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Der Moses Roman des Sigmund Freud

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12.04.2007
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Der Moses Roman des Sigmund Freud

Zusammenfassung und Schlussthese: Freud beginnt mit einem Paukenschlag: Mose, der Volks- und Religionsstifter, sei Ägypter und gebe dem Volk, das er forme, „seine“ Religion, den Monotheismus des Pharao Echnaton. Die mosaische („jüdische“) Religion stelle gegenüber den Bildreligionen einen „Fortschritt in der Geistigkeit“ dar, denn Namens- und Bildverbot wie Absage von Magie und Ritus fordern und strapazieren in der Folge das menschliche Abstraktionsvermögen. Mit der prophetischen Bewegung wird die mosaische zur Buchreligion, welche die Gemeinde oder besser: dem „Volk Gottes“ zur wahren Heimat wird –
was freilich die Gegenreaktion eines „Antiintellektualismus“ erzeugt. Für ein weiteres Motiv des selbst von Freud fälschlich als „Antisemitismus“ bezeichneten Anti-Judaismus greift er auf den früher entwickelten Mord am Urvater zurück. Paulus gehe den fortschrittlichen Weg, den die Vaterreligion eingeschlagen habe, nicht mit, wenn die Sohnesreligion den Christen von der Erbsünde (dem Vatermord) durch Opfertod des Sohnes befreie, dass der christliche Vorwurf laute: »Sie [Anmerkung: die Juden] wollen es nicht wahrhaben, daß sie Gott gemordet haben, während wir [Christen] es zugeben und von dieser Schuld gereinigt worden sind.«
Die Heimat des Juden ist darum weniger ein Land, da Milch und Honig fließen und die Füße fest auf dem Boden stehen können, als der Verstand.

Der Moses Roman des Sigmund Freud

„Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die durch einen
gemeinsamen Irrtum hinsichtlich ihrer Abstammung und
eine gemeinsame Abneigung gegen ihre Nachbarn geeint ist.“
K. Deutsch

„Es ist bei der Entstellung eines Textes ähnlich wie bei einem Mord“, bei dem sich die Tat selber als einfacher erweisen mag, als hernach ihre Spuren zu beseitigen, behauptet 1937 Sigmund Freud in der Abhandlung Wenn Moses ein Ägypter war …
Das substantivierte Verb entstellen gibt sich hier zweideutig: nicht mehr nur die Erscheinung wird verändert, sie wird auch an eine andere Stelle gebracht, verschoben. Da bedarf’s oft einiger Mühe, den versteckten, unterdrückten und verleugneten Stoff „abgeändert und aus dem Zusammenhang gerissen“ an andrer Stelle zu finden. [Anm: Zitate nach Sigmund Freud, Studienausgabe, hier: Bd. IX, S. 493; Werke Freuds sind unter gutenberg.de eingestellt.]
Wie aber – zum Teufel noch einmal! - kommt Freud mehr als 70 Jahre nach seinem Tode hier unter?, wird sich selbst der geneigte Leser fragen - was auch sofort erläutert sei: Freud hat nicht nur die reale, sondern auch die literarische Welt verändert, mit den Studien über Hysterie und Neurosen, indem er das Unbewusste in die Forschung einbezieht, vor allem mit der Traumdeutung. Wiewohl seine Theorien immer schon umstritten sind, strahlen sie in alle Bereiche der Moderne und Postmoderne hinein. Mag manches des umfangreichen Werkes überholt sein, seine stilistische Brillanz bleibt unbestritten, niemand muss Freud hinter Dostoevskij oder einem beliebigen andern Großen der Weltliteratur verstecken. Manchem Bücherschrank brächte das eine oder andre Werk Freuds einen Gewinn. Denn der da Mythen deutet, schafft zugleich neue Mythen in des Wortes ursprünglicher Bedeutung. Ich, Es und Über-Ich wie auch der Ödipuskomplex – um nur einige seiner Begriffe zu nennen – sind in die Umgangssprache eingedrungen, Allgemeingut geworden.
Nicht ohne Grund verleiht ihm die Stadt Frankfurt 1930 den Goethe-Preis, da das Kuratorium „den umwälzenden Wirkungen der von [Freud] geschaffenen neuen Forschungsformen auf die gestaltenden Kräfte unserer Zeit“ einen hohen Wert beimisst. „In streng naturwissenschaftlicher Methode, zugleich in kühner Deutung der von Dichtern geprägten Gleichnisse hat [Freuds] Forschung einen Zugang zu den Triebkräften der Seele gebahnt und dadurch die Möglichkeit geschaffen, Entstehen und Aufbau vieler Kulturformen in ihrer Wurzel zu verstehen und Krankheiten zu heilen, zu denen die ärztliche Kunst bisher den Schlüssel nicht besaß. [Seine] Psychologie hat aber nicht nur die ärztliche Wissenschaft, sondern auch die Vorstellungen der Künstler und Seelsorger, der Geschichtsschreiber und Erzieher aufgewühlt und bereichert.“ (X, S. 289)

Im Folgenden sei die letzte Veröffentlichung zu seinen Lebzeiten besprochen, der ca. 240 Seiten starke, 1939 in Amsterdam erschienene Mann Moses und die monotheistische Religion: Drei Abhandlungen, in dem er seine sozialpsychologischen Schriften über Ursprünge gesellschaftlicher Organisation wie Totem und Tabu (1912 f.) und Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) u. a. fortsetzt und ergänzt, seine Theorien insgesamt anwendet, konkretisiert und auslebt, wissenschaftliche Grenzen überschreitet und sprengt.
Das mag der einen oder dem andern nicht sonderlich aktuell erscheinen. Gleichwohl sollte kein Europäer erstaunt darüber sein, dass Religion(en) und Nation(en) Konstrukte sind – wie Literatur auch.
Wer etwas zum modernen Israel lesen will, der nehme zur Hand Shlomo Sand, Die Erfindung des jüdischen Volkes, Berlin 2010, ca. 510 Seiten, und / oder Steffen Hagemann, Israel – Wissen was stimmt, Freiburg 2010, ca. 130 Seiten.

Wie kommt nun ein aufgeklärter und zudem irreligiöser Mensch dazu, sich mit einem Religionsstifter und Volksgründer zu befassen?
Für Freud ist es zunächst die Neigung zur Kunst: Während des ersten Aufenthalts in Rom im September 1901 ist bereits Mose ins Leben des Neurologen und Psychiaters getreten. Zum Moses des Michelangelo veröffentlicht er 1914 und 1927 seine Gedanken. Bis zu den Arbeiten zu der Gestalt des Religionsstifters und Volksgründers wird freilich noch ein Jahrzehnt vergehen. Erst mit dem totalitären Wahnwitz wird Freud zu einem Bruder Parzivals auf der Suche nach dem Gral: Sommer 1934 ist ein erster Entwurf fertig, den nennt er Der Mann Moses, ein historischer Roman – tatsächlich wäre er zugleich ein Kriminalroman zu nennen, wird doch neben der Suche nach dem Gral von Mord und Totschlag erzählt.
Obwohl er sich auf den aktuellen Stand der Forschung berufen kann, zweifelt Freud an der Stichhaltigkeit seiner Argumente und sorgt sich um die Reaktion von Regierung und katholischer Kirche in Österreich. Anzunehmen ist, dass er immer wieder am Text Änderungen anbringt, bis einzelne Teile („Abhandlungen“) 1937 f. in Zeitschriften veröffentlicht werden. Nicht nur diese aneinandergereihten Veröffentlichungen, sondern auch die politischen Wirren der Zeit wirken sich auf den Aufbau des Romanes aus - was zwangsläufig zu Rekapitulationen führen muss, sich aber auch in einer Analyse des „Antisemitismus’“ niederschlägt. Der freilich ist schon einiges vor der erwähnten Italienreise in sein Leben getreten: Als Freud während der Arbeit an der Traumdeutung sich einer Italienreise erinnert – ob es die o. g. ist, vermag ich nicht zu sagen -, fällt ihm ein übermächtiges Jugenderlebnis ein: „Ich mochte zehn oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu zeigen, in wie viel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsort am Samstag in der Straße spazierengegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopf. Da kommt ein Christ daher, haut mit einem Schlag die Mütze in den Kot und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! »Und was hast du getan?« Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte.“ [(II, S. 208) Anm.: 1919 erweitert Freud die Traumdeutung um einen Traum Bismarcks, in dem Mose auch seinen Auftritt hat, vgl. ebd., S. 371 ff.]

»Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, lasse
ich dich ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit
ich dich immer, immer sehen kann.«
S. Freud

