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Der Kokosnusscoup
Im Affengehege herrschte nächtliche Ruhe.
Durch die Gitterstäbe verfolgte der Schimpanse Frankie die Wanderung des Sekundenzeigers der runden Uhr, aufgehängt an der gegenüberliegenden Wand. Da näherten sich Geräusche einer herrlich schief gepfiffenen Melodie. Frankie lächelte. »Achtung Jungs, es ist so weit«, raunte er seinen beiden Kumpanen zu. »Was hab ich gesagt? Der Kerl ist berechenbar. Los geht’s!«
Der Orang-Utan Jimmy und der Bonobo Tony nickten und setzten sich in Bewegung.
Frankie spürte ein Kribbeln, als ob eine Ameisenhorde auf ihm wuselte. Operation: Spottdrossel musste gelingen, sonst war der ganze Plan im Eimer. Er schüttelte das Gefühl ab und bezog Position nahe dem Gitter.
Das Pfeifen hatte sie beinahe erreicht. Wie gewohnt traf der Wachmann kaum einen Ton, heute verhunzte er den Klassiker I’m Walkin’ von Fats Domino. Frankie schnaubte.
Der Wärter schlenderte an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes.
Frankie suchte das Zielobjekt: Am Gürtel des Wärters klimperte bei jedem Schritt der Schlüsselbund, es musste ein Dutzend sein, das da gegeneinanderschlug.
Jimmy und Tony hatten ihre Markierungen nahe der Gitterstäbe erreicht, wo die versteckte Ausrüstung bereitlag. Vorsichtig, Jungs! Jetzt ganz sachte! Nur nicht auffallen!
Es war so weit: Jimmy stach mit der Reißzwecke in den verschrumpelten Heliumballon (woher er solcherlei Dinge stets auftrieb, war sein großes Geheimnis).
Der Knall lenkte den Wachmann ab, sodass Tony im richtigen Moment mit einem spitzen Stock (ebenfalls Jimmys Werk) den Schlüsselbund vom Gürtel angelte. Die Beute glitt lautlos das Holz herab und Tony gab das vereinbarte Handzeichen.
Showtime. Frankie bleckte die Zähne, sprang an die Stäbe und rüttelte daran. Er schrie aus Leibeskräften: »Hierher, du Intelligenzallergiker! Ja, dich meine ich! Dir hat man als Kind einen Knochen umgebunden, damit wenigstens der Hund mit dir spielt! Hey, deine Schwester hat angerufen: Eure Mutter hat sich losgerissen und frisst das ganze Heu auf!«
Der Wachmann schluckte den Köder. Er kam auf Frankie zu. »Was soll das Affentheater?«, zischte er, »willst du den ganzen Zoo aufwecken?«
Frankie brüllte weiter und wurde noch lauter, da warf Tony den Schlüsselbund zwischen den Stäben hindurch, hinter die Schuhe des abgelenkten Wärters.
Frankie beendete die Scharade und trollte sich in eine der dunkleren Ecken. Jimmy und Tony kamen dazu.
Der Wachmann sah ihnen nach und horchte in die Stille. Keines der Tiere in näherer Umgebung schien erwacht zu sein. »Na also, geht doch«, brummte er und wollte weitergehen, dann bemerkte er das verlorene Gut. Er sah auf, Misstrauen im Blick.
»Verhaltet euch norma-hal«, presste Frankie hinter geschlossenen Zähnen hervor.
Jimmy prustete dem Wärter zu und zeigte ihm den Finger.
Tony bohrte in der Nase und inspizierte das Ergebnis.
Frankie fixierte die Augenpartie des Gegners. »Cool bleiben. Diese Pappnase ahnt nicht das Geringste.«
Der Wachmann zuckte mit den Schultern, klaubte den Bund vom Boden auf und hakte ihn am Gürtel ein. Dann nahm er seine Runde mit gespitzten Lippen wieder auf (diesmal beleidigte er Pat Benatas Evergreen Hit me with your best Shot). Er geriet außer Sicht, das Pfeifen verebbte.
