Was ist neu

Der Koch, die Kellnerin, Pepe und das Boot

Seniors
Beitritt
14.08.2012
Beiträge
2.274
Zuletzt bearbeitet:

Der Koch, die Kellnerin, Pepe und das Boot

Während Vincent an seinem gewohnten Tisch vor der Hafenkneipe saß und ein Bier trank, dachte er darüber nach, warum der Kater nur jeden zweiten Tag beim Boot vorbeischaute. Manchmal kam Charlie morgens, manchmal tagsüber, manchmal abends. Aber nur alle zwei Tage, nie öfter, nie seltener. Am Tag, als Vincent angelegt hatte, war Charlie an Deck der Luna gesprungen und hatte ein paar Runden gedreht, neugierig wie Katzen nun mal sind. Dann war er am dritten Tag gekommen, am fünften, am siebten, und so weiter, die ganzen zwei Wochen hindurch, verlässlich wie ein Uhrwerk. Was trieb er in der Zwischenzeit? Gestern hatte sich der Kater erstmals von Vincent berühren lassen, zögerlich nur und ganz kurz. Dann hatte er sich das Fischstück aus seiner Hand geschnappt und war wieder verschwunden.
Über das verwaiste Möwenjunge Pepe, das der Koch hier in der Kneipe großzog, dachte Vincent auch nach. Würde das jemals fliegen lernen? Warum sollte es, überlegte er sich. Hier bekam Pepe doch alles, was er brauchte. Luca hatte ihm in einer Pappschachtel ein Nest bereitet, fütterte ihn mit Haferbrei und Fischsuppe und quatschte den lieben langen Tag zu ihm, als wäre der Vogel ein Menschenkind. Das war doch weit mehr, als den meisten Lebewesen auf dieser gnadenlosen Welt vergönnt war. Wusste Pepe überhaupt, dass er fliegen könnte, wenn er nur wollte? Dachte Pepe darüber nach, wie groß der Himmel war und wie endlos der sich erstreckte?

Beinahe unmerklich hatte es zu regnen begonnen. Ganz sanft nur, eher zu erahnen, als zu hören, nicht mehr als ein leises Rascheln auf der Markise. Aber die Gerüche veränderten sich. Der Staub der Straße und die Erde in den Blumentöpfen, die dürren Grasbüschel zwischen den Steinplatten der Mole und die blühenden Robinien hinter ihm, alles schien jetzt einen intensiveren Duft zu verströmen.
Vincent schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, in einer warmen Sommernacht vor einer sizilianischen Hafenkneipe zu sitzen, am Meer. Das Meer zu riechen und unzählige Frösche von der nahen Flussmündung her lärmen zu hören. Er versuchte sich vorzustellen, wie vom Gezirpe der Zikaden die Luft zu vibrieren schien und hin und wieder ein fremdartiger Vogelruf ertönte. Dass Vögel auch in der Nacht singen, war ihm früher nie aufgefallen, aber möglicherweise, dachte er, musste man erst ein gewisses Alter erreicht haben, um solche Dinge wahrzunehmen.
Die Vorstellung, momentan nicht einen Traum, sondern sein wirkliches Leben zu erleben, gefiel ihm. Und ihm gefiel auch der Mond, der über dem Hafenbecken hing und sich durch die wenigen Wolken nicht beirren ließ, auch nicht durch das Getöse der Frösche und Zikaden, das in Wahrheit ja ohnehin kein Getöse, sondern vielmehr so etwas wie ein leises, äonenaltes Raunen war. Wie das Echo aus einem längst vergangenen Zeitalter dieser seltsamen Erdenwelt. Uralt und unergründlich. Vincent nahm den Bleistift und das Notizbuch aus der Tasche und versuchte, seine Gedanken aufzuschreiben, bevor er sie vergaß.

Franca brachte ihm noch ein Bier und bat ihn, die leere Flasche und den Aschenbecher aufs Fensterbrett zu stellen, wenn er dann ginge, er sei der letzte Gast. Sie sei spät dran, sie müsse zusperren und sehen, dass sie nach Hause käme. Aber dann blieb sie noch ein Weilchen an seinem Tisch stehen und fragte ihn, was er schriebe.
Vincent sagte ihr, er schriebe ein Gedicht und grinste sie an, so verschlagen, wie es ihm nur möglich war, so dreckig, wie er sich vorstellte, dass Hemingway gegrinst hätte, wäre der in einer warmen Sommernacht in einer sizilianischen Bar gesessen und eine Kellnerin hätte ihn gefragt, was er schriebe. Franca war eine ungemein schöne Kellnerin obendrein. Mit schwarzem Haar, heller Haut und verklärtem, melancholischem Blick. Als wäre sie einem Gemälde Rossettis entstiegen.
„Bist du etwa ein Dichter?“, fragte sie ihn.
„Nein, nein“, sagte er, „nur ein ganz gewöhnlicher Mann.”
Sie lachte. Vincent fragte sie, ob sie ein Glas Wein mit ihm trinken wolle.
„Ja, gerne. Ein kleines. Mein Mann wird mir schon nicht davonlaufen.“ Sie holte Wein und zwei Gläser, nahm die Schürze ab und setzte sich zu ihm. Bat ihn um eine Zigarette.
Sein Italienisch war mehr schlecht als recht. Aber das machte nichts. Er erzählte ihr vom Boot und von dem kaputten Segel und von seiner Heimatstadt und von seinem älteren Sohn und von seinem jüngeren Sohn, und dass die Luna sozusagen sein drittes Kind sei, seine Tochter - la mia barca, mia figlia - und immer wieder brachte er sie zum Lachen und er hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt verstand, was er da quatschte.
„Und ist deine Frau eifersüchtig auf das Boot?“, fragte sie ihn. - E tua moglie è geloso della barca? - Das verstand selbst er. Er liebte diese Sprache.
„Ist die Sonne eifersüchtig auf den Mond?“, fragte er zurück.
Und wieder lachte sie. „Du bist ja doch ein Dichter, ich hab’s gewusst.“
Dann rauchten sie schweigend, schauten hinaus aufs Meer oder hinauf zum Mond oder lächelten sich an.
Ein paar spätheimkehrende Möwen landeten auf der Kaimauer und es kam zu einem kleinen Tumult, als sie sich zwischen die schon schlafenden Vögel drängten, kurz war halbherziges Flügelschlagen und schlaftrunkenes Gekreische zu hören. Dann kehrte wieder Ruhe ein.
„Wie geht’s dem kleinen Pepe?“, fragte Vincent.
„Pepe ist weg.“
„Ach du Scheiße … eine Katze?“
„Keine Ahnung. Der arme Luca ist völlig fertig.“
„Verdammt. Aber ... na ja, Franca, Pepe war nur ein Vogel. Was hat Luca denn geglaubt? Dass er ihm Kunststücke beibringen kann oder gar das Sprechen?“
Er sei herzlos, sagte sie. - Siete senza cuore, Vincenzo. - Es klang, als sänge sie ein Lied.
„In Wahrheit bist du Sängerin, stimmt‘s?“, fragte er.
„Nein, nein, nur eine ganz gewöhnliche Frau.“
Wieder lachte sie, streckte den Arm über den Tisch und strich Vincent die Haare aus dem Gesicht.
„Lass mich doch deine Augen sehen“, sagte sie.
„Nur wenn du mir dafür eine Geschichte erzählst.“
Sie verdrehte theatralisch die Augen. Dann blickte sie in den Himmel.
„Als ich ein kleines Mädchen war, hat mir mein Bruder einmal eine Krabbe vom Strand mitgebracht. Ich habe ihr ein paar Vogelfedern auf den Panzer geklebt und einen Bindfaden drangebunden und sie dann durch die Luft gewirbelt. Ich habe geglaubt, dass sie so das Fliegen lernt. Damit sie den Möwen entkommen kann und nicht gefressen wird. Na ja, ich war damals höchstens fünf oder sechs.“
„Eines natürlichen Todes ist das arme Kerlchen vermutlich nicht gestorben, was?“
„Nein. Irgendwann ist der Bindfaden gerissen.“
Sie nahm einen Schluck Wein.
„Hast du gewusst, Vincenzo, dass es das Sternbild Krabbe gibt?“
„Du meinst den Krebs?“
„Nein, die Krabbe. Ist am Südhimmel, glaub ich. Ach, ich weiß es nicht. Aber immer wenn ich in den Sternenhimmel schaue, muss ich an die arme Krabbe denken.“
Vincent schenkte Wein nach. Wie lange er noch bliebe, fragte sie ihn und er antwortete, dass er es nicht wisse, weil er noch immer auf das neue Segel wartete. Dann schwiegen sie.
„Mein Mann betrügt mich“, sagte sie plötzlich und blickte dabei zu Boden. „Erzählt mir was von Nachtschichten in der Werft, der Dreckskerl. In Wahrheit hat er eine Geliebte. Schon seit zwei Jahren.“
Sie hatte einen Schuh abgestreift und ließ ihn gedankenverloren von den Zehen baumeln. Vincent betrachtete ihren nackten Fuß, die zierliche Fessel, die schlanke Wade. Dann sah er wieder hinaus aufs Meer.
„Vermutlich bist du ihm zu schön. Vermutlich ahnt er, dass er dich nicht verdient hat.“
„Ich habe ihn wirklich geliebt.“
„Dinge gehen kaputt, Franca … Dinge gehen kaputt, die Liebe geht zu Ende, Menschen sterben und Küken werden flügge.“
„Ich weiß. Aber weh tut’s trotzdem.“
„Ich weiß.“ Er berührte ihre Hand und sie ergriff seine Finger.
„Pepe wird wohl davongeflogen sein“, sagte sie ganz leise. „Ich wünsche es mir so sehr. Am weitesten sieht, wer am höchsten fliegt. Das ist ein Sprichwort hier bei uns.“ Eine Träne lief über ihre Wange.
„Willst du mit aufs Boot kommen, Franca?“
Sie blickte aufs Meer und schwieg. Minutenlang.
„Nein“, sagte sie schließlich und lächelte ihn an. „Aber ich find’s schön, dass du mich gefragt hast.“
„Ich gehe nach Hause“, sagte sie dann, stand auf und strich mit einem Finger über seine Wange. „Ciao, Vincenzo. Pass auf dich auf.“
„Ciao, Franca, bis morgen “, sagte er.
Sie ging.
Er blieb sitzen, schaute hinüber zur Luna und dachte daran, dass er morgen das Segel bekäme und spätestens zu Mittag auslaufen würde.
Er fragte sich, ob er nicht versuchen sollte, ein Gedicht zu schreiben. Über ein verwaistes Möwenkind, das nicht lernen wollte, zu fliegen. Oder über einen Mann, der seine Grenzen nicht erkennen will.
Dann entdeckte er Charlie. Der Kater stolzierte über den Platz, kam auf ihn zu, strich um seine Beine und sprang ihm schließlich auf den Schoß.
Charlie schnurrte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Da war wohl jemand im Urlaub ;)
Hey offshore,
ein schöner Text, mochte ich gerne. Das habe ich schon bei einigen Texten von dir gefühlt, diese leise und lebensbejahende Melancholie. Da ist auch immer diese schwelgerische Sehnsucht drin (nach der Jugend, nach vertanen Chancen?), diese leicht verklärte Romantik.
Ich habe mal deinen Milo und Lucie-Text gelesen, da fand ich einige Sachen ein bisschen zu kitschig, bischen zu sehr auf Herzzerreißen getrimmt, hier ist es souveräner. Dann natürlich auch ein kleines Geheimnis drin, dieses Unaufgeklärte hier mir dem Kater, solche Sachen magst du ja auch ganz gerne. Dann die Vogel-Symbolik, Freiheit und so, gut, das ist vllt ein Stück zu naheliegend, aber passt schon zu der gesamten Situation.
Ja, das ist dieses Unerfüllte, dieses Nostalgische, mit dem du wieder hier arbeitest, von diesem Gefühl lebt der Text. Du fängst eine intime Begegnung zwei von Sehnsucht erfüllter Menschen ein, die nur ihre Wirkung erzielen kann, weil ihre fragilen Wünsche nach Nähe zum Schluss auch weiterhin bloße Wünsche bleiben. Das ist auch irgendwie immer das schönste an dem ganzen Verhältnis zwischen Mann und Frau, dieser Zustand, der vom (noch nicht) erfüllten Begehren geprägt wird. Da steckt die eigentliche Magie drin, in diesem Knistern, in diesen Projektionen seiner Sehnsüchte auf den anderen, in dem aufregenden Unbekannten. Und, das fängst du ein, es bleibt dieser melancholische Hauch, ach, was wäre wohl gewesen.
Na ja, du bist ein sentimentaler Romantiker, offshore, da kann man nichts machen ;)
Vllt würde hier etwas Böses, ein kleiner, subtiler Bruch, der Geschichte eine interessante Facette verleihen, aber es wäre natürlich ein anderer Text.
Ja, wie gesagt, eine schöne Szene. Da gibts irgendwie einen russischen Song, ich glaube, er ist ein bisschen schnulzig, ich erinnere mich nicht so recht, aber da wird ein ähnliches Thema behandelt und als Symbolik werden zwei Segel bemüht, die sich für eine kurze Weile auf offener See begegnen, um aneinander vorbeizuschwimmen und sie sehen dann einander zu, wie sie langsam am Horizont verschwinden. Daran musste ich nach dieser Geschichte denken.
Sprachlich ist es unaufgeregt und angenehm zu lesen, aber das muss man bei deinen Texten eigentlich nicht extra erwähnen.
Nur hier

