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Der Kinderhasser

Beitritt
19.06.2001
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Der Kinderhasser

DER KINDERHASSER


Am Tag nach der Mondlandung trafen wir uns wie üblich auf einem der vielen schäbigen Hinterhöfe und spielten die besten Spielzüge nach, die wir zuvor voller Begeisterung im Radio mitverfolgt hatten. Greyenne war reich an schäbigen Hinterhöfen. Wirklich schöne Häuser und Plätze gab es auf der anderen Seite des Flusses, der seit Jahrhunderten symbolisch die Grenze zwischen Reich und Arm darstellte. Uns ging es nicht dreckig, wir mußten keinen Hunger leiden, mußten auch nicht die Blicke anderer auf uns ziehen, indem wir in Lumpen gehüllt durch die schmutzigen Straßen schlichen. Wir waren einfach nur nicht reich genug, um in einer der vielen Villen ein sorgenfreies Leben zu führen, die mondän am Ufer des Flusses standen und abends, kurz bevor die Sonne endgültig unterging, glitzernde Spiegelbilder auf das Wasser warfen. Besser gesagt, unserer Eltern verdienten nicht genug Geld. Uns war es egal. Uns ging es gut. Unser Land hatte den Wettlauf um den Mond gewonnen, und ich hatte, eine Minute bevor Neil Armstrong mit seinen Füßen auf die staubige Oberfläche des Trabanten sprang, endlich meine fehlende Karte von Joe Di Maggio. Lächerliche achtzig Cent hatte Danny Wilsen dafür verlangt. Aber er war schon immer der Idiot in unserer Klasse gewesen, der von der Welt keine Ahnung hatte.

"Am Schlagmal für die South Greyenne steht nun der unvergleichliche Scott Baker!", schrie Scott und schwang den Schläger hin und her. "Ladys and Gentlemen... Erleben Sie nun den einzigartigen Triumph über North Greyenne! Erleben Sie den ultimativen Homerun!"
Ich lächelte und rollte den Ball in meinen Händen. "Halt die Klappe, Scott!" Aus irgendeinem der unzähligen, verstaubten Fenster brüllte uns eine Stimme an, dass wir gefälligst auf den Wiesen neben 'Wincher´s Cars' spielen sollten. Der alte Schrottplatz lag gut zwei Meilen außerhalb der Stadt. Wir hatten keine Lust, so einen langen Fußmarsch auf uns zu nehmen. Außerdem gab es da noch Willie. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Willie hatte scharfe Zähne und war ein Monstrum von einem Schäferhund. Ungebetenen Gästen, so kursierten Geschichten, die uns sehr wohl in Angst zu setzen vermochten, machte Willie mit nur einem Biss den Garaus. Auf so etwas konnten wir verzichten.
"Los, Charlie! Zeig es dem alten Scott!"
Ich verdrängte Willie aus meinen Gedanken. "Keine Sorge!" Wir spielten Baseball in der einfachen Variante: Nur leichte Bälle von unten heraus, kurzes Abprallen am Schläger. Richtig konnten wir das Spiel nicht durchziehen. "Ich werfe hart! Sehr hart! Der alte Baker wird sich noch wundern." Ich sah zu Leroy und Wayne, die sich köstlich amüsierten. "Achtung auf den Rängen und Köpfe einziehen!" Mit meinen dreizehn Jahren hatte ich eine ungewöhnlich tiefe Stimme, und wenn ein Außenstehender in den Häusern, die uns umgaben, den morschen Treppenflur hochging, würde er wohl vermuten, dass da ein Erwachsener sinnloses Zeug herumbrüllte.
"Los, Scott! Zeigs ihm!", schrie Wayne und klatschte in die Hände.
Verächtlich sah ich zu meinem kleinen, schmächtigen Bruder. "Verräter!", knurrte ich, tat so, als ob ich mit voller Wucht den Ball werfen wollte, holte tief Luft, ging einen Schritt nach vorn und warf Scott sanft den Ball zu. "Strike!", brüllte ich und hob die Arme.
Scott bewegte seinen Schläger etwas nach unten. Der Ball berührte das an einigen Stellen gesplitterte Holz und flog dann in einem hohen Bogen über unsere Köpfe hinweg. Einen kurzen Moment später hörten wir, wie Glas zu Bruch ging. Erstaunt drehten wir uns um.
"Was hast du getan?", flüsterte ich leise.
Scott betrachtete hilflos und verwundert zugleich den Schläger. "Nichts. Ich hab ja nicht einmal ausgeholt." Er ging in die Hocke und stützte sich dabei auf dem Schläger ab. "Auf alle Fälle nenne ich das einen Sonntagsschlag." Mit dem Zeigefinger deutete er auf das kaputte Fenster. "Das ist die Wohnung vom alten Woods. Ich hab doch gesagt, wir hätten drei Blocks weiter spielen sollen!"
Wayne versteckte sich hinter mir. "Der Kinderhasser?"
Ich lächelte und schob ihn zur Seite. "Keine Angst, Hosenscheißer." Leroy wippte mit den Füßen auf und ab. "Leroy? Alles in Ordnung mit dir?"
"Ja... Ja, denke schon." Er war kein guter Lügner. Sein Gesicht war aschfahl, er zitterte am ganzen Körper.
Mir war klar, dass der Nachmittag für uns beendet war. Zu allem Überfluß begann es auch noch zu regnen. Kein warmer Regen, wie man ihn an einem heißen Sommertag mochte. Kalte Tropfen prasselten schmerzhaft auf uns herab. "Okay!" Ich winkte Wayne und Leroy zu mir. "Ihr beiden geht jetzt nach Hause. Scott und ich holen uns den Ball zurück, einverstanden?"
Fassungslos starrte mich Wayne an. "Du willst da hoch?" Er schüttelte den Kopf. "Dann kommst du nie wieder, Charlie!"
"Unsinn!", wiegelte ich ab. "Mach dich nicht lächerlich." Aufmunternd schlug ich meinem kleinen Bruder gegen den linken Arm. "Nachher machen wir am Flugzeug weiter, okay?" Vor zwei Wochen hatten Wayne und ich angefangen, einen alten Doppeldecker nachzubauen, nur mit Leim und Streichhölzern. Den Rumpf hatten wir vorgestern vollendet, es fehlten noch die Flügel und das Fahrwerk. Ich sah Wayne an. Sein Gesicht sagte alles.
"Yeah!", schrie er und schüttelte dem Regen trotzig die kleine geballte Faust entgegen. "So machen wir es." Dann schielte er zu Leroy. "Darf er auch mitmachen?"
Für mein Alter war ich äußerst großzügig. "Klar, wenn Mom und Dad nichts dagegen haben." Ich fand das eigentlich eine gute Idee. Wayne und Leroy würden sich wunderbar beschäftigen können, während ich in aller Ruhe am Doppeldecker arbeiten konnte. "Hast du Lust?", fragte ich Leroy.
"Das wäre toll, Charlie." Dankbar, als ob ich ihm das größte Geschenk seines jungen Lebens gemacht hatte, lächelte er mich an. Dabei war er nur vier Jahre jünger als ich.
Scott seufzte: "Klar, besser als daheim."
Ich wußte, was er meinte. Wenn wir schwimmen gingen, konnten wir die roten Linien auf Leroys Rücken sehen. Und auch die Abdrücke der Gürtelschnalle. Manchmal, wenn ich nicht schlafen konnte, stellte ich mir vor, wie ich einfach so bei den Waltons die Tür eintrat, die betrunkenen Eltern mit einem kräftigen Fußtritt nach Alaska schickte und den weinenden Leroy tröstend an mich drückte. Es war Wunschdenken. "Leroy?"
"Charlie?"
"Dann sehen wir uns nacher, ja?" Ich sagte das bestimmend. Wayne wollte noch etwas sagen, aber ich hob die Hand und krümmte meine Finger. Es war das Zeichen, was Wayne unmissverständlich zeigen sollte, dass ich keinen Widerspruch mehr hören wollte.
"Dann bis nacher", murmelte er verärgert und zeigte Scott den Mittelfinger. "Bis morgen, Stinkegesicht."
Lachend rief Scott: "Haut bloß ab, ihr Pisser!" Er sah den beiden nach, bis sie mit eingezogenen Köpfen und hängenden Schultern den Hof verlassen hatten. Dann sah er zu mir und sagte: "Das ist nicht dein Ernst, oder?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Was meinst du?"
"Woods, verdammt!" Scott schwang den Schläger hin und her. Seine Sachen waren völlig durchnässt. So wie meine. Es interessierte uns nicht. "Du willst da wirklich hin? Wegen eines blöden Baseballs?"
"Das ist nicht irgendein blöder Baseball, Scott! Dad und ich sind drei Tage unterwegs gewesen, verstehst du? Das ist ein Originalball von den Yankees, okay?"
Er sah zu Woods Wohnung. "Vier Kinder soll er damals bei lebendigem Leib verscharrt haben. Die Leichen wurden nie gefunden."
"Und das glaubst du?" Seufzend hob ich meinen Kopf, schloss kurz die Augen und spürte den Regen.
"Nein, natürlich nicht!", beeilte sich Scott zu sagen. "Aber unwohl ist mir trotzdem irgendwie."
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich eine Gestalt an Woods Fenster. Ruckartig drehte ich mich um, konnte aber nur noch einen schemenhaften Schatten erkennen. Für einen winzigen Augenblick war mir mein Baseball aus dem Stadion der Yankees egal. Ich hatte Gänsehaut, die nicht durch den Regen verursacht wurde. Dann entspannte ich mich. "Jedenfalls scheint er da zu sein." Ohne eine Antwort von Scott abzuwarten, stapfte ich breitbeinig los.
"Wo willst du hin?", rief Scott. "Warte, verdammt nochmal!"

