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Der Kongress in Berlin

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22.12.2004
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Der Kongress in Berlin

Ich wurde nach Berlin geschickt, um von einer Konferenz zu berichten. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in ein weißes Hemd mit Kragen und einen Anzug warf, aber das hieß nicht, dass es mir diesmal besser gefiel.
Auf dem Weg zum Konferenzhotel beachtete ich die Häuser und die Menschen sehr genau, auch wenn ich nichts mit ihnen gemeinsam hatte. Ich mochte Berlin, ich war nur seit gut zehn Jahren nicht mehr dort gewesen. Nirgendwo in Deutschland wohnen so viele Menschen wie in Berlin, dachte ich, und doch ist es möglich, zwischen all diesen Menschen alleine zu sein.

Die Vorträge waren interessanter als ich dachte. Es gab viel Neues aus der Computertechnik, über die ich berichten sollte, und die Referenten brachten ihren Stoff mit Schwung herüber. Ich hatte viel zu schreiben und würde eine gute Reportage abliefern, das konnte ich schon zu Anfang sehen. Die anderen Konferenzteilnehmer schienen dennoch mehr Gefallen an der Sache zu finden. Ich schaute mich um und sah viele Vertreter im glatt sitzenden Anzug mit bester Krawatte und perfekt gekämmten Haaren. Die bereitgestellten Getränke wurden mit Sorgfalt behandelt, das höfliche Hotelpersonal indes gar nicht beachtet. Mit einem Blick würden sie erkennen können, dass ich mit meinem krawattenlosen, ungebügelten Anzug noch jung und grün im Geschäft war.

Der Moderator der Konferenz war ein untersetzter Mann Mitte 40, Direktor einer Computerfirma, höflich, angesehen und engagiert. Wenn keiner der Zuhörer mehr Fragen hatte, fiel ihm noch etwas ein, das uns Medienvertretern wichtig sein könnte. Ich mochte ihn und ich hätte ihn gerne auf das Magazin hingewiesen, für das ich arbeitete. Wir waren neu auf dem Markt und er hätte uns dabei helfen können, bekannter zu werden.

Der ersten Pause sah ich mit Unmut entgegen, und ich sollte Recht behalten. Es gab kleine Snacks und Kaffee, dazu waren Stehtische aufgebaut, an denen wir Kongressteilnehmer uns untereinander austauschen konnten. Der Moderator wurde gleich von einigen Gästen angesprochen. Mir fiel überhaupt nichts ein, was ich ihn hätte fragen können. Und einfach auf ihn zu gehen und mich vorzustellen, erschien mir beiweiten zu plump. Ich sah mich um und bemerkte, dass eigentlich alle Teilnehmer der Konferenz bereits in Grüppchen zusammenstanden und sich unterhielten, während einige einzelne Vertreter für sich alleine standen und auch signalisierten, dass ihnen das so lieber war. Also beließ ich es bei einem kleinen Snack und ging etwas früher zurück in den Kongresssaal, ohne mich mit jemandem zu unterhalten.

In der Mittagspause setzte ich mich zu einem jungen Mann an den Tisch, der wie ich zu den jüngsten der Veranstaltung gehörte und etwa in meinem Alter war. Nach kurzer Frage, wie er das Essen und die Konferenz fände und zu welcher Firma er gehöre, fielen mir keine weiteren Fragen ein und er entschuldigte sich unter dem Vorwand, noch telefonieren zu müssen. Ein weiterer, älterer Mann, der neben mir saß, wies bei einer beläufigen Frage von mir auf das Essen vor sich und schüttelte dabei den Kopf.

Der nächsten Kaffeepause sah ich mit großem Missmut entgegen. Es gab Kuchen, Tee und Kekse. Der Moderator stand diesmal alleine, doch mir fiel wieder keine Frage ein, die ich ihm hätte stellen können und die Idee, mich einfach vorzustellen, schien mir nicht besser als am Vormittag. Am Wasserkocher, wo ich mir einen Tee aufbereitete, versuchte ich, mit einem weiteren Teetrinker ein kurzes Gespräch anzufangen. Er beließ es jedoch dabei mir zu erklären, dass er den Tee auf Konferenzen grauenhaft fände, den Kaffee aber noch um Längen schlechter. Er entschuldigte sich unter dem Vorwand, zurück zu seinem Kollegen müssen, der an einem der Stehtische stand.

Während der nächsten Pause wäre ich am liebsten im Kongresssaal geblieben, aber ich hielt es auf meinem unbequemen Stuhl nicht lange aus, ohne ein paar Schritte zu gehen und mich mit einem schwarzen Tee wachzuhalten. Nachdem ich mir den Tee eingeschenkt und mich im Vorraum nach Gesprächspartnern umgesehen hatte, entdeckte ich dieses Mädchen, das alleine an einem der Tische stand. Sie mochte so jung sein wie ich, zog an ihrer Zigarette und schaute in Gedanken verloren auf den Aschenbecher vor ihr. Sie war gar nicht hübsch und dabei noch ziemlich dick. Aber das Lächeln auf ihren Lippen machte mir Mut. Nur einen Moment später fand ich mich neben ihr und fragte, ob ich mich dazu stellen könnte. Sie hatte nichts dagegen und fragte mich alsdann, wozu es mich ich auf diese Konferenz verschlagen hatte. Ich fragte sie das gleiche und noch ehe die Pause beendet war, war zwischen uns das Eis gebrochen.

In der letzten Pause des Tages gesellte ich mich gleich zu ihr. Sie stellte sich mir unter dem Namen „Lydia“ vor und wir unterhielten uns lebhaft über unsere Herkunft und unsere Gemeinsamkeiten. Wir waren beide erst zum zweiten Mal in Berlin, wobei das erste Mal lange zurück lag, und gleichsam fasziniert von dieser Stadt. Sie war mit einer Freundin angereist, die während der Konferenz auf einen Einkaufsbummel ging. Wir einigten uns freudig darauf, dass wir uns beim geplanten Abendprogramm der Konferenz schnell absetzen und Berlin erkunden würden.

Am Abend

Das Abendprogramm fand in einer Lounge am Kurfürstendamm statt. Kellner servierten Getränke und zahlreiche, kleine Häppchen, die sich zu einem kompletten Abendessen summierten. Als Lydia und ihre Freundin etwas später in den Saal kamen, nahmen wir uns einen gemeinsamen Tisch, aßen nach Herzenslust und bestellten einen Cocktail nach dem anderen. Lydias Freundin stellte sich unter dem Namen Jennifer vor. Anders als Lydia war Jennifer nicht berufstätig und studierte auch nicht. Sie lebe so in den Tag hinein, bemerkte sie ohne Scheu, zu allem anderen sei man auch zu jung und ob man sich nicht eigentlich das Nachtleben von Berlin anschauen wollte?

Jennifer hatte nur alkoholfreie Cocktails getrunken und fuhr uns schon wenige Minuten später in ihrem kleinen Auto durch die Stadt. Sie gefiel mir, denn sie war hübsch und erschien mir neugierig und froh über jeden Tag, an dem sie etwas anderes entdecken konnte. Gemeinsam fuhren wir über den Kurfürstendamm, vorbei am KaDeWe, am Alexanderplatz, am Potsdamer Platz und dem Brandenburger Tor. Ich kurbelte das Fenster herunter und hielt meinen Kopf heraus, um den warmen Spätsommerwind zu spüren. Jennifer sang zur Musik aus dem Autoradio, Lydia, die auf der Rückbank saß, lachte. Ich sah Jennifer tief in die Augen und sagte im Scherz, wie sehr mir ihr Haar gefiel. Sie lachte und drückte einen Kuss auf ihre Hand, die sie dann gegen meine Wange hielt. Ich kurbelte den Sitz herunter in eine Liegeposition und dankte Lydia dafür, dass sie mich getroffen und vor der Langeweile im Pausenraum gerettet hatte. Sie lachte auf und strich mir aus Spaß durchs Haar. Nicht weit vom Brandenburger Tor hielten wir an, aßen und tranken etwas, genossen den lauen Sommerabend und hüpften wie verrückt vor Freude am Straßenrand. Mit einer Umarmung und einem Wangenkuss verabschiedete ich mich von beiden am Hauptbahnhof, weil ich dort die S-Bahn zu meinem Hotel nehmen musste. Lydia gab mir ihre Handynummer und wir verabredeten uns am nächsten Morgen zu einer Stadtrundfahrt.