»Verdammt gute Arbeit, Jungs«, lobte Frankie, »Tony, lass’ sehen.«
Sein Kumpel öffnete die Handfläche. Der Schlüssel war klein und unscheinbar.
»Jackpot«, sagte Jimmy, mit einem Leuchten in den Augen.
Frankie lächelte. »Noch nicht. Aber wir sind nah dran. Okay, als Nächstes …«
»Was macht ihr da?«, fragte eine Piepsstimme, direkt hinter ihnen.
Fast gleichzeitig drehten sie die Köpfe, doch niemand war zu sehen. Frankie senkte den Blick:
Eine Wüstenrennmaus stand auf den Hinterbeinen und beäugte sie, ihre Schnurrhaare zitterten leicht.
»Nanu? Wen haben wir denn da?«, fragte Frankie und schloss nebenbei Tonys Hand um den Schlüssel. »Wie heißt du, Kleine?«
»Ich bin Shirley«, piepste die Maus (da sie lispelte, klang es wie Chirley, ihre S waren tii-äitsch und das Sch klang wie Ch).
»Es ist eine Freude dich kennenzulernen, Shirley. Ich bin Frankie. Das sind meine ehrenwerten Mitstreiter Jimmy und Tony.
Der Orang-Utan hob die Hand zum Gruß und der Bonobo grunzte.
Die Maus trippelte auf der Stelle und schnupperte in Richtung von Tonys Faust. »Wothu braucht ihr den Chlüthel?« Offensichtlich hatte sie die erfolgreiche Durchführung von Operation: Spottdrossel beobachtet. Ihre Äuglein weiteten sich. »Ooh … wollt ihr etwa authbrechen?«, flüsterte sie im Verschwörerton.
Jimmy sah Tony an. Tony guckte zu Frankie. Frankie schaute auf Shirley und schmunzelte. Nicht auf den Kopf gefallen, die kleine Maus. »Oh, nein, nichts liegt uns ferner, Teuerste. Auch wenn wir es könnten. Der gute Tony hier, hat bereits vor langer Zeit Mittel und Wege gefunden, diese Zellentür zu öffnen. Hab ich recht, Kumpel?«
»Ugh«, machte Tony (Der Wortschatz des Bonobo war seit dem Missgeschick, das die Tiere im Zoo nur den Giraffen-Vorfall nannten, generell eingeschränkt).
Frankie sah auf Tonys geschlossene Hand. »Dieser Schlüssel ist für etwas Anderes gedacht, Miss Shirley. Etwas ganz Besonderes.« In diesem Moment kam ihm eine Idee. »Darf ich dich etwas Persönliches fragen?«
»Wath denn?« Sie kam näher, ihr Interesse war eindeutig geweckt.
»Kannst du ein Geheimnis bewahren?«
»Macht ein Faultier nur einmal die Woche Kacki?«, antwortete sie.
Frankie hob fragend eine Augenbraue.
Shirley setzte eine feierliche Miene auf. »Ja, du Affe. Wüthtenrennmauthehrenwort.« Sie lächelte.
Als er ihr erklärte, was sie im Begriff waren zu tun, füllten sich die Äuglein der Maus vor Rührung mit Tränen.
Am nächsten Tag gaunerte das Trio nahe der Autoreifenschaukel herum.
»Du hättest sie nicht in den ganzen Plan einweihen sollen, Boss«, meinte Jimmy, während er aus einer Astgabel und einem Streifen abgenudeltem Gummi eine Zwille bastelte.
»Vertrau mir, mit Nagetieren kenne ich mich aus. Ich bin mir sicher, Miss Shirleys Absichten sind in hohem Maße integer. Noch dazu hat dieses Mäuschen Qualitäten, die weder du noch ich oder unser Langhalslover hier vorweisen können.«
Tony gluckste und kletterte auf die Schaukel.
