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Der " Liebst du mich?" - Effekt

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26.10.2001
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Der " Liebst du mich?" - Effekt

„Liebst du mich?“
Wie ein Schuss hallte die Frage in die Wärme des Raumes und zerriss wie ein Blitzstrahl die sichere Geborgenheit, in der ich mich gerade eben noch befunden hatte. Oh mein Gott. Da war sie wieder: Die Frage aller Fragen. Die man nur richtig, oder falsch beantworten konnte.
Die immer harmlos klang, aber die Welt in einem Tsunami aus daraus folgenden Missverständnissen ertränken konnte.
Von einer Sekunde zur anderen.
Klar. Ich war darauf vorbereitet. Aber in diesem Moment, in welchem sie mich mit leuchtenden Augen aus der Fülle ihrer schwarzen Haare heraus erwartungsvoll auf Antwort wartend anschaute, beschloss ich, ihr nicht die gewünschte Antwort zu geben.
So wie ich bei diesen drei harmlos klingenden Worten innerlich in meine Festung geflohen war, so zog sie sich, je länger meine Antwort auf sich warten ließ, auf das Feld vor meiner inneren Trutzburg zurück, um einen besseren Überblick zu gewinnen.
Die Situation wurde sekündlich unangenehmer. Wild überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf. Klar. Ich könnte „Ja!“ sagen, und hätte meine Ruhe. Aber ich hätte, und da war ich mir felsenfest sicher, auch nicht die Wahrheit gesagt. Zumindest nicht die ganze Wahrheit, nach der sie offensichtlich in diesem Moment dürstete.
Einfach nur “Ich liebe dich“ zu sagen, das klang so falsch in mir, weil es so überhaupt nicht ausdrückte, was ich gerade empfunden hatte, oder nun, in genau diesem Moment nach der gerade gestellten Frage für sie und in mir empfand.
Ich sah, dass sie Atem holte.
Angst wallte in mir auf, sie wolle ihre Frage wiederholen, in schärferem Ton vielleicht, oder auch, da sie eine sehr temperamentvolle Frau war, die Antwort vorwegnehmend, plötzlich ätzend festzustellen, „Du liebst mich nicht.“ Denn auch das wäre verkehrt gewesen und hätte uns auf den falschen Weg, vom Frieden direkt in einen Konflikt geführt, der nur schwer zu lösen gewesen wäre.
Statt einer Antwort also legte ich ihr nur sachte, mit sanft fließender Bewegung, flankiert von einem langsamen Schließen und wieder Öffnen meiner Augen, meinen rechten Zeigefinger auf die Lippen.
Sie entzog sich meinem Arm mit einer katzenhaften Bewegung, stützte ihren Kopf mit der linken Hand, und sah mich unverwandt fragend an.

„Ich habe Angst“ sagte ich. „Immer wenn mir jemand diese Frage stellt, dann kriege ich Angst.“

Ihr Blick verwandelte sich von forschender, vorsichtiger Spannung in erstaunte Neugier.
„Wie kann ich dir sagen, dass es so viel mehr ist, was ich in mir, und für dich fühle, wenn ich nur diese drei Worte gebrauche?
Vor deiner Frage fühlte ich mich sicher und geborgen bei dir. Ich habe mich schutzlos gemacht, wie du auch. Ich habe es getan, weil ich mich nach Frieden und Wärme, nach Berührung, Nähe und Vereinigung gesehnt habe. Weil ich dir dasselbe schenken, weil ich es nur mit dir teilen wollte und sonst mit niemand. Eben weil ich dich liebe, alles was du bist, selbst wenn ich es mir manchmal nicht erklären kann. Die Angst ist wieder da, aber ich bin immer noch nackt und dir schutzlos preisgegeben, und ich vertraue darauf, dass du mich nicht verletzen willst, oder mit deiner Frage verletzen wolltest. Du bist gerade verletzlich. So wie ich. Du vertraust darauf, dass ich dich nicht verletzen werde, aber auch du bist gerade vorsichtig, und das fühlt sich an, als wären wir gerade mit Gewalt voneinander weggerissen worden, als wären wir uns nicht eben noch so unglaublich nahe gewesen. Verstehst du?“

Ich richtete mich auf, wendete meinen Blick von ihr ab, und suchte im Raum nach einem sicheren Hafen für meine Blicke. Mein Herz pochte, wie zuvor kurz nach dem Orgasmus, aber dennoch anders. Schneller, hektischer, ängstlicher. Meine Brust war wie durch eiserne Klammern umfasst, ich hatte Angst, nicht die richtigen Worte zu finden, nicht ihr Verständnis zu erlangen, vertrieben zu werden aus dem Paradies der Wärme und der Sicherheit. Wenn das meine Angst war, konnte das nicht auch der Grund für ihre Frage gewesen sein?

Also fragte ich sie.
„Alles, was ich wollte...“ Begann sie, brach mitten im Satz ab, richtete sich ebenfalls auf, und blickte mich fast flehend an.

„Ich weiß.“ Entgegnete ich ihr „Du wolltest eine Bestätigung dafür, dass du dich auch in Zukunft bei mir sicher fühlen kannst. Oder?“

„Das ist es nicht ganz“, meinte sie schließlich zögerlich. „Nicht ganz.“ Wie ein Echo kam nochmals der halbe Satz.
„ Was fühlst Du?“ Fragte ich, ohne genau zu wissen, wohin uns das führen würde. Aber es war mir egal, denn während ich das fragte, fühlte ich, wie ich meine innere Burg verließ und durch das Tor meiner Ängste hinaustrat auf die Wiese der Begegnung. Ohne Waffen standen wir uns gegenüber. Meine Atmung wurde wieder ruhiger, die Panik war verflogen, die eisernen Klammern fielen Stück für Stück wieder von mir ab.

„Ich weiß es nicht genau. Eben noch warst du mir total nahe. Dann wurde das Schweigen zu lange, und ich wollte Sicherheit haben, dass das von eben kein Traum war. Ich hab mich total sicher gefühlt, und beschützt. Dann kamen die Zweifel, weil Stille schon immer Raum für Zweifel gelassen hat. Ich weiß nicht, was ich hören wollte. Vielleicht hätte ich dir geglaubt, wenn du geantwortet hättest, dass du mich liebst. Ja, ich hätte mich fürs Erste einfach damit zufrieden gegeben das zu hören, weil ich es wollte. Aber jetzt... “
Sie sah mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Überraschung an.
„Jetzt will ich das bestimmt nicht mehr hören. Vielleicht wollte ich einfach nur, dass du meine Gedanken liest und sie mir zeigst, weil ich sie selber nicht kannte, oder erkenne in einem solchen Augenblick. Ich hab oft Angst vor dem, was ich nicht kenne, weißt du? Das lähmt mich. Macht mich klein und unruhig. Dann bin ich keine Göttin mehr, nur noch ein kleines, dummes Kind“.

Ich war überrascht. Sie hatte gerade ausgesprochen, was in mir manchmal als Ahnung aufgestiegen war.
Diese Unmöglichkeit, ihre Gedanken im voraus zu erahnen; und dann genau das Richtige für sie zu tun.
Das Wissen um die Unmöglichkeit der Erfüllung dieser Erwartung, die ich an mich stellte, weil ich glaubte, dass dies ihr Wunsch sei, hatte mich schon oft mit Fesseln belegt und mich unfähig gemacht mit ihr zu reden oder ihr nahe zu sein. Oft, zu oft hatte diese Situation zu innerer oder tatsächlicher Flucht geführt, und immer war es mit dem bitteren Geschmack der Niederlage behaftet gewesen. Wie viele meiner vorigen Beziehungen waren daran schon gescheitert? Ich hatte mir unzählige Male die Frage gestellt, warum es immer an diesem Punkt klemmte. Warum ich immer wieder an diesem Punkt die Flucht ergriff, obwohl bis dahin alles so gut gelaufen war. Wenn also dies der Grund war, warum sollte es dann nicht vielen anderen auch so gehen und vielleicht meinen Freundinnen von damals auch, weshalb wir folgerichtig aneinander scheitern mussten, nur weil uns dieser eine, einfache, rettende Gedanke nicht gekommen war.
Anstatt „Liebst du mich?“ zu fragen, zu versuchen herauszufinden, oder auszudrücken, wie es uns wirklich ging!
Wie eine warme Woge überkam mich erneut das Gefühl tiefster innerer Zuneigung und Zärtlichkeit für diese Frau, die es geschafft hatte, ohne Waffen und Masken mein Herz zu erreichen. Sie, die eigens weit entfernt für mich geschaffen wurde, um mich lieben zu lehren. Im selben Maße wie auch ihre Angst mein Lehrmeister wurde, mir sanft ohne Waffen beibrachte, mich nicht mehr länger zu fürchten, sondern einfach zu vertrauen, wuchs unsere Liebe zu einem wunderschönen, starken, großen Baum.
Aus der Art und Weise wie sie auch mich nun anblickte, erkannte ich; dass sie etwas Ähnliches empfand.

„Können wir uns darauf einigen, dass wir uns in Zukunft nicht mehr einfach nur sagen: "Ich liebe dich," sondern uns versuchen zu sagen, was es in diesem Moment genau ist?“
„Ja."
"Aber die Kurzform muss erlaubt sein, wenn wir uns verabschieden, oder keine Zeit haben.
Wir können ja dann einfach dazu sagen, dass die ausführliche Variante folgen wird, wenn dafür Zeit ist. Gut?“
„Gut. Aber die Endlosvariante will ich haben. Klar?“
Wir grinsten beide und sie fragte: „ Liebst du mich?“
„Überhaupt nicht... “
Brüllendes Gelächter erfüllte den Raum.

Die Katze hielt uns garantiert für verrückt.

 

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