Wir standen im Hausflur und sahen uns um. Die Häuser auf der südlichen Seite des Flusses in Greyenne unterschieden sich kaum. Billige Wohnblocks, in denen bis zu zehn Familien Unterschlupf fanden, um ihr ereignisloses Leben leben zu können.
"Wow!" Scott war wirklich beeindruckt. "Das ist mit Abstand das mieseste Haus, was ich bisher gesehen habe. Und ich hab schon fast alle Häuser auf der Südseite Greyennes gesehen. Hier fühlen sich Menschen wohl?" Er hielt kurz inne und murmelte dann sarkastisch: "Naja, Woods schon."
Es stank widerlich nach Urin und Abfall. Um die summenden Glühbirnen, die das Treppenhaus nur spärlich beleuchteten, flogen hunderte Fliegen und andere Insekten, die ich jedoch nicht kannte. Jedenfalls sahen sie bedrohlich aus. Riesige Fühler an den Köpfen, haarige Beine... An den brüchigen Wänden hatte irgendjemand vor langer Zeit mit roter Farbe Worte und Sätze gepinselt. 'Gott hat uns verlassen' las ich. 'Einstein lügt!', 'Russen sind keine Menschen' "Mein Gott, wer wohnt denn hier?", fragte ich. 'Geh!', 'Tote Nigger sind gute Nigger.'
"Menschen wie Woods", wiederholte Scott und grinste. "Kinderhasser..."
Scott hatte Angst. Furchtbare Angst. Ich konnte es ihm ansehen. Er gab sich natürlich tapfer, aber es war zwecklos. "Stell dich nicht so an!" Ich berührte das verstaubte Treppengeländer. Die einzelnen Stufen der hoffnungslos verrotteten Holztreppe waren mit zentimeterdickem Staub bedeckt. "Das ist ja merkwürdig." Langsam stieg ich auf die erste Stufe. Ich zog mein anderes Bein nach, stützte mich am Geländer ab und hob das linke Bein. Im Staub sah ich den Abdruck der Schuhsohle. "Geht hier nie jemand die Treppen hoch oder runter?"
"Komm schon, vergiss den blöden Ball, Charlie!", flüsterte Scott und verscheuchte ein paar aufdringliche Fliegen. Er erwischte sogar eine mit der flachen Hand. Das Insekt trudelte im Zickzackkurs zur Wand, prallte dort ab und fiel auf den Boden. Dort lag es auf dem Rücken. Die kleinen Beine zuckten in der Luft. Scott verzog das Gesicht und trat auf die Fliege. "Ich habe ein Scheißgefühl, okay?"
"Nein!", sagte ich mit fester Stimme und ging weiter die Treppe nach oben. "Wenn du gehen willst, dann geh ruhig. Ich schaff das auch allein!" Ich erinnerte mich daran, wie sich mein Dad fast den Arm gebrochen hatte, um den Ball für mich zu fangen.
Unsicher fuhr sich Scott durch sein nasses Haar. "Blödes Arschloch!", murmelte er schließlich und folgte mir.
Zufrieden nickte ich und ging weiter. Unterwegs stießen wir auf Überreste von Ratten und Katzen, noch mehr Kritzeleien an den Wänden. Mit jeder weiteren Stufe schien das Haus mehr und mehr zu verfallen. Nach einer kleinen Ewigkeit hatten wir endlich die zweite Etage erreicht. Zu unserer Überraschung war der lange Gang sauber, keine Spur von Dreck und toten Tieren.
"Linke Seite, erste Tür", rutschte es mir einfach so heraus.
Scott runzelte die Stirn. "Was? Woher..."
Ich unterbrach ihn. "Keine Ahnung, kam mir gerade in den Sinn." Draußen konnten wir den Regen hören. Es war unheimlich, so nahe, und doch so weit weg im Moment. "Lass es uns versuchen."
"Klar, du bist der Boss." Scott sagte das in einer Art, wie wenn man jemandem beipflichten würde, sich aus zehn Metern Höhe in den Abgrund zu stürzen. 'He, Mann! Das ist eine tolle Sache! Mach es, aber ohne mich!'
"Du mußt das nicht machen, Scott. Das ist nicht dein Ball." Bis zur Tür waren es vielleicht noch fünf, höchstens sieben Schritte.
"Weißt du was?", sagte Scott.
Ich blieb stehen und sah in an. "Was denn?"
"Du hast Recht, es ist dein Ball, nicht meiner!" Scott ging ein paar Schritte zurück. "Ich kann das nicht, Charlie", flüsterte er. "Tut mir... Tut mir Leid." Dann war er verschwunden, einfach so.
"Arschloch!" Ich spuckte auf den Boden, und als ich meinen Blick wieder geradeaus richtete, stand ich vor der Tür zu Woods Wohnung. Irgendwie automatisch war ich wohl die letzten Meter gegangen. An der Tür gab es nichts, was darauf hindeutete, dass ein gewisser Woods hier lebte. Überhaupt jemand wohnte. Die Tür sah alt aus, passte nicht in die Etage, in der ich mich befand. Eher in den ersten Stock. Dort hatte sich Unmengen von Müll angesammelt. Es war einfach ekelhaft. Ich holte tief Luft und klopfte angewidert an das verschimmelte Holz. Nichts tat sich. Irgendeine schleimige Substanz hatte sich an meinen Fingerknöcheln festgesetzt. "Verdammt!" Ich klopfte erneut. Dann hörte ich schleichende Schritte. Die Tür ging auf. In der Dunkelheit, die aus der Wohnung den ganzen Gang zu überfluten schien, konnte ich schemenhaft ein Gesicht erkennen. "Sir... Mister Woods... Sir... Ich...", stammelte ich.
"Sag nichts!" Wie aus dem Nichts schnellte eine Hand nach vorn, griff nach meiner Schulter und zog mich in die Wohnung hinein.
Ich stolperte über die Türschwelle und fiel hart auf den Boden. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, wie eine schwarze Katze mit funkelnden Augen auf mich zukam. Im nächsten Moment befand ich mich in einem dunklen Etwas, spielte Baseball mit Joe Di Maggio und hörte den tosenden Applaus der mir zujubelnden Zuschauer im Yankee-Stadion. Dabei fielen kleine Sterne vom Himmel auf uns herab. Glühwürmchen, die summend über das Spielfeld flogen, uns umkreisten und wunderschön aussahen. Ich warf den ersten Ball. Joe zog den Schläger kraftvoll durch, der Ball zischte an meinem Kopf vorbei Richtung Tribüne. Homerun. Lächelnd nahm ich meine Kappe ab und bewunderte Di Maggio, wie dieser elegant die Runde lief. Die Zuschauer tobten. Die Lautsprecher im Stadion verkündeten: "Lauf, Joe! Steh auf, Joe! Steh auf, Junge! Wach auf, Junge! Wach auf, Junge!"