»Einem Meerschweinchen hätte ich zum Beispiel nie im Leben den Plan verraten«, führte Frankie den Gedanken weiter aus. »Denen ist nicht zu trauen.«
»Ähem«, unterbrach ihn ein Räuspern, hinter ihnen.
Das Trio drehte sich um. »Harvey!«, begrüßte Frankie den Kakadu, der zwischen zwei Stäben saß. »Was verschafft uns die Ehre?«
»Es betrübt mich, dir mitzuteilen, Frank, dass es unschönes Gerede ist, welches meine Anwesenheit in diesem« – er taxierte das Gehege und rümpfte den Schnabel – »Etablissement notwendig macht (Harvey redete meist so theatralisch daher. Er arbeitete als Consigliere für Bruno, den Capo di tutti i capi, im Zoo unter den Tieren auch besser bekannt als Der Duke).«
»Unschönes Gerede?«, hakte Frankie nach.
»Es kursieren seit kurzem … Gerüchte«, sagte der Papagei mit bedrohlichem Unterton und trat durch die schwedischen Gardinen.
»Die da lauten?«
»Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: dieser trällernde Schwachkopf von einem Wärter, besser bekannt als die Spottdrossel, ist gestern Nacht angeblich das Opfer eines perfiden Trickdiebstahls geworden.« Harveys Augenlider verengten sich zu Schlitzen, »ihr Drei wisst nicht zufällig etwas darüber?«
»Der Buschfunk hatte schon immer die lautesten Trommeln«, meinte Frankie und lächelte unschuldig, »ich kann dazu nichts sagen, tut mir sehr leid.«
»Hab nichts gesehen«, sagte Jimmy.
»Nix gehört«, endete Tony.
Harvey legte den Kopf schief. »Sehr witzig. Wisst ihr, was das Schöne an euch Primaten ist?«
»Dass wir keine Erkältung kriegen können?«, fragte Jimmy und testete die Dehnbarkeit der Zwille.
»Dass wir geborene Ästheten sind?«, riet Frankie.
»Ugh?«, machte Tony und kratzte sich am Hintern.
Harvey verzog das Gesicht. »Nicht doch. Ihr seid den Menschen so ähnlich. Das macht euch … berechenbar.« Er verzog den Schnabel zu einem schmierigen Grinsen. »Frank, auf ein Wort?«
Sie entfernten sich von der Schaukel, gingen nebeneinander am Gitter entlang, wobei Harvey absichtlich außerhalb der Stäbe blieb. »Der Duke lässt ausrichten, was auch immer du vorhast, worum es auch geht, er verlangt wie üblich zwanzig Prozent.«
»Zwanzig Prozent?« Frankie schmunzelte.
Der Kakadu blieb stehen. »Sei vorsichtig, Frank. Ich warne dich. Du weißt, was mit denen passiert, die nicht bezahlen. Ach, da fällt mir ein, wie geht es deiner Frau, Tess? Steht ihr Umzug in unseren Zoo nicht kurz bevor? Bestimmt bist du deswegen schon ganz aufgeregt. Wie lange ist es jetzt her, dass ihr getrennt wurdet?«
»Vier Jahre.«
Der Kakadu stieß einen anerkennenden Pfiff aus und nickte. »Der Duke hat mir davon erzählt. Er freut sich für dich. Und natürlich auch darauf, Tess kennenzulernen. Na ja, falls sie hier ankommt, wenn du weißt, was ich meine.«
Frankie sah durchs Gitter auf das bunte Treiben des Zoos. Sein Blick blieb an einem Menschenpärchen hängen. Der Teenager hatte gerade Softeis gekauft und überreichte eine der beiden Waffeln an die Dame seines Herzens. Sie erwiderte das Lächeln und nahm seine Hand in ihre. So schlenderten sie in Richtung des Schlangenhauses. »Sag deinem Boss«, antwortete Frankie leise und ohne Harvey dabei anzusehen, »wenn das Ding gelaufen ist, bekommt er, was ihm zusteht.«
Der Papagei trat von den Gitterstäben zurück. »Wie ich schon sagte: berechenbar.« Mit unverhohlener Süffisanz schlug er mit den Flügeln und flog davon.