In einer Pappschachtel hatte Luca mit Zeitungspapier ein Nest gemacht
dieses "gemacht", das ist nicht so schön, da kannst du bestimmt ein präziseres Verb finden.
Und ja, ich hab jetzt nochmal drüber geschaut, hier, das noch
Wie lange er noch bliebe, fragte sie ihn dann und er antwortete, dass er es nicht wisse, weil er noch immer auf das neue Segel wartete.
„Mein Mann ist auch herzlos“, sagte sie leise und blickte dabei zu Boden.
Wieso auch? Außerdem ist es schon ein bisschen komisch, wie sie ganz ohne Bezug damit herausplatzt. Und lass deinen Prot ruhig ein bisschen mehr Italienisch können, sonst ist die Konversation ein wenig zu unglaubwürdig.
Grüße,
randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo offshore,

ja, ist auf jeden Fall ziemlich offshore, das Ding. Ist ein nettes, kurzes Stimmungsbild. Du redest gerne von Poesie, also von der Intention bzw. der Wirkung her ist auch ähnlich wie Poesie. So diese Stimmung einfangen und so. Das gelingt dir ganz gut. Viel mehr versuchst du auch nicht und .. ja. Ich musste an einen Film von Robert Duvall denken, Assasination Tango, komische Assoziation, genau weiß ich auch nicht warum, hab den Film vor Ewigkeiten gesehen, irgendwas im Ton vielleicht. Da gibts glaub auch einen älteren Typ und ne jüngere Frau.
Also der Text gefällt mir sicher nicht so sehr wie Much, da hast du dich mehr reingeworfen auch, hier ist das doch sehr gemütlich. Wie so ein Hesse-Gedicht fast. Oder Otis Redding vielmehr: I'm just sitting at the dock of the bay, watchin the tide roll away ...
Und dann die Kellnerin:
Willst mit aufs Boot?
Und sie: Ne …
Aber man kanns ja versuchen. Und manchmal ist so ein Korb doch ganz nett auch. Kann ich nachvollziehen. Es passt dann einfach zur Stimmung irgendwie.

„Nein“, sagte sie schließlich und lächelte ihn an. „Aber ich find’s schön, dass du mich gefragt hast.“

Ja, es gibt wirklich Frauen, die können so süß nein sagen, dass sie man sie fast schon mehr lieb hat als davor. (Manchen machen das auch wesentlich weniger nett.)
Wobei das meistens auch bisschen ältere Frauen sind. Relativ gesehen. Oder Italinerinnen halt, sie können das bestimmt auch ganz toll. Haben sicher viel mehr Übung darin.

MfG,

JuJu

 

Hallo ernst offshore,

Dürers Melancholia fällt mir wieder ein zu deiner Geschichte, besser ausgedrückt, zu deinem Stimmungsbild. Die Melancholie, so könnte man Dürers Bild interpretieren, geht durch diese lähmende Phase, um dann das zu tun, was die sie umgebende Dinge andeuten: Kunst, Philosophie, Wissenschaft.
Aus dieser Stimmung heraus muss ein Gedicht entstehen!
Worüber?
Was war die Stimmung des Autors, als diese Geschichte entstand?
Worüber?
Auf leisen Katzenpfoten schleicht die Geschichte, in der äußerlich wenig, innerlich viel geschieht, daher, schaut einen skeptisch an, lässt sich dann nach mehrmaligen Besuchen streicheln und beginnt zu schnurren, was nun auch wieder eine Geschichte sein kann, eine Katergeschichte eben.
Was ist der wichtigste Satz?