"Wach auf, Junge!"
Ich öffnete meine Augen und sah in das Gesicht eines alten Mannes. Ich sah müde Augen, fettiges Haar, gelbe Haut und braune Zähne. Stinkender Atem kam mir entgegen. Nur mit Mühe konnte ich einen Brechreiz verhindern. Nach und nach machten sich Einzelheiten bemerkbar. "Was..." Alte, mit Schimmel übersäte Tapete... "Wo..." Türme aus Zeitungen und Zeitschriften.
"Du bist wach, gut. Es war wohl etwas heftig, mein Junge."
Ich hörte ein Schnurren und spürte in meinem Gesicht dutzende Daunenfedern, die meine Nase kitzelten. Ich nieste. Die schwarze Katze trottete zutiefst verärgert davon. "Ich..."
"Nein, sag nichts!" Woods ergriff meine Arme und zog mich nach oben. "Du warst bewußtlos, nur ganz kurz. Alles in Ordnung?" Er klopfte mir auf den Rücken.
"Ja, danke..." Es dauerte einen kleinen Augenblick, bis ich begriff, wo, bei wem und aus welchem Grund ich hier war. In meinem Bauch rumorte es. Panik machte sich in mir breit, setzte sich in meinem Gehirn fest und ließ mich zwei Schritte rückwärts taumeln. "Hören Sie, Mister, ich wollte nur den..."
Woods hatte einen muffig riechenden Bademantel an, der bis zu den Kniekehlen ging. Er griff in eine große Tasche. "Du meinst das hier?", fragte er hintergründig lächelnd und holte meinen Baseball hervor. "Dein Ball, ja?"
Ich nickte stumm. 'Blödes Arschloch, gib mir einfach meinen Ball und lass mich gehen, du alter Kinderhasser!' Unsicher wippte ich etwas hin und her.
Der alte Mann legte den Kopf etwas quer und sah mich nachdenklich an. Dabei kniff er seine Augen zu zwei dünnen Schlitzen zusammen. Mit dem Handrücken fuhr er sich langsam über seine spröden Lippen. Die Zeit schien stillzustehen. Plötzlich zuckte er zusammen und schnippte mit dem Daumen und Zeigefinger. "Tee! Was wir brauchen, ist Tee!" Er drehte sich um und ging schnell in eines der dunklen Zimmer.
Erst jetzt bemerkte ich, dass der Korridor nur von zwei Kerzen erhellt wurde. Ich hörte ein Rascheln, etwas fiel zu Boden und gab ein komisches Geräusch von sich. Die Katze kam aus dem Zimmer herausgerannt und verschwand schnell in einem anderen. Metall, dachte ich. 'Es hat sich wie Metall angehört. Wie Besteck. Wie Messer. Lange, scharfe Messer mit Blut an den Klingen. Kinderblut. Oh Gott, was machst du hier eigentlich? Dreh dich um, mach einfach die Tür auf und dann lauf so schnell du kannst weg!'
"Junge?"
Aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht bewegen, zumindest nicht Richtung Tür... "Sir?", hörte ich mich selbst sagen.
"Komm mal her!" Woods Stimme duldete keinen Widerspruch.
Ohne, dass ich es wollte, ging ich langsam zu dem dunklen Zimmer, in dem Woods mit allerlei Sachen hantierte und dabei die seltsamsten Geräusche verursachte. Die Kerzen flackerten, von irgendwoher hörte ich die Katze miauen, ein eindringliches, angespanntes Fauchen... Ich ging vorbei an den Zeitungs- und Zeitschriftentürmen, die mich um Armlänge überragten, vorbei an der Tapete, die mit jedem Schritt ihr Blumenmuster zu verändern schien. Aus Rosen wurden Nelken, aus Nelken Tulpen und aus Tulpen eine andere Blumenart. Es lag wohl an den Kerzen, redete ich mir ein. Und überall hatte sich Verwahrlosung festgesetzt, in den Ecken und Nischen sprang der Schimmel mir entgegen, dicke Staubschichten auf dem Boden und auf den wenigen uralten Möbeln, dazwischen Spinnennetze ohne ihre Erbauer. Ich stand in dem Zimmer. Es war stockdunkel. Irgendetwas summte...
"Warte mal!", sagte Woods.
Ich hörte, wie er auf mich zuschlurfte, aber ich sah ihn nicht, nur sein Geruch kam mir entgegen. Woods stank nach Friedhof, stellte ich fest. Ich war bis jetzt nur ein einziges Mal auf einem Friedhof gewesen, und es hatte angenehm nach Herbst geduftet, und auch die Blumen, die wir meinem verstorbenen Großvater auf das Grab legten, rochen nach guten gemeinsamen Tagen auf den Wiesen neben 'Wincher´s Cars', als es das Monstrum Willie noch nicht gab. Aber Woods roch nach der Sorte Friedhof, wie man sie in billigen Horrorfilmen sah, wenn die Untoten aus den Gräbern stiegen und mit tapsigen Schritten Jagd auf die Lebenden machten. Neben mir machte es Klack, es gab ein Zischen, und dann wurde es plötzlich hell. Es kam so unerwartet, dass ich meine Augen schließen mußte. Neben mir stand Woods.
"So ist es für dich doch besser, oder? Ich vertrag auf meine alten Tage helles Licht nicht mehr so gut. Deshalb ist es hier auch meistens dunkel, aber für Gäste mach ich eine Ausnahme", erklärte er seelenruhig.
In dem Raum herrschte ein noch größeres Chaos. In mir machte sich der Wunsch breit, Woods zu fragen, ob die anderen Zimmer auch so aussahen, oder noch schlimmer. Vier Glühbirnen hingen an dünnen Seilen von der Decke herab. Den Boden beherrschte eine undefinierbare Masse aus Dreck. Mitten im Zimmer standen ein Tisch und zwei billige Holzstühle, die Art, wie es sie bei 'Brewster' gab, einem kleinen Laden, dessen Besitzer, Mark Brewster Jr., von Backwaren bis schrottreifen Gebrauchtwagen einfach alles verkaufte.
"Setz dich, Junge", sagte Woods freundlich. Auf dem Tisch stand ein dampfender Krug, links und rechts zwei Plastikbecher. "Ich hoffe, der Tee wird dir schmecken."
Ich gab mir noch zehn Minuten. Bis dahin, so mein Gedankengang, war ich entweder tot, oder aus der Wohnung raus. Langsam setzten sich meine Beine in Bewegung. "Danke, Sir...", murmelte ich. Der Dreck unter meinen Füßen fühlte sich wie Brei an. Jeden Momente glaubte ich, darin zu versinken und elendig zu ersticken, umgeben von Dosen, versifften Flaschen, Zigarettenstummeln und mit gebrauchtem Toilettenpapier im Mund. "Hier, ja?" Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sich mich auf den Stuhl.
Woods wirkte sichtlich erfreut. Er setzte sich ebenfalls und goss uns beiden etwas Tee in die Plastikbecher. "Weißt du, ich hab nicht viel Besuch."
Ich betrachtete den halbvollen Becher vor mir. 'Kein Wunder! Sieh dich mal um, du elender Bastard. Was willst du von mir? Du Kindermörder! Was willst du?' "Hm..." Seit ich die Wohnung betreten hatte, war für mich klar, dass Woods wirklich diese vier Kinder umgebracht haben mußte. Er war ein Irrer, ein durchgeknallter Mann, der dem Wahnsinn verfallen war. Kurz entschlossen nahm ich den Becher, setzte an, hielt einen Moment inne, und trank dann einen kleinen Schluck. Zu meiner Überraschung handelte es sich tatsächlich um Tee. Zitronentee. Zwar etwas bitter und bei weitem nicht so gut wie der meiner Mutter, aber immerhin ganz normaler Tee, und kein tödliches Gift. Erleichtert stellte ich den Becher auf den Tisch.