Am Abend steckten sie die Köpfe zusammen, vor sich ausgebreitet einen ramponierten Lageplan für Zoobesucher.
Frankie benutzte ein Stück Bambus als Zeigestock: »Okay, ein letztes Mal. Um Punkt zwei Uhr früh schlagen wir los. Jimmy zerschießt die ersten Lampen und Sicherheitskameras, hier und hier. Tony verriegelt die Türen der Wärterzugänge und öffnet die Zellen unserer Verbündeten. Auf wen können wir zählen?«
Jimmy zielte mit der ungeladenen Zwille ins Leere. Ein Auge zugekniffen, antwortete er: »Die Ziegen sind dabei, ebenso die Flamingos, Stachelschweine, Stinktiere und Ameisen. Die Erdmännchen wollen es sich noch überlegen. Die haben großen Schiss, der Duke könnte Wind vom Plan bekommen.«
»Was ist mit Luftunterstützung?«, fragte Frankie.
»Ah, ja. Die Schneeeulen würden die Operation von oben überwachen, fordern dafür allerdings zehn Prozent mehr Beute als vereinbart.«
»Ugh«, machte Tony, spitzte die Lippen zu einem Kussmund und fabrizierte schmatzende Geräusche. Jimmy beendete die Zielübung. »Äh, ja, die Giraffen sind auch dabei.« Unsicher blickte er von Tony zu Frankie, »die, äh, Grande Dame, Ludmilla persönlich, hat uns ihre Hilfe zugesichert, vorausgesetzt, der Herzensbrecher hier ist mit von der Partie.«
Tony grinste und tätschelte Jimmys Kopf.
»Was ist mit den Faultieren?«, fragte Frankie.
»Die haben keinen Bock.«
»Typisch. Na, dann muss das reichen. Schick eine Nachricht an die Erdmännchen, wir brauchen ihre Entscheidung bis spätestens Mitternacht. Teile den Eulen mit, jeder bekommt den gleichen Anteil. Wenn ihnen das nicht passt, tut’s mir leid fürs liebe Federvieh. Und richte Ludmilla aus, wir fühlen uns geehrt, angesichts der hochgestellten Unterstützung. Gute Arbeit, Jimmy.«
»Danke, Boss!«
»Okay, die Türen sind also offen. Helfende Pfoten, Hufe und Klauen unterwegs. Tony, du schleichst zu unserem Ehrengast und bereitest alles für seine Ankunft vor. Pass dabei auf Harvey auf, gut möglich, dass er etwas ahnt und auf der Lauer liegt.
Wir beide, Jimmy, begeben uns in den Sicherheitsbereich und benutzen dort den Schlüssel der Spottdrossel. Wir holen die Geheimwaffe und das, was fürs Finale nötig ist.« Ernst sah er beide an. »Ab diesem Punkt gibt es kein Zurück mehr. Sobald wir den Schrank öffnen und Miss Shirley erst im Spiel ist, kommt es auf zwei Punkte an: Schnelligkeit und Präzision. Wie weit sind wir mit der Tarnvorrichtung?«
Sein Kumpan hob ein Tarnnetz hoch, aus Flechten, Wurzeln und Blättern gebastelt. »So gut wie fertig, Boss.«
»Ausgezeichnet.« Frankie zeigte mit dem Bambusstock: »Tony, wir treffen dich am Logistikgebäude. Die anderen sollen sich bereithalten. Als Zooguerilla schalten wir den Wachmann mit der Geheimwaffe aus, öffnen die Lagertüren und laden auf. Wenn alle mitanpacken, sollten wir rechtzeitig zur Ankunft des Ehrengastes fertig sein. Noch Fragen?«
»Ugh«, machte Tony, zeigte mit dem Finger nach oben und warf einen Luftkuss hinauf.
