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Der Kurfürst

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26.05.2006
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Der Kurfürst

Krachend schlug die Tür gegen die Wand, Putz rieselte herab. Polternd kam der Neuankömmling in den Schankraum und machte sich nicht die Mühe, den Eingang wieder zu schließen.
„He, Wirt! Bring Er Wein! Was hat Er zu Essen da?“
Der Wirt gab dem Jungen, der geschäftig mit vollen und leeren Gläsern zwischen Tischen und Tresen eilte, einen Wink. Flink lief der Knabe, um das Versäumte nachzuholen. Er hatte Mühe, sich gegen den Wind zu stemmen und die schwere Tür zu schließen.
Der Wirt ging auf seinen neuen Gast zu, erkannte ihn nun.
„Durchlaucht! Ihr seid allein? Ohne Gefolge?“
Unterwürfig verneigte er sich vor seinem Herrscher und half ihm dann, den durchnässten Mantel abzulegen. Er winkte den Knaben herbei und scheuchte ihn damit davon.
„Bring Decken für Seine Durchlaucht!“, befahl er, rief dem davoneilenden Buben dann nach: „Und schick Jakob, er soll das Pferd versorgen!“
„Wein!“, verlangte Seine Durchlaucht, „Und das Beste, was die Küche zu bieten hat!“
„Einen Fasan kann ich bringen, zart wie ein junges Täubchen und pikant gewürzt. Dazu Brot, einen Kuchen mit Äpfeln zum Dessert.“
„Ein junges Täubchen“, murmelte der Kurfürst.
Der Wirt sah das aufkeimende Funkeln in den Augen seines Herrschers. Sein Herz setzte für einen Schlag aus und sein Magen zog sich krampfhaft zusammen. Er hatte schon von den Gewohnheiten Seiner Durchlaucht gehört und schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass ausgerechnet an diesem Tage seine Frau und seine Tochter bei Verwandten zu Besuch geladen waren. Sie würden in dieser Nacht in Sicherheit sein.
Er beeilte sich, den Wünschen des Kurfürsten zu entsprechen und eilte in die Küche.
Unterdessen war der Junge mit zwei Decken zurückgekommen. Unsicher sah er sich um, zögerte, als er den Wirt nicht mehr sah. Dann fasste er sich ein Herz und ging zum Tisch hinüber, an dem sich der Kurfürst niedergelassen hatte.
Die Gespräche der Gäste waren mittlerweile verstummt, und so hallte das Scharren unnatürlich laut durch den Schankraum, als der Knabe einen Stuhl heranzog und hinauf stieg, um dem Hohen Herren die Decken umlegen zu können.
Endlich schien der Kurfürst zufrieden, der Junge sprang hinunter. Er fasste den Stuhl, wollte ihn zurückstellen, da ergriff ihn der Kurfürst am Arm und zog ihn zu sich heran.
„Wie alt bist du?“
„Elf, Herr.“
„Wie heißt du?“
„Johann“, antwortete der Bub.
„Johann? Wirklich?“
Verwirrt sah der Junge ihn an, verstand nicht. Die Rechte des Kurfürsten hielt immer noch seinen Arm umklammert. Die Linke lag nun auf seinem Bauch, rutschte langsam tiefer.
„Der Wirt hat eine Tochter, nicht wahr?“
„Ja, Herr.“
Die linke Hand des Herrschers war zwischen Johanns Beinen angekommen. Der Hohe Herr fühlte, griff zu, quetschte.
Dem Jungen schossen Tränen in die Augen. Er zuckte zusammen, als Schmerz ihn durchfuhr, wusste nicht, was diese Strafe bedeuten sollte. Waren die Decken nicht weich, nicht warm genug? Was wollte der Hohe Herr von ihm?
Johann schrie. Endlich verschwand die Hand, nur noch die Rechte umklammerte des Jungen Arm.
Der Wirt kam gerade beladen mit Schüsseln und Tellern aus der Küche und bemerkte die Szene.
„Johann“, brüllte er, „ab in die Küche! Willst du Satansbraten unseren Gast verhungern lassen! Eil dich, bevor ich dir das Fell über die Ohren ziehe!“
Bei diesen lauten Worten zuckte der Junge abermals zusammen, riss sich vom Kurfürsten los und stob in Richtung Küche davon. Hinter der Tür fing der Wirt ihn ein und zog ihn an sich.
„Junge, alles in Ordnung? Hat er dich verletzt?“, fragte er in einem Tonfall, der den zuvor gebrüllten Befehl aufhob.
Der Junge konnte die Tränen nicht zurückhalten, krümmte sich und drückte seine Hände zwischen die Beine. Erst jetzt wurde ihm der Schmerz richtig bewusst.
„Hat er dich verletzt?“, drängte der Wirt auf Antwort.
„Gekniffen“, stöhnte der Junge.
„Saukerl!“
Johann zuckte wieder zusammen. „Ich habe doch nichts gemacht!“, schluchzte er.
„Unsinn, du doch nicht. Er!“ Der Wirt wies in Richtung Schankstube, dann fragte er:
„Kannst du laufen?“
Zögernd nickte Johann und der Wirt zog ihn mit sich in die Küche.
„Agatha, komm her. Lass den Fasan und kümmere dich um Johann. Der Schweinehund hat ihn gekniffen.“
„Was?“ Die Köchin ließ den Vogel auf die Platte fallen, warf die Gabel daneben und kam herüber. Sie nahm den Jungen in den Arm und strich ihm das Haar aus der Stirn.
„Das Gemüse kann nicht jung genug sein für den Kurfürsten. Macht er jetzt nicht einmal mehr vor Jungen Halt?“, entsetzte sich Agatha.
„Gustav hat bei seinem letzten Besuch erzählt, dass in der Stadt ein Gastwirt seine Tochter als Junge verkleidet hatte“, erklärte der Wirt, „er hat teuer bezahlen müssen, dass er sein Kind schützen wollte. Verschwinde. Bring Johann zu Brunni. Sie weiß, was mit ihm zu tun ist. Sie hat Salben, Kräuter und so. Und bleib gleich da. Komm erst wieder, wenn der Kurfürst weg ist. Du bist hier auch nicht mehr sicher. Ich schaffe das hier schon alleine.“
„Aber die Arbeit!“
„Geh nur. Die Gäste sind fast alle fort. Kaum einer mag in dieser Gesellschaft sein. Ich hoffe, der bleibt nicht lange.“
„Danke, Wirt.“ Agatha nahm Johann auf den Arm und trug ihn zur Hintertür hinaus.
Der Wirt ging zu den Schüsseln zurück, um zu servieren, bevor der Herrscher ungeduldig werden konnte. Er beeilte sich, seinem hohen Gast vorzulegen.
Er überlegte, was er zur Unterhaltung seines Gastes sagen könnte, um ihn von dem Zwischenfall abzulenken.
„Ich hörte, Ihr seid unterwegs zu Eurer Hochzeit?“, fragte er. „Kommt Euer Gefolge noch heute Abend? Dann müsste ich neue Vorräte besorgen.“
Ein unwilliges Brummen war die Antwort, ein Wink mit der reich beringten Hand scheuchte den Wirt davon. Dieser murmelte, er sei in Rufweite und zog sich zurück. Er verschwand in der Küche, denn seine Anwesenheit in der Schankstube war nicht mehr vonnöten, ja nicht einmal erwünscht.

Der Kurfürst hatte bemerkt, dass die Bauern alle gegangen waren. So, wie er es gewohnt war, wenn er auf Reisen unangemeldet in einem Gasthof erschien, war auch hier das einfache Volk plötzlich verschwunden. Nur dieser Fremde saß noch an einem der Tische.
Immer wieder sah der Hohe Herr zu ihm hinüber.
„Der hat ja nicht einmal ein Glas vor sich stehen!“, wunderte er sich.
Der Fremde schien dieses Interesse zu spüren. Er erhob sich, als der Kurfürst das Besteck zur Seite legte und kam herüber. Unaufgefordert setzte er sich dem Herrscher gegenüber.
„Ihr habt mich erkannt?“, fragte er.
Der Kurfürst wollte sich keine Blöße geben. Für ihn war dieser Mann ein fahrender Handwerker. Nur, ein solcher hätte es nie gewagt, ihn einfach anzusprechen, geschweige denn, sich an seinen Tisch zu setzen.
„Prinz Eugen!“, dachte der Kurfürst plötzlich. Der Thronfolger war doch inkognito unterwegs! So besagten es jedenfalls die Gerüchte. Sollte dieser Mann der Prinz sein? Möglich wäre das. Altersmäßig käme das …
Der Kurfürst unterbrach seine Gedanken und fixierte sein Gegenüber. War er Zwanzig, oder eher Vierzig? Ein alterloses Gesicht, stellte der Kurfürst fest.
Mitte Zwanzig kam hin. Warum hatte er das nicht gleich gesehen?
„Euer Hoheit, natürlich habe ich Euch erkannt!“, sagte er voll Überzeugung.
„Bitte keine Titel“, bat der Fremde.
„Natürlich. Ihr reist inkognito, nicht wahr?“
„Nun, sagen wir, ich schätze es nicht besonders, wenn man mich zu früh erkennt.“
Der Fremde lächelte und griff nach dem Weinkrug. Er füllte dem Kurfürsten das Glas und meinte:
„Trinkt, solange Ihr diese Freude noch genießen könnt.“
„Wie meint ihr das?“ erkundigte sich der Kurfürst erstaunt.
„Nun, ich sah den Wirt durch diese Tür flüchten.“ Der Fremde wies auf die Tür zur Küche. „Er wird so schnell nicht wiederkommen, um Euch einen neuen Krug zu bringen.“
„Ach so meint Ihr das. Ich dachte schon …“
„Was?“ fragte der Fremde neugierig.
Der Kurfürst antwortete nicht. Auch wenn der Fremde der Thronfolger war, alles musste er ihm nun doch nicht erzählen.
„Hier ist nichts los. Was führt Euch hier her?“ Der Kurfürst versuchte, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
„Mich? Meine Arbeit. Ich bin da, wo ich gebraucht werde.“ Wieder lächelte der Fremde.
„Verdammt, jedes Weibsstück wird ihm zu Diensten sein, so wie der sich gibt“, dachte der Kurfürst und hoffte, der Prinz verlange nicht seine Begleitung im Verlauf seiner weiteren Reise, denn dann würde er sich mit dem begnügen müssen, was der Thronfolger verschmähte. Ein Druck zog sich durch seine Brust. Das passierte in letzter Zeit häufiger, wenn er sich aufregte.
„Ich verschmähe niemanden. Irgendwie sind sie mir doch alle untertan“, sagte der Fremde.
Der Kurfürst bemerkte nicht, dass der Mann auf einen Gedanken antwortete, den er gar nicht ausgesprochen hatte.
„Hier ist kein Weibsvolk. Selbst der Knabe ist wirklich ein Knabe“, sagte er.
„Auch er ist mir untertan. Auch er wird mir gehorchen, wenn ich ihn rufe“, meinte der Fremde, zuckte dann mit der Schulter, „doch noch brauche ich ihn nicht. Soll er sein Leben noch genießen. Warum habt Ihr ihn so verletzt?“
„Verletzt?“ Der Kurfürst sah den Fragenden verwirrt an. Was hatte er dem Buben getan? Er erinnerte sich nicht.
Er glaubte, der Wirt habe ein Schankmädchen in Diensten. Er dachte, der Wirt versuche, ihm sein Recht zu verwehren. Aber es war ein Knabe und an ihm fand er keinen Gefallen. „Verdammt, ich logierte hier bereits einmal. Das mag eine Weile her sein, letztes Jahr irgendwann, aber ich weiß genau, es gibt hier ein Mädchen. Der Wirt versteckte es.“
„Er versteckt es nicht. Das Mädchen ist bei einer Großtante zu Besuch“, erklärte der Fremde, fuhr dann nach einer kurzen Pause fort:
„Die Mutter des Objekts Eurer Begierde ist mitgefahren. Das Gesinde besteht nur aus einem Knecht. Jakob. Er hat Euer Pferd versorgt, das Ihr abgehetzt und verschwitzt draußen habt stehen lassen.“
„Es ist keines meiner guten Pferde“, gab der Kurfürst zur Antwort.
„Die schlechten können krepieren?“
„Was soll die Frage? Natürlich. Die kosten nur Futter. Es ist ein Karrengaul. Ich bin besseres gewöhnt.“
„Und wenn es krepiert wäre? Wäret Ihr dann zu Fuß weitergegangen?“
„Was? Nein, der Wirt hätte mir eins leihen müssen.“
„Das Ihr dann bei der nächsten Schankwirtschaft hättet sterben lassen. Der Wirt braucht sein Pferd, um seinen Unterhalt zu verdienen. Wie, glaubt Ihr, kam der Fasan hier her, den ihr gerade verspeist habt?“
„Das soll der Wirt sich selbst überlegen.“
„Ihr macht Euch wenig Gedanken um das Volk, scheint mir.“
„Sollte ich? Sie müssen mir zu Diensten sein. Sie haben es durch ihre Geburt in den niederen Stand nicht anders verdient. Ihr müsst das doch wissen.“
„Aber nicht doch. Ich weiß, dass jeder mir folgen wird. Der Stand spielt da keine Rolle. Alle folgen mir, wenn ich sie rufe.“
„Sicher“, dachte der Kurfürst, „für den Thronfolger ist selbst der niedere Adel nur gemeines Fußvolk. Er kann allen gebieten.“
Der Fremde unterbrach seine Gedanken und fragte nochmals:
„Warum habt Ihr den Jungen so verletzt?“
„Ich dachte, der Wirt verstecke seine Tochter vor mir.“
„Selbst wenn er kein Knabe gewesen wäre, bedenkt das Alter des Kindes. In diesem Alter ist kein Mädchen schon eine Frau.“
„Na und? Sie müssen es sowieso irgendwann lernen. Ich bin ein guter Lehrer in diesem Unterricht.“ Der Kurfürst verzog das Gesicht zu einem Grinsen und glaubte, der Thronfolger werde ihm letzten Endes doch zustimmen. Der Thronfolger war selbst kein Kostverächter.
Doch der Fremde sagte:
„Ein guter Lehrer hat Geduld mit seinen Schülern. Er lehrt sie nur das, was sie schon begreifen können. Er zwingt ihnen keine Lektion auf, die sie noch nicht begreifen können. Kein guter Lehrer tötet seine Schülerin, indem er sie überfordert.“
Der Kurfürst erstarrte. Was erzählte sein Gegenüber da? Er sollte getötet haben?
Etliche Aufrührer hatte er hinrichten lassen, hunderte von Todesurteilen unterschrieben. Aber das waren alles Verbrecher gewesen. Eine Schülerin hatte er noch nie zum Tode verurteilt.
Schülerin! Welches Wort! Mädchen brauchten kein Wissen. Sie sollten nur zusehen, dass der Haushalt lief, sollten dem Hausherrn zu Diensten und willig sein.
„Ihr habt Euch als Lehrer bezeichnet. Ich folgte nur Euren Gedanken.“
„Aber ich habe doch kein Mädchen hinrichten lassen!“
„Hinrichten? Nein, ich sagte nicht ‚hinrichten’. Ich sagte ‚töten’ “
„Nein, ich habe noch nie selbst …, ich habe immer nur Urteile unterschrieben, mehr nicht.“
„Maria.“
„Was?“
„Die Schwarzhaarige, die mit der Narbe am Kinn. Der kleine Weiler im Wald, vor ungefähr drei Wochen.“
„Ich erinnere mich. Aber ich habe sie nicht getötet! Sie lebte doch noch, als ich das Dorf verließ.“
„Ihr habt sie nach dieser Nacht nicht mehr gesehen, nicht wahr? Ihr habt sie schwer verletzt. Sie blutete sich zu Tode. Der Medikus und das Kräuterweib konnten ihr nicht mehr helfen. Ich stand daneben, als sie starb. Sie verfluchte Euch mit ihrem letzten Atemzug.“
„Lächerlich! Ich fürchte nicht den Fluch von irgendeinem Weibsstück.“
Der Fremde sah den Kurfürsten ernst an, dann sprach er wieder:
„Das Kind war erst elf. So alt wie der Junge, den Ihr so völlig unnötig gequält habt.“
„Na und? Wenn sie älter sind, sind sie doch verdorben. Man kann sich alle möglichen Krankheiten holen.“
„Wenn Ihr das so seht …“, sagte zögernd der Fremde, machte dann eine Pause.
Bevor der Kurfürst unbehaglich reagieren konnte, sprach er weiter:
„Ihr werdet Euch schon nichts einfangen von Verdorbenen.“
„Wie meint Ihr?“ fragte der Kurfürst. Angst formte sich plötzlich zu einer heißen Kugel in seinem Magen.
„Ihr verleugnet es noch vor Euch selbst, aber ihr hättet schon längst einen Medikus zu Rate ziehen sollen. Ihr habt doch öfter Schmerzen in der Brust.“
„Woher wisst Ihr? Wisst Ihr auch, was das für eine Krankheit ist?“
„Krankheit? Das eher nicht.“
„Der Fluch? Nein! Solche Macht hatte sie doch nicht, sie war doch nur ein Kind!“
In seiner Angst schrie der Kurfürst diese Worte. Der Fremde aber blieb gelassen.
„Der Fluch? Nein, Ihr habt Recht, eine solche Macht war dem Kind nicht gegeben. Ihr Fluch verhallte wirkungslos. Es war auch keine Hexe in der Nähe, die der Verwünschung Nachdruck hätte verleihen können. Davor seid Ihr völlig sicher.“
„Aber ich spüre doch … Ja, stimmt! Die Schmerzen hatte ich vorher auch schon. Sie kann nichts damit zu tun haben. Ich sollte einen Medikus aufsuchen?“
„Nun, das ist wohl nicht notwendig. Aber es schadet auch nicht, höchstens Eurem Geldbeutel.“ Der Fremde lächelte, fuhr dann gleich fort:
„Ihr sprecht dem guten Essen zu stark zu. Auch der Wein ist nicht ohne Gefahr, wenn man ihn in solchen Mengen genießt. Da spielt das Herz gerne solche Streiche.“
Der Kurfürst war beruhigt. Also ließen sich seine gesundheitlichen Probleme lösen, indem er einfach etwas kürzer trat. So schlimm konnte es also nicht sein. In seine Freude mischten sich dann Bedenken. Woher wusste der Thronfolger so viel über ihn?
Er erstarrte. Langsam kamen ihm Zweifel, ob es sich bei seinem Gegenüber wirklich um Prinz Eugen handelte. Er überdachte das Gespräch noch einmal. Hatte der Fremde nicht immer wieder Themen angesprochen, die er gerade in den Gedanken wälzte? Hatte der Fremde nicht geradezu auf genau diese Gedanken geantwortet?
Wer war dieser Mann?
Wieder erschien das Gesicht des Fremden zeitlos zu sein. Dreißig? Fünfzig?
Der Kurfürst wusste es nicht.
„Wer seid Ihr?“
Der Mann überging diese Frage.

Der Kurfürst rief nach dem Wirt. Er wollte neuen Wein. Er erinnerte sich nicht, ob er den Krug alleine geleert hatte. Trank der Fremde davon oder nicht?
Egal. Ein neuer Krug musste her.
Dienstbeflissen tauchte der Wirt auf. Er brachte den Wein schon mit, als habe er den Wunsch seines Gastes erraten.
„Berufserfahrung“, dachte der Kurfürst, sagte dann zu dem Wirt: „Bereite Er ein Zimmer vor, ich reise heute nicht weiter.“
Der Wirt ließ sich seinen Unmut nicht anmerken.
„Seid Ihr zufrieden mit dem Wein, braucht Ihr noch etwas? Sonst gehe ich, um das Zimmer zu bereiten.“
„Hat Er kein Personal?“
„Nein, heute nicht. Meine Familie ist verreist und Jakob taugt nicht zu solchen Arbeiten.“
„Er beschäftigt keine Magd? Macht Er solche Arbeiten immer selbst?“
Dem Wirt entging nicht der lauernde Ausdruck in des Kurfürsten Augen. „Nein, das macht sonst meine Frau, doch gestern musste sie mit meiner Tochter verreisen.“
„Dann gehe Er. Aber beeile Er sich, dass Er zurück ist, bevor ich den Krug geleert habe.“
Der Wirt ging davon.
„Wieso fragt er den Prinzen nicht nach seinen Wünschen?“ überlegte der Kurfürst.
„Ihr unterbrecht Eure Reise doch?“, fragte der Fremde.
„Er hat eine Magd, ich weiß das.“
„Sie ist aber nicht da, er hat Euch nicht belogen damit. Ihr hattet es doch so eilig.“
„Meine Braut kann warten.“
„Jetzt auf einmal?“
„Sie läuft mir nicht davon. Ihr Vater ist sehr erpicht auf die Allianz, er verspricht sich viel davon, durch Heirat mit der kurfürstlichen Linie verbunden zu sein.“
„Ihr scheint Euch auch eine Menge davon zu versprechen. Schließlich habt Ihr, nachdem das Rad gebrochen war, das Pferd ausgespannt und den Kutscher mit dem verunglückten Wagen, aber ohne Pferd zurückgelassen.“
„Was interessiert mich der Kutscher? Ich will meine Braut kennen lernen. Sie soll sehr hübsch sein, sagte man mir.“
„Trotzdem unterbrecht Ihr die Reise zu Eurer Hochzeit, nur um hier auf ein Kind zu warten?“
Der Kurfürst lachte. „Die adeligen Dämchen haben doch nicht viel zu bieten. Die sind durchweg verzärtelt und halten nichts aus. Dauernd jammern sie. Und wenn sogar eine rechtmäßig mein Bett mit mir teilt, dann muss ich auch noch darauf achten, dass sie nicht zu laut schreit.“
„Das Weinen der Mägde hört Ihr ja nicht, Ihr zieht ja immer weiter, bevor sie sich beschweren können, wenn sie das überhaupt wagen.“
„So ist wirklich keine hier im Haus?“
„Keine. Hier sind nur der Wirt und ein alter Knecht, der sein Gnadenbrot bekommt. Ich rate Euch sowieso, die Nacht zum Schlafen zu nutzen. Alleine, wohlgemerkt. Ihr überanstrengt Euch.“
Der Kurfürst winkte ab. Wie kam der Fremde nur darauf? Wer war er?
Wieder zog der dumpfe Druck durch seine Brust und der Kurfürst überlegte, ob der Fremde nicht doch Recht haben könnte. Aber so alt war er doch noch nicht!
Flüchtig sah er zu dem Wirt hin, der einen neuen Krug Wein brachte.
„Das Zimmer ist bereit, Durchlaucht.“
Unwillig scheuchte ihn der Kurfürst mit einer Handbewegung fort. Nur dem Fremden galt sein Interesse.
Der allerdings erhob sich.
„Meine Arbeit ruft. Wir sehen uns aber wieder. Bald schon.“
Der Kurfürst hatte gerade das Glas gehoben, trank nun aber doch nicht.
Der Fremde stand auf und verließ die Gastwirtschaft.
Viel zu spät fiel dem Kurfürsten auf, dass er den Windzug nicht bemerkt hatte. Draußen stürmte es. Vorhin hatte der Knabe kaum die Tür schließen können.
Der Kurfürst leerte den Becher, dann den Krug. Er winkte ab, als der Wirt einen neuen bringen wollte und verlangte, zu seinem Zimmer gebracht zu werden. Er hatte genug für diesen Abend.
Wer war der Fremde?
„Warum wehre ich mich nicht gegen seine Unverschämtheiten?“
Lange fand der Kurfürst keinen Schlaf. Er machte das zu harte Bett verantwortlich, vielleicht war auch der Wein schuld, der eindeutig von minderer Qualität gewesen sein musste.
Der Schmerz in der Brust! Immer wenn er sich aufregte …
Der Fremde mit seinen Worten hatte ihn doch sehr beunruhigt. Irgendetwas erschien dem Kurfürsten nicht in Ordnung. Der Fremde konnte nicht der Thronfolger sein, so wie er vom niederen Stand sprach, das einfache Volk fast als Menschen sah.
Was ging es den Fremden an, wenn er Gewalt anwenden musste, weil irgendein Weibsstück nicht gehorchen wollte? Ja, mit dem Aussehen des Fremden hätte er solche Probleme nicht.
Das war es! Der Fremde kannte solche Schwierigkeiten nicht. Der Fremde hatte keine Ahnung, wie es war, wenn man nicht wie ein Held aussah, wenn die Weiber über ihn lachten, ihn trotz seines Standes nicht ernst nahmen und sich ihm verweigerten.
Er schob die Decke fort, seine Hand musste ihm die Befriedigung verschaffen.

Agatha klopfte kurz gegen die Tür, drückte die Klinke herunter und trug Johann in die Stube.
„Brunni, du musst helfen! Der Kerl hat Johann … Er hat ihm… Verdammt, so ein Hurensohn! Er hat ihm seine Männlichkeit zerquetscht!“ tobte Agatha.
„Wer hat was?“
Agatha berichtete und Brunni erschauderte. Der Junge war doch noch so klein, kaum den Windeln entwachsen.
Brunni legte ihn in ein Bett, zog vorsichtig die Hosen herunter und sah sich an, was der Kurfürst … Gott verfluche ihn … angerichtet hatte.
Das Kräuterweib versorgte Johann, deckte ihn zu und ging zu Agatha in die Küche.
„Brunni, der Scheißkerl hat gedacht, Johann wäre ein Mädchen. Hast du gehört? Die Geschichte vom Händler Gustav?“
Agatha berichtete, was sie vom Wirt erfahren hatte.
„Ja, ich weiß. Der Kurfürst hat den Schwindel bemerkt. Er hat sie …“ Brunni brach ab.
„Er hat … sie sich genommen? Einfach so? Ein so kleines Kind?“
„Er lässt auch Ältere nicht links liegen. Du bleibst hier, bis der Kerl fort ist. Du bist da auch nicht sicher“, entschied Brunni und bereitete für Agatha ein Lager auf der Bank beim Herd.
Agatha sah ihr zu.
„Wenn ich mir vorstelle … Ein so schwerer Kerl … auf einem so kleinen Kind … Sie muss furchtbare Angst gehabt haben.“
„Sie ist tot. Ein paar Tage später starb sie“, sagte Brunni.
„Schrecklich!“

Johann versuchte, zu schlafen. Doch der Schmerz und die Stimmen hielten ihn wach. In ihrer Aufregung sprachen die Frauen etwas lauter und Brunni hatte die Tür offen gelassen, damit sie ihn hören konnte, falls er etwas brauchte. Er lauschte.
So langsam kam ihm ein Verdacht.
Mädchen waren dumm. Mit ihnen konnte man nicht spielen. Er hatte Silas, dem Knecht vom Wirt, einmal sein Leid geklagt.
Silas hatte gelacht.
„Sicher sind Mädchen dumm. Aber nur, solange du noch so klein bist. Werde nur größer, dann gibt sich das. Dann sind die Mädchen auch größer und spielen andere Spiele.“
Dann hatte Silas das Thema gewechselt.
Johann erinnerte sich daran, wie er einige Wochen später Silas bei diesem Spiel überrascht hatte.

Er dachte, die Katze habe im Stroh in der Scheune wieder Junge verborgen und lief neugierig hin. Dann glaubte er, Silas quäle Agatha, sie stöhnte so, sie zuckte. Und Silas ließ sie nicht fort. Er drückte Agatha mit seinem Gewicht zu Boden, schwitzte vor Anstrengung.
Johann erstarrte, versuchte dann, Agatha zu retten.
Silas schimpfte und Agatha schickte ihn fort. Es war ein Spiel, Agatha wollte das so, Silas wollte das auch so.
Johann lief davon, ging den beiden danach aus dem Weg. Er verstand das alles nicht. Zwei Tage später fing Silas ihn ab und entschuldigte sich, weil er Johann so erschreckt hatte. Silas schickte ihn zu Agatha.
Er vertraute Silas, glaubte ihm, dass die Köchin ihm erklären würde, was er nicht verstand.
Er wusste von Kälbern, Lämmern und Fohlen. Er erfuhr von Babys. Er zitterte.
Agatha sagte ihm, dass der Eber warte, bis die Sau bereit sei. Der Hengst wartet, bis die Stute … und ein Mann … eine Frau…
Johann war froh, dass er ein Junge war.
„Du verstehst das, wenn du älter bist. Kümmere dich jetzt nicht darum. Aber du wolltest mir helfen, du bist mein kleiner Held, mein Retter.“
Sie gab Johann ein besonders großes Stück vom Kuchen.

Johann lag nun in den Kissen und dachte nach. Der Kurfürst hatte gedacht, er sei ein Mädchen. Er hatte mit ihm spielen wollen. Aber Silas hatte doch gesagt, Mädchen spielen erst so, wenn sie älter waren. Das kleine Mädchen, von dem die Frauen gesprochen hatten, war an dem Spiel gestorben.
Johann bekam Angst. Er hoffte, Brunni würde Agatha und ihn gut genug verstecken. Er hoffte, hier in Sicherheit zu sein.
Er wünschte sich nur, Silas wäre da. Jakob war zu alt, Jakob würde sie nicht beschützen können und er selbst war noch zu klein.
Dann aber dachte er, es sei vielleicht doch gut, dass Silas fort war. Er würde Gerlinde beschützen. Er hatte den Wagen gelenkt, als die Wirtin mit Gerlinde zur Tante gefahren war.
Gerlinde war in Sicherheit, das freute ihn. Er mochte Gerlinde sehr. Er hatte sogar schon einmal daran gedacht, sie zu fragen, ob sie mit ihm spielen wolle, wenn sie nur alt genug waren, aber er hatte sich dann doch nicht getraut.

Brunni sah noch kurz nach Johann, dann begaben sich die Frauen zur Ruhe.
Flüchtig dachte Brunni daran, dem Kurfürsten ein Pulver in den Wein zu schütten. Sie überlegte, ob sie Agatha davon geben sollte, sie würde es unauffällig anwenden können.
Brunni schlief über diesen Gedanken ein. In ihren Träumen sah sie Gevatter Tod. Er zeigte ihr das Stundenglas, wies auf den letzten rieselnden Sand und schüttelte den Kopf.
Brunni drehte sich um im Schlaf, sie fror und zog an ihrer Decke. Der Gevatter wandte sich ab und ging davon. Er nahm sie nicht mit. Brunni verstand. Es war nicht ihr Stundenglas gewesen.
Als sie am nächsten Tag erwachte, dachte sie nicht mehr an das Pulver.

„Der Kurfürst ist fort“, sagte Agatha, als sie mit Johann in den Hof kam, „wäre er noch hier, dann wäre bedeutend mehr Trubel und Unruhe. So ein Hoher Herr kann nicht frühstücken, ohne im ganzen Haus für Durcheinander zu sorgen.“
„Glaubst du wirklich?“
„Aber sicher! Und wir werden jetzt jede Menge Arbeit haben. Wir müssen uns dranhalten, um das alles zu schaffen. Lauf, wasch dich und zieh frische Kleider an. Es taugt nicht, wenn du die Nacht in den Kleidern schläfst und dann damit herumläufst.“
Agatha ging hinüber zum Gesindehaus, Johann eilte zur Pumpe.

Der kürzeste Weg zur Pumpe führte durch den Stall. Hier waren immer die beiden Pferde des Wirtes untergebracht. Auch die Tiere der Übernachtungsgäste fanden hier eine Unterkunft.
Johann rechnete nicht damit, ein Pferd vorzufinden, wusste er doch, dass Silas den Rappen und den Braunen angeschirrt hatte. Gerlinde war noch nicht zurück, also musste der Stall leer sein.
Den Falben kannte er nicht. Johann trat an die Box heran.
Da sah er das Zaumzeug an einem Pfosten der Box hängen. Es sah sonderbar aus und Johann ging, um es näher zu betrachten.
Das war doch … Ja genau! Die Stute war ein Karrengaul. Das war das Geschirr einer Kutsche, notdürftig zurechtgeschnitten, um einem Reiter zu dienen. Das verwunderte Johann etwas, dann erschrak er. Er hatte das Wappen erkannt.
Der Kurfürst war noch nicht fort!
Johan rannte aus der Box. Er musste Agatha warnen! Sie war doch ahnungslos! Sie mussten schleunigst zurück zu Brunni.
Den Weg an Stall und Haupthaus vorbei lief er in Rekordzeit. Er nahm sich nicht die Zeit, den Umweg zur Brücke zu machen und sprang über den Bach. Er rutschte ab, fluchte, achtete nicht auf den durchnässten Schuh und eilte die Böschung hinauf. Dann zwängte er sich durch die Sträucher, die den Bachlauf säumten. Von hier aus war es nur noch ein kurzes Stück über die Wiese, bis er Agatha im Gesindehaus aufhalten und warnen konnte.
Schweiß lief ihm den Nacken hinunter. Er sprang über die Hügelreihen, die das Heu bildete. Er passte sich den Reihen an. Vier Schritte, ein Sprung, dann wieder vier Schritte, ein Sprung…
Er stockte, meinte, aus den Augenwinkeln etwas Rotes gesehen zu haben. Rot wie der Rock von Agatha.
Seine Überlegungen und die damit in ihm aufsteigende Angst brachten ihn aus dem Rhythmus. Er stolperte, als er die letzte Reihe übersprang und fiel. Da hörte er schon den Schrei.
Es war Agatha!
Er sprang auf und rannte zu dem roten Bündel hinüber. Wieder sprang er über die Hügel aus Heu, stolperte über eine Stange und fiel erneut.
„Agatha!“ Sein Schrei klang schrill.
„Lauf weg, Johann, versteck dich!“, kam die Antwort. Agatha wehrte sich heftig, kam aber gegen die Kräfte des Mannes nicht an.
Johann saß wie erstarrt auf dem Heu, gute zwanzig Schritte von Agatha entfernt und sah unverwandt auf das Bild, das sich ihm bot. Der Kurfürst hatte Agatha zu Boden gezwungen, riss und zerrte an ihren Kleidern. Die Bluse hing in Fetzen, Johann konnte deutlich die nackte Brust sehen.
„Agatha, spielst du?“, fragte er ängstlich, bemerkte nicht, dass er diese Frage schrie.
„Nein! Nein!! Lauf!“ Agatha schrie auch.
Der Kurfürst ließ Agatha keinen Millimeter Luft, als er sich zu dem Störenfried umdrehte.
„Hau ab, scher dich um deinen Kram!“, befahl er.
Dann wandte er sich wieder der Magd zu und beachtete den Jungen nicht weiter. Jungen interessierten ihn nicht.
Seine Durchlaucht zerrte am Stoff, die zweite Brust lag frei. Johann erhaschte nur einen flüchtigen Blick, dann verdeckte die Gestalt des Kurfürsten das ungewohnte Bild.
Agatha schrie erneut, begann zu wimmern. Der Kurfürst nestelte am Rock, fluchte unterdrückt, als sein Gewicht und das der Magd den Rock nicht freigeben wollten. Er riss heftiger.

Johann sah den bloßen Schenkel, dachte, er müsse unbedingt etwas unternehmen.
Er musste Silas holen.
Silas war doch fort, erinnerte er sich. Silas beschützte Gerlinde.
Johann glaubte, das Spiel müsse etwas mit dem Körperteil zu tun haben, den Mädchen nicht hatten. Silas hatte seine Hose an den Beinen hängen gehabt, als Johann ihn bei dem Spiel erwischt hatte.
Der Kurfürst war noch bekleidet. Johann blieb etwas Zeit.
Agatha lag nackt da. Nur der zusammen geschobene Rock bedeckt einen Streifen ihres Bauches.
Johann müsste sich bewegen können! Er müsste nur den Blick lösen können!
Deutlich sah er, Agatha hatte Angst.
Er dachte, seine Anwesenheit gab ihr vielleicht etwas Sicherheit, etwas Zuversicht und Mut. Er konnte nicht fort. Er konnte nichts tun außer starren.
„Mein kleiner Held, mein Retter“, hatte sie ihn genannt.
Er konnte nicht fort!
Er konnte aber auch nicht einfach so sitzen bleiben. Er wusste nicht, waren Sekunden oder Minuten vergangen? Vielleicht Stunden?
Stunden? Bestimmt nicht, so lange hätte Agatha nicht so laut schreien können. Warum kam der Wirt nicht?
Der Arm des Kurfürsten legte sich über Agathas Kehle, drückte zu. Die Magd bekam nicht genug Luft, ihr Schrei riss ab. Sie hatte keine Kraft für weitere Schläge und ausweichende Bewegungen. Der Kurfürst bekam eine Hand frei.
Hastig nestelte er an den Schnüren, die seine Hose hielten.
Johann begriff.
Die Hose rutschte herunter, Johann sah den Kurfürsten nackt.
Er wunderte sich. Männlichkeit hatte Agatha dazu gesagt. Seine hing immer nach unten. Die des Kurfürsten aber wies nach oben.
Der Kurfürst beugte sich über Agatha, versuchte, ihre Schenkel auseinander zu drücken.
Johann hatte noch nie ein Mädchen oder eine Frau nackt gesehen. Aber er sah die Bemühungen des Kurfürsten und instinktiv begriff er. Die Männlichkeit des Kurfürsten durfte nicht dort hin, wo Agathas Beine endeten.
Das war ein Spiel, das Silas spielen durfte. Silas hatte gesagt, Agatha habe ihm erlaubt zu spielen.
Dem Kurfürsten hatte Agatha das nicht erlaubt.
Der Arm des Kurfürsten gab Agathas Hals frei. Die Magd schrie.
Der Schrei löste etwas in Johann.
Er hörte auf zu denken, hörte auf, zu schauen.
Er sprang auf, griff nach der Stange, über die er gestolpert war. Zu seiner Verwunderung sah er am Ende der Stange die Zinken.
Johann lief los, die Heugabel hielt er in der Hand.
Er hoffte, er werde nicht Agatha treffen. Erwischte er den Kurfürsten, befand sich Agatha in Sicherheit.

Zwei Schritte vor den am Boden Liegenden erstarrte Johann. Ein Fremder stand plötzlich auf der Wiese.
„Junge, nicht“, sagte er.
„Dann helft ihr! Sie will nicht!“
Der Fremde sah auf das Paar am Boden herunter, ging dann um die beiden herum zu Johann. Er nahm dem Jungen das Werkzeug ab, Johann griff nach seiner einzigen Waffe und der Fremde zuckte zurück.
„Berühre mich nicht“, sagte er warnend.
Johann fror erbärmlich, obwohl die Sonne vom Himmel brannte.
„Mach dich nicht unglücklich.“ Der Fremde warf die Heugabel zur Seite, bevor er weiter sprach. „Den Mord an deinem Herrscher verzeiht man dir nicht.“
„Ich verzeihe mir aber nicht, wenn ich Agatha nicht helfe!“, schrie Johann.
„Ich helfe ihr doch, siehst du das nicht?“ Der Fremde wies auf den Kurfürsten.
Dieser hatte von Agatha abgelassen und starrte den Fremden an, seine Augen vor Schreck geweitet.
Seine Durchlaucht griff sich an die Brust, krümmte sich zusammen und fiel zur Seite. Er verkrampfte sich, seine Finger verkrallten sich im Stoff seines Hemdes. Dann entspannte er sich wieder, die Hand löste sich aus dem Gewand.
„Seinetwegen bin ich gekommen, nicht wegen dir. Vergiss also, dass du mich gesehen hast“, sagte der Fremde.
Johann wollte antworten, löste dazu den Blick vom Kurfürsten und sah …
Er wollte den Fremden ansehen, der aber stand nicht mehr neben ihm.

„Johann! Nicht!“
Der Junge zuckte zusammen, als er Agatha rufen hörte und sah sie verwirrt an.
„Leg die Heugabel weg!“
Johann ließ die Heugabel fallen, lief zu Agatha hinüber.
„Er ist tot?“, fragte er und zog den Rock über Agathas Beine.
„Ja, er scheint tot zu sein.“
Johann sah in Agathas tränennasses Gesicht. „Geht es dir gut?“
„Jetzt wieder. Du bist gerade noch zur rechten Zeit gekommen. Der Kurfürst hatte Angst vor dir, als du mit der Heugabel auf ihn zugerannt bist. Darüber hat er sich so aufgeregt, sich so sehr erschreckt, dass er daran gestorben ist.“
Johann wusste nichts mehr von dem Fremden. Er akzeptierte Agathas Erklärung.
„Wir sollten von hier verschwinden. Es bringt uns nur Ärger, wenn jemand erfährt, dass wir hier waren, als er … Hat dich jemand gesehen?“
„Nein, ich bin keinem begegnet.“
„Brunni wird sagen, dass wir die ganze Zeit über bei ihr waren.“
Johann begann zu zittern.
„Den Mord an meinem Herrscher verzeiht man mir nicht.“
„Unfug“, sagte Agatha ärgerlich, „du hast ihm doch nichts getan! Er ist am Schreck gestorben. Mach dir darüber keine Gedanken. Sehen wir zu, dass wir zu Brunni kommen. Ich brauche ein neues Kleid und du ihren Rat.“
Agatha nahm Johann bei der Hand, mit der anderen versuchte sie, die Fetzen der Bluse zusammenzuhalten.

 

Bei diesen lauten Worten zuckte der Junge abermals zusammen, riss sich vom Kurfürsten los
riss sich los? Der Typ hat seine Eier im festen Griff ... da reißt er sich eher was anderes los *brr*
Er hatte sogar schon einmal daran gedacht, sie zu fragen, ob sie mit ihm spielen wolle, wenn sie nur alt genug waren, aber er hatte sich dann doch nicht getraut.
das ist ja süß! :) (auch wenn ich dieses Wort nie verwendet habe und alles leugnen werde -.-)
Er wusste nicht, waren Sekunden, Minuten oder Stunden vergangen? Vielleicht Jahre?
Stunden? Jahr
etwas zu viel des Guten ...

Hi Schusterjunge,
klasse Gschicht!

Trotz 14 Seiten nicht zu lang, sie lässt sich leicht und flüssig lesen und weiß zu unterhalten!

Hier sind deine Charaktere einfach gut ... also ... charakterisiert, und haben Tiefe.

Obwohl deine Löwenzahngeschichte deutlich kürzer war, habe ich sie nicht mal zu Ende gelesen, da mir dort der Schreibstil einfach nicht gefallen hat, aber hier ist er ziemlich gut! :)

Hat mir gut gefallen!

Bruder Tserk

P.S: Fehlerliste kommt per PN.

 

Tserk schrieb:
... da reißt er sich eher was anderes los *brr*
Ups!
Böser Fehler! Hab ich nicht aufgepasst.

Tserk schrieb:
auch wenn ich [...] alles leugnen werde
Ich verrat nix. ;)

Tserk schrieb:
Obwohl deine Löwenzahngeschichte deutlich kürzer war, habe ich sie nicht mal zu Ende gelesen, da mir dort der Schreibstil einfach nicht gefallen hat,
Ich lass sie trotzdem im Forum. Da kann sie als schlechtes Beispiel dienen. :)
Der Löwenzahn ist schon älter. Hab versucht, den zu überarbeiten, aber ich hab einfach keinen Draht mehr dazu.

Schönen Dank für deine Anmerkungen und Mühe. Werd ich die Geschichte gleich editieren.

 

Hey Schusterjunge,

sauberer Horror, die Pointe allerdings äußerst vorhersehbar. Bin grad richtig in das Scenario eingetaucht gewesen. Das der Fremde der personifizierte Tod ist, war schnell klar, die Anspielung in dem Traum braucht es also nicht.
Dazu ziemlich gut geschrieben und angenehm zu lesen.

Eike

 

Danke, Sternensegler.
(der Nick gefällt mir. :))

Es sollte keine Pointengeschichte sein, sondern eher Horror. Da hab ich auf das Vorhersehbare nicht so geachtet. Schließlich weiß ich bei Horrorfilmen ja auch fast immer, wer zum Schluss überlebt.
Nun, die Geschichte ist schon etwas älter. Ich weiß nicht, ob ich da wieder einen Draht zu finde, um ein anderes Ende zu schreiben. Ich halt es aber mal im Hinterkopf.

 

Hallo Schusterjunge,

Deine Geschichte hat mir echt sehr gut gefallen. Gut geschrieben, sehr atmosphärisch ... okay, ein bißchen vorhersehbar. Macht aber nichts, weil man sich daran weiden kann, dass der Kurfürst es nicht checkt ;)
Auch die Prots sind sauber ausgearbeitet, also, von mir gibts da ein wenig konstruktives aber ehrliches :thumbsup:

Liebe Grüße
Ardandwen

 

Danke, Ardandwen!

Wenn euch allen so gefällt, wie ich schreib, dann muss ich ja noch eine Geschichte ... ;)

 

Servus Schusterjunge!

Deine Kg hat mir ebenfalls gefallen, aber ein wenig konstruktive Kritik kann nicht schaden, gelle? :D

Er winkte den Knaben herbei und scheuchte ihn damit davon.

Der Satz ergibt keinen Sinn, vielleicht "dann" statt "damit".

Schade finde ich, dass du deine Charaktere kaum über ihr Äußeres beschreibst, nebenbei erfährt man, dass der Kurfürst nicht gerade attraktiv ist, mehr aber auch nicht. Das Wirtshaus-Personal bleibt durchgehend blass, bis zum Schluss war mir nicht ganz klar wieviele Frauen dort arbeiten.

Deine Erzählung lebt in erster Linie von den gut geschriebenen Dialogen, auf Beschreibungen der Umgebung etc. verzichtest du oder gehst mit kurzen knappen Sätzen darüber hinweg. Die Schlüsselszenen (Auftritt des Fremden, die Vergewaltigung am Schluss) hätten mMn noch etwas genauer geschildert werden können, "echter" Horror kam bei mir jedenfalls nicht auf.

Soviel zur Kritik, die Handlung an sich ist dafür schön glaubwürdig und in sich schlüssig, was will man mehr. Vielleicht ein wenig mehr "Härte", in dieser Rubrik kannst du ruhig aus den Vollen schöpfen und auch die ekligen Details besser herausarbeiten. :naughty:

So long, bin jedenfalls gespannt auf deine nächste Kg

Marvin

 

Hi Marvin!
Der Satz ergibt keinen Sinn?
Stimmt.
Ich liebe das, wenn nur die Hälfte zitiert wird. *ggg*

"Er winkte den Knaben herbei und scheuchte ihn dann davon."

Macht das mehr Sinn? Warum lässt er den Jungen dann nicht, wo er ist? :lol:

Warum sollte ich die Geschichte durch Beschreibungen noch unnötig in die Länge ziehen? Das Wichtige ist doch gesagt.
Ist das wirklich bedeutungsvoll, ob der Junge dick oder dünn ist, der Wirt sich einen Bart hat wachsen lassen? Stell dir die Leute doch so vor, wie du sie sehen willst.
Du bist der Erste, der nicht klar kommt mit den anwesenden Personen. Ich les das nochmal durch, ob da was nicht stimmt.

Danke für dein Feedback.

 

Ups, mein Fehler. Der Bezug zum Mantel ist mir doch glatt entgangen, kann ja mal passieren. :Pfeif:

Die Kritik mit den nur oberflächlich charakterisierten Personen solltest du aber ernst nehmen, schließlich soll deine Geschichte ja Emotionen beim Leser aufkommen lassen. Wenn man aber so gut wie nichts über z.B. Agatha erfährt, lässt einen ihr Schicksal im Finale auch ziemlich kalt.

Der Kurfürst ist ja auch nur deswegen hinter kleinen Mädchen her, weil nur sie ihm noch sexuelle Befriedigung verschaffen können und sein (kaum charakterisiertes) Erscheinungsbild "normale" Frauen abstößt.

Warum heiratet er dann überhaupt? Einmal erwähnst du, dass seine Zukünftige durch die Heirat in einen höheren Stand aufsteigt, danach beschreibst du sie als Adelige. Warum der Kurfürst gerade sie erwählt hat, bleibt unklar.

 

Agatha ist doch im Prinzip nur eine Randfigur. Liebst du sie mehr, wenn du weißt, dass sie blond ist?
Mag sein. Und alle Jungs, die auf rassige Südländerinnen stehen, gucken sie nicht mehr an. Schreib ich, dass sie schlank ist, strafen mich alle übergewichtigen Damen mit Verachtung.

Mann, lass doch die einen Jungs das Mädel aus dem letzten Schwedenfilm sehen, die anderen eine Schwarzhaarige. Warum soll ich den Damen nicht die Möglichkeit geben, zu glauben ein Pummelchen sei in der Wirtschaft?
Ich denke, dass in dieser Geschichte Äußerlichkeiten nicht von ausschlaggebender Bedeutung sind.

Und jetzt sei mal ehrlich. Wieviele Leser hab ich schon verloren, weil die Geschichte so lang ist? Wieviele von den drei übrigen hätten durchgehalten, wenn die noch länger ... :)

Und noch härter rangehen?
Sorry, aber ein Mod hat schon eine meiner Geschichten eliminiert. Das reicht, denk ich. *gg*
Die Geschichte gehört in "Gruseliges". Das Forum aber gibt es hier nicht mehr.

 

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