Woods lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Gut?"
"Ja, Sir. Danke."
"Und? Gestern auch zum Mond geschaut?" Er griff nach seinem Becher. "War schon spannend, nicht wahr?"
Zunächst war ich etwas verwirrt, doch dann fiel es mir wieder ein. Die Mondlandung. "Ja, Sir. War ein tolles Ereignis." Was sollte das werden? Eine gepflegte Konversation mit einem Untoten?
Nun trank auch Woods einen Schluck Tee, rülpste, als ob er Bier getrunken hätte, und sagte ganz gelassen: "Deine Eltern werden mir das kaputte Fenster doch sicherlich ersetzen, nicht wahr?"
Das kam völlig unerwartet. Ich hatte Mühe, nicht vom Stuhl zu fallen. "Sir?"
Er holte meinen Baseball aus der Tasche des Bademantels und legte ihn auf den Tisch. "Warum spielt ihr nicht draußen auf den Wiesen? Neben diesem Schrottplatz?" Kaum, dass er das gesagt hatte, fing er an zu lachen. Prustend zeigte er auf mich. "Oh... Richtig! Willie, das Monstrum!" Woods schüttelte den Kopf. "Es ist nur ein Hund!"
"Ein großer Hund!", rutschte es mir heraus.
Woods räusperte sich. Seine müden Augen wirkten fast hypnotisch. Er sah mich an und sagte: "Ja, es ist ein großer Hund." Und dann, ganz leise: "Und es waren nicht nur vier Kinder..."
Eine Fliege flog gegen eine der Glühbirnen. Es zischte, und die Fliege fiel leblos auf den Boden, um sofort im Dreck zu verschwinden. Irrte ich mich, oder gab es sanfte Wellen? 'Mehr als vier! Mehr als vier Kinder! Du Bestie!' Ich hatte in meinem Leben noch nie gelogen. "Was meinen Sie?"
"Charlie, richtig?", fragte Woods und winkte ab. "Charlie, Luke, Paul, Stuart... Ist ja auch egal." Er stand auf und stieß dabei gegen den Tisch. Der Krug fiel um. Tee lief über den Tisch, verharrte kurz am Rand und tröpfelte dann über die Tischkante. Ein Tropfen nach dem anderen stürzte zum Dreck, um darin aufzugehen, neuen Lebensformen, von denen ich nichts wissen wollte, Nährstoff zu geben. Es stank bestialisch. Dass ich mich noch nicht kurzerhand übergeben hatte, grenzte an ein kleines Wunder. Woods betrachtete seine Hände. "Ich war Pilot im Zweiten Weltkrieg, weißt du?"
Einer wie Woods hatte für den Frieden gekämpft? Ich konnte es nicht glauben, wollte es nicht glauben... "Pilot?"
"Es ist wahr!" Er zeigte auf ein kaputtes Fenster. "Siehst du? Dein Ball hat das angerichtet. Plötzlich, einfach so..." Woods schnippte wieder mit den Fingern. "Ich habe gehört, wie deine Freunde und du gespielt haben. Und dann, plötzlich..." Er drehte sich zu mir um. "Ein Lärm, viel Glas, eine verängstigte Katze und ein Baseball. Dein Baseball, Charlie."
Meinen Baseball umgab inzwischen eine kleine Lache aus Tee. Zögernd beugte ich mich nach vorn und nahm den Ball an mich. Der erste Schritt war getan. Ich hatte meinen Original-Yankee-Stadion-Baseball wieder. Jetzt mußte ich nur noch möglichst unbeschadet aus der Wohnung raus. 'Nein!', korrigierte ich mich. 'Keine Wohnung! Eher eine Müllhalde!' Ich fragte mich, woher er meinen Namen kannte, ihn zu fragen, traute ich mich allerdings nicht. Die ganze Situation nahm inzwischen mehr als bizarre Ausmaße an. 'Okay, ich hab den Ball. Lass mich gehen, Kinderhasser! Lass mich endlich gehen!'
"Ich hasse keine Kinder, Junge", sagte Woods mit ruhiger Stimme. "Im Gegenteil! Ich mag Kinder, weißt du?"
"Nein, Sir", antwortete ich. "Woher auch?" Ich wollte nur noch weg. Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht einfach vom Stuhl aufspringen, aus dem Zimmer zur Tür rennen, diese aufreißen und abhauen. Ich konnte es einfach nicht. Stattdessen klebte ich an diesem billigen Holzstuhl fest und sah gebannt zu Woods, der an dem kaputten Fenster stand und nach draußen sah.
"Damals regnete es auch. Der Regen da draußen ist so ähnlich, glaube ich. Ich geh kaum mehr raus. Aber ich kann es sehen, spüren... Kalt und hässlich. Einfach hässlich..." Woods seufzte. "Mein Gott, wir haben tonnenweise die Bomben über der Stadt abgeworfen."
Ich verstand nicht, was er meinte.
"Wir waren ganz weit weg, und trotzdem ganz nahe. Es waren mehr als vier Kinder... Mindestens viertausend!" Woods schrie auf und schlug mit der Faust an den Fensterrahmen. "Wir waren schließlich die Sieger. Ich fühlte mich als Sieger. Es war ein gutes Gefühl. Aber je mehr man darüber nachdenkt, je mehr man sich mit sich selbst auseinandersetzt, mit seinen Taten... Je mehr man heute in den Nachrichten erfährt..."
Ich hatte bisher nirgends einen Fernseher oder ein Radio entdeckt. Wie angekettet saß ich auf diesem blöden Holzstuhl, mußte mir das Gerede eines alten Mannes anhören, in einer Wohnung, welche diese Bezeichnung in keinster Weise verdiente. 'Weg! Ich will weg! Ich will einfach nur weg! Weg von diesem Irren!' Ich sah zu Woods. "Sir, bitte... Ich wollte nur meinen Ball."
Woods schaute auf den See aus Dreck, der sich im Zimmer seit vielen Monaten ausgebreitet hatte. "Ja, ich weiß... Hast du jemanden, der in Vietnam seinen Dienst verrichtet? Es ist meine letzte Frage, Charlie, versprochen!" Dann hob er seinen Kopf und schaute mich gequält an.
Ich sah direkt in seine müden, mit dunklen Ringen versehenen Augen. "Nein, Sir. Hab ich nicht."
"Es macht mich traurig, Kinderhasser genannt zu werden", murmelte er. Mit seiner Hand machte er eine kaum merkliche, kreisförmige Bewegung. "Du kannst gehen, wenn du willst." Er berührte den Rahmen des zerbrochenen Fensters. "Es war dein Ball. Aber wer war daran schuld?"
Nicht mehr das Gefühl zu haben, angekettet zu sein, erleichterte mich. Ich stand auf, wischte mir imaginären Dreck von meinen Armen und murmelte gedankenverloren: "Scott Baker war es." Ein letztes Mal sah ich zu dem alten Mann. Er stand am kaputten Fenster, den Regen betrachtend. Ich hörte wieder die Katze fauchen. Dann drehte ich mich um und rannte aus dem Zimmer. Ich rannte aus der Wohnung. Ich rannte aus dem Haus. Erst als kalte Regentropfen mein Gesicht berührten, ging ich in die Knie und übergab mich.