Wegen seiner jüdischen Abstammung muss Freud 1938 seine Heimat verlassen. Noch im Exil in London schreibt er an einer dritten, der letzten Abhandlung zu seinem historischen Kriminalroman. Dem Roman könnte die Vorrede zur hebräischen Ausgabe von Totem und Tabu aus dem Dezember 1930 vorangestellt werden: „Keiner der Leser dieses Buches wird sich so leicht in die Gefühlslage des Autors versetzen können, der die heilige Sprache nicht versteht, der väterlichen Religion - wie jeder anderen - völlig entfremdet ist, an nationalistischen Idealen nicht teilnehmen kann und doch die Zugehörigkeit zu seinem Volk nie verleugnet hat, seine Eigenart als jüdisch empfindet und sie nicht anders wünscht. Fragte man ihn: Was ist an dir noch jüdisch, wenn du alle diese Gemeinsamkeiten mit deinen Volksgenossen aufgegeben hast?, so würde er [Freud also] antworten: Noch sehr viel, wahrscheinlich die Hauptsache. Aber dieses Wesentliche könnte er gegenwärtig nicht in klare Worte fassen. Es wird sicherlich später einmal wissenschaftlicher Einsicht zugänglich sein. / ... Ein Buch überdies, das den Ursprung von Religion und Sittlichkeit behandelt, aber keinen jüdischen Standpunkt kennt, keine Einschränkung zugunsten des Judentums macht. Aber der Autor hofft, sich mit seinen Lesern in der Überzeugung zu treffen, daß die voraussetzungslose Wissenschaft dem Geist des neuen Judentums nicht fremd bleiben kann.“ (IX, S. 293) Tatsächlich aber beginnt der Roman im Vorgriff auf seine einleitende und zugleich entscheidende Hypothese mit einer Entschuldigung: „Einem Volkstum den Mann abzusprechen, den es als den größten unter seinen Söhnen rühmt, ist nichts, was man gern oder leichthin unternehmen wird, zumal wenn man selbst diesem Volke angehört. Aber man wird sich durch kein Beispiel bewegen lassen, die Wahrheit zugunsten vermeintlicher nationaler Interessen zurückzusetzen, und man darf ja auch von der Klärung eines Sachverhalts einen Gewinn für unsere Einsicht erwarten“ (IX, S. 459), um sofort anzuecken!
Erstes Interesse an der Person Mose weckt der Name und ein Bruch zur biblischen
Darstellung: warum sollte eine ägyptische Prinzessin einen im Nil ausgesetzten Jungen einen hebräischen Namen geben? Steht nicht schon das Kästchen für den Mutterleib und die Wasser des Nil fürs Fruchtwasser?
Der Name Mose ist Bestandteil ägyptischer Namen wie etwa dem des Tuthmosis / Thutmose und bedeutet nichts weiter als „Kind“ [in dem genannten Namen also „Kind des Thoth“, dem ibisköpfigen Gott der Schreibkunst und Wissenschaft]. Warum sollte jemand, der einen ägyptischen Namen trägt, zu einer Zeit, da Namen noch nicht Schall und Rauch sind, nicht auch Ägypter sein? [Freilich muss hier darauf hingewiesen werden, dass der Begriff des Pharao für den altägyptischen Königstitel Pir-o („Großes Haus“) ein hebräisches Lehnwort ist.]

„Ein Held ist, wer sich mutig gegen seinen Vater erhoben und ihn am Ende siegreich überwunden hat.“ (IX, S. 463) Zudem wird die Herkunft des Helden, wie er sich in orientalischen und griechischen genealogischen Mythen darstellt [Sohn, der den Thron streitig machen wird, wird ausgesetzt und bei niedrigerer Familie aufgezogen; letzter und jüngster dieser Reihe wäre Romulus, der bekannteste wahrscheinlich Ödipus], vom Kopf auf die Füße gestellt: „In der Form, in der die Mosessage uns heute vorliegt, bleibt sie in bemerkenswerter Weise hinter ihren geheimen Absichten zurück. Wenn Moses kein Königssprosse ist, so kann ihn die Sage nicht zum Helden stempeln; wenn er ein Judenkind bleibt, hat sie nichts zu seiner Erhöhung getan. Nur ein Stückchen des ganzen Mythus bleibt wirksam, die Versicherung, daß das Kind starken äußeren Gewalten zum Trotz sich erhalten hat, und diesen Zug hat denn auch die Kindheitsgeschichte Jesu wiederholt, in der König Herodes die Rolle des Pharao übernimmt“ [(IX, S. 465); Herodes der Große (4 v. Chr. +), vor dem die Flucht nun NACH Ägypten erfolgt, womit wir gänzlich in Mythologie und Aberglaube eintauchen: „Io“, Tochter eines griechischen Flussgottes, war Priesterin der Hera. Zeus, lockerer Geselle, der er ist, nahm die Priesterin zur Geliebten, was wiederum Eifersucht bei der olympischen Chefin erregt. Die Priesterin floh nach Ägypten. Nach griechischer Auffassung wird Io als „Isis“ verehrt. Die jedoch personifiziert den Thron Ägyptens – was schon die historischen Verdrehungen offenbart - wird also einiges älter sein, als die Hellenen sich träumen lassen. Als Gemahl des Osiris wird sie Mutter des Horus.
Was das soll?, fragt sich der geneigte Leser wieder; nun: Das Horuskind taucht alljährlich zur Wintersonnenwende im Abendland in jedem ordentlichen Wohnzimmer auf, steht auf oder bei jedem Altar und wird in Krippenspielen verherrlicht. Mit dem Horuskind wird Isis Vorbild für Madonnen Darstellungen, heißt nun nicht mehr Isis oder Io, sondern „Maria“ und ist nichts anderes als ein Überbleibsel einer Muttergottheit …]
Gleichwohl: Freuds Analyse ergibt letztlich: „Moses ist ein – wahrscheinlich vornehmer – Ägypter, der durch die Sage zum Juden gemacht werden soll. Und das wäre unser Resultat! Die Aussetzung im Wasser war an ihrer richtigen Stelle; um sich der neuen Tendenz zu fügen, mußte ihre Absicht, nicht ohne Gewaltsamkeit, umgebogen werden; aus einer Preisgabe wurde sie zum Mittel der Rettung. / Die Abweichung der Mosessage von allen anderen ihrer Art konnte aber auf eine Besonderheit der Mosesgeschichte zurückgeführt werden. Während sonst ein Held sich im Laufe seines Lebens über seine niedrigen Anfänge erhebt, begann das Heldenleben des Mannes Moses damit, daß er von seiner Höhe herabstieg, sich herabließ zu den Kindern Israels.“ (IX, S. 466) Was uns allen - nicht nur Freud - vorgeworfen werden kann, trifft auf den Mythos selber zu: das je Passende (nicht nur) aus den Mythen herauszuziehen und es den eigenen Interessen anzupassen und zurechtzubiegen.

