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Der Kippensammler

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22.01.2006
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Der Kippensammler

1 – Der Beutel

Das kleine Beutelchen in seiner Hand füllte sich rasch. Da, schon wieder eine!
Behände griff er nach dem kleinen, gelben Stummel auf dem Bürgersteig, hob ihn auf und legte ihn in die Tüte. Das lief richtig gut heute!
Es ist ein Scheißjob, aber einer muss ihn ja tun, dachte Hans und lachte dabei vor sich hin.

Die Leute, die Hans schmunzelnd mit seinem Zigarettenmüllbeutel die Straße entlang gingen sehen, schauten ihn teils mitleidig und teils mit Abscheu an.

Dabei war er kein Penner, nein, Hans hatte einen festen Wohnsitz und eine kleine, aber zum Leben ausreichende Rente. Was ihn trieb war also nicht die Sucht nach Gratisnikotinresten.

Es war etwas anderes.

2- Der Sarg

Vor zwei Jahren stand Hans am frisch ausgehobenen Grab seiner Frau und sah zu, wie langsam der Sarg eingelassen wurde. Es war eine stille Beerdigung, außer Hans war niemand da. Sie hatten keine Freunde und auch keine Verwandten mehr. Als der Sarg den Boden berührte, wurde sich Hans schlagartig seiner nun eingetretenen Einsamkeit bewusst.

Was sollte er jetzt nur ohne seine Liese tun? Sie hatten alles zusammen gemacht, alles geteilt. Sie war die große Liebe seines Lebens, und jetzt war sie fort. Tot, eingesperrt, ins Erdreich verfrachtet.

Und nun? Die Nachbarn wegen falschem Parken anzeigen? Eine Weltreise machen? Eine Bank überfallen? Noch mal studieren? Oder einfach vorm Fernseher vegetieren bis es zu Ende war? Nein.
Als Hans damals den Friedhof endlich verließ, wusste er nur, dass er eine Aufgabe brauchte, irgendetwas das einen Sinn ergab und das Liese verstanden hätte.

3 – Das Regal

Völlig durchgefroren, aber mit sich und seinem Tagwerk zufrieden, schloss Hans seine Wohnungstür auf. Noch bevor er sich auszog ging er direkt zu seinem Archiv. Er nahm das Vorhängeschloss in die Hand und entriegelte es. Dann zog er die schwere Tür auf und machte sich an die Arbeit. Den Beutel mit Kippen schüttete er sorgfältig auf den Holztisch. Noch schnell das Vergrößerungsglas zurechtgerückt und schon konnte der Spaß losgehen. Doch halt!
Nicht so überhastet, mein Freund, dachte Hans. Mach es richtig.

Also stand Hans noch einmal auf, zog sich erstmal richtig aus und hängte alles ordentlich auf. Dann ging er in die Küche und machte sich einen schönen, heißen Kaffee.

Jetzt konnte es losgehen. Auch das Fernglas lag bereit, er hatte einen optimalen Blick aus dem Fenster.
Mal sehen. Der Lippenstift kommt mir direkt bekannt vor. Ja, das ist ganz bestimmt wieder Frau Krüger gewesen.
Eifrig sortierte er die Stummeln auf dem Tisch zu kleinen Grüppchen. Dann begann er die vorsortierten Zigarettenreste in das große Regal mit den Holzkästchen einzuordnen. Jedes Fach war sorgfältig mit einem Namensschild versehen.
Von Frau Krüger aus Haus 10 hatte er diesmal vier Stück gefunden. Herr Özlan von gegenüber kam sogar auf neun Zigaretten.

Als Hans schließlich seinen heutigen Fang erfolgreich in die Fächer eingeräumt hatte, war es auch schon dunkel. Er sah noch mal zum Abschluss durch das Fernglas und beobachtete schmunzelnd Lars, diesen Halbstarken aus Haus Nummer Fünf, wie dieser achtlos seine Kippe ins Gebüsch schnippste.
Da weiß ich ja, wo ich morgen suchen muss, dachte Hans und grinste schief.

Zufrieden stand er auf und ging zum Kühlschrank. Er nahm sich das Fertiggericht für Montag heraus, bereitete es in der Mikrowelle zu und verspeiste es in seinem Sessel. Dann legte er sich schlafen.

Gute Nacht, Liese, dachte er noch, bevor er wegdämmerte, ich vermisse dich so…

 

Die Leute, die Hans schmunzelnd mit seinem Zigarettenmüllbeutel die Straße entlang gingen sehen
umgekehrt: gehen sahen
Es war etwas anderes.
ok, mach den Satz weg, der Leser kommt sich verarscht vor, weil das ja wohl klar ist
wie langsam der Sarg eingelassen wurde.
wie der Sarg langsam eingelassen wurde
Hi StBSchwarz,
ok, die Geschichte gefällt mir besser als deine andere, aber warum zur Hölle sammelt er die Dinger?
Und woher will er wissen, dass einige von Herrn Özlan sind?
Bruder Tserk

 

Danke für die prompte Kritik und das darin versteckte Lob :-)

Warum er die sammelt? Er ist alt, einsam und schrullig geworden. Ohne seine Frau sucht er verzweifelt Sinn im Leben und hat ihn für sich darin gefunden die Kippen der Leute aus der Nachbarschaft einzusammeln und einzusortieren. Mit der Zeit ist er so gut darin, dass er genau weiß, wer welche Marke raucht, wo er sie meistens raucht, wie er sie austritt oder ausdrückt, welche Spuren wer hinterläßt. Deshalb weiß er auch welche Kippen z. B. von Herrn Özlan sind. Dass er das kann, zeigt nur wie besessen er von der Sortiererei ist

 

Dachte ich zuerst auch, aber das hier

irgendetwas das einen Sinn ergab und das Liese verstanden hätte.
hatte mich stutzig gemacht.
Bruder Tserk

 

Der Einwurf von dir ist nicht schlecht, Tserk.
Allerdings ist es halt so, dass die Sammlerei für IHN einen Sinn macht, für jeden normal sterblichen nicht. Er glaubt deswegen auch, dass sie ihn verstehen würde, dabei wäre Liese wahrscheinlich entsetzt über den Irrsinn seiner Alltagsgestaltung. Aber er kann das nicht mehr erkennen.
Einsam und senil, ich finde das ist das schlimmste was einem später passieren kann (außer Krankheiten wie Alzheimer u. ä. natürlich).

 

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