Knapp zwanzig Minuten später lief ich wortlos an meinen Eltern vorbei nach oben in mein Zimmer. Ich warf Wayne und Leroy raus, legte mich auf das Bett und atmete tief durch. Dann holte ich den Baseball aus meiner Hosentasche hervor. Es war ein wunderbarer Tag in New York gewesen. Mein Dad und ich hatten uns haufenweise Hot Dogs genehmigt, literweise Coke getrunken. Es war einfach einer der schönsten Tage in meinem Leben gewesen. Ich drehte den Ball ein paar Mal hin und her und warf ihn dann in die Ecke. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie es wohl wäre, den Waltons nicht nur in den Arsch zu treten, sondern sie gleichzeitig dazu zu zwingen, ihrem Sohn mehr Liebe zu geben. Wunschdenken, das war mir klar. Aber der Gedanke war schön. Gleichzeitig, ganz tief im Inneren von mir, fand ein Bild den Weg nach oben. Ein Bild, wie Leroy sich wohl verdient seine tägliche Tracht Prügel verdiente. Ich lächelte, obwohl ich es nicht wollte, drehte mich zur Seite und verdrängte den gesamten Nachmittag. So gut es ging.

Scott Baker starb vier Tage später. Keiner wußte warum. Man fand Katzenhaare in seinem Hals und an seinen Händen, dazu kleine Kratzer im Gesicht. Es herrschte Ratlosigkeit. Ich schwieg. Bei seiner Beerdigung roch es nach dem Ende des Sommers. Es roch gut. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich traute, wieder in den Hinterhof zu gehen, wo wir an einen Tag nach der Mondlandung miteinander die besten Spielzüge nachgespielt hatten. Woods Wohnung sah verlassen aus. Als ob nie einer jemals darin gewohnt hatte. So sah es jedenfalls aus. In das Haus zu gehen und es nachzuprüfen, wagte ich mich nicht. Die Angst war einfach zu groß.