Gemeinhin wählt ein Volk einen seiner Volksgenossen zum Führer. Wie also kommt es dazu, dass ein Mann, dem alle „Weisheit Ägyptens“ zugeschrieben wird, sich zum politischen Führer und Religionsstifter von Hebräern aufschwingt, die sicherlich eine eigene Religion ausüben? [Als Hebräer wurde wahrscheinlich im gesamten alten Orient eine soziale Schicht aus Unfreien bezeichnet, die sich als Lohnarbeiter oder Söldner verdingen mussten.] Denn wenn Mose ein Ägypter ist, wird er auch die ägyptische Religion weitergegeben haben, die ist aber über Jahrtausende weder eine mono- noch auch nur eine henotheistische Religion und wimmelt von mancherlei abergläubischem Zeug.
Doch gibt es eine Ausnahme, die freilich für Ägypten Episode geblieben ist [und im Auftritt der Hyksos ein Vorspiel hat, denn immer schon kommen nomadisierende Schafhirten – auch Jakob und hernach Josef und seine Brüder? - in Notzeiten ins Land „Gosen“, dem östl. Nildelta, und werden geduldet, können sich, da Arbeitskräfte immer gebraucht werden, auch ansiedeln. Vor 1650 aber okkupieren „aus dem Osten“ die „Hyksos“ („Herrscher fremder Länder“) Ägypten, um nun selbst im Norden eine eigene Dynastie zu begründen und Oberägypten für hundert Jahre tributpflichtig zu halten, bis von dorther mit der 18. Dynastie die Befreiung und Wiedervereinigung zum Neuen Reich beginnt. Die Fremdherrschaft ist eine Kränkung, die mehr als 14 Jahrhunderte später Manetho in seiner ägyptischen Geschichte die Zahl der fremden Truppen mit „240.000 Schwerbewaffneten“ maßlos übertreiben lässt, denn mit den Eroberern, die einfach militärisch besser als die Ägypter organisiert und ausgerüstet sind - der Kriegeradel hat das Sagen, Panzer und Helm werden im gesamten Orient eingeführt, vor allem aber der Streitwagen – kommen auch Amoriter und Kanaaniter ins Land ...]
In eben dieser der 18. Dynastie – mit der Ägypten zur Weltmacht aufsteigt – versucht Amen-hotep (Amenophis) IV. den traditionellen Polytheismus durch eine monotheistische, einheitliche Staatsreligion zu ersetzen, in deren Mittelpunkt allein die Sonne steht, repräsentiert durch Aton. Der König nennt sich nun Echnaton („Ikhnaton“), widersteht den Versuchungen magischen Denkens und verwirft die Illusion eines Lebens nach dem Tod. Die Kraft der Sonne wird als Quell allen Lebens erkannt. Echnaton „rühmt sich seiner Freude an der Schöpfung und seines Lebens in Maat (Wahrheit und Gerechtigkeit).“ (IX, S. 508) Durch die wenigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser Jahre [~ 1362 – 1346; Daten abweichend von Freud, wie gelegentlich auch die Namensschreibungen] wissen wir um moderne, naturalistisch und expressionistisch anmutende Züge, etwa, wenn wir heute noch fasziniert die Kalksteinbüste der Nofretete, der Frau des Echnaton bewundern. Von dem einen Gott aber gibt es kein persönliches Bild, wie es den andern Göttern Ägyptens zugestanden war: er wird allein durch die Sonnenscheibe symbolisiert. Mit dem Monotheismus geht auch die polytheistische Toleranz gegenüber andern Göttern verloren und sicherlich wird er keine Volksreligion gewesen sein, dafür schlägt nach dem Tode des Echnaton das Pendel zu rasch wieder zurück und unser Mann Mose wäre nun ein Geächteter, wäre er nicht energischer als Echnaton an die Aufgabe gegangen, sich sein eigenes Volk zu schaffen und ihm SEINE Religion zu bringen. Freud sucht – bei eingestandner eigener Inkompetenz – den Schluss übers jüdische Glaubensbekenntnis: „»Schema Jisroel Adonai Elohenu Adonai Echod.« Wenn der Name des ägyptischen Aton (oder Atum) nicht nur zufällig an das hebräische Wort Adonai und den syrischen Gottesnamen Adonis anklingt, sondern infolge urzeitlicher Sprach- und Sinngemeinschaft, so könnte man jene jüdische Formel übersetzen: »Höre Israel, unser Gott // Aton (Adonai) ist ein einziger Gott.«“ (IX, S. 475 f.)
Als weiteres entscheidendes Indiz, dass Mose Ägypter sei, findet sich in der biblischen Darstellung, dass er »schwer von Sprache« gewesen sei, dass er also eines Dolmetschers bedurfte, des Leviten Aaron – sicherlich nicht wie dort behauptet gegenüber Pharao, sondern gegen das von ihm auserwählte Volk.
Freud zählt als weiteren Beleg neben der Absage an allen Totenkult - die konsequent angewendet ein Leben nach dem Tod und somit die Unsterblichkeit der Seele ausschließt – die Beschneidung auf. Steht jene in schroffem Gegensatz zur ägyptischen Anschauung, wonach der ermordete Osiris geradezu mächtiger ist als seine lebendigen Kollegen, so ist diese eine ägyptische Volkssitte / Unsitte, welche die Kinder Israels zwar nicht zu Ägyptern macht, wohl aber immer an die Knechtschaft erinnern soll. „Wenn wir hören, daß Moses sein Volk »heiligte« durch die Einführung der Sitte der Beschneidung, so verstehen wir jetzt den tiefen Sinn dieser Behauptung. Die Beschneidung ist der symbolische Ersatz der Kastration, die der Urvater einst aus der Fülle seiner Machtvollkommenheit über die Söhne verhängt hatte, und wer dies Symbol annahm, zeigte damit, daß er bereit war, sich dem Willen des Vaters zu unterwerfen, auch wenn er ihm das schmerzlichste Opfer auferlegte.“ (IX, S. 567) Hier bekommen dann die Urväter nicht nur fürs „gelobte“ Land ihre ideologische Funktion, sondern vor allem mit der Versuchung des Abraham (vgl. 1. Mose 22), mit dem die Herkunft der Beschneidung geleugnet wird.
[An dieser Stelle nun bringt mich der autobiografische Abschied vom Himmel des Hamed Abdel-Samad in der Schilderung der Beschneidung von älterer Schwester und des Siebenjährigen, vor allem aber sein Hinweis zur altägyptischen Herkunft der Beschneidung mitsamt ihrer Herkunftssage durch die Mutter des kleinen Hamed zu folgender Deutung der Genesis hinsichtlich der Versuchung Abrahams und des Bundes mit Gott. Denn ist es nicht so, dass dieser Mythos buchstäblich genommen die Saat zum Anti-Judaismus – wie ich den Antisemitismus richtigerweise bezeichnen will - legt? Heißt es doch in 1. Mose 22, dass Gott Abraham auf die Probe stellen wollte mit der Aufforderung, den Sohn zu nehmen, mit Betonung und der Apposition auf „deinen einzigen“ und der näheren Bestimmung im Relativsatz „der dir ans Herz gewachsen ist“, um ihn an einem bestimmbaren Ort „als Brandopfer“ darzubringen. Da zu der Zeit Abraham vielleicht senil gewesen ist, scheinen die Autoren des Wortes Gottes dem alten Herrn auch noch Demenz zu unterstellen, indem sie das Opfer konkret benennen und - lügen.
Doch zunächst müssen wir uns erinnern: Abram („Vater ist groß“) ist bis ins hohe Alter hinein kinderlos geblieben, dass ein immer wieder gegebenes göttliches Versprechen von der zahlreichen Nachkommenschaft – was sich im Namen A. spiegelt - wie Hohn klingen muss. Doch Sara(i), sein Weib hat eine ÄGYPTISCHE, kinderlose Sklavin, Hagar geheißen. Die Autoren berichten, dass Sarai Hagar ihrem Manne überlassen hätte – was unter patriarchalischen Verhältnissen nur als Schönfärberei angesehen werden kann, denn wann hätte jemand schon aus vorgeschichtlicher Zeit vom Institut der Leihmutterschaft im gegenseitigen Einverständnis von Mann und Weib vernommen? Denn tatsächlich gebiert Hagar dem Abram im 86. Jahr seines Lebens einen Sohn, den sie Ismael („Gott hört“) nennen und dem – kann es jemand verwundern? - eine zahlreiche Nachkommenschaft zugesagt wird. (1. Mose 16; angeblich blickt Hagar anschließend überheblich auf ihre kinderlose Herrin und wird dafür buchstäblich in die Wüste geschickt.) Nun zeigen zwischenzeitlich die Autoren Sinn für Dramatik und feine Ironie mit dem bittern Ende Sodom und Gomorrhas!, bevor Sara im 100. Jahr des Abram - nun mit dem Ehrentitel Abraham („Vater vieler Völker“) versehen - den Isaak („Er (Gott) lacht“) gebiert (1. Mose 21). Was gäbe es da zu lachen? Da gibt’s nichts zu lachen! Denn kehren wir an den Ausgangspunkt zurück, auf dass man sich den Schock für den greisen Eltern vorstelle, als das Brandopfer verlangt wird! Vor allem aber die Frage, die der kleine Isaak seinem Vater auf dem Weg zur Opferstätte gestellt haben soll: „Feuer und Holz haben wir, aber wo ist das Lamm für das Opfer?“ / „Gott wird schon für ein Opferlamm sorgen“, soll die lapidare Antwort sein. Da sollte selbst ein 14-Jähriger wie Ismael und der geneigte Leser im Opfer die Täuschung als Grundmuster jeden Tausches erkennen.
Denn die Geschichte fährt fort, dass die Autoren mit geradezu mathematisch ein-eindeutiger Deutlichkeit durch den Herrn, seinem Gott, dem Abraham Einhalt gebieten lassen, gleichgültig, ob das Opfer zu gering wäre oder das Messer stumpf, die Begründung lautet deutlich „Du warst bereit, mir sogar deinen EINZIGEN Sohn zu opfern“ (1 Mose 22 - ein Modell für den realisierten Opfertod am Kreuz, von dem die Autoren nichts wissen können, mehr als ein halbes Jahrtausend vor diesem Ereignis) und der heißt Ismael - bis zu dessen 14. Jahr, von da an ist weder er noch sein Halbbruder so recht ein einziger. Auf die zugesagte Belohnung warten freilich heute noch die Nachkommen dessen, der auf Gott hört und erst recht die Kinder und Enkelgenerationen des Ismael und des Isaak. Die Autoren liefern aber das Modell für den Bruderzwist aus dem Tausch des Rechtes der Erstgeburt in der nächsten Generation … Nackter Betrug!, denn wo Gleichheit herrscht, lacht kein Gewinn! Von scheinbar Gleichen werden wechselseitig Leistungen übertragen, die aber nur gleichwertig erscheinen, keineswegs gleichwertig sind. Im idealen Falle glaubt jeder, ein Schnäppchen gemacht zu haben, schätzt er doch die eingetauschte Leistung höher ein als die, die er weggibt. So ist dem ganzen immer auch eine religiöse Dimension zuzusprechen, und in der Tat: bereits das erste und älteste Opfer ist bloße Ware. Denn auch der Gott, der versucht, wird betrogen, dem das Opfer gilt, wenn das Ungenießbare - Gedärm und Knochen - geopfert wird. Wär’s denn nicht allzu blöde, Genießbares in Rauch und Qualm aufgehen zu lassen, statt es selbst zu genießen? Der Gott könnte ja gestörten Sinnes sein wie der süchtige Raucher: es muss stinken, Rauch entwickeln, brennen! Für den Gott bleibt’s beim Nullsummenspiel. Das spiegelt sich noch in der Sprache: Das Verb tauschen geht zurück aufs mhd. tuschen, dem „unwahr reden, lügnerisch versichern, anführen“, was seine Nähe zum tiuschen (nhd.: täuschen) nicht verleugnet. „Die heute allein übliche Bedeutung ‚Waren oder dergleichen auswechseln, gegen etwas anderes geben’, in der das Verb zuerst im 15. Jh. bezeugt ist, hat sich demnach aus ‚unwahr reden, in betrügerischer Absicht aufschwatzen’ entwickelt“, was mit der „Präfixbildung vertauschen“ zum „‚irrtümlich oder unabsichtlich auswechseln’“ führt und von dort zurück zum mhd. vertuschen (Zur Etymologie vgl. Duden Bd. 7, S. 839 f.). Ismael aber gilt als Stammvater aller Beduinen.
Doch kehren wir zurück zu Sigmund Freud!]

Welche Zeit wäre für den Auszug aus Ägypten, das Nomadentum und die Einwanderung oder – je nach Standpunkt – Besetzung des gelobten Landes anzusetzen?
Freud erkennt richtigerweise für den Auszug die anarchische Zeit nach dem ketzerischen König als optimal, aber vorm Staatsstreich des Haremhab [~ 1330], mit dem die innere und also alte Ordnung wiederhergestellt wird. M. E. würde ein Auszug aus Ägypten zur Zeit Ramses I. [~ ab 1305] durch die starken Ramessiden erschwert. Gegenüber den von Freud vermuteten Daten (~ 1350) rücken die hier genannten den Zeitpunkt des Auszuges um eine Generation näher an die gemeinhin geschätzte Zeit heran, die mit 1250 ~ 1225 als nahezu unmöglich angesehen werden darf, fiele sie doch in die Regierung Ramses II., des bedeutendsten Herrschers der 19. Dynastie überhaupt. Zudem schlägt doch bereits 1219 Merenptah („Merneptah“) die Seevölker zurück und lässt sich auf einer Stele „des Sieges über Isiraal (Israel) und der Verwüstung ihrer Saaten“ rühmen (IX, S. 497 f.). Ramses III. hinwiederum siedelt um 1180 geschlagene Seevölker in der Küstenregion Kanaans an. Diese Geschlagenen sind als Pelischtim [Philister, die nicht erst durch Heine zu Spießbürgern werden] alttestamentarisch bezeugt und sprechen ursprünglich mit indoeuropäischer Zunge. Als sie sich ins Landesinnere ausbreiten wollen, kommt es zu erbitterten Kämpfen mit Volksstämmen, die durch Saul und David politisch geeinigt werden können. Die Römer werden das alte Kanaan später „Land der Philister“ [sprich: Palästina] nennen.
[In seinem Beitrag vom 14.01.11 weist Setnemides darauf hin, dass „die Zeit des Auszuges aus Ägypten … heute geologisch datierbar [ist], die Qualen, die über Ägypten hereinbrechen, sind durch den Ausbruch des Vulkans von Santorin verursacht, …“, was Freud zwar nicht ausdrücklich benennt, sondern in einer umfangreichen Fußnote (IX, S. 495) mit dem Untergang der alten minoischen Kultur und dem Ende der Muttergottheit (welche die natürlich Katastrophe ebenso wenig verhindern konnte wie das Eindringen mykenischer Eroberer) und deren Ersatz durchs Patriarchat. Es ist auch die Zeit, die in den Epen des Homer besungen wird, und da lässt sich nicht ausschließen, dass auch hier „Seevölker“ die treibenden Kräfte sind: Troja zählt zum Einflussgebiet der Hethiter, deren Macht mit den Völkerverschiebungen zerrinnt. Aber viel bedeutender erscheint mir der Brauch unter Seevölkern zu sein, statt aufwendiger und blutiger Schlachten Einzelkämpfer zu bestimmen, die in einer Art „Gottesurteil“ unnötiges Blutvergießen vermeiden sollte. Zwei Beispiele fallen mir auf Anhieb ein: der Zweikampf Achill - ein Halbgott, der darum durch einen Gott gefällt werden muss - gegen einen Prinzen, Hektor - und weit weg hiervon ein Schafhirte gegen einen übermächtigen (Berufs-)Krieger: David gegen Goliath.]