»Tja, Kumpel, das ist und bleibt leider ein Problem. Wie wär’s denn, wenn sie sich stattdessen zu dir runterbeugt? Dann brauchst du nicht hochklettern und ihr könnt gefahrlos rumknutschen, ohne dass du wieder abstürzt und erneut den Kopf verbeulst.«
Tony applaudierte begeistert.
Der Stein traf die Kamera seitlich, die Wucht des Aufpralls drehte die Linse weg vom Eingang des Sicherheitsgebäudes.
»Gut geschossen, Kumpel«, flüsterte Frankie. Sie huschten im Schutz der Dunkelheit bis zum Rande des Lichtkegels. Ein weiteres Geschoss zerstörte die Lampe und tauchte auch den Türbereich in Finsternis.
Bisher lief alles nach Plan. Auf dem Zoogelände rannten keine alarmierten Wärter umher, niemand versuchte sie einzufangen. Daher schloss Frankie, dass Tony beim Zusperren der Türen Erfolg hatte. Er öffnete die Metalltür des gedrungenen Häuschens mit seinem Generalschlüssel (eine befreundete Elster hatte Tony vor langer Zeit zwei der wertvollen Dinger verkauft, seitdem liefen die Dinge für die Affenbande meist wie am Schnürchen).
Das innere des Gebäudes bestand aus nicht mehr als einer Art Lagerraum, auf Metallregalen lagen diverse Gegenstände zum Sichern oder Ruhigstellen der Gefangenen. Während Jimmy auf die Suche nach den Betäubungsgewehren ging, machte Frankie den kleinen Stahlschrank aus, der die Geheimwaffe enthielt. Er zückte den gestohlenen Schlüssel der Spottdrossel.
»Howdy, Partner!«, piepste es hinter ihm. Shirley stand im Türrahmen.
Frankie lächelte. »Pünktlich, auf die Minute.« Er schob den Rollladen des Schranks hoch, fuhr mit dem Finger die Reihen der Behälter ab und fand, was er suchte.
Shirley trippelte an seine Seite.
»Bereit, loszulegen?«, fragte er.
»Macht der Bär Kacki im Wald?«, antwortete sie.
Frankie lachte, kniete sich hin und befestigte vorsichtig den Behälter mit einem Bindfaden auf dem Rücken der Maus. »Zu fest?«
Shirley schüttelte das Köpfchen. »Thuper. Kannth lothgehen?«
Jimmy kam mit leeren Händen zurück. »Wir haben ein Problem.«
Blitzschnell zählte Frankie eins und eins zusammen. »Hast du wirklich überall nachgesehen?«
»Hab ich. Sie müssen die Dinger woanders untergebracht haben. Was machen wir jetzt, Boss?«
Frankie überlegte kurz, dann fiel sein Blick auf Shirley, die ihn erwartungsvoll anlächelte. »Wir machen das, was du am besten kannst, Jimmy. Wir improvisieren. Los!«
Nachdem sie die Rennmaus auf den Weg geschickt hatten, trafen sie am Logistikgebäude ein. Frankie verlangsamte seine Schritte und spähte am Gebäudekomplex vorbei, ins Dunkel. In den Schatten erkannte er die Umrisse von anderen Tieren, auf Tony war wie immer Verlass.
Die Doppeltüren erbebten unter den Versuchen der Wärter, diese von innen aufzubekommen, doch die dicken Äste, die Tony als Riegel zwischen den Griffen verankert hatte, hielten stand.
»Ugh!«, hörten sie hinter sich. Tony lugte unter dem Tarnnetz hervor. »Ugh?«, machte er erneut, beim Anblick von Jimmys leeren Händen.
»Da waren keine Gewehre, sorry, Kumpel«, sagte Frankie.
Einer der Astriegel knackte bedrohlich, nach einem besonders harten Stoß.