Katzenhaare. Schwarze Katzenhaare.

Woods Katze war schwarz.

Den Baseball aus dem Yankee-Stadion warf ich schließlich eines Tages in den Mülleimer. Vorsorglich, damit Dad nichts mitbekam, hatte ich ihn in Zeitungspapier gewickelt. Die Zeit nach der Mondlandung, als der Vietnamkrieg seinen blutigen Höhepunkt erreichte... Es war die Zeit, als ich Baseball zu hassen begann. Ich baute mit Wayne noch ein paar Flugzeuge aus Streichhölzern nach, blieb ansonsten aber mürrisch in meinem Zimmer, las viel über den Zweiten Weltkrieg und erinnerte mich daran, was Woods zu mir gesagt hatte: "Es macht mich traurig, Kinderhasser genannt zu werden."

Ich wußte nicht warum, vielleicht waren es von vornherein bestimmte Vorgänge in mir, aber in aller Ruhe baute ich mir einen Hass auf die Welt auf. Vielleicht war der Ball an jenem Tag mit Absicht durch die Scheibe hindurch in Woods Wohnung gelandet. Vielleicht war es aber auch nur ein großer Zufall. Ich wurde älter und begann immer mehr, Kinder zu hassen. Monster, die es eigentlich gar nicht geben durfte.