Die Zeit der Wüstenwanderung wird gemeinhin als Zeit der Herrschaft des Mose’ angesehen. In der Zeit vermischt man sich mit arabischen Stämmen (zB Midianiter) und übernimmt deren Gottheit(en) wie etwa den Vulkangott JHWH, ist aber auch andern Göttern nicht abgeneigt. Das Volk gibt sich störrisch und widerspenstig, es kommt zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Episode des goldenen Kalbes ist in der biblischen Darstellung eine „geschickte Wendung“, weil Mose selbst das Gesetz bricht, indem er die Gesetzestafeln in seinem Jähzorn zerbricht –
ein Motiv, den Religionsstifter und Volksgründer und -führer zu erschlagen? Überraschend verweist Freud auch auf Goethe, der schon auf eine Tötung des Mose durch sein Judenvolk (IX, S. 537) hingewiesen hat, ohne dass Freud am Aufsatz Israel in der Wüste die negative Charakterisierung des Mose erkennen will, wenn es da summarisch heißt „und wir müßten uns sehr irren, wenn nicht Josua und Kaleb die seit einigen Jahren ertragene Regentschaft eines beschränkten Mannes zu endigen und ihn so vielen Unglücklichen, die er vorausgeschickt, nachzusenden für gut gefunden hätten, um der Sache ein Ende zu machen und mit Ernst sich in den Besitz des ganzen rechten Jordanufers und des darin gelegenen Landes zu setzen.“
Für Freud eine Wiederholung des Vatermordes der Urhorde aus Totem und Tabu!, bei den Propheten – Freud nennt in Anlehnung an Ernst Sellin ausdrücklich Hosea (IX, S. 486) – lassen dunkle Stellen auf eine Tradition schließen, dass der Religionsstifter erschlagen wurde, was nunmehr in Widerspruch zur ursprünglichen Religionsstiftung und deren Absage an ein Leben nach dem Tod die Hoffnung auf die Wiederkehr des Mose begründet und den messianischen Glauben erzeugt. „Die Stimmen der Propheten wurden nicht müde zu verkünden, daß der Gott Zeremoniell und Opferdienst verschmähe und nur fordere, daß man an ihn glaube und ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit führe“ (IX, S. 513) , eben die Maat des Echnaton. Es ist die prophetische Bewegung, welche die Erinnerung hoch hält, [aber erst im Exil werden die unterschiedlichen Traditionen vereinheitlicht und zu literarischen Sammelwerken, kurz: zur Buchreligion, die sich nach 538 durchsetzt – wobei Hosea der dunkelste und zugleich der hellste Text ist, indem er die Geschichte verdichtet: „Ich bin aber der HERR, dein Gott, aus Ägyptenland her; und du solltest ja keinen andern Gott kennen denn mich und keinen Heiland als allein mich. / Jakob mußte fliehen in das Land Syrien, und Israel mußte um ein Weib dienen, und um ein Weib mußte er hüten. Aber hernach führte der HERR Israel aus Ägypten durch einen Propheten und ließ ihn hüten durch einen Propheten. Nun aber erzürnt ihn Ephraim durch seine Götzen; darum wird ihr Blut über sie kommen, und ihr HERR wird ihnen vergelten ihre Schmach, die sie ihm antun. / Was soll ich dir tun, Ephraim? was soll ich dir tun, Juda? Denn eure Liebe ist wie eine Morgenwolke und wie ein Tau, der frühmorgens vergeht. Darum schlage ich sie durch die Propheten … Denn ich habe Lust an der Liebe, und nicht am Opfer, und an der Erkenntnis Gottes, und nicht am Brandopfer.“ (Hosea 6,4 ff., 12,13 ff. und 13,4)
Die These eines Totschlags an Mose wird durch eine alttestamentarische Stelle bestärkt, auf die ich während der Lektüre Maarten 't Hart geradezu gestoßen werde: Exodus 4,24: "Und als er [Mose]unterwegs in der Herberge war [auf dem Weg nach Ägypten], kam ihm der HERR entgegen und wollte ihn töten." Sollte ein anderer statt des Ägypters Mose vor Pharao getreten sein mit der Forderung, das Volk Israel ziehen zu lassen? Die nächsten beiden Verse verfinstern den gerade zitierten um einiges und Parodieren die Versuchung Abraham: "Da nahm Zippora [die Frau des Mose] einen Stein und beschnitt ihrem Sohn die Vorhaut und rührte ihm seine Füße an und sprach: Du bist mir ein Blutbräutigam. Da ließ er [Gott] von ihm [Mose] ab." (2. Mose 4, 25 f.) Eine Deutung wäre, dass Mose den Ägypter abgelegt und sich den Sitten des Volkes Midian (einer Gebirgslandschaft im Nordwesten der arabischen Halbinsel) angepasst hat. Dort ist die Beschneidung unbekannt, wird die Beschneidung erst mit dem Islam eingeführt! Gott ein Korinthenkacker, der pingelig gleich einem Buchhalter darüber wacht, dass sein Gesetz eingehalten werde, Soll & Haben ausgeglichen werden?]

Setzt der Mythos die „heilige“ Zahl 40 für die Wüstenjahre an, so kann getrost von wenigstens drei Generationen ausgegangen werden [Beginn nach dem Tod des Echnaton 1346, aber vor 1305 (Ramses I.), wahrscheinlicher aber noch vor 1330 (Putsch des Haremhab); Beginn der Einwanderung in Kanaan und Vermischung mit der Vorbevölkerung vor 1219 (Sieg des Merenptah). Muss ich darauf hinweisen, dass Goethe in den bereits zitierten Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Diwan unter einem fähigen Heer- und Volksführer mit Akribie eine Wanderzeit von zwo Jahren berechnet? Hätte er uns da nicht gleich einen andern Mose machen sollen?]

Mit der Geschichte des goldenen Kalbes sei ein Exkurs zum Moses des Michelangelo (X, S. 195 ff.) erlaubt: Der Mose der Tradition ist leidenschaftlich und jähzornig – was vielen Großen der Geschichte zugesprochen wird. Im „heiligen“ Zorn hat er einen Ägypter erschlagen, muss deshalb fliehen. In eben einem solchen Affekt zerschmettert er die Gesetzestafeln, die SEIN Gott selbst beschrieben hat!, obwohl der Charakter des Mose eher dem des Vulkangottes JHWH gleicht. „Aber Michelangelo hat an das Grabdenkmal des Papstes [Julius II.] einen anderen Moses hingesetzt, welcher dem historischen oder traditionellen Moses überlegen ist. Er hat das Motiv der zerbrochenen Gesetzestafeln umgearbeitet, er läßt sie nicht durch den Zorn Moses' zerbrechen, sondern diesen Zorn durch die Drohung, daß sie zerbrechen könnten, beschwichtigen oder wenigstens auf dem Wege zur Handlung hemmen. Damit hat er etwas Neues, Übermenschliches in die Figur des Moses gelegt, und die gewaltige Körpermasse und kraftstrotzende Muskulatur der Gestalt wird nur zum leiblichen Ausdrucksmittel für die höchste psychische Leistung, die einem Menschen möglich ist, für das Niederringen der eigenen Leidenschaft zugunsten und im Auftrage einer Bestimmung, der man sich geweiht hat.“ (X, S. 217) In einem Nachtrag von 1927 weist Freud auf einen in der Beziehung buchstäblichen Vorläufer des Michelangelo hin: Nikolaus („Nicholas“) von Verdun [der Dreikönigsschrein zu Köln dürfte sein bekanntestes Werk sein] hat auch einen sitzenden Mose dargestellt [wenn auch nur 23 cm hoch], der „als Vorstufe jener Stellung supponiert wird, in welcher wir jetzt den Moses des Michelangelo erstarrt sehen. / Ein Blick auf die beistehende Abbildung läßt den Hauptunterschied der beiden, durch mehr als drei Jahrhunderte getrennten Darstellungen erkennen. Der Moses des lothringischen Künstlers hält die Tafeln mit seiner linken Hand bei ihrem oberen Rand und stützt sie auf sein Knie; überträgt man die Tafeln auf die andere Seite und vertraut sie dem rechten Arm an, so hat man die Ausgangssituation für den Moses des Michelangelo hergestellt. Wenn meine Auffassung der Geste des In-den-Bart-Greifens zulässig ist, so gibt uns der Moses aus dem Jahre 1180 // einen Moment aus dem Sturm der Leidenschaften wieder, die Statue in S.*Pietro in Vincoli aber die Ruhe nach dem Sturme.“ (X, S. 221 f.)

