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Der kleine Bub und der Bach
Das ist ein guter Platz. Meistens steht hier eine, weil die Steine optimal sind.
Er freut sich sie zu sehen, im Gedanken grüßt er sie dann und sagt: “Hallo Forelle, ein schöner Fisch bist du.“
Dann schaut er ihr noch einwenig zu wie sie elegant in der Strömung steht und oft erinnert er sich an den Tag an dem er zum alten Mann wurde.
Es grenzte an Verehrung, wenn er seinen Onkel dabei beobachtete, wie dieser mit den vom kalten Wasser geröteten Füßen im Bach watete, wobei dieser seine Hände tastend unter die Steine steckte. Oft sprang der Onkel dann plötzlich auf und mit großen Sätzen Bach abwärts, um dann ebenso plötzlich in leichter Grätsche, den Blick auf die Stelle vor sich gerichtet, stehen zu bleiben.
„Onkel!“, rief er. „Wie machstn das mitn Fischn?“
„Nicht jetzt“, sagte der Onkel. „Ich hab grad eine“
„Zeig!“
„Schhht!“, zischte der Onkel.
Einen Moment später hielt er eine kleine Bachforelle in den Händen.
„Zu klein“, sagte er und ließ sie ins Wasser zurück gleiten.
Dann sagte er schon wieder suchend: „Ganz einfach, wenn du den richtigen Stein gefunden hast, musst du langsam mit beiden Händen, so nahe wie möglich am Grund, unter den Stein tasten. Wenn du dann eine spürst musst du noch viel langsamer versuchen ihren Körper zu umfassen. Dann brauchst du sie nur noch aus dem Wasser zu bringen und das wars.“
„Hmm, darf ich mal probieren“
„Nein nicht jetzt. Ein andermal vielleicht. Pass du nur auf, dass niemand kommt!“
Dann fragte er:„Wie weiß man eigentlich welcher der richtige Stein ist?“
Schulterzuckend mit dem Blick nach vorne gerichtet antwortete der Onkel: „Man weiß es einfach.“
Damit war das Gespräch beendet, denn beim Fischen darf man nicht reden und beim Schwarzfischen sollte man es tunlichst vermeiden.
Gleich nach dem Mittagessen schlich er sich hinunter zum Bach. Dort zog er die Turnschuhe aus und warf die Socken daneben ins Gras. Die Hosenbeine krempelte er bis über die Knie. Den Pullover zog er aus wie es der Onkel auch tat. Es war kühl. Er bekam eine Gänsehaut.
„Ist doch egal, denn richtigen Fischern kann die Kälte nichts anhaben“, dachte er.
Nachdem er im Wasser stand ärgerte er sich schon über diesen törichten Gedanken. Hunderte Eiszapfen wurden ihm gleichzeitig in die Füße getrieben. Unwillkürlich stiegen ihm die Tränen in die Augen. Er sprang hinaus auf die Wiese doch der Schmerz hielt an. Ein Biss auf die Unterlippe half ihm dabei nicht laut los zu schreien. „Da muss ich durch“ sagte er zu sich und stieg zurück in den Bach.
Der Schmerz war so unerträglich, dass nun Tränen über seine Wangen liefen.
Abwechselnd hob er das rechte und das linke Bein aus dem Wasser.
„Haltet durch Füße, bitte haltet durch.“ Nach einigen Minuten waren seine Füße betäubt.
„Den richtigen Stein, den richtigen Stein.“ sagte er leise vor sich hin.
„Dieser“, doch als er versuchte mit den Fingern darunter zu tasten wurde ihm schnell bewusst, die Hände hatten sich nicht automatisch an das eiskalte Wasser gewöhnt. Das Unbegreiflichere aber war, es gab kein darunter. Der Stein lag fest auf dem grob sandigen Bachbett auf.
Der nächste Stein den er anvisierte, war ein großer ovaler. Das Meiste des Steins war mit Gräsern und Moos überwuchert, nur ein kleiner Teil wurde vom Wasser unterspült. Er sagte zu sich: „Wenn ich ein Fisch wäre, ich würde diesen Stein nehmen. Er bietet Schutz und die Strömung treibt allerlei Getier direkt darunter.“ Sachte näherte er sich dem Stein. Langsam ließ er seine Hände ins Wasser gleiten. Für einen Moment blitzte etwas Dunkles an seiner Seite auf. „Das könnte eine gewesen sein“, dachte er. Hielt sich aber nicht länger bei dem Gedanken auf. Die Stelle hier war flach. Das Wasser reichte gerade über die Knöchel. Trotzdem hatte er Mühe unter den Stein zu langen. Seine Fingerspitzen fühlten keinen Widerstand als sie am Sand entlang Richtung Ufer tasteten. „Wenn unter diesem Stein ein Flusskrebs wohnt und mich zwickt?“, dachte er. Inzwischen waren seine Hände schon bis zu den Gelenken unter dem Stein.
„Oder schlimmer, wenn der Stein kippt und mir die Hände zerquetscht.“
Seine Hände waren mutiger.
