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Der Mann an deiner Seite
Mein Herz begann zu rasen, als ich dich an diesem Tag sah. Nur schüchtern trafen sich unsere Blicke, bevor wir beide verlegen zu Boden sahen. Die Spitzen deines seidig weichen Haares tanzten im Wind, während deine Hand versuchte es zu fangen. Deine Begleiterin kannte ich erst ein paar Jahre lang, aber dich schon dein ganzes Leben. Ich schloss meine Augen und erinnerte mich an die Zartheit deiner Haut, den typischen Duft deines Körpers und an die Momente, an denen dein Kopf schlafend auf meiner Brust lag. Erinnerungen, weggesperrt geglaubt in tiefe Regionen längst verdrängter Gefühle. Schlafend eingeschlossen, einzig wach gemacht durch den gelegentlichen Besuch deines Bildes, kauerten sie zusammen gerollt in der Ecke ihre Zelle.
Immer wieder fanden unsere Blicke sich, um sich gleich darauf wieder zu verlieren. Erst jetzt sah ich, dass deine zarten Finger von einer starken Männerhand umschlossen waren. Es war ein großer, gut aussehender Mann, der mit wachendem Blick an deiner Seite stand. Deine Schulter fest an seinen Körper gepresst standest du vertraut neben ihm. Freundlich distanziert begrüßte ich ihn und deine weibliche Begleiterin, während du scheinbar desinteressiert den kleinen Hund auf der anderen Straßenseite beobachtetest.
Dein festes Schuhwerk war nicht besonders gut auf die Farbe deiner rot-orangenen Regenjacke abgestimmt, deren Kapuze du dir immer wieder über den Kopf zogst, um sie Sekunden später wieder abzunehmen. Unser Zusammentreffen machte auch dich sichtlich nervös, und während deine Beine fest auf dem Boden standen, bewegte sich dein Oberkörper drehend hin und her.
Das Schwingen deines Körpers verlor sofort jegliche Dynamik und deine Hände umklammerten schnell den Oberschenkel deines Begleiters, als ich mich dir einen Schritt näherte. Mit meinem besten Lächeln ging ich vor dir in die Knie und begrüßte dich mit einem hellen, dünnen Hallo. Ich räusperte mich, und versuchte es erneut, dieses Mal sollte es klingen, als käme es von einem Mann. Blitzschnell bohrte sich dein Gesicht in das Bein des Mannes, während dein Körper mit ihm zu verschmelzen schien. Vorsichtig, den Handrücken nach außen gerichtet, die Finger leicht geöffnet, streckte ich meine Hand ganz langsam nach dir aus, um dich am Kopf zu streicheln, als du hoch schauend laut Papa schriest.
Deine Hände senkrecht nach oben reißend, einem Fahrstuhl gleich hob er dich hoch, bis deine Arme auf seinen breiten Schultern halt fanden. Papa, Papa, wie ein Echo klang das Wort nach in meinem Ohr, während ich noch auf dem Boden kniend, jeglichen Kontakt auf Augenhöhe verlor. Zum aller ersten mal hörte ich dich Papa sagen - und dann zu ihm.
Hilflos war ich, als Tränen begannen, sich wegen Platzmangel gegenseitig aus meinen Augenwinkeln zu drängen. Schnell öffnete ich meinen Schnürsenkel um ihn gleich darauf ganz langsam und sorgfältig wieder zu schnüren. Nie zuvor waren mir zwei exakt gleichgroße Schlaufen gelungen und die endlos schienende Zeit, reichte gerade aus, meiner Gefühle wieder Herr zu werden.
Heute, viele Jahre später erinnere ich mich ganz genau an diesen Tag, während ich zärtlich dein Bild in Händen halte, mit der Aufschrift: >Für meinen Onkel Giggi<