„Wenn man der erklärte Liebling des gefürchteten Vaters ist,
braucht man sich über die Eifersucht der Geschwister nicht
zu verwundern, und wozu diese Eifersucht führen kann, zeigt
sehr schön die jüdische Sage von Josef und seinen Brüdern.“
S. Freud

Nichts wird vergessen und nach einer Latenzzeit kommt das Verdrängte wieder hervor. So wie ich ein Leben lang auf keinen Fall werden wollte wie mein Vater – was mir durchaus nicht misslungen ist -, so stelle ich doch mit dem Alter ohne gebührend zu erschrecken Ähnlichkeit fest. So haben auch die Kinder Israels immer wieder die Idee des Monotheismus verdrängt. „Aber aus dem jüdischen Volk erhoben sich immer wieder Männer, die die verblassende Tradition auffrischten, die Mahnungen und Anforderungen Moses' erneuerten und nicht rasteten, ehe das Verlorene wiederhergestellt war. In der stetigen Bemühung von Jahrhunderten und endlich durch zwei große Reformen, die eine vor, die andere nach dem babylonischen Exil, vollzog sich die Verwandlung des Volksgottes Jahve in den Gott, dessen Verehrung Moses den Juden aufgedrängt hatte.“ (IX, S. 557)
Als bedeutsamste unter allen Vorschriften erscheint das Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen. Man verehrt, was man nicht sieht und was zudem keinen Namen kennt, was „eine Zurücksetzung der sinnlichen Wahrnehmung gegen eine abstrakt zu nennende Vorstellung, einen Triumph der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, strenggenommen einen Triebverzicht mit seinen psychologisch notwendigen Folgen“ bedeutet. Der Geist siegt über den Körper. Man entscheidet sich „gegen die direkte Sinneswahrnehmung zu Gunsten der sogenannten höheren intellektuellen Prozesse“ und dieser Gott wird „zum Ideal ethischer Vollkommenheit erhoben“ (IX, S. 559 und 563 f.)
Gilt der Sündenfall dem Juden als Vorgeschichte zum Gottesbund mit dem auserwählten Volk, weil mit dem Verstoß gegen das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, alle Kultur beginnt, indem man sich von der bewusstlosen Reproduktion des natürlichen Lebens losreißt, so wird dem Christen hingegen von der Ursünde erzählt, die erst mit der Kreuzigung getilgt würde. Sollte darum die „Sohnesreligion“ gegenüber der „Vaterreligion“, sprich: Christentum gegen Judentum Fort- und Weiterentwicklung bedeuten?
Freud (IX, S. 534 ff.) erkennt richtig in Paulus – einem latinisierten Juden - den eigentlichen Begründer der Sohnesreligion, der das Schuldbewusstsein aufgreift als „Erbsünde“, als wäre der Tod dadurch in die Welt gekommen! Freud setzt sie mit dem Mord am Vater gleich, weshalb auch ein Sohn geopfert werden muss, der somit der Definition des Helden entspricht. Der Vater tritt hinterm Sohn zurück, ist tot. Im Abendmahl wiederholt sich die Totemmahlzeit, wenn der Gläubige Blut und Fleisch des Heilands sich einverleibt und „kommuniziert“. Der Fortschritt („Erfolg“?) des Paulus liegt zum einen darin, dass mit ihm die Stammesreligion allen Menschen zugänglich und zugleich zum andern die Beschneidung abgeschafft wird.
Gleichzeitig bedeutet der Fortschritt aber auch Regression, wenn die Höhe der Vergeistigung der Vaterreligion nicht eingehalten werden kann. Denn um erfolgreich zu sein, übernimmt man Riten der bekehrten Völker, stellt gar die Muttergottheit wieder her [vgl. die Geschichte Isis-Io-Maria] und übernimmt das Personal des Polytheismus wenn auch in niederer Position und nach deutschem Steuerrecht in haushaltsnaher Beschäfigung [Teufel, Engel, Heilige, arme Seelen und Minijobber u. a.]. Aberglaube und Magie feiern rüstig Urständ bis hin zu Auferstehung und ewigem Leben, was nicht allein für die Sohnesreligion, sondern auch für deren Geschwisterchen gilt. Erneut triumphieren die Ammonpriester über Echnaton, die mosaische Religion wird zum „Fossil“.
„Nur ein Teil des jüdischen Volkes nahm die neue Lehre an. Jene, die sich dessen weigerten, heißen noch heute Juden. Sie sind durch diese Scheidung noch schärfer von den anderen abgesondert als vorher. Sie mußten von der neuen Religionsgemeinschaft … den Vorwurf hören, daß sie Gott gemordet haben. Unverkürzt würde dieser Vorwurf lauten: »Sie wollen es nicht wahrhaben, daß sie Gott gemordet haben, während wir es zugeben und von dieser Schuld gereinigt worden sind.« Man sieht dann leicht ein, wieviel Wahrheit hinter diesem Vorwurf steckt. … Sie haben damit gewissermaßen eine tragische Schuld auf sich geladen; man hat sie dafür schwer büßen lassen.“ (IX, S. 581)
Unterm Eindruck des Kriegsausbruchs (zum Folgenden Zeitgemäßes über Krieg und Tod, Bd. IX, S. 33 ff., insbesondere S. 49 ff.) ertappt Freud 1915 das Verhältnis des modernen Menschen zum Tod als unaufrichtig. Selbst wenn wir ihn als „natürlich, unableugbar und unvermeidlich“ ansehn, benehmen wir uns, als wäre es anders, schieben ihn beiseite und versuchen ihn tot zu schweigen. Sicher, der eigene Tod erscheint unvorstellbar, wir schau’n nur zu. „So konnte in der psychoanalytischen Schule der Ausspruch gewagt werden: im Grund glaube niemand an seinen eigenen Tod oder, was dasselbe ist: im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt“, allein Kinder setzten sich über Vermeidungsstrategien, den Tod zu nennen, hinweg; „sie drohen einander ungescheut mit den Chancen des Sterbens und bringen es auch zustande, einer geliebten Person dergleichen ins Gesicht zu sagen, wie z. B.; »Liebe Mama, wenn du leider gestorben sein wirst, werde ich dies oder jenes.«“ (IX, S. 49) Sofern wir nicht berufsmäßig mit Todesfällen zu tun haben, wird der einzelne Tod eher als zufällig angesehen, eine Häufung als schrecklich empfunden. Dem Verstorbenen wird nur gutes nachgesagt, Kritik verstummt einstweilen. „Die Rücksicht auf den Toten, deren er doch nicht mehr bedarf, steht uns über der Wahrheit, den meisten von uns gewiß auch über der Rücksicht für den Lebenden.“ (IX, S. 50) Die konventionelle Einstellung werde im Falle des Todes einer uns nahestehenden Person durch den völligen Zusammenbruch ergänzt – weil „Hoffnungen, Ansprüche, Genüsse“ mit begraben werden – als stürben wir mit, sind untröstlich und „weigern uns, den Verlorenen zu ersetzen“ und haben doch ambivalente Gefühle, insofern jeder Andere uns auch fremd bleibt, stände er uns auch noch so nah. Da sind wir nicht anders als die Vorfahren in der Urhorde, die den Tod „als Aufhebung des Lebens“ zwar ernst nehmen, ihn aber zugleich zu einem Nichts herabdrücken [, was Epikur bereits auf die Formel bringt, seien wir, wäre er nicht; sei er, so wir nicht]. Aber schon der frühe Vorfahr lässt auf Kompromisse sich ein: selbst für sich, nicht nur dem Feind, gesteht er den Tod ein, bestreitet aber die Vernichtung des Lebens, indem das Individuum in Leib und Seele zerlegt wird. Erinnerung an Verstorbene wird grundlegend für die Fiktion anderer Lebensformen und die Idee eines Lebens nach dem Tod. Der Religion gelingt es gar, diese Vorstellung vom Leben als erstrebenswerter als das wirkliche Leben anzusehn. Es wird als Vorbereitung fürs Leben nach dem Tod abgewertet und das Leben selbst somit insgesamt entwertet. Das wirkliche Leben wird zur Spekulation an der Börse und im Tempel.
Gleichwohl: An der Leiche des geliebten Menschen entsteht Ethik und zwar mit dem wichtigsten Gebot überhaupt: Du sollst nicht morden! „Es war als Reaktion gegen die hinter der Trauer versteckte Haßbefriedigung am geliebten Toten gewonnen worden und wurde allmählich auf den ungeliebten Fremden und endlich auch auf den Feind ausgedehnt.“ (IX, S. 55) Aber alle Geister, ob gut oder bös, bleiben nichts anderes als phantastische Ausgeburt des Gewissens. Der Urmensch lebt munter in unserm Unbewußten fort.
„Wenn Gottes Sohn sein Leben opfern musste, um die Menschheit von der Erbsünde zu erlösen, so muß nach der Regel der Talion, der Vergeltung durch Gleiches, diese Sünde eine Tötung, ein Mord gewesen sein. Nur dies konnte zu seiner Sühne // das Opfer eines Lebens erfordern. Und wenn die Erbsünde ein Verschulden gegen Gott-Vater war, so muß das älteste Verbrechen der Menschheit ein Vatermord gewesen sein, die Tötung des Urvaters der primitiven Menschenhorde, dessen Erinnerungsbild später zur Gottheit verklärt wurde.“ (IX, S. 52 f.)
Nach dem Schwarzen Freitag von 1929 zeigt sich jedoch die kleinbürgerliche Seele Freuds, wenn er behauptet: „Das Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« ist die stärkste Abwehr der menschlichen Aggression und ein ausgezeichnetes Beispiel für das unpsychologische Vorgehen des Kultur-Über-Ichs. Das Gebot ist undurchführbar; eine so großartige Inflation der Liebe kann nur deren Wert herabsetzen, nicht die Not beseitigen. Die Kultur vernachlässigt all das; sie mahnt nur, je schwerer die Befolgung der Vorschrift ist, desto verdienstvoller ist sie. Allein wer in der gegenwärtigen Kultur eine solche Vorschrift einhält, setzt sich nur in Nachteil gegen den, der sich über sie hinaussetzt. Wie gewaltig muß das Kulturhindernis der Aggression sein, wenn die Abwehr derselben ebenso unglücklich machen kann wie die Aggression selbst!“ (Das Unbehagen in der Kultur (1929 f.), Bd. IX, S. 268)
Freud selbst scheint nicht vom Fortschreiten der Geistigkeit und der Sublimierung überzeugt zu sein, die er selbst vor der erstgenannten Schilderung des Kreuzigungstodes als Motiv des Judenhasses – für den sich seit 1879 der falsche und zudem rassistische Begriff „Antisemitismus“ eingebürgert hat – in der „Ablehnung von Magie und Mystik, die Anregung zu Fortschritten in der Geistigkeit, die Aufforderung zu Sublimierungen, wie das Volk durch den Besitz der Wahrheit beseligt, überwältigt vom Bewußtsein der Auserwähltheit, zur Hochschätzung des Intellektuellen und zur Betonung des Ethischen gelangte und wie die traurigen Schicksale, die realen Enttäuschungen dieses Volkes alle diese Tendenzen verstärken konnten“ (IX, S. 534) benennt. Kurz: der Anti-Judaismus wird in seiner Hauptsache als ein Antiintellektualismus erkannt.
Es ist kaum zu glauben, dass Freud den Begriff der Nächstenliebe aus dem Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« mit der Libido gleichzusetzen scheint. Der das Gebot formuliert hat, dachte sicherlich weniger an Sexualität als an Solidarität. Im resignierenden „solange sich die Tugend nicht schon auf Erden lohnt, wird die Ethik vergeblich predigen“ (IX, S. 268) schwingt wenig Hoffnung mit und erst recht der Verlust von Utopie. Gegen die Resignation und auch wider o. g. zitierten Standpunkt des Olympiers erhebt sich ein von Freud ebenso geachteter Dichter, der den Mose und die „Freiheitsliebe Israels“ mit ganz andern Augen sieht, wenn er schreibt, dass es wahrhaftig „keinen Sozialisten [gibt], der terroristischer wäre als unser Herr und Heiland, und bereits Moses war ein solcher Sozialist, obgleich er, als ein praktischer Mann, bestehende Gebräuche, namentlich in bezug auf das Eigentum, nur umzumodeln suchte. Ja, statt mit dem Unmöglichen zu ringen, statt die Abschaffung des Eigentums tollköpfig zu dekretieren, erstrebte Moses nur die Moralisation desselben, er suchte das Eigentum in Einklang zu bringen mit der Sittlichkeit, mit dem wahren Vernunftrecht, und solches bewirkte er durch die Einführung des Jubeljahrs, wo jedes alienierte Erbgut, welches bei einem ackerbauenden Volke immer Grundbesitz war, an den ursprünglichen Eigentümer verfiel, gleichviel in welcher Weise dasselbe veräußert worden. Diese Institution bildet den entschiedensten Gegensatz zu der »Verjährung« bei den Römern, wo nach Ablauf einer gewissen Zeit der faktische Besitzer eines Gutes von dem legitimen Eigentümer nicht mehr zur Rückgabe gezwungen werden kann, wenn letzterer nicht zu beweisen vermag, während jener Zeit eine solche Restitution in gehöriger Form begehrt zu haben. Diese letzte Bedingnis ließ der Chicane offnes Feld, zumal in einem Staate, wo Despotismus und Jurisprudenz blühte und dem ungerechten Besitzer alle Mittel der Abschreckung, besonders dem Armen gegenüber, der die Streitkosten nicht erschwingen kann, zu Gebote stehn. Der Römer war zugleich Soldat und Advokat, und das Fremdgut, das er mit dem Schwerte erbeutet, wußte er durch Zungendrescherei zu verteidigen. Nur ein Volk von Räubern und Kasuisten konnte die Proskription, die Verjährung, erfinden und dieselbe konsakrieren in jenem abscheulichsten Buche, welches die Bibel des Teufels genannt werden kann, im Codex des römischen Zivilrechts, der leider noch jetzt herrschend ist.
Ich habe oben von der Verwandtschaft gesprochen, welche zwischen Juden und Germanen, die ich einst »die beiden Völker der Sittlichkeit« nannte, stattfindet, und in dieser Beziehung erwähne ich auch als einen merkwürdigen Zug den ethischen Unwillen, womit das alte deutsche Recht die Verjährung stigmatisiert; in dem Munde des niedersächsischen Bauers lebt noch heute das rührend schöne Wort: »hundert Jahr Unrecht machen nicht ein Jahr Recht«. Die mosaische Gesetzgebung protestiert noch entschiedener durch die Institution des Jubeljahrs.
Moses wollte das Eigentum nicht abschaffen, er wollte vielmehr, daß jeder dessen besäße, damit niemand durch Armut ein Knecht mit knechtischer Gesinnung sei. Freiheit war immer des großen Emanzipators letzter Gedanke, und dieser atmet und flammt in allen seinen Gesetzen, die den Pauperismus betreffen. Die Sklaverei selbst haßte er über alle Maßen, schier ingrimmig, aber auch diese Unmenschlichkeit konnte er nicht ganz vernichten, sie wurzelte noch zu sehr im Leben jener Urzeit, und er mußte sich darauf beschränken, das Schicksal der Sklaven gesetzlich zu mildern, den Loskauf zu erleichtern und die Dienstzeit zu beschränken. Wollte aber ein Sklave, den das Gesetz endlich befreite, durchaus nicht das Haus des Herren verlassen, so befahlMoses, daß der unverbesserliche servile Lump mit dem Ohr an den Türpfosten des herrschaftlichen Hauses angenagelt würde, und nach dieser
schimpflichen Ausstellung war er verdammt, auf Lebenszeit zu dienen. O Moses, unser Lehrer, Mosche Rabenu, hoher Bekämpfer der Knechtschaft, reiche mir Hammer und Nägel, damit ich unsre gemütlichen Sklaven in schwarzrotgoldner Livree mit ihren langen Ohren festnagle an das Brandenburger Tor!“ (Heinrich Heine. Sämtliche Schriften, Bd. VI, S. 487f.) Man verwechsele mir nicht das hebräische Jobeljahr mit dem Kindskram des apostolischen Jubeljahrs, wenn alle 25 Jahre die Goldene Pforte geöffnet wird: nach Levitikus 25, 8 ff. sind nach sieben mal sieben Sabbatjahren Sklaven frei und Schulden zu erlassen. Ähnliches gelang m. W. nur dem Solon, als der 594 zu Athen die Schuldknechtschaft abschaffte durch „Lastenabschüttelung“, so etwas wie ein geordnetes Insolvenzverfahren, das noch von Aristoteles für wichtiger gehalten wurde als die Verfassung Athens.