ENDE


copyright by Poncher (SV)

26.08.2003

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Poncher,

Zu früher Stund darf ich also noch was von dir lesen, und es ist – trotz kleiner Schwächen, auf die ich noch zu sprechen komme – eine wirklich feine Story. Besonders die Wende, und das Ende kommen affengeil. Aus ist er, der amerikanische Traum von Baseball, Hot-dogs, Mondfahrt, und ebenso der Mythos vom gerechten Krieg. Alles am Höhepunkt zerstört, vom furchtbaren Debakel in Vietnam, den Studentenunruhen in Chicago, den Ermordungen von Martin Luther King und Robert Kennedy, und versunken in einem Matsch aus Zynik und Drogenexzessen. Bye, bye, Miss American Pie. Fast perfekt webst du diese zeitgeschichtliche Wende in den USA in deine Geschichte ein, aber gerade darin sehe ich auch das erste Problem: Genau diese Thematik kennen wir alle schon zu genüge. War sie einst ein ernstzunehmender Diskurs der Generation, die nach Vietnam geschickt wurde (Tim O'Brien, Oliver Stone), ist sie mittlerweile schon so oft durch alle Unterhaltungsmedien recycled worden, dass sie uns lediglich als verwässertes Klischee erhalten ist. Und jetzt frage ich mich eben: Warum muss auch noch ein deutscher Autor, der weder geografisch noch zeitlich irgend einen Bezug dazu hat, diese Thematik aufgreifen, wenn wir sie eh schon alle durch Hollywood Filme und King Romane kennen?

Ich will nicht nörgeln, sondern mache nur eine ernstgemeinte Beobachtung. Rainer hat das auch schon mal in einer Kritik zu einer Story von dir zur Sprache gebracht. Das ist eine geile Story, und du hast ein wahnsinns Talent, aber wenn du es wirklich ernst meinst, mit deiner Schreibe, also professionell schreiben willst, wirst du früher oder später eine eigene Stimme finden müssen. Nicht mehr nur unterhaltsame Nachahmungen, sondern Originale liefern müssen.
Aber mal sehen, wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit. ;)

Kommen wir zum nächsten Problem: Recherche.

Wie ich schon sagte, fast perfekt zeichnest du hier ein klassisches Stück Americana – aber eben nur fast.

Joe DiMaggio, der wohl bekannteste amerikanische Baseballer, spielte zwar für die Yankees, aber von 1936 bis 1951. Er hörte also schon fast 20 Jahre vor deiner Handlung mit dem Spielen auf.

1969 ist hingegen für etwas anderes in die Annallen des Baseball eingegangen, denn es war das erste Mal, dass die New York Mets die World Series gewannen. Die Yankees hatten zu der Zeit eine recht schwache Phase.

Billige Wohnblocks, in denen bis zu zehn Familien Unterschlupf fanden, um ihr ereignisloses Leben leben zu können.

In amerikanischen Kleinstädten (ich nehme an Greyenne ist eine) sind Einfamilienhäuser die Regel – auch für Ärmere. (Nahezu) unbegrenzter Raum, und eine billige Bauart (Holz), haben in Amerika den Bau von Wohnungsblocks ausserhalb von grösseren Städten nie nötig gemacht.

Jetzt zu ein paar "technischen" Angelegenheiten.

1. Warum benutzt Charlie seinen heißgeliebten Yankees-Ball zum spielen? Würde er sich den nicht ins Regal stellen, wo er sicher ist?

2. Mir hat Charlie nicht genug Angst, als er in Woods' Wohnung ist. D.h., er hat sicher große Angst, aber es kommt nicht ganz rüber. Wir "hören" zwar, was er denkt, aber seine Taten scheinen oft etwas anderes zu sagen. Kein Herzpochen? Kein Zittern?
Anderes Beispiel:

Kurz entschlossen nahm ich den Becher, setzte an, hielt einen Moment inne, und trank dann einen kleinen Schluck. Zu meiner Überraschung handelte es sich tatsächlich um Tee. Zitronentee. Zwar etwas bitter und bei weitem nicht so gut wie der meiner Mutter, aber immerhin ganz normaler Tee, und kein tödliches Gift. Erleichtert stellte ich den Becher auf den Tisch.

Wenn Charlie meint, Woods wäre ein Kindermörder – was er ja denkt – würde er wahrscheinlich nicht "kurz entschlossen" aus dem Becher trinken.

3.

'Wincher´s Cars'

Ist ein Name kursiv gesetzt, sind Anführungsstriche, soweit ich weiß, nicht mehr notwendig.

4. Und zu schlechter letzt:


Aaaaaaaaaaaarrrrrghhh!!! :heul: :bonk:

;)

Aber gut, eher stilistische Kinkerlitzchen, wie du siehst. Die Story ist auch so mehr als genießbar. Wenn du auf irgend einen Teil meiner Kritik hörst, dann lieber auf den ersten, der ist wichtig.

Gruss,

I3en

 

Hi Poncher,

eine wirklich gute Geschichte, die mich von den Umschreibungen der Szenen her sehr gefesselt hatte.

Aber das Ende?

Naja, mal ganz davon abgesehen, dass sich in einem Armenviertel bestimmt genug schwarze Katzen herumtreiben, ist mir die Todesart unverständlich geblieben.

Der Junge hat ein paar Kratzer abbekommen und ist an einer Katze erstickt???
Oder wie war das zu verstehen?