Der nächste Tag

Verkartert trafen wir uns am nächsten Morgen im Café neben dem Kongresshotel. Auch Jennifer wirkte unausgeschlafen, obwohl sie am Abend nichts getrunken hatte. Wir ließen die Konferenz am Vormittag sein und buchten die Stadtrundfahrt in einem Bus mit offenem Verdeck. Mir erschien der Fahrpreis viel zu hoch, aber ich hielt es für fehl am Platz, meinen Unmut darüber zu äußern. Lydia besetzte einen Platz direkt vor mir. Sie schien mir unruhig und weniger selbstsicher zu sein als am Vorabend. Auf meine Nachfrage sagte sie, sie hätte schlecht geschlafen. Jennifer sah bei Tageslicht weniger strahlend aus als am Abend, aber sie gefiel mir immer noch. Dennoch fiel es uns seltsam schwer uns zu unterhalten. Die Rundfahrt dauerte eine gute Stunde, während derer jeder von uns kaum etwas sagte. Ich scherzte ein wenig mit Jennifer, doch mehr als ein kurzes Lächeln brachte ich bei ihr nicht hervor.

Zur abschließenden Podiumsdiskussion waren wir wieder im Kongresshotel. Jennifer wollte in der Zwischenzeit über den Kurfürstendamm schlendern, während Lydia und ich ein wenig zu spät im Konferenzsaal erschienen. Weil nicht mehr genügend Plätze frei waren, konnten wir uns nicht nebeneinander setzen, also nahm ich in einer der hinteren Reihen Platz, während sie sich nach vorne setzte. Mitten in der Diskussion packte sie ihre Sachen, nahm ihre Jacke und ging, nicht ohne kurz zu mir herüberzuschauen. Ich deutete das als Zeichen, dass sie draußen auf mich warten würde. Doch als die Konferenz vorbei war, war sie verschwunden.

Es war zu früh, um zurück zu meinem Hotel zu fahren, wo ich am nächsten Vormittag auschecken und Berlin verlassen würde. Und weil ich das Brandenburger Tor noch nicht aus der Nähe gesehen hatte, fuhr ich mit der S-Bahn dorthin. Ich las die Gedenktafel, vernahm die Strahlen der untergehenden Sonne durch das Tor und lauschte einem Straßenmusiker, der herrlich traurige Musik mit seinem Verstärker aufnahm, um sie später in einer Schleife immer wieder abzuspielen. Ziellos trollte ich danach umher, um ein preiswertes Restaurant zu suchen, wo ich wohl alleine zu Abend essen sollte.

Dann wurde es mir zu bunt und ich rief die Nummer an, die Lydia mir gegeben hatte. Sie ging sofort ran. Wo so geblieben sei, fragte ich und klang dabei wohl leicht gekränkt. Es habe ihr nicht mehr gefallen, sagte sie in einem zu beruhigenden Tonfall, wie mir schien. Deswegen sei sie schon früher gegangen. Ich fragte, warum sie nicht auf mich gewartet hatte. Weil sie und Jennifer nun doch schon früher zurückfahren wollten, sagte sie. Es täte ihr Leid, sie müsse jetzt gehen. Während ich in der Nähe des Potsdamer Platzes umherirrte, legte sie auf. Das war das letzte Mal, das ich etwas von Lydia oder Jennifer gehört habe.

 

Hallo!

Mir kommt es ganz so vor, als erzähle deine Geschichte eher etwas, was man normalerweise in einer anderen Geschichte gar nicht widergeben würde, weil es total unwichtig und unspannend wäre. Nämlich genau das ist deine Geschichte leider. Und wirklich gesellschaftskritisch ist sie nur ganz leicht ansatzweise und mit gutem Willen.

Kann leider nichts Positives anmerken.

Beste Grüße

Nothlia

 

Hallo Nothlia, danke für deine Antwort.
Ich kann verstehen, dass dir die Geschichte nicht ganz so gut gefällt. Ist mir sicher nicht so gut gelungen. Vermutlich fehlt etwas der Spannungsbogen. Es war ein Experiment, mal etwas anderes zu machen. Ich hoffe, ich kann demnächst mal wieder was Spannenderes schreiben und werde auch überlegen, diese Geschichte noch einmal zu überarbeiten. :)

Viele Grüße
Jay

 

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