»Uns läuft die Zeit davon«, meinte Jimmy.
Frankies Gehirn lief auf Hochtouren. Ihm kam die zündende Idee. »Lauf zu Babette und Chantal, sag ihnen, wir brauchen ihre Hilfe. Beeil dich!«, wies er Tony an, der sich auf den Weg machte. Dann wandte Frankie sich an Jimmy: »Erinnerst du dich noch an unseren ersten gemeinsamen Coup, der Elefanten-Fischzug? Als beinahe alles verloren schien, hattest du diesen genialen Einfall …«
Jimmys Augen weiteten sich. »Nein. Boss, nein! Das war damals dumm und unvorbereitet. Ich war danach fix und fertig und konnte zwei Wochen lang nichts riechen!«
»Ein Glück, dass du heute nicht mehr der unerfahrene Affe von damals bist«, antwortete Frankie und zwinkerte ihm zu. »Hab ich recht?«
Er sah, wie sich die Erkenntnis in den Gesichtszügen ausbreitete, gefolgt von einem Grinsen. »Ich hab genau das Richtige, warte hier, bin sofort wieder da.«
Tony kam zurück mit zwei Stinktierdamen im Schlepptau. Frankie deutete eine Verbeugung an. »Mesdames, merci beaucoup, dass ihr uns so spontan aus dieser Misere befreit.«
»Für uns’ren Kavalier Antony ’ier tun wir alles, chéri«, hauchte Chantal mit französischem Akzent.
An der Tür brach einer der beiden Astriegel mit trockenem Krachen. Hinter dem Metall erklangen motivierte Menschenrufe.
Jimmy trabte heran. »Hände auf!«, befahl er keuchend und verteilte je zwei knallbunte Oropax-Ohrstöpsel an seine Freunde, die sie sich prompt in die Nasenlöcher stopften.
»Versteckt euch!«, rief Frankie und sie alle schlüpften im letzten Moment unter das Tarnnetz.
Der zweite Riegel splitterte und brach, zwei Wärter stolperten ins Freie, sahen sich suchend um.
»Warte, bis sie näher kommen, feuer erst, wenn du das Weiße in ihren Augen siehst«, raunte Frankie. Dann war es soweit. Die Zoowärter kamen bis auf wenige Schritte heran. »Jetzt!« Tony warf das Netz hoch und hinter sie, Jimmy und Frankie sprangen auf, hielten die Stinktierdamen im Anschlag, Hinterteile voraus.
»Feuer frei!« Frankie zielte mit Babettes Poloch auf den Kopf des näheren Wachmanns. Die Ladys verspritzten ihr stinkendes Sekret und trafen die überrumpelten Gegner im Gesicht, keuchend und würgend gingen sie zu Boden, wälzten umher, unfähig, etwas zu sehen, geschweige denn zu unternehmen.
»Gut gezielt«, lobte Jimmy und setzte Chantal auf den Boden.
Frankie tat es ihm mit Babette gleich. »So wie du. Wer braucht schon Waffen, wenn man solche Freunde hat?« An die Damen gerichtet sagte er: »Ladys, wir stehen auf ewig in eurer Schuld. Merci, von ganzem Herzen.«
»De rien, chérie. Jederzeit wieder.«
»Ugh?«, machte Tony.
»Hm?« Frankie wandte den Kopf. Tonys Augen waren seltsam leer, der Bonobo geriet ins Taumeln, strauchelte und fiel um. Aus seinem Hals ragte der rotgefiederte Pfeil eines Betäubungsgewehrs. Was zum-?
»Boss!«
Der Ruf katapultierte ihn ins Hier und Jetzt. Er folgte Jimmys ausgestrecktem Fingerzeig, in der Tür stand ein dritter Wärter, es war die Spottdrossel! Mit zitternden Fingern lud der Mann einen weiteren Pfeil ein und legte auf Frankie an.
Die Zeit stand still. Verdammter Mist. Würde er Tess jemals wiedersehen? Sie jemals wieder in den Arm nehmen, ihren Duft riechen und ihre Wärme spüren?