Auch den Wechsel kann ich nicht ganz verstehen?
Was hat die Zerstörung des amerikanischen Traums - eine Initiation, die Amerika vielleicht mal wieder dringend nötig hätte, das ist positiv zu verstehen... - mit Kinder hassen zu tun?
Weil sie in der Regel als Zunkunft gelten?
Da fehlt mir die Verbindung komplett.

Was ist der Grund für seinen Hass?
Die Tatsache, dass ein Held im 2. Weltkrieg als Kindermörder gilt, weil er nicht ein paar tausend Meter nach unten sehen kann?
Weil Ungerechtigkeit in der Welt sich verteilen muss?

Sorry, aber da hättest Du Dir - meiner Meinung nach - zum Ende ein wenig mehr Umschreibung einfallen lassen können, wo der Rest doch so schön beschrieben ist...

Ansonsten eine wirklich gute Geschichte, die einen unweigerlich in seinen Bann zieht.

Henry Bienek

 

Hi Poncher,
hab deine Story in einem Rutsch durchgelesen!
Gute Dialoge, guter Spannungsaufbau und auch die Gedanken des Jungen konnte ich nachvollziehen.

Allerdings habe ich die ganze Zeit auf etwas SCHRECKLICHES gewartet...
Das Ende hat mich dann eher nachdenklich gemacht.
Hat der Alte den Jungen verflucht/verhext oder ist der Tod nur ein Zufall?Glaub ja kaum, dass er einen Katzenburger essen wollte- oder doch?:eek2:

Im Ganzen hat mich die Geschichte stark an King erinnert.

Grüße
Ilyas

 

Hallo Ponch!
Ehe ich mit meiner (ungewohnt kurzen) Kritik beginne möchte ich eines voranstellen: Es handelt sich wie immer um meine ganz persönliche, unqualifizierte Meinung, die keinen Einfluss auf deine Schreibe nehmen soll, okay?

Grundsätzlich halte ich dich für einen der wenigen, wirklich guten Schreiber hier, die es durchaus schaffen könnten, von den Verlagen ernst genommen zu werden.
Allerdings habe ich angesichts deiner letzten Geschichten - eingedenk dieser - ein wenig Zweifel, ob du dir dessen überhaupt bewusst bist.
Deine Geschichten lassen sich für mich in drei Kategorien teilen:
1.) Originelle Geschichten, die man ohne weiteres in eine Anthologie mit bekannteren Autoren stellen könnte, etwa "Ballast".
2.) Netten Zwischendurch-Vertreib, den man nach zwei Stunden wieder vergessen hat.
3.) Belangloser Müll, der immerhin noch besser ist als 98% der hier geposteten Geschichten.

Punkt 2 und 3 überwiegen bei dir seit jeher. In letzter Zeit bleibst du meiner Ansicht nach auf Punkt 3 stehen.
Ich will das näher erläutern: Du hast ein paar Standard-Themen wie Zombies, Werwölfe, wahnsinnige Wissenschaftler/Herrscher. In deinen besten Momenten setzt du die Motive gekonnt ein und machst gute Unterhaltung daraus.
Allmählich hege ich jedoch die Befürchtung, dass bei dir nix Neues mehr dazu komme. So, als wärst du ein Schachspieler, der immer das selbe System spielt, weil es sich "bewährt" hat - und dabei nicht merkt, dass er in ein Muster verfallen ist, das ihn in einer Schleife gefangen hält.

Das hier ist so eine typische Müll-Geschichte: Amerika in den ...er Jahren, Vietnam-Trauma, Baseball oder ein anderer am. Sport, Joe, Jack und Peggy-Sue, irgend was Seltsames dazu gemixt und fertig. Du weißt, wie ich solche Texte bezeichne: Beliebig. Es braucht keinen Ponch, um solch millionenfach geschriebenen, langweiligen Zeilenschinder zu schreiben.
Ich will bei "meinen" Autoren das Gefühl haben: "So kann nur der/die ... schreiben." Und, Entschuldige!, das fehlt mir bei deinen letzten Geschichten völlig. Da ist kein Feuer dahinter, keine Leidenschaft, keine Ecken und Kanten. Das ist lieblos hingeschluderter "Tausendmal gelesen"-Trivialmist. Nichts, absolut nichts an dieser Geschichte erzeugt in mir irgend ein Gefühl, außer gedehnter Langeweile. Die Story zieht sich hin, irgendwann flehe ich den Autor an, mir doch wenigstens eine nette Pointe zu präsentieren, für die sich das Lesen lohnt. Aber nichts da.
Das ist auch insofern ärgerlich, als du eben nicht gerade ein Stilist bist, der mich mit seiner Schreibe verzückt. Ganz zu schweigen von den flachen Charakterisierungen.
Besinne dich deiner Stärken! Das waren die abgefahrenen Plots, die den Leser in den besten Momenten über die Klischeefiguren und oft dämlichen Dialoge hinweg sehen ließen.

Das vermisse ich in letzter Zeit bei dir. Der Masse an "konventionellen" Lesern mag es völlig gereichen, eine gewöhnliche Werwolf-Geschichte zu lesen oder Storys wie diese. Vielleicht irre ich und du bist auf dem richtigen Wege, "es" zu schaffen.
Aber jemanden wie mich stößt du damit vor den Kopf und enttäuschst ihn bitter. Ponch verschwimmt immer mehr und wird zu einem der unzähligen King/Hohlbein-Epigonen, um es drastisch auszudrücken.

Meiner Meinung nach solltest du zu dir zurück finden. Scheiß auf das, was gut ankommt; scheiß auf konventionelle Handlungsmuster. Höre auf deine innere Stimme und schreibe so, wie du früher geschrieben hast: Von der Leber weg, ganz frech! Klar, da kam viel Müll raus - aber auch verblüffend Originelles.
Du kannst natürlich auch so weitermachen und Schema F weiterknüpfen. Entwickeln wirst du dich damit gewiss nicht. Und das fände ich schade, angesichts deines Talents.

 

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