„Dinge gehen kaputt, Franca … Dinge gehen kaputt, die Liebe geht zu Ende, Menschen sterben und Küken werden flügge.“
„Ich weiß. Aber weh tut’s trotzdem.“
„Ich weiß.“ Er berührte ihre Hand und sie ergriff seine Finger.
Dinge gehen kaputt, das ist die eine Hälfte der Wahrheit, denn Dinge entstehen auch wieder.
(gebe es statt des Wortes „Dinge“ nicht bessere?). Die aufkeimende Liebe zwischen Franka und Vincent, das Gedicht …?
Schön hast du die tröstende Tierwelt eingearbeitet.
Auch hier eine Ambivalenz: Tiere kommen näher oder fliegen wie der Krebs weg.
So bewegst du, ernst offshore, die Personen und die Tiere auf einer melancholischen Oberfläche und ich habe den Eindruck, als würden sie nicht ungern melancholisch sein, denn Melancholie ist der erste Schritt zu einer Lebensänderung.
Noch geht Franka nach Hause?
Wahrlich, eine Geschichte für den November (und das ist keine melancholiebösartige Bemerkung).
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Tashmetum schrieb:
Erstmal so generell, ich finde den Text stellenweise sehr atmosphärisch und schön geschrieben. Gerade die Stelle nach dem Regen hat mir gut gefallen. Wirklich gut.
[...] Finde ich extrem schön geschrieben
[…] Mich würde noch interessieren, ob die Geschichte unter der Rubrik "Kurzgeschichte" laufen soll. Wenn ja, dann müsstest und könntest Du noch was am Spannungsbogen verändern. So liest sich das ganze eher wie eine Situationsbeschreibung, die teils wunderschön geschrieben, aber - sorry- wenig spannend ist.

Das soll jetzt nicht ignorant klingen, Tashmetum, aber ich persönlich sehe diese offenbar sakrosankten Anforderungen, die an eine „Kurzgeschichte“ gestellt werden, nicht unbedingt als in Stein gemeißelt und allgemeingültig und halte solche Schlagworte wie Spannungsbogen, Konflikt, Twist usw. für maßlos überbewertet. Aber es hat wohl jeder seine ganz individuellen Ansprüche an Lektüre. Na ja, und mir geht’s halt in erster Linie um die Sprache, um Atmosphäre, um .. ach verdammt, ich sag’s einfach: um viel Gefühl halt. Und das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass ich in aller Regel den Plot vernachlässige.

Diesen Absatz verstehe ich nicht so ganz. Ist er jetzt tatsächlich in Italien oder wie? Vorher schreibst du doch, dass er sich das vorstellt. ?! Oder habe ich was missverstanden?
Also das geht mir jetzt irgendwie ein wenig zu schnell... wie kann sie sagen, dass Pepe weg ist? Kennt sie den Koch?! Kennt sie die Möwe?!
Wie geht das, wo sich doch der Protagonist und die Kellnerin nicht zu kennen scheinen.

Ich muss dir noch sagen, dass ich gestern in der Nacht noch einiges an der Geschichte verändert habe. Einfach um die Situation eindeutiger zu machen.
Schon den ersten Satz ergänzte ich um ein Wort:
Während Vincent an seinem gewohnten Tisch vor der Hafenkneipe saß, …
Ich hoffe, dass jetzt die Ausgangssituation klarer ist: Vincent hängt seit zwei Wochen wegen des kaputten Segels in der Stadt fest, und verbringt die meisten Abende in dieser Kneipe. Deshalb kennt er Luca und Franca (flüchtig) und weiß auch von dem Möwenküken.

Warum erzählt er ihr nicht vom Kater und der Möwe? Das war doch zu Anfang der Geschichte wichtig! Ich will den Kater und die Möwe!!!
Ich hab eine gute Nachricht für dich, Tashmetum: Der Kater Charlie taucht jetzt am Ende noch einmal auf. (Und die Geschichte tappt dadurch möglicherweise endgültig in die Kitschfalle. Na und?)

Deine stilistischen Anmerkungen habe ich mir durch den Kopf gehen lassen und bei der Überarbeitung teilweise berücksichtigt. Vielen Dank dafür.

randundband, JuJu und Wilhelm bitte ich noch um etwas Geduld.

Euch allen erst mal vielen Dank.

offshore

 

Ahoj!

Eine sehr schöne Geschichte, bitter, süß und schwarz wie ein Espresso. Sprachlich auch sehr schön, aber was auch mich verwirrt hat, ist diese Stelle mit dem "Vorstellen" (2. Absatz).

Mir gefällt, dass sie ihm zuerst eine Rutsche legt ("mein Mann betrügt mich"), aber dann doch einen Rückzieher macht.

Fein das.
Alles Liebe
LM

 

Lieber offshore,

ich merke erst einmal ein paar Kleinigkeiten an:

Während Vincent an seinem gewohnten Tisch vor der Hafenkneipe saß und ein Bier trank, dachte er darüber nach, warum der alte Kater nur jeden zweiten Tag beim Boot vorbeischaute.
Vincent ist an dem Ort im Urlaub. Von daher fände ich liebgewordenen Tisch passender wie gewohnt - das zweitere hört sich so nach jahrelanger Tradition an. Liebgeworden klingt für mich kürzer.


Dann war er am dritten Tag gekommen, am fünften, am siebten, und so weiter, die ganzen zwei Wochen hindurch, verlässlich wie ein Uhrwerk. Wo trieb sich der dazwischen herum?
Der zweite Satz hört sich ungelenk an. Das dazwischen finde ich für eine temporäre Einordnung nicht so günstig. Wo trieb er sich in der Zwischenzeit herum? fände ich galanter.


Dachte Pepe darüber nach, wie groß der Himmel war und wie endlos der sich erstreckte?
Fetter Teil zeugt davon, dass dieser Text nicht tagelang bearbeitet wurde. Irgendwie redundant liest sich das mit groß und endlos. Überhaupt - was ist denn ein großer Himmel? Also wenn schon, dann würde für mich reichen: ... darüber nach, wie endlos der Himmel war?

Der Staub der Straße und die Erde in den Blumentöpfen, die dürren Grasbüschel zwischen den Steinplatten der Mole und der blühende Hibiskus hinter ihm, alles schien jetzt intensiver zu duften.
Einspruch, offshore. Durch den Regen erst kann man das riechen, wenn überhaupt. Davon abgesehen, wie riecht/duftet (!) denn ein dürrer Grasbüschel - egal ob trocken oder nass?


Vincent schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, in einer warmen Sommernacht vor einer sizilianischen Hafenkneipe zu sitzen, am Meer.

Das kann für den Leser ein Stolperstein sein, weil die Szenerie besteht und er sich vorstellt, wie das ist, wenn er sich das vorstellen würde. Da würde ich subtil etwas darauf aufmerksam machen, dass es so ist, wie er es sich vorstellt. Ich würde vielleicht noch einen Nachsatz bringen in der Art wie: ... am Meer, obwohl er dies doch gerade am eigenen Leib erlebte. Ich denke, du verwirrst ansonsten den Leser unnötig.

leises, äonenaltes Raunen war.
... öhm, den Begriff kenne ich nicht. Hört sich sehr intellektuell an, jedenfalls finde ich ihn etwas übertrieben hier.

Sie holte Wein und zwei Gläser, nahm ihre Schürze ab und setzte sich zu ihm. Bat ihn um eine Zigarette.
Zweiter Satz gefällt mir in der Melodie nicht. Entweder einen draus machen und ein und dazwischen klemmen ( dann nach Schürze auch ein Komma und das erste und eliminieren) oder tatsächlich ein Sie bat ihn ...

Er erzählte ihr vom Boot und von dem kaputten Segel und von seiner Heimatstadt und von seinem älteren Sohn und von seinem jüngeren Sohn, und dass das Boot sozusagen sein drittes Kind sei, seine Tochter -
Wie wäre es denn, wenn man schriebe: von seinen zwei Söhnen dass einer älter als der andere ist, ist ja logisch. Witzig finde ich dann, dass das Boot ein Geschlecht bekommt. Normalerweise lässt man das ja dann als sächliche Information stehen, wenn man diesen Vergleich: das weitere Kind ist(und was anderes meint) ... gebraucht.

Dann rauchten sie schweigend, schauten hinaus aufs Meer oder hinauf zum Mond oder lächelten sich an.
Sorry, wenn ich zu pingelig werde. Aufs Meer schauen, zum Mond blicken.
Also dann im Konkreten: ... schauten hinaus aufs Meer, blickten hinauf zum Mond oder lächelten ...

Sie verdrehte theatralisch die Augen. Dann grinste sie ihn an.
Also wenn du auch alle meine Vorschläge verschmähst - bitte nimm dir folgenden zu Herzen:
Dieser Satz geht gar nicht. Das passt zu deiner restlichen Geschichte wie Wiener Würstchen zu Berliner.
So eine rassige, attraktive, liebenswürdige Italienerin grinst doch nicht. Die lacht lasziv oder schelmisch, lächelt hintergründig oder nachdenklich - aber grinsen ... nee.