„Wie tief das Wasser den Stein unterspült hat.“
Da war sie. Behutsam erfühlte er in welche Richtung sie stand. Ein Stromschlag durchfuhr seinen Körper als sie mit einer schnellen Bewegung ein Stück tiefer unter den Stein schwamm. Ihre Chance zu entkommen war jetzt nur noch sehr gering. Mit Daumen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand packte er sie jetzt hinter der Schwanzflosse und zog sie langsam unter dem Stein hervor. Sobald es möglich war nahm er die Linke zur Hilfe und fasste sie am Kopf. Sie war so klein, dass sich seine Hände berührten. Als er sie an Land gebracht hatte betrachtete er ihre Zeichnung. Rote violette und blaue Punkte mit weißer Umrandung auf dunkelgrünem Grund. Die Kiemen suchten krampfhaft Sauerstoff aus dem unbekannten Element Luft zu filtern. Sie war klein und hilflos. Sie tat ihm leid. Also entließ er sie in ihren Lebensraum. Er hatte mit bloßen Händen einen Fisch gefangen. Es machte ihn stolz, doch er wollte nicht irgendeinen Fisch fangen, er wollte den Fisch fangen. Er wusste genau die Stelle wo er sich aufhielt.
Es war nicht viel Fantasie nötig, um im vom Wasser freigelegten Wurzelwerk kleinere Wehrtürme und Gesindehäuser zu entdecken. Die weißen Schaumkronen, wo das Wasser brach, bildeten die Zinnen auf der mächtigen Front des Schlosses, welches links und rechts von vielen schlanken Türmen begrenzt wurde. Ehrfürchtig stand er da und betrachtete den kleinen Teich der sich am Fuße des Wasserfalls gebildet hatte. Unsicher stakste er in seine Mitte. Dann drehte er sich nach links um die Steine dort zu begutachten. Die aufgekrempelte Hose war inzwischen nass geworden.
„Fisch ich werde mich deiner würdig erweisen“, sagte er leise. Eigenartig ich spreche mit einem Fisch.“ dachte er, doch mit der Bewegung mit der er unter den ersten Stein fasste, wischte er diesen Gedanken aus seinem Hirn und ließ ihn vom Gurgeln des Wassers mitnehmen.
Es war viel Raum unter diesem Stein und so musste er sich weit vorn überbeugen. Außer Wurzeln und Blätterwerk konnte er nichts ertasten. Die kleine Hoffnung, sie hier zu erwischen, war hiermit wieder bei den Sternen.
Er holte tief Luft um dann entschlossen einen Schritt nach vor zu tun. Langsam ließ er beide Hände unter den Stein in der Mitte des Wasserfalls gleiten. Den Kopf musste er zur Seite legen damit er atmen konnte, während ihm das Wasser über Schultern und Rücken strömte.
Beide Hände waren jetzt gut unter dem Stein positioniert. Sollte der Fisch hier sein dann gab es kein Entkommen mehr. „Nur jetzt keinen Fehler machen.“, sagte er zu sich. Langsam schob er seine Hände noch ein Stück tiefer unter den Stein. Ganz deutlich konnte er ihre Flanke spüren. Die Forelle stand ruhig im Wasser. Der Rumpf des Fisches war riesig. „Ich werde sie nicht umfassen können“, dachte er.
„Fisch bitte halte still“
Ein Gedanke, wie ein Fremdkörper machte sich in ihm breit „Warum willst du mich fangen“
„Was für eine eigenartige Frage. Fische fängt man damit man sie essen kann.“ sagte er.
Haare und Hose waren inzwischen durch und durch nass und sein Körper bedenklich unterkühlt.
Er kniete nun vor dem Stein und dem Fisch.
Fisch warum bleibst du so ruhig stehen? Warum wehrst du dich nicht? Fisch ich habe von dir geträumt. Fisch wir sind Brüder. Fisch ich will dich nicht töten. Fisch ich will dein Freund sein. Töten sich Freunde Fisch? Fisch verzeih ich will einmal in meinem Leben bewundert werden. Versteh doch. Fisch bitte hilf mir. Fisch wie bist du an meiner Hand vorbei gekommen. Fisch du blickst mich an als verstündest du mich.
Fisch warum hast du dich fangen lassen? Fisch ich gebe dich wieder frei. Du bist ja verletzt Fisch. Jetzt muss ich dich töten um dich von deinem Leiden zu befreien. Gleich geht’s dir besser Fisch. Jetzt bist du tot Fisch und ich reiß dir die Eingeweide raus.
Tränen liefen über seine Wangen und machten mit ihrem Salz den kleinen Bach zum Meer und ihn zu einem alten Mann.
Die Bachforelle hob den Kopf aus dem Wasser neigte ihn einwenig zur Seite und sprach:
„Ich wünschte ich wäre ein großer Thunfisch“. Dann zwinkerte sie noch spitzbübisch und über sich selbst lächelnd verschwand sie in der Strömung.