Gerade wollte der Wärter schießen, da nahm die Zeit Fahrt auf und von links kam eine Giraffe herangallopiert. Sie senkte im Lauf ihren Hals wie einen Rammbock und verpasste dem Schützen einen Kopfstoß, der sich gewaschen hatte. Der Wärter fiel um und blieb bewusstlos liegen. Die Giraffe trabte heran. »Niemand schießt auf meinen Liebsten«, sagte die Grand Dame Ludmilla.
»Frankie. Frankie!« Shirley rief bereits von weitem, die Rennmaus machte ihrem Namen alle Ehre. »Er kommt. Er kommt!«
»Bist du dir sicher?«, fragte Frankie.
»Tho thicher wie es Heringe bei einer Delphinthow gibt! Er ith direkt loth, alth er eth gerochen hat!«
»Herhören!«, rief Frankie, an alle Tiere gerichtet, die gerade aus dem Schatten des Gebäudes traten. »Unser Zeitfenster schließt sich. Der Duke ist auf dem Weg! Jeder schnappt sich, was er tragen kann und dann nichts wie weg hier! Helft euch gegenseitig. Los geht’s!« Er beugte sich zu Shirley, befreite sie von dem Behälter und hielt ihr die offene Hand hin. »Gut gemacht, kleine Maus.«
»Thelber gut gemacht, Affe.« Sie strahlte über das ganze Gesicht, nahm die Einladung an und kletterte über den Arm auf seine Schulter.
Frankie richtete sich an Jimmy und überreichte ihm den Behälter mit Bärenlockstoff: »Lass das verschwinden, ja? Sehen wir zu, dass wir wegkommen. Wie schaffen wir Tony nach Hause?«
Es dauerte keine Minute, da hatte sein Freund eine Schubkarre organisiert.
Die Türen des Affengeheges öffneten sich. Ein wenig unsicher (vermutlich aufgrund der ungewohnten Umgebung) betrat Tess ihr neues Zuhause. Es war niemand zu sehen und nichts zu hören, außer den bekannten Alltagsgeräuschen des Menschenzoos, außerhalb der Gitterstäbe.
Ein paar Schritte entfernt schwang eine Autoreifenschaukel sachte aus, ganz so, als hätte dort bis eben noch jemand gesessen.
Eine Wüstenrennmaus trippelte aus einem blickdichten, mit großflächigen Palmblättern abgetrennten Bereich, der wie von Affenhand gebastelt aussah. »Hallo«, piepste die Maus. »Du mutht Teth thein. Chön dath du da bitht. Ich bin Chirley.«
Tess lächelte. »Hallo Shirley, freut mich, dich kennenzulernen. Wo sind denn alle?«
»Die feiern ’ne Party. Komm mit, ich theigth dir«, antwortete sie und führte Tess um die Wand aus Palmwedeln herum.
Drei Affen saßen auf einem gewaltigen Kokosnussberg, sie tranken aus den halbierten Schalen und lachten zusammen. Als sie Tess sahen, verstummte das Trio.
»Hallo, meine Liebe«, sagte Frankie, stieg von dem Haufen herunter und nahm sie so fest in den Arm, wie er konnte. Er sog ihren einzigartigen Duft ein und spürte ihre Wärme.
Freudentränen liefen Tess über die Wangen, sie lachte und schluchzte und lachte erneut. »Was - ist das hier alles?«, fragte sie.
»Ein angemessener Empfang für die Frau meines Herzens«, sagte Frankie. »Und dein neues Zuhause. Es wird dir gefallen.«
»Aber … ich habe gefährliche Dinge über deinen Zoo gehört. Es gibt hier angeblich einen Gangster, der alle Tiere kontrolliert. Man nennt ihn ...«
»Gab es, meine Liebe. Gab es. Er hat bekommen, was ihm zusteht und wurde daher umgehend verlegt.«