Ich habe ihr ein paar Vogelfedern auf den Panzer geklebt und einen Bindfaden drangemacht und sie dann durch die Luft gewirbelt.
drangebunden


Vincent schenkte Wein nach. Wie lange er noch bliebe, fragte sie ihn und er antwortete, dass er es nicht wisse, dass er noch immer auf das neue Segel warte. Dann schwiegen sie.
Zweimal dass, dass geht doch anders.
... dass er es nicht wisse, weil er immer noch ...

Dann entdeckte er Charlie. Der Kater stolzierte über den Platz, kam auf ihn zu, strich um seine Beine und sprang ihm schließlich auf den Schoß.
Charlie schnurrte.
Das letzte Charlie stört mich immens. Wieso nicht: Er schnurrte. ?
Wenn dir das mit dem Namen im letzten Satz wichtig ist, dann solltest du die vorderen Bezeichnungen umstellen. Also: Dann entdeckte er den Kater. Er stolzierte ... usw. Dann kannst du am Schluss Charlie einsetzen.

So, das war mein schreibtechnischer Kommentar zu der Geschichte.

Ansonsten sehe ich den einsamen Wolf, intelligent und etwas eigen, in der Bar sitzen und sich aufgrund seiner freien Tage auf kleine Dinge besinnend. Katzen- und Möwenkinder sind auf einmal elementare Themen, Franca als schöne und interessante Frau noch als Sahnehäubchen auf den ausgefüllten Tag dazu.
Er würde sie nie ausnützen, aber ihre Situation schon. Schön, dass sie trotz alledem nein sagt.

Da passiert von außen nicht viel in deiner Geschichte, aber als Stimmungsbild ist es für mich ein gelungener Text.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

randundband schrieb:
Sprachlich ist es unaufgeregt und angenehm zu lesen, aber das muss man bei deinen Texten eigentlich nicht extra erwähnen.
Nur hier
In einer Pappschachtel hatte Luca mit Zeitungspapier ein Nest gemacht
dieses "gemacht", das ist nicht so schön, da kannst du bestimmt ein präziseres Verb finden.
Und ja, ich hab jetzt nochmal drüber geschaut, hier, das noch
Wie lange er noch bliebe, fragte sie ihn dann und er antwortete, dass er es nicht wisse, weil er noch immer auf das neue Segel wartete.
„Mein Mann ist auch herzlos“, sagte sie leise und blickte dabei zu Boden.
Wieso auch? Außerdem ist es schon ein bisschen komisch, wie sie ganz ohne Bezug damit herausplatzt. Und lass deinen Prot ruhig ein bisschen mehr Italienisch können, sonst ist die Konversation ein wenig zu unglaubwürdig.

Genau diese Passage deines Kommentars war es, randundband, die mich vorgestern in der Nacht mir den Text noch einmal vornehmen ließ.
Erst dachte ich nur über einen Ersatz fürs „Nestmachen“ nach, über Vincents Italienischkenntnisse und darüber, ob Francas Worte

„Mein Mann ist auch herzlos.“
eventuell zu viele Zeilen entfernt seien von

Er sei herzlos, sagte sie. - Siete senza cuore, Vincenzo.
Na ja, dazu kamen noch Tachmetums Anmerkungen, sie habe die Figurenkonstellation nicht vollständig durchschaut, und einmal mehr musste ich mir eingestehen, einen Text wieder einmal viel zu voreilig und unbedacht gepostet zu haben. Und schon steckte ich in einem regelrechten Überarbeitungsmarathon. Drei Stunden lang schob ich Wörter und Satzteile hin und her, nahm hier was weg und fügte dort was hinzu. (Schließlich bekam sogar Kater Charlie noch einen Schlussauftritt.) Ob es zu all diesen Änderungen gekommen wäre, hätte ich den Text, was weiß ich, zwei oder drei Wochen liegen lassen und ihn dann noch einmal kritisch hinterfragt, wie es seriöse Autoren (also die anderen) tun, weiß ich nicht. Ist aber auch egal. Jedenfalls gefällt mir der Text jetzt auch besser, und ja, zu verdanken ist das vor allem den Arschtritten von euch Kommentatoren. Hab ich schon einmal gesagt, dass ich das Forum mag? Vermutlich mehrmals, ist aber auch egal.

Aber was du sonst so zum Text sagst, also das ist schon ganz haarscharf dran an dem, was ich ausdrücken wollte:

Du fängst eine intime Begegnung zwei von Sehnsucht erfüllter Menschen ein, die nur ihre Wirkung erzielen kann, weil ihre fragilen Wünsche nach Nähe zum Schluss auch weiterhin bloße Wünsche bleiben. Das ist auch irgendwie immer das schönste an dem ganzen Verhältnis zwischen Mann und Frau, dieser Zustand, der vom (noch nicht) erfüllten Begehren geprägt wird. Da steckt die eigentliche Magie drin, in diesem Knistern, in diesen Projektionen seiner Sehnsüchte auf den anderen, in dem aufregenden Unbekannten. Und, das fängst du ein, es bleibt dieser melancholische Hauch, ach, was wäre wohl gewesen.
Wirklich schön gesagt, randundband.

Vllt würde hier etwas Böses, ein kleiner, subtiler Bruch, der Geschichte eine interessante Facette verleihen, aber es wäre natürlich ein anderer Text.
Stimmt. Obwohl, nach der Änderung klingt der Schluss jetzt etwas anders:

„Ciao, Franca, bis morgen “, sagte er.
Sie ging.
Er blieb sitzen, schaute aufs Wasser und dachte daran, dass er morgen das Segel bekäme und spätestens zu Mittag auslaufen würde.
Vincents Verabschiedung beinhaltet also eigentlich eine Lüge. Na ja, ob er dann wirklich lossegelt bleibt natürlich trotzdem offen.

Na ja, du bist ein sentimentaler Romantiker, offshore, da kann man nichts machen.
Tja, stimmt. Aber drauf geschissen, sag ich mal, ich mein, ich bin fünfundfünzig, da braucht man niemandem mehr den harten Hund beweisen, da definiert man sich einfach selbst sein ganz persönliches Coolsein.
Und du scheinst mir ja auch nicht gerade ein seelenloser Mistkerl zu sein, stimmt’s?

Danke für deine Gedanken, randundband.

Otis Redding schrieb:
I'm just sitting at the dock of the bay, watchin the tide roll away ...

Hast recht, JuJu, das wäre natürlich ein schöner Soundtrack zum Text. Und dass du das Ding „ziemlich offshore“ nennst, na ja, was soll ich sagen, Nomen est Omen, ich komm halt nicht wirklich raus aus meinen Stiefeln.

JuJu schrieb:
… hier ist das doch sehr gemütlich. Wie so ein Hesse-Gedicht fast.
Keine Verletzten, keine Gefangenen, keine Spannung, kaum Handlung. offshore, du Traummännlein, wer will so was schon lesen?“, fragte mich mein zwanzigjähriger Sohn nach der Lektüre kopfschüttelnd. Na ja, schon klar, der muss noch den coolen Hund raushängen lassen.

So diese Stimmung einfangen und so. Das gelingt dir ganz gut.
Na bitte“, hab ich ihm geantwortet, „z.B. JuJu will’s lesen.

Danke, JuJu.

Die anderen muss ich auf Montag vertrösten.
Allen ein schönes Wochenende,

offshore

 

Hallo offshore,
ich finde dieses Werk von der Sprache und den Bildern her total extrem, sehr schön dargestellt, einfühlsam, stimmungsvoll, weiblich, abgerundet, romantisch, melancholisch und rauchig. Und was die Beziehungen und Aktionen der Lebewesen untereinander angeht dann doch ziemlich hart.
In der Geschichte passiert zwar nicht viel, aber toll, wie Du die Stimmungen rüberbringst.
Es bleibt offen, warum die Katze nur jeden zweiten Tag - und das an den ungeraden - kommt. Ist das wichtig? Ein Bote des Teufels? Frisst sie an den Primzahltagen immer einen Pepe-artigen Vogel?
Viele Grüße
Fugu

 
Zuletzt bearbeitet:

So, Wilhelm, dank dir war ich jetzt beinahe eine Stunde verschollen. Eigentlich wollte ich nur Bilder von Dürers Melancholia anschauen, dann aber ließ ich mich von einem Link zum anderen locken (ausführliche allegorische Deutung, Dürer als Mathematiker, zur literarischen Rezeption von Albrecht Dürers Kupferstich Melencolia, usw., usw.), tauchte immer tiefer in die unergründlichen Tiefen des www und hätte beinahe den Ausgang nicht mehr gefunden.
Zumindest bin ich jetzt dank dir wieder ein bisschen schlauer geworden.

Wilhelm Berliner schrieb:
Was ist der wichtigste Satz?
„Dinge gehen kaputt, Franca … Dinge gehen kaputt, die Liebe geht zu Ende, Menschen sterben und Küken werden flügge.“
„Ich weiß. Aber weh tut’s trotzdem.“
„Ich weiß.“ Er berührte ihre Hand und sie ergriff seine Finger.
Dinge gehen kaputt, das ist die eine Hälfte der Wahrheit, denn Dinge entstehen auch wieder.
Ich weiß schon, Wilhelm, dass Vincent nicht gerade Erkenntnisse beispielloser Hellsichtigkeit und Originalität von sich gibt, aber mir gefiel einfach das Fatalistische und gleichzeitig versöhnlich Optimistische, das aus seinen Worten spricht. Und wenn man dabei ist, eine schöne Frau zu umwerben, darf man ja durchaus auch einmal Binsenweisheiten bemühen, sofern sie zur Situation passen.

Auf leisen Katzenpfoten schleicht die Geschichte, in der äußerlich wenig, innerlich viel geschieht, daher, schaut einen skeptisch an, lässt sich dann nach mehrmaligen Besuchen streicheln und beginnt zu schnurren, was nun auch wieder eine Geschichte sein kann, eine Katergeschichte eben.
Diese so poesievolle Beschreibung deines Leseeindrucks gefällt mir sehr.

Was war die Stimmung des Autors, als diese Geschichte entstand?
Lass sie mich einfach italienisch nennen.

Vielen Dank, Wilhelm.

Lady Morphia schrieb:
Eine sehr schöne Geschichte, bitter, süß und schwarz wie ein Espresso.
Sehr schön gesagt, Lady Morphia, vielen Dank.

Sprachlich auch sehr schön, aber was auch mich verwirrt hat, ist diese Stelle mit dem "Vorstellen" (2. Absatz).
Darf ich dich diesbezüglich auf meine Antwort an bernadette verweisen? Danke.

bernadette schrieb:
Da passiert von außen nicht viel in deiner Geschichte, aber als Stimmungsbild ist es für mich ein gelungener Text.
Das freut mich, bernadette. Ich selbst würde es ja auch nicht als Geschichte bezeichnen, sondern schlicht als „Wohlfühltext“.
Bevor ich zu deinen stilistischen Anmerkungen komme, möchte ich noch dazu etwas sagen:

Vincent schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, in einer warmen Sommernacht vor einer sizilianischen Hafenkneipe zu sitzen, am Meer.
Das kann für den Leser ein Stolperstein sein, weil die Szenerie besteht und er sich vorstellt, wie das ist, wenn er sich das vorstellen würde.
Auch Tashmetum

Tashmetum schrieb:
Diesen Absatz verstehe ich nicht so ganz. Ist er jetzt tatsächlich in Italien oder wie? Vorher schreibst du doch, dass er sich das vorstellt. ?! Oder habe ich was missverstanden?
und Lady Morphia

Lady Morphia schrieb:
aber was auch mich verwirrt hat, ist diese Stelle mit dem "Vorstellen"
haben zu der Stelle Bedenken geäußert.
Ich will das nicht ändern, sag ich jetzt gleich mal. Aber ob es mir gelingt, euch zu erklären, warum mir gerade diese Stelle wichtig ist, weiß ich nicht. Ich will’s mal versuchen:
Vincent versucht sich vorzustellen, etwas zu erleben, während er genau das tatsächlich gerade erlebt. Das ist doch eigentlich Quatsch, könnte man sagen. Was geht da in seinem Kopf vor?
„Was wäre, würde ich gerade dies oder das erleben? Wie würde ich mich dabei fühlen?“ Das ungefähr sind seine Gedanken. Er hinterfragt sozusagen seine Empfindungen, und kommt schließlich zu dem Schluss, sich einfach saugut zu fühlen, als wäre ein Tagtraum, ein Wunschtraum plötzlich Wirklichkeit geworden. Dass sich dadurch so ein bisschen was Irritierendes, Irreales, beinahe Traummäßiges in den Text schleicht, der Leser dabei möglicherweise kurz ins Straucheln gerät, war durchaus beabsichtigt.
Und einen regelrechten Sturm der Entrüstung hat diese Passage bei den Lesern ja bisher noch nicht hervorgerufen. Ich glaub, ich lass es einfach so stehen.

Zu deinen anderen Anmerkungen, bernadette:

Wie wäre es denn, wenn man schriebe: von seinen zwei Söhnen dass einer älter als der andere ist, ist ja logisch.
Ich weiß nicht, ob ich dir jetzt so recht erklären kann, warum ich das genau so geschrieben habe. Diese Aufzählung mit den vielen „und“ - aus vielen deiner Kommentare weiß ich ja, dass für dich die Konjunktion „und“ eher ein notwendiges Übel ist,

(dann nach Schürze auch ein Komma und das erste und eliminieren)
wohingegen ich dieses Wort einfach mag, ich finde, dass man damit unheimlich viel für die Sprachwirkung tun kann und Aufzählungen mit „und“ zwischen den Objekten einfach einen ganz anderen Klang und Charakter bekommen, als stünden Kommas (Kommata, wer’s lieber hat) dazwischen - äh, wo war ich? Ja, also wenn ich das mal so nebeneinander stelle:
Er erzählte ihr vom Boot und von dem kaputten Segel und von seiner Heimatstadt und von seinem älteren Sohn und von seinem jüngeren Sohn,
Er erzählte ihr vom Boot, von dem kaputten Segel, von seiner Heimatstadt und von seinen beiden Söhnen,

Also da hab ich beim Lesen ganz unterschiedliche Eindrücke. Die zweite Variante klingt mir irgendwie zu nüchtern, zu einschränkend, die klingt, als würde Vincent Franca eben nur genau diese Sachen erzählen, und nur diese. Die erste Variante hingegen klingt für mich atemloser, eben mehr blablabla-mäßig, so ein Singsang halt ein bisschen, Vincent quasselt halt einfach so vor sich hin, erzählt dieses und jenes und kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Er sagt ihr ja nicht nur, dass er zwei Söhne hat, sondern er erzählt ihr vom älteren dieses und vom jüngeren jenes. So soll das halt klingen, aber ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung, ob auch nur ein einziger anderer Mensch das so liest wie ich.
Möglicherweise schweife ich jetzt ein wenig ab, aber das ist halt so ein grundsätzliches Problem, über dass ich mir immer wieder mal den Kopf zerbreche, seit ich hier im Forum dabei bin. Es hat ja jeder Mensch sein ganz individuelles Sprachempfinden, hat Lieblingsworte und Hassworte, empfindet Formulierungen oder Wortkombinationen als schön und stimmig, die ein anderer kitschig oder dämlich findet. Und weil das ja weitgehend so ein Gefühsdingsbums ist, das noch dazu von unbewussten Assoziationen abhängig sein kann, wird sich da kaum jemals ein Konsens herstellen lassen. Ein bisschen erinnert mich die ganze Sache an Vornamen. Da hat auch jeder so seine Vorlieben und Abneigungen. Einen Namen z.B. den der eine wunderhübsch findet, kann der andere auf den Tod nicht leiden, findet ihn blöd und unschön, einfach deshalb, weil z.B. in der Schule einer seiner Mitschüler so hieß und der leider ein arschlöchiger Unsympathler war. Und dieser Name bleibt dann halt negativ besetzt, schmeckt einfach nicht mehr. Das kann objektiv kaum begründet werden. Und umgekehrt natürlich auch. Wenn dann einer kommt und sagt, so ein idiotischer Name, und gerade der gefällt dir so gut, was soll man da sagen? Ich frage mich, um zum Thema zurückzukommen, wirklich oft, ob man über Schreibstil überhaupt seriös diskutieren kann. Oder ob das nicht genauso eine müßige Frage ist, wie die, ob Schokolade- oder Erdbeereis besser schmeckt. Das ist eine Binsenweisheit? Na klar, aber mir scheint, wir alle ignorieren diese Binse, weil wir ja sonst dem Forum (und den unzähligen Autoren von Stilratgebern) eigentlich die Existenzberechtigung entzögen.

Noch ein konkretes Beispiel:

Dann rauchten sie schweigend, schauten hinaus aufs Meer oder hinauf zum Mond oder lächelten sich an.
Sorry, wenn ich zu pingelig werde. Aufs Meer schauen, zum Mond blicken.
Also dann im Konkreten: ... schauten hinaus aufs Meer, blickten hinauf zum Mond oder lächelten ...
Sorry, den Einwand kapiere ich einfach nicht. Ohne das jetzt durch einen Blick in ein Begriffswörterbuch hinterfragt zu haben, bedeuteten die zwei Begriffe schauen und blicken für mich bisher absolut dasselbe . Gibt’s da wirklich einen Unterschied?
Ich schaue aufs Meer. Ich schaue zum Mond. Ich blicke aufs Meer. Ich blicke zum Mond. Ich blicke aufs Meer. Ich schaue zum Mond.
Hmm …
Ist es endemisch-österreichische Sprachignoranz oder schlicht offshoresches Unvermögen, dass ich da keinen Unterschied sehe? Ich weiß es echt nicht.

Sie verdrehte theatralisch die Augen. Dann grinste sie ihn an.
Also wenn du auch alle meine Vorschläge verschmähst - bitte nimm dir folgenden zu Herzen:
Dieser Satz geht gar nicht. Das passt zu deiner restlichen Geschichte wie Wiener Würstchen zu Berliner.
So eine rassige, attraktive, liebenswürdige Italienerin grinst doch nicht. Die lacht lasziv oder schelmisch, lächelt hintergründig oder nachdenklich - aber grinsen ... nee.
Du hast vollkommen recht, bernadette. Das hab ich jetzt geändert.

Ich habe ihr ein paar Vogelfedern auf den Panzer geklebt und einen Bindfaden drangemacht und sie dann durch die Luft gewirbelt.
drangebunden
Drangemacht klang mir in der direkten Rede einfach umgangssprachlicher.
Drangebunden ist aber hübscher, hast recht, hab ich auch geändert.

Zweimal dass, dass geht doch anders.
... dass er es nicht wisse, weil er immer noch ...
Danke, hab ich auch geändert.

Dann entdeckte er Charlie. Der Kater stolzierte über den Platz, kam auf ihn zu, strich um seine Beine und sprang ihm schließlich auf den Schoß.
Charlie schnurrte.
Das letzte Charlie stört mich immens. Wieso nicht: Er schnurrte. ?
Das will ich so stehen lassen.
Überhaupt verwende ich lieber einmal zu oft Eigennamen, als mit Pronomen unklare Bezüge zu riskieren. In dem Fall ist es natürlich eindeutig, dass es nicht Vincent ist, der schnurrt. Trotzdem liest es sich für mich schöner, wenn ich Charlie im letzten Satz noch einmal explizit benenne. Ist halt auch wieder so ein Schokolade/Erdbeereis-Dings.

Vielen Dank, bernadette, für dein genaues Lesen, für dein unbestechliches Auge, für deine Verbesserungsvorschläge. Für alles halt.

offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Sorry, Fugusan und Tashmetum, hab ich gestern doch glatt eure Kommentare übersehen. Umso verwerflicher, weil du, Fugusan, ja wieder ein adjektivisches Feuerwerk sondergleichen gezündet hast. Danke für das Lob.

Fugusan schrieb:
Es bleibt offen, warum die Katze nur jeden zweiten Tag - und das an den ungeraden - kommt. Ist das wichtig?

Na ja, schon. Ein bisschen.
Zu Beginn liest man ja, der Kater habe sich gestern erstmals von Vincent streicheln lassen. Und dass er sich am Ende der Geschichte, also heute, wieder an Vincent heranmacht, also schon am nächsten und nicht wie gewohnt erst am übernächsten Tag, bedeutet, dass …, ähm, soll symbolisieren, … äh, na ja, ist halt so ein allegorisches Bild für die, pff, … scheiß drauf, tut mir leid, ich muss zugeben, ich hab echt keine Ahnung, was sich Charlie dabei denkt.

Fugusan schrieb:
Frisst sie an den Primzahltagen immer einen Pepe-artigen Vogel?
Durchaus möglich, Fugusan, aber Tashmetums Idee gefällt mir besser:

Tashmetum schrieb:
der Kater könnte z.B. alle zwei Tage einem netten Stelldichein mit einer Frau Katerin (ja, das gibt es nicht das Wort, aber es ist schön) beiwohnen

Danke euch beiden.
offshore

 

Gestern hatte sich der Kater erstmals von ihm berühren lassen, zögerlich nur und ganz kurz.

In einem Restaurant sprach einst eine Kellnerin den Gast an, sie kenne ihn doch. Er sei doch ein Künstler. Also verlangte sie geradeheraus, dass der Gast sie zeichnen solle, schließlich sei doch jeder richtige Künstler wenigstens ein Maler. Der Arme wiegelte ab, er würd’ ja gern, aber er habe seinen Zeichenblock nicht dabei. Kein Problem für die Frau: sie zog einen Stift hinter ihrem Ohr hervor und forderte den (V)Erkannten auf, er könne doch wohl auf der Tischdecke zeichnen. Der ertappte Künstler zog ein paar Linien und als er der guten Frau die Linien zeigte, meinte die: Das sieht mir nicht die Bohne ähnlich! Die hier nacherzählte Geschichte von 1997 kam mir in den Sinn, als ich diese feinfühlig poetische Geschichte gelesen hab,

lieber ernst,

und wer Deine - m. E. großartige und stille - Geschichte aufmerksam liest, dem sollte eigentlich aufgefallen sein, dass der Kater außer der Reihe beim Boot ist und wohl-gesättigt Vertrauen zu V. fasst. Eine andere, ausführlichere Erzählung hätte die Idylle, die gar keine ist (Vogelfraß, betrogene Frau), zerstört.

Es ist auch nach dem ersten Lesen nur ein Härchen von Flusen vom Teppich zu nehmen, eigentlich nicht der Rede wert – aber warum sollte dieser gelungene Text Flüchtigkeit zeigen (denn Du wendest die Regel ansonsten korrekt an). Here it comes:

„In Wahrheit bist du Sängerin, stimmt‘s?“ fragte er.

Gruß

Friedel

Ach ja, eh ichs vergess, die o. g. Geschichte erzählt Bob Dylan in den Highlands.

 

Servus Friedel,
du fändest meine kleine Geschichte großartig, schreibst du, und das wiederum finde ich großartig. Und besonders freut mich, dass sie dich, warum auch immer, an einen Dylan-Song denken ließ. Beim Schreiben hatte ich nämlich schon die Befürchtung, der Text könnte beim einen oder anderen Leser Assoziationen zu Neil Diamonds Album „Jonathan Livingston Seagull“ wecken, einer Art von Musik, für die ich nicht gerade meine Seele verkaufen würde.

Und was das eine(!) vergessene Komma betrifft: Ich schwör’s dir, Friedel, irgendwann werde ich es schaffen, einen Text zu posten, in dem du nicht den allerallerscheißkleinsten Fehler finden wirst. (Und so mir das gelingt, kann ich mich dann ruhigen Gewissens vom wk-Forum abmelden und mich einer neuen großen Herausforderung stellen, z.B. während einer Einhand-Weltumsegelung eine romantische Oper komponieren, oder so etwas ähnliches.)

Gruß, offshore

 

Oh offshore, du alter Romantiker!
Wollte ich dir eh schon schreiben (PM), aber bei mir dauert eben zur Zeit alles. Nicht böse sein.

Weißt du, auf welch abwegige Gedanken deine Geschichte mich gebracht hat? Du wirst es nicht glauben, aber ich denke, Charly hat Pepe gefressen.
Siehst du, das kommt davon, wenn man wehmütige, romantische Geschichten schreibt, die voller verlorener Poesie stecken, so traurig, weil alles nun einmal zuende geht, und die dennoch so stimmungsvoll-tröstlich sind. Da fangen die Gedanken nun einmal an zu spazieren. Sicher hätte in meiner Geschichte Pepe zum Schluss Federn im Maul gehabt. Aber da hätten dann ja auch alle geschrien, zu Recht, was für ein Stilbruch. Gut so also, dass Pepes Schicksal ungeklärt ist, und er vielleicht den Himmel ausmessen darf.
Ja, sehr symbolisch auch, deine Geschichte.

Du kriegst es gut hin, diese Abschiedsstimmung zu erzeugen, das flirtende Geplänkel zwischen der schönen Kellnerin und dem wehmütigen Vincenzo, dem Sieger, der sich nicht nur von seinem dritten Kind und der geliebten Arbeit daran verabschiedet, sondern auch von seiner Vergangenheit und vielleicht seinerJugend und seiner Stärke.

Wenn ich eine ganz leise Kritik anmerke, dann die, dass außer der Wehmut des Abschiednehmenden hier am Ende noch etwas anderes über den Protagonisten reinspielt:

Er fragte sich, ob er nicht versuchen sollte, ein Gedicht zu schreiben. Über ein verwaistes Möwenkind, das nicht lernen wollte, zu fliegen. Oder über einen Mann, der seine Grenzen nicht erkennen will.
Dass er seine Grenzen nicht erkennen will, kommt hier sehr unverhofft. Ich weiß selbst nicht recht, ob mir das nicht sogar ganz gut gefällt, dass es so unvehofft, fast wie eine Pointe, kommt. Oder ob ich dafür sprechen soll, dass du diesen Aspekt auch schon vorher ein wenig stärker andeutest.
Die Grenzen nicht zu akzeptieren ist ja was mehr als nur der Punkt, sich von einer geliebten Sache oder den eigenen schönen Erfahrungen verabschieden zu müssen.
Also - ich wollte es einfach mal anmerken. Musst du dann selbst sehen, was du damit machst. ;)

Also - eine wunderschöne traurige Geschichte voller Wehmut und Sehnsucht nach Verlorenem, aber es ist auch eine wunderschöne Trostgeschichte, die sich an dem Schönen erfreut, das noch bleibt, auch wenn vieles vergeht.
Tschüs lieber offshore

 

Hallo offshore, ich mag deinen Text von vorn bis hinten. Manchen mag da das Ereignis fehlen, die Zuspitzung...mir nicht. Ich kann es total genießen, wie du mit kleinen präzisen Beobachtungen eine so dichte und fast sinnlich wahrnehmbare Atmosphäre zauberst.
Nein, ich weiß. Du zauberst nicht, du beherrscht dein Handwerk und du hast in diesem Text den Mut und die Konsequenz, überhaupt nichts entgegenzustreben. Das macht ihn für mich großartig. Vielleicht auch, weil ich es nicht so gut kann. Oder nur manchmal. Meistens lande ich irgendwo im Stakkato. Und drum kann ich die Genauigkeit, die Feinfühligkeit und die Ruhe in diesem Text richtig schätzen. Ist es ein Kompliment, wenn ich sage, ich würde für mein Leben gern in dieser Kneipe sitzen und von Franca den Wein serviert bekommen.
wander

 
Zuletzt bearbeitet:

Novak schrieb:
Weißt du, auf welch abwegige Gedanken deine Geschichte mich gebracht hat? Du wirst es nicht glauben, aber ich denke, Charly hat Pepe gefressen.
Wieso abwegig, Novak?
Dinge gehen kaputt, Menschen sterben, Tiere fressen sich gegenseitig auf, Küken werden flügge … oder eben nicht, wer weiß das schon.“ usw.
Genauso gut das nämlich hätte Vincent zu Franca sagen können.
Was wirklich geschehen ist?
Wer weiß das schon. Ich, der ich mir die Geschichte immerhin ausgedacht habe, weiß es nicht. Kein Witz, Novak.

Dass er seine Grenzen nicht erkennen will, kommt hier sehr unverhofft. Ich weiß selbst nicht recht, ob mir das nicht sogar ganz gut gefällt, dass es so unvehofft, fast wie eine Pointe, kommt. Oder ob ich dafür sprechen soll, dass du diesen Aspekt auch schon vorher ein wenig stärker andeutest.
Die Grenzen nicht zu akzeptieren ist ja was mehr als nur der Punkt, sich von einer geliebten Sache oder den eigenen schönen Erfahrungen verabschieden zu müssen.
Zwischen „Die Grenzen nicht zu akzeptieren“ und „Die Grenzen nicht erkennen zu wollen“ Ist für mich ein zwar nur kleiner, aber eben doch ein Unterschied. Und für mein Gefühl steht dieser Gedanke Vincents durchaus in Beziehung zum Text davor, also ich hab mir schon was dabei gedacht, ganz schön viel sogar, will jetzt allerdings nicht zu viel herumerklären. Ich finde, der Satz kann schon für sich selbst sprechen, glaube ich zumindest.

Vielen Dank für deinen schönen Kommentar, Novak.

PS

Sicher hätte in meiner Geschichte Pepe zum Schluss Federn im Maul gehabt.
Und lakita hätte dir vermutlich dazu geschrieben, Katzen seien ungemein reinliche Tiere und sie habe noch niemals eine Katze mit Essensresten ums Maul herumspazieren sehen. Wäre als Indiz für was auch immer also unrealistisch und deshalb unglaubwürdig gewesen.


wander schrieb:
Ist es ein Kompliment, wenn ich sage, ich würde für mein Leben gern in dieser Kneipe sitzen und von Franca den Wein serviert bekommen?
Natürlich ist das ein Kompliment, wander, und was für eines. Bedeutet es doch nichts anderes, als dass es mir durch meine Worte offenbar gelungen ist, dich ein wenig italienische Stimmung miterleben zu lassen. Überhaupt finde ich es toll, was du zu meinem Schreiben sagst.

Vielen Dank für dein Lob.

offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Zwischen „Die Grenzen nicht zu akzeptieren“ und „Die Grenzen nicht erkennen zu wollen“ Ist für mich ein zwar nur kleiner, aber eben doch ein Unterschied. Und für mein Gefühl steht dieser Gedanke Vincents durchaus in Beziehung zum Text davor, also ich hab mir schon was dabei gedacht, ganz schön viel sogar, will jetzt allerdings nicht zu viel herumerklären. Ich finde, der Satz kann schon für sich selbst sprechen, glaube ich zumindest.
Ich noch mal.
Ja, es ist ein Unterschied. Aber - um es nochmal zu verdeutlichen, weder das eine noch das andere wächst organisch aus dem Text, sondern ist angebaut/angesetzt. Kann man ja so machen, ist deine Entscheidung. Weiß auch nicht, was besser ist.
Aber was ich schade finde, ist, dass du wenig Energie in eine Erklärung steckst. Dass du dir was dabei gedacht hast, hab ich durchaus angenommen. Wär irgendwie auch blöd, wenn nicht. Wenn der Satz allerdings für sich selbst sprechen würde, oder das alles so selbstverständlich wär, dann hätte ich nicht nachgefragt.
Du magst nicht erklären. ich mag nicht rumrätseln.
Bis denn
Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Novak

Novak schrieb:
Aber - um es nochmal zu verdeutlichen, weder das eine noch das andere wächst organisch aus dem Text, sondern ist angebaut/angesetzt. Kann man ja so machen, ist deine Entscheidung. Weiß auch nicht, was besser ist.
Aber was ich schade finde, ist, dass du wenig Energie in eine Erklärung steckst. Dass du dir was dabei gedacht hast, hab ich durchaus angenommen. Wär irgendwie auch blöd, wenn nicht. Wenn der Satz allerdings für sich selbst sprechen würde, oder das alles so selbstverständlich wär, dann hätte ich nicht nachgefragt.

Auf die Gefahr hin, dass du mich für wankelmütig hältst, Novak: Ich habe aufgrund deiner Anmerkungen den betreffenden Gedanken Vincents jetzt noch einmal kritisch hinterfragt, und, ja, eigentlich muss ich dir rechtgeben, dass der tatsächlich einigermaßen wie aus heiterem Himmel gefallen wirkt. Auch wenn ich mir beim Schreiben noch so viel dabei gedacht habe, wenn sich dem Leser die Bedeutung ohne Erklärungen des Autors nicht erschließt, hat er im Text eigentlich nichts verloren.
Ja, ich werde den Satz in dieser Form rausnehmen, allerdings nicht ersatzlos streichen, weil Vincents Gedankengang: „Ich könnte so ein Gedicht schreiben. Oder ein anderes“, gefällt mir nach wie vor. Ich werde versuchen, mir einen besseren, schlüssigeren Satz einfallen zu lassen.

Vielen Dank für deinen konstruktiven Arschtritt.

offshore

 

Huch, jetzt hat mir Novak mit dem ersten Beitrag den nicht ausgelobten Preis (vermutlich der historisch-antike Wäschetrockner) weggeschnappt. Aber im Ernst,

lieber ernst,

warum sollte nicht auch eine Geschichte perfekt in Form und Inhalt sein? Die Nennung des Mozarts der Popmusik lässt mich trotz der Außentemperatur frösteln. Dylans Geschichte – die autobiografisch sein wird – kam mir spätestens durch Nennung des Sandro Botticelli in den Sinn und die Konstellation des Personals (Songwriter-Dichter, der Kellnerin verkappter Maler) der beiden Geschichten gesellt sich dazu.
Wo ich mich schwertu ist Wilhelms Hinweis - Schwermut, gar Melancholie [„schwarze Galle“], vermag ich nicht zu erkennen (was auch immer V. in die Begegnung mit der Kellnerin sich vorgestellt haben mag), weder nach alter Auffassung (Traurigkeit, Schmerz und/oder Nachdenklichkeit) oder der Eigenschaften (schwache Spontaneität, tiefe Impressionalität) oder gar endogene Psychose. Da kommt nichts von dem, was etwa Gottfried Keller über Dürers Melancolia empfand:„Sei mir gegrüßt, Melancholie, / Die mit dem leisen Feenschritt / Im Garten meiner Phantasie / Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt! / Die mir den Mut, wie eine junge Weide, / Tief an den Rand des Lebens biegt, / Doch dann in meinem bittern Leide / Voll Treue mir zur Seite liegt! // Die mir der Wahrheit Spiegelschild, / Den unbezwungnen, hält empor, / Daß der Erkenntnis Träne schwillt / Und bricht aus dunklem Aug hervor; / Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer / Wenn ich dich mehr und mehr vergaß / Ob lärmendem Geräusch und Flimmer, / Die doch an meiner Wiege saß! // Wie hängt mein Herz an eitler Lust / Und an der Torheit dieser Welt! / Oft mehr als eines Weibes Brust / Ist es von Außenwerk umstellt, / Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben / Was leer und nichtig ist, erkannt, / Nimmst du und hast mein stolz Erheben / Zu Boden alsobald gewandt, // Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch / Des Königs, den ich oft verhöhnt, / Aus dem es, wie von Erz ein Fluch, / Daß alles eitel sei! ertönt. / Und nah und ferne hör ich dann erklingen / Gleich Narrenschellen ein Getön – / O Göttin, laß mich dich umschlingen, / Nur du, nur du bist wahr und schön! // Noch fühl ich dich so edel nicht, / Wie Albrecht Dürer dich geschaut: / Ein sinnend Weib, von innerm Licht / Erhellt, des Fleißes schönste Braut, / Umgeben reich von aller Werke Zeichen, / Mit milder Trauer angetan; / Sie sinnt - der Dämon muß entweichen / Vor des Vollbringens reifem Plan.“ Melancholie ist durch Dürers Graphik (genauer: Kupferstich) von 1515 angeregt. Keller (auch ein Doppeltalent: Studierter, also akademischer Maler, Dichter und immer verhinderter Liebhaber, ist manisch-depressiv gewesen.
Zwei Sätze habens mir angetan, einer, der dem common sense entspricht und die richtige Antwort darauf:

„Und, ist deine Frau eifersüchtig auf das Boot?“, fragte sie ihn.
Was übrigens auf die Verknüpfung von Liebe (die ja seit den Korinther Briefen nichts fordert) und Besitzansprüchen hinweist und mit der Folgefrage
„Ist die Sonne eifersüchtig auf den Mond?“
Die sich in mein armseliges Hirn hineingefressen hat …

Gruß

Friedel

 

Hallo ernst offshore,
hallo Friedel,
ernst, jetzt habe ich mich in Melancholie vertieft. Ich habe mir viele Zitate erspart (und dir auch), weil ich jetzt aus der melancholischen Suppe auftauchen möchte, um italienischen Wein zu genießen. Apropos Italien, ist Italien nicht das Sehnsuchtsland der deutschen Melancholiker?

Wo ich mich schwertu ist Wilhelms Hinweis - Schwermut, gar Melancholie [„schwarze Galle“], vermag ich nicht zu erkennen (was auch immer V. in die Begegnung mit der Kellnerin sich vorgestellt haben mag), weder nach alter Auffassung (Traurigkeit, Schmerz und/oder Nachdenklichkeit) oder der Eigenschaften (schwache Spontaneität, tiefe Impressionalität) oder gar endogene Psychose.
Friedel, damit es nicht allzu schwer ist, die Melancholie in dem Text zu finden, sammle ich zu erst die Elemente der Melancholie heraus, kommentiere sie und resümiere den Vorgang.
1.
das verwaiste Möwenjunge
2.
Gnadenlose Welt
3.
Dachte Pepe darüber nach, wie groß der Himmel war und wie endlos der sich erstreckte?
4.
Beinahe unmerklich hatte es zu regnen begonnen.
5.
Vincent schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen.
6.
Und ihm gefiel auch der Mond, der über dem Hafenbecken hing und sich durch die wenigen Wolken nicht beirren ließ, auch nicht durch das Getöse der Frösche und Zikaden, das in Wahrheit ja ohnehin kein Getöse, sondern vielmehr so etwas wie ein leises, äonenaltes Raunen war. Wie das Echo aus einem längst vergangenen Zeitalter dieser seltsamen Erdenwelt. Z. Uralt und unergründlich. Vincent nahm den Bleistift und das Notizbuch aus der Tasche und versuchte, seine
7.
Der letzte Gast
8. Abend/Nacht
9. Dichter
10. Spinner/armer Irrer
11. Küste
12. Sängerin
13. Traum vom Fliegen (Krabbe)
14. Vergänglichkeit:
Dinge gehen kaputt.
15. Einsamkeit; Franka kommt nicht an Bord.
16. Kater: Individualität
17. Zwangspause auf der Lebensreise: midlife crisis

Wir sehen hier eine Reihe von Elementen melancholischer Inszenierungen.
Der Begriff Melancholie, zu dem Friedel ja einiges genannt hat, ist aber viel zu ungenau, wie ja Erscheinungs- und Verlaufsformen sehr unterschiedlich sind. Er überlappt sich mit vielen anderen Begriffen, die ich einfach mal aufzähle: Schwermut, Schwarzgalligkeit, Verstimmung, Mutlosigkeit, Faulheit, Antriebslosigkeit, Trauer, Depressivität, Erschöpfung, Burn-out.; es gibt noch eine Menge Wörter mehr, die im Wortfeld von Melancholie eine Rolle spielen. Für vorliegende Geschichte haben wir aber genügend um darzustellen, dass in ihr Melancholie eine Rolle spielt.

Zu 1: Hier ist das Waise-Sein und das drohende Sterben von Pepe wahrlich Anlass zu Anlass zur Trauer,
2. Auch die „gnadenlose Welt“ gibt keinen Anlass zum Jubeln, sondern ängstigt eher.
3. Wie viele Philosophen kamen schon bei Anblick der unendlichen Weiten des Alls in eine gewisse Nachdenklichkeit. Man ist doch ein Nichts angesichts der „unendlichen Weite“.
4. In wie vielen Romanen düstert der Regen die Stimmung der Figuren ein: „Einsam in trüben Tagen …“ auch bei Dürer hat es geregnet, denn ein Regenbogen kündigt Hoffnung an.
5. Das Schließen der Augen deutet die Abwendung von der Welt an und die Hinwendung zum Innenleben. So ist Melancholie mit einer Introversion verknüpft.
6. Wahrscheinlich erscheint in jedem Roman des 19. Jahrhundert irgendwann ein Mond, der durch sein Zwielicht eine zwielichtige Stimmung erzeugt. Man denke nur an die Nachtwachen des Bonaventura, in denen Melancholie herbeigesehnt wird, um künstlerisch produktiv werden zu können (wie bei Vincent).

Wie das Echo aus einem längst vergangenen Zeitalter dieser seltsamen Erdenwelt. Uralt und unergründlich. Vincent nahm den Bleistift.
Zum Raunen des Imperfekts gehört eine Krankheit zum Tode (Kierkegaard), die einen das hören lässt, was zur Produktivität führt.
7. Einsamkeit in der Nacht-da schwirren doch Melancholie, Angst oder Depressivität durch die Lüfte.
8. Abend und Nacht ziehen einen Schwarm von melancholisierenden Ingredienzien mit sich (Licht- und Nachtsymbolik in der Romantik).
9. Dichter, allgemeiner: bildende Künstler sehen sich (mehr oder weniger) als „Seher“ an, die in Nachfolge der Priesterschaft durch ihre Literatur moralische „Instanzen“ (G. Grass) werden: „Warum sind alle hervorragenden Männer, ob Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler, offenbar Melancholiker gewesen?“ (Aristoteles)
10. Seit Christian Heinrich Spieß‘ „Biografien der Wahnsinnigen“ war es chic, sich selber, wie es die beiden Portagonisten dieses Textes tun, als wahnsinnig oder irre zu bezeichnen. Wahnsinn wurde (auch) ein künstlerisch-gesellschaftliches Spiel.
11. Vincent sitzt, wie Dürers Melancholia, an der Küste, als zwischen zwei Elementen: Wasser und Erde, Manie und Melancholie. Übrigens gehört Keller genau hierher, war er doch manisch-depressiv.
12. Franka wird auch in einen Künstlerberuf gedrängt, um eine Gleichstimmung herzustellen.
13. Das Träumen ist der Versuch einer sich selbstheilenden Anstrengung, wie es etwa das Schreiben und Zeichnen des Roten Buches von C. G. Jung darstellt.
14. Dinge gehen kaputt: Das ist doch Melancholie pur!
15. Am Schluss geht jeder in sein Bett: Die Einsamkeit der Melancholischen ist wieder hergestellt.
16. Das Verhältnis Kater zu Vincent ist interessant: Kater sind reine Individualisten, und Vincent? Ist die Ironie der Katers Murr oder von Spiegel, dem Kätzchen, auf eine Melancholie über die unzureichenden Verhältnisse zurückzuführen?
17. Mit einem Boot, auf das die Frau eifersüchtig ist, das Vincent als seine Tochter bezeichnet (übrigens, ernst, sieht man in vielen Hotels immer solche Väter mit einer Tochter, die Boot spielt) befindet er sich auf der Lebensreise und muss halten.
Grundlegend befindet sich Vincent in einer Situation, der er ausgeliefert ist, hilflos wartet er auf das Segel. Wie Dante befindet er sich in einem Wald und hat den Weg verloren. Frustration, Scheitern, Ungeduld –so kann ich seine Wartestellung gut als Melancholie verstehen.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom