie mir vornehmen, mit diesen meinen Händen werde ich jeden einzelnen Sioux zu Strecke bringen. Sie haben sich den Falschen ausgesucht, um ihre schmutzige Arbeit zu machen. Diese Kugel wird sie selbst treffen.
„Kommen Sie, erzählen Sie weiter, bleiben Sie bei mir.“
Als mich meine Mutter weckte, wusste ich, dass heute irgendetwas besonders war. Also abgesehen davon, dass wir in Dallas waren und ich dachte, heute sehen wir mal richtige Cowboys. Heute machen wir eine Schwingtür auf, die klappert und hinter uns zufällt, und wenn wir durch sie hindurchgehen, hören wir Musik. Und wir sehen Männer, die nicht lachen und nicht labern, und breitbeinig gehen und ein wenig wiegend.
„Komm, beeil dich“, hat sie gesagt. „Wir wollen einen guten Platz haben.“
Wir liefen vom Hotel zur Straße runter und da standen viele Menschen am Straßenrand. Die Sonne schien und ich habe auch Kamerateams gesehen und die Hand meiner Mutter gespürt, die hat immer versucht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, aber vor uns waren so viele Rücken und ich war ja noch klein. Aber ich war schon zu schwer, um auf die Schultern meiner Mutter zu können.
Ich hab versucht, mich auf die Knie fallen zu lassen, und unter den Beinen der Leute vor uns durchzukrabbeln, wie in einer Schlägerei, wenn einer versucht, zu entkommen, aber meine Mutter hat mich hochgezerrt und angezischt: „Du machst dich noch ganz dreckig“, und den Hals verrenkt.
„Was ist denn da?“, hab ich gefragt, aber um uns herum haben die Leute angefangen zu schreien und zu jubeln und meine Mutter hat auch geschrien und gejubelt. Sie war richtig glücklich, glaube ich.
Ich hab sie dann am Rockzipfel gezogen und gesagt, dass ich jetzt endlich sehen will, was da ist. Und natürlich geglaubt, da wären nun Cowboys. Und meine Mutter juble dem mit dem weißen Hut zu, dass er den mit dem schwarzen niederschießt.
Meine Mutter hat dann einem Mann neben sich auf die Schultern getippt und mit ihm gesprochen und der hat sich zu mir runterbeugt und gesagt: „Hello boy, come on board.“ Und mich auf die Schultern genommen.
Aber das Einzige, was ich da gesehen habe, waren Motorräder mit Polizisten und lang gezogene Limousinen wie in der Dallas-Serie. In einer Limousine saßen vorne Leute in Anzügen und hinter ihnen direkt ein Mann und eine Frau und dahinter noch ein Mann in einem Anzug und eine Frau in einem pinkfarbenen Kleid mit einem albernen Hut auf dem Kopf. Und der Mann neben ihr sah in meine Richtung und winkte total dämlich und grinste so breit.
Da hab ich meinen Zeigefinger auf ihn gestreckt und den Daumen dazu genommen und abgedrückt. Dreimal. Peng, peng, peng. Und sein Kopf ist explodiert.
Das Kleid der Frau neben ihm ist rot geworden und sie hat sich umgedreht und versucht aus dem Wagen rauszuklettern, aber dann waren schon Leute da und der Mann, der mich getragen hat, hat laut geschrien und die Arme hochgeworfen und ich wäre fast runter gefallen, wenn mich meine Mutter nicht von ihm weggerissen hätte.
Dann hab ich noch das Quietschen der Reifen gehört und um uns herum sind alle weggerannt, und ich mit meiner Mutter auch.
Ich öffne die Augen.
„Wann sind Sie geboren?“, fragt er. „Am Todestag von John Wayne, sagten Sie? Wann war das, irgendwann in den Achtzigern?“
„Am elften Juni Neunundsiebzig.“
„Dann können Sie es nicht gewesen sein. Kennedy wurde in den Sechszigern erschossen. Sechzehn Jahre vorher.“
„Verwirren Sie mich nicht.“
„Verstehen Sie nicht? Sie haben Kennedy nicht ermordet. Die Sioux haben sich nicht an Kennedy gerächt durch Sie.“
„Sie gehören dazu.“
„Das ist eine sich selbst stützende Wahnvorstellung“, sagt er. „Schauen Sie, Sie sind von Ihrem Wahn überzeugt und alles, was dagegen spricht, ist Teil einer gigantischen Sioux-Franzosen-Verschwörung. Sie sind doch ein vernünftiger Mann, das müssen Sie doch sehen.“ Er greift mit einer Hand unter den Schreibtisch.
Ich ziele mit meinen Fingern auf ihn. Er hält in der Bewegung inne und starrt auf meine Finger. Er ist ein Franzose. Er weiß, dass ich die Wahrheit sage.
„Keine Bewegung, Fremder.“
„Wir müssen an den Ursachen arbeiten“, sagt er. „Sie entschuldigen doch, aber ich denke, wir haben uns beide einen Schluck verdient.“ Er nimmt die Bewegung wieder auf und greift unter den Tisch.
Ich drücke ab. Zweimal. Peng, peng. Nichts. Er muss Franzose sein, es klappt nicht, wenn sie wollen, dass es nicht klappt.
Er stellt zwei Gläser auf den Tisch.
„Es ist ziemlich ungewöhnlich und sonst nicht meine Art, aber ich denke, Hippokrates erlaubt uns ein kleines Trankopfer für Dionysos, oder?“
Neben die beiden Gläser stellt er eine bauchige Flasche mit dünnem Hals. Er dreht sie um, so dass ich das Etikett lesen kann. Cognac! Er ist Franzose
Ich springe aus dem Sessel auf, schnappe mir die Flasche, werfe sie in die Luft, so dass sie sich dreht, fange sie am Hals auf und ziehe sie dem Doc über.
„Sei froh, dass ich dir deinen Skalp lasse, Rothautfreund“, murmle ich noch und gehe.
Doktor Refinius fährt sich über den Hinterkopf. Er spürt etwas Nasses. Er sieht schummrig auf die Akte vor sich, schüttelt den Kopf und schließt die Augen.
„Jetzt reicht es aber, mein kleiner Sioux. Papa will noch duschen.“
„Och bitte, nur noch einmal.“
„Du musst mich ein andermal an den Marterpfahl binden, Kleiner.“
Der Mann mit dem kantigen Kinn hebt seinen Sohn vom Bett, zieht sich die beigefarbene Uniform aus, legt sie feinsäuberlich auf den Stuhl und geht ins Badezimmer.
„Vielleicht kriegst du mich ja dann, du feige Rothaut“, sagt er und zwinkert.
Der Junge dreht sich um, als er das Wasserrauschen hört, nimmt den Stuhl, auf dem die Uniform seines Vaters hängt, und zieht ihn zum schweren Holzschrank. Er öffnet den Schrank, stellt den Stuhl davor, klettert dann darauf und streckt sich und dehnt sich und stellt sich auf die Zehenspitzen und er dreht den Stuhl um und er steigt auf die Rückenlehne und er balanciert und er macht sich lang, bis er ganz nach oben kommt. Bis ans letzte Fach.
„Hooo-louuu-wouuu.“
Peng.
„Es ist nicht deine Schuld“, röchelt der Vater und blutet das Badetuch um seine Hüften voll. „Es ist nicht deine Schuld, mein Kleiner. Du bist jetzt der Mann im Haus. Pass auf Mama auf. Ich hab dich lieb. Du kannst nichts dafür.“ Dann macht er die Augen zu.
Doktor Refinius reibt sich den Schädel, schenkt sich ein Glas Cognac ein und schaut aus dem Fenster.
Ich laufe über die Straßen meiner Stadt, neben mir fährt ein Junge auf seinem Fahrrad an mir vorbei. Ich muss lächeln, weil ich daran denke, wie ich damals auf meinem Fahrrad gefahren bin, das Vorderrad hochgezogen und „Hoo, Brauner“ geschrien hab. Dann bin ich in die Küche gelaufen und hab zu meiner Mutter gesagt: „Ma’am, ich bin jetzt der Mann im Haus.“ Die erste echte Erinnerung in meinem Leben.
Ich klappe den Kragen hoch. Ein neuer Sheriff ist in der Stadt. Der Duke reitet wieder.