Nachtrag zum gestrigen (3. 8. 2019) Beitrag:
Genau ein altes "daß" war zu korrigieren -
alle anderen in den wörtl. Zitaten bleiben
erhalten.

 
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Hallo Friedel,

da hast Du Dir ein schönes Stück vorgenommen, eigentlich eher Wissenschaft als Roman, aber was tut´s und wo ist die Grenze? Freud ist Jude, er trägt ein großes schweres Paket auf dem Rücken, das wir in diesem vaterlosen Patriarchat alle tragen: nur er weiß, was er trägt. Er müht sich daran ab und findet doch nicht aus der kulturellen Verstrickung heraus, trotz allen Unbehagens. Ein immer wiederkehrendes Merkmal dieses Kulturkreises ist die Vaterliebe und die Vaterdominanz, die Liebe ist keine selbstlose Liebe, sie stärkt nicht entläßt nicht in das Leben, sondern sie unterdrückt und instrumentalisiert. So ist der Vatermord, und sei es nur symbolisch, ein Muß auf dem Wege der Entwicklung zum Mann, um am Ende stark und selbständig zu werden und dasselbe mit den eigenen Kindern zu treiben, was man selbst erlitten hat. Was liegt da näher, als sich fortlaufend selbst zu therapieren, den Vater immer und immer wieder vom Sockel zu stoßen, symbolisch, versteht sich, erst in der Form als Lehrer, dann als Professor, es gibt viele Pappfiguren auf dem Weg, die leichter zu überwinden sind als der echte Vater, zum Schluß ist das Oberhaupt des Volkes dran, der Stifter der Religion muß dran glauben, er ist ein Agent des Feindes, stellt sich nun heraus, die ganze jüdische Religion stammt aus Ägypten.
Zwischendurch wird in die Abgründe geschaut, in

»Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, lasse
ich dich ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit
ich dich immer, immer sehen kann.«

werden wir unversehens in Hitchcocks Meisterwerk "Psycho" versetzt,
und es ist ja wirklich schlimm, welche Last da offenbart wird, denn dieses Vorbild überwindet den Vater nicht, es schafft es gerade, zu überleben – als Moses im Körbchen, als Jesus in der Krippe.

Mit dem Horuskind wird Isis Vorbild für Madonnen Darstellungen, heißt nun nicht mehr Isis oder Io, sondern „Maria“ und ist nichts anderes als ein Überbleibsel einer Muttergottheit …]
Wie sie überall verehrt wurde, auch hier bei uns; die Marienverehrung ist die Fortsetzung eines alten Brauches der Jungsteinzeit.

Was uns allen - nicht nur Freud - vorgeworfen werden kann, trifft auf den Mythos selber zu: das je Passende (nicht nur) aus den Mythen herauszuziehen und es den eigenen Interessen anzupassen und zurechtzubiegen.
Gibt es eine mythenfreie Wahrnehmung? Die Mythen sind ein sehr tief verankertes Deutungsmuster, das wir auf alle Geschehnisse loslassen, um sie einzuordnen und zu begreifen.

In der 18. Dynastie – mit der Ägypten zur Weltmacht aufsteigt – versucht Amenophis IV. (bei Freud: „Amenhotep“) den traditionellen Polytheismus durch eine monotheistische, einheitliche Staatsreligion zu ersetzen, in deren Mittelpunkt der Sonnengott Aton steht. Der König nennt sich nun Echnaton („Ikhnaton“), widersteht den Versuchungen magischen Denkens und verwirft die Illusion eines Lebens nach dem Tod. Die Kraft der Sonne wird als Quell allen Lebens erkannt.
Ein Sonnengott kann nicht wirklich der Gott einer monotheistischen Religion sein: die Definition Sonnengott impliziert die Existenz einer Mondgöttin, wie Wasser-Erde, Hell -Dunkel, Gut-Böse etc. Die solare Religion stellt den Sonnengott an die Spitze, im Extremfall tabuisiert sie die anderen Götter, aber sie bleiben immer Teil des religiösen Weltbildes. Eine wirklich monotheistische Religion hat einen so umfassenden Gottesbegriff, daß Alternativen und Gegensätze dazu nicht bestehen bzw. unwesentlich sind.
Ein wesentlicherer Schritt der solaren Religion ist die Ablehnung der dunklen magischen Elemente. Jedoch gehen die keinesfalls unter, sondern entwickeln sich im Verborgenen besonders prächtig weiter.

Mit dem Monotheismus geht auch die polytheistische Toleranz gegenüber andern Göttern verloren.
s.o.; es gibt also andere Götter, sie werden nur nicht toleriert.

Freud zählt als weiteren Beleg neben der Absage an allen Totenkult - die konsequent angewendet ein Leben nach dem Tod und somit die Unsterblichkeit der Seele ausschließt
Nein, hier wird nur mit den Geisterkontakten aufgeräumt. Um dies zu deuten, muß man sich ein Stück weit auf die Esoterik einlassen: die Aufspaltung der Seele in einen an den Körper gebundenen Teil, der die Erinnerung und das alltägliche Bewußtsein trägt und vergeht, wenn der Körper nicht mehr existiert (deswegen die Mumifizierung), und einen Teil, der unsere Welt, unsere Zeit verläßt - dem Totenkult geht es um den ersteren Teil, der solaren Religion wie auch den anderen Hochreligionen um den zweiten - was in der Konsequenz die Vernichtung des Körpers nach dem Tode erfordert, durch Verbrennen (Hinduismus) oder durch Übergabe des Körpers an Raubtiere (bei einigen Naturvölkern). Der Teil, der angerufen und befragt werden kann, existiert dann nicht mehr.

Die Beschneidung ist der symbolische Ersatz der Kastration, die der Urvater einst aus der Fülle seiner Machtvollkommenheit über die Söhne verhängt hatte,
wie kommt er darauf? Die Beschneidung des Jungen ist nach dem Glauben vieler Völker das genaue Gegenteil: sie entfernt das weibliche Element, sie macht den Heranwachsenden zum reinen Mann. Hier wird ein Modell für die Vater/Sohn Beziehung gegeben, bei dem der Sohn den Vater überwinden (töten) muß, um zu leben – ein tragendes Element unseres Kulturkreises.

Welche Zeit wäre für den Auszug aus Ägypten, das Nomadentum und die Einwanderung oder – je nach Standpunkt – Besetzung des gelobten Landes anzusetzen?
Die Zeit des Auszuges aus Ägypten ist heute geologisch datierbar, die Qualen, die über Ägypten hereinbrechen, sind durch den Ausbruch des Vulkans von Santorin verursacht, vielleicht stimmen ja die Daten über die Dynastien nicht so genau: die des Vulkanausbruches sollten einigermaßen stimmen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Minoische_Eruption
(ich votiere natürlich für die naturwissenschaftliche Datierung und nicht für die historische…)

den infantilen Charakter von Religion

na, besser: den infantilen Charakter, den Menschen bezüglich ihrer religiösen Vorstellungen annehmen können. Ich denke, daß Religionen per se emanzipierte, erwachsene Weltvorstellungen sind oder mindestens sein können und daß es die Gläubigen (und die Kirchen) sind, die eine unmündige Schaf-Hirte- oder Sohn-Vater-Geschichte daraus zimmern.

„Wenn Gottes Sohn sein Leben opfern musste, um die Menschheit von der Erbsünde zu erlösen, so muß nach der Regel der Talion, der Vergeltung durch Gleiches, diese Sünde eine Tötung, ein Mord gewesen sein. Nur dies konnte zu seiner Sühne // das Opfer eines Lebens erfordern. Und wenn die Erbsünde ein Verschulden gegen Gott-Vater war, so muß das älteste Verbrechen der Menschheit ein Vatermord gewesen sein, die Tötung des Urvaters der primitiven Menschenhorde, dessen Erinnerungsbild später zur Gottheit verklärt wurde“
Saubere Schlußfolgerung.

Nach dem Schwarzen Freitag von 1929 zeigt sich jedoch die kleinbürgerliche Seele Freuds, wenn er behauptet: „Das Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« ist die stärkste Abwehr der menschlichen Aggression und ein ausgezeichnetes Beispiel für das unpsychologische Vorgehen des Kultur-Über-Ichs. Das Gebot ist undurchführbar; eine so großartige Inflation der Liebe kann nur deren Wert herabsetzen, nicht die Not beseitigen. Die Kultur vernachlässigt all das; sie mahnt nur, je schwerer die Befolgung der Vorschrift ist, desto verdienstvoller ist sie. Allein wer in der gegenwärtigen Kultur eine solche Vorschrift einhält, setzt sich nur in Nachteil gegen den, der sich über sie hinaussetzt. Wie gewaltig muß das Kulturhindernis der Aggression sein, wenn die Abwehr derselben ebenso unglücklich machen kann wie die Aggression selbst!“ [Das Unbehagen in der Kultur (1929 f.), Bd. IX, S. 268]
Es ist ein religiöses Gebot und hat mit übergreifender Liebe zur Schöpfung zu tun, man kann auch Menschen lieben, die man bekämpft oder gegen die man sich wehrt. Das Gebot als Aggressionshemmung zu deuten und zu befolgen, ist wohl eine kulturelle Fehlentwicklung. Der wird allerdings mit „halte auch die andere Wange hin“ Vorschub geleistet.

Es ist kaum zu glauben, dass Freud den Begriff der Nächstenliebe aus dem Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« mit der Libido gleichzusetzen scheint. Der das Gebot formuliert hat, dachte sicherlich weniger an Sexualität als an Solidarität.

Ja, hier werden die Grenzen des Ansatzes von Freud sichtbar – wie auch die des Menschen Freud. Ich bleibe bei meinem Eingangsstatement: Freud arbeitet sich auch mit diesem Buch an seinem Vater ab. Er scheitert, wird regressiv und immer weniger überzeugend. Je näher er dem Problem kommt, desto mehr verläßt ihn seine intellektuelle Brillianz.

Buch ist bestellt, Gruß Set

 

Die Beschneidung ist der symbolische Ersatz der Kastration, die der Urvater einst aus der Fülle seiner Machtvollkommenheit über die Söhne verhängt hatte,
wie kommt er darauf? Die Beschneidung des Jungen ist nach dem Glauben vieler Völker das genaue Gegenteil: sie entfernt das weibliche Element, sie macht den Heranwachsenden zum reinen Mann. Hier wird ein Modell für die Vater/Sohn Beziehung gegeben, bei dem der Sohn den Vater überwinden (töten) muß, um zu leben – ein tragendes Element unseres Kulturkreises.
Da finde ich die Interpretation Freuds interessanter und (psychologisch) schlüssiger als den Glauben der Völker, was letztlich eh konstruiert ist.

Auf jeden Fall interessant und werde auch deshalb das Buch auf meine Liste setzen. Ob das nun auch alles historisch korrekt ist, interessiert mich nicht, ich bin Hobbyautorin. :D

 

Hallo ihr zwo,

dank Euch für's Lesen & Kommentieren. Vor allem Sets Beitrag wird mich schon ein stündchen länger beschäftigen (man merkt, dass er sich mit der Problematik nicht nur beschäftigt hat, zB Stichwort: Eliade). Ich komm auf jeden Fall drauf zurück, weiß aber jetzt schon, dass ich Einwände/Anregungen einarbeiten werde incl. der Frage zur Freudschen Sicht der Beschneidung.

Dass ich das nicht im Café hinkrieg unter Zweitligageraune ist wahrscheinlich eine Schwäche von mir. Aber ich komm drauf zurück!

Dank Euch,

bis bald!

Friedel

 

dass ich das nicht im Café hinkrieg unter Zweitligageraune...

aber mit Freud wirst Du unter diesen Bedingungen fertig???

 
Zuletzt bearbeitet:

aber mit Freud wirst Du unter diesen Bedingungen fertig???

ich bin doch kein Wunderkind und so taub nun auch wiederum nicht. Nee, Wesentliches (wie längere Texte) wird auf einem Uraltgerät ohne Netzanbindung (genauso, wie ichs Handy abgemeldet hab: Bin doch kein Call-Center!) daheim geschrieben und hier nur noch eigegeben - wie jetzt ... Wenn's hier ruhig ist, geht's auch mal anders und vor Ort. Zudem halt ich nix davon, nur an der Kiste zu sitzen.

So, genug preisgegeben!

Hallo Leute,

Freuds Behauptung der Beschneidung als symbolischen Ersatz der Kastration, „die der Urvater einst aus der Fülle seiner Machtvollkommenheit über die Söhne verhängt hatte, und liefert doch gleich die Erklärung mit als

ein tragendes Element unseres Kulturkreises
, und wer wollte bezweifeln, dass Freud ein durch & durch bürgerlicher Mensch war, den aber nicht nur sein Fachgebiet interessierte (was wir heute Fachidiotie nennen können), der auch übern Tellerrand schaute (wie der Volksmund so meint)?

Sehr sympathisch kommt mir da Jo zu Hilfe, wenn sie

die Interpretation Freuds interessanter und (psychologisch) schlüssiger als den Glauben der Völker, was letztlich eh konstruiert ist
findet.
Sehn wir mal von ab, dass Freud kein Ethnologe war, der sich mit Afrika, Amerika und/oder Ozeanien befasste, so hat er doch in Totem und Tabu – m. E. um einiges brillanter als der Moses, was aber zeitbedingt ist - seine Sicht der Ursprünge der Religion ausgebreitet, die er dann gegen Ende seines Lebens (andere Leute kehren dann aus Sorge um ihr Seelenheil wieder in den Schoß der Kirche zurück) auf die mosaische Religion und ihre paulinische Variante (in der Sohnesreligion) angewendet und ausgebreitet hat. Aber zu dieser Behauptung liegt nicht nur das theoretische Gebäude, sondern liegen auch klinische Befunde vor, wenn er darlegt, dass „die Kastrationsangst … eine außerordentlich große Rolle in der Störung des Verhältnisses bei unseren jugendlichen Neurotikern“ spiele (Bd. IX, S. 436, FN. 1), wo er zeigt, dass er um die Beschneidung als „Männerweihe“ beit „primitiven“ Völkern weiß.

Gleichwohl stellt sich ihm nach Forschungsstand der 1930-er Jahre, dass von den Quellen seiner, der abendländischen Kultur, im östlichen Mittelmeerraum nur von den alten Ägyptern die Beschneidung bekannt ist – bis eben die mosaische Religion die geschichtliche Bühne betritt.

In Mein Abschied vom Himmel von Hamed Abdel-Samad wird die These auf – von mir –unerwartete Weise bestätigt, wenn er seine eigene Beschneidung als Siebenjähriger und die seiner älteren Schwester im Nebenraum beschreibt, bei ihm wird gejubelt, die Schwester hörte er nur schrei’n. „Meine Mutter erzählte mir [dem siebenjährigen Hamed] eine gruselige Geschichte, die mir die Entstehung der Beschneidung erklären sollte. Den Sinn dieser Geschichte habe ich nicht verstanden. Sie handelte von einem alten Mann namens Abraham, der im Begriff war, seinen erstgeborenen Sohn zu schlachten, weil er das im Traum sah und davon ausging, dass Gott es so wollte. Abraham legte das Messer auf den Nacken seines Sohnes und wollte ihn töten, doch im letzten Moment wurde das Messer stumpf. Dann kam ein Lamm aus dem Himmel, das Abraham statt seines Sohnes für Gott opferte, und der Junge wurde gerettet. Muslime beschneiden ihre Kinder, um der Rettung von Abrahams Kind zu gedenken. Ich verstand nicht, was genau diese Geschichte mit meinem Penis zu tun haben sollte, und hatte danach ständig Angst, mein Vater könne nach einem schlechten Traum auf die Idee kommen, mich Gott zu opfern.“ (Hamed Abdel-Samad, Mein Abschied vom Himmel, München 2010, S. 86 f.)
Dass die Mythen wirken, teilt er auch mit: „Danach begrub man meine Vorhaut hinter dem Haus und wickelte die Klitoris meiner Schwester in ein Stück Stoff und warf sie in den Nil: ein Brauch, der seit der Pharaonenzeit bekannt ist. Immer zur Erntezeit veranstalteten die alten Ägypter einen Miss-Egypt-Wettbewerb und suchten das schönste Mädchen im Lande, um es dem Nil zu opfern. Mit dem Mädchen warf man zahllose Klitorides in den Fluss, um ihm zu danken. Jedes Jahr zur Erntezeit gab es auch die Klitoris-Ernte. Trotzdem glauben viele Ägypter bis heute, die Beschneidung der Frauen sei eine islamische Tradition.“ (aaO, S. 80 f.) Eine Folge der Anpassung während der Missionierung – wie bei der andern Sohnesreligion bereits dargestellt.

M. E. kommt nach der großartigen Einleitung durch Set die eher rhethorische Frage

Gibt es eine mythenfreie Wahrnehmung?
, deren Antwort nur ein Nein sein kann, wenn wir jede Wahrnehmung buchstäblich als ein für-wahr-nehmen setzen, was immer einer unterm Schädel trage vom einfachsten bis zum kompliziertesten eigenen Weltbild.

Eine wirklich monotheistische Religion hat einen so umfassenden Gottesbegriff, daß Alternativen und Gegensätze dazu nicht bestehen
Da setzt Mose im Bild- & Namensverbot eins drauf auf Echnatons Sonnenscheibe.
Was aber nur Abstrakt ist, ist den meisten zu hoch. Was Mose nicht weiß oder nicht wissen will: der gemeine Mensch hält sowas nicht aus, schließlich hatte er doch geglaubt, von eben diesem abstrakten Gott den konkreten Auftrag zu erhalten, sich die Erde untertan zu machen, indem er die Dinge be-greift und be-nennt (be-namst wollt ich zuerst schreiben). Wo nix ge-griffen werden kann, nix zu sehen / spüren ist und zudem nix heißt, das ist auch nicht.
Mit dem Bild- und Namensverbot ist man ja gezwungen, was Begreifbares zu schaffen. Idolatrie bekommen wir heute – J sei dank! – frei Haus geliefert per TV & Internet, die eine gewisse Regression gleichzeitig im Publikum verursachen … und natürlich durch die ordnende Hand des Marktes, die eine ganz andere Form von Religion auftut, deren Symbol kein Goldenes Kalb, sondern Papiere incl. ihrer diversen Derivate, mit denen auf künftige und zukünftige Events gewettet wird.

Die Zeit des Auszuges aus Ägypten ist heute geologisch datierbar, die Qualen, die über Ägypten hereinbrechen, sind durch den Ausbruch des Vulkans von Santorin verursacht
, wozu dann besser passte Einmarsch und das Obsiegen der Hyksos im 17./16. Jh., mit denen semitische Stämme (Josef?) ins Land Ägypten kamen (eben die Hebräer), wie andererseits seither Sippen aus der Wüste sich im unbewohnten Bergland Kanaans ansiedelten, das ja eines der ältesten Stadtbevölkerungen der Weltgeschichte aufweist (zB Jericho).
Kanaan ist immer - wie Mitteleuropa - Durchgzugsland. Sicherlich hat der Santorin Spuren nicht nur in der frühgriechischen Welt hinterlassen.

Die Völkerwanderung im 13. Jh., ausgelöst durch kulturelle Umwälzungen in Mitteleuropa!, hat durch die Seevölker auch im Orient Veränderungen bewirkt – die holten immerhin die Hethiter vom hohen Ross. Als zu dieser Zeit nomadisierende Sippen / Stämme peu à peu einwanderten, fanden sie die Gegend Jerichos schwach besiedelt, die Stadt zerstört, so dass sich Josua 2,6 als fromme, wenn auch kriegerische Legende zeigt. Unterm Druck der Kanaanäer und vor allem der Philister (nach 1180!) gelingt unter Saul und vor allem David die Einigung. Gleichwohl drangen immer wieder alte lokale Gottheiten (als Vulkangott war es ja auch JHWH) durch und erst die Propheten setzten die mosaische Tradition um.

Die Zeit der Einwanderung kann also durchaus mit dem Auftritt der Hyksos bginnen, findet aber erst im 12. Jh. einen Abschluss (Richter-Zeit), wenn die "zwölf (= heilige Zahl) Stämme" wohl unterschiedlichster Herkunft eine einheitliche Kultur in der Auseinandersetzung mit den umgebenden Kulturen entwickelt.

Wie die Einleitung, so trifft auch Deine Schlussfolgerung zu,

lieber Set.

Gruß & Dank vom

Friedel

Für den Interessierten stell ich an andrer Stelle unter Arbeitsgruppen/Autoren/Zitate? Zitate! (Zitate aus Literatur etc.) weitere Zitate zum Thema von Abdel-Samad ein.

Der hier angekündigte Beitrag wird gelöscht und durch eine Rezension des Werkes von Hamed ersetzt werden!

 
Zuletzt bearbeitet:

Da können wir noch eine weite Reise durch die Kulturen unternehmen, um es zu klären - und werden doch immer nur von draußen schauen. Der Gedanke, dem Mann die weiblichen und der Frau die männlichen Elemente zu nehmen, um ihre geschlechtliche Polarität zu verstärken, mag in den archaischen gesellschaften und einigen Völkern Schwarzafrikas eine Rolle gespielt haben bzw.- spielen. Daß dabei der Frau ungleich mehr genommen wird als dem Mann, steht aussenvor. Im ägyptischen und jüdischen Kulturkreis mag, was die Symbolik der Beschneidung des Mannes angeht, schon früh etwas anderes hinzugekommen sein, wie Deine Zitate ausführlich demonstrieren. Mit der Beschneidung der Frau steht es ebenso: die sogenannte pharaonische Beschneidung entfernt auch die äußeren und inneren Schamlippen und macht später jede sinnliche Sexualität unmöglich, falls der Frau nach der starken Traumatisierung noch der Sinn danach steht. Hier wird auch die - als urprünglich angenommene - Zielsetzung der Entfernung der "männlichen" Teile verletzt; die Frau als solche wird zerstört. Nach der Entfernung der Klitoris ist das sexuelle Erleben noch nicht am Ende, nach dieser Totalbeschneidung jedoch unmöglich.

Scheinbar wird im Raum der Sahara die Beschneidung nicht von völlig erstarrten und mächtigen Interessengruppen getragen, anders kann ich mir die Erfolge von Rüdiger Nehberg in diesen Ländern nicht erklären:
http://www.target-human-rights.com/HP-08_fatwa/index.php

 

Für den Interessierten stell ich an andrer Stelle unter Arbeitsgruppen/Autoren/Zitate? Zitate! (Zitate aus Literatur etc.) weitere Zitate zum Thema von Abdel-Samad ein.
Würde ich sehr gerne lesen!

 
Zuletzt bearbeitet:

Für den Interessierten stell ich an andrer Stelle unter Arbeitsgruppen/Autoren/Zitate? Zitate! (Zitate aus Literatur etc.) weitere Zitate zum Thema von Abdel-Samad ein.

Würde ich sehr gerne lesen!

Hey Jo(e),

schau mal ans Ende des Beitrages!

Natürlich bleiben wir in unserm Kulturkreis (Paulus sei Dank - wenigstens dieses eine Mal!) und schaun nur zu,

lieber Set,

aber der "Guten Nachricht" (wird die Bibel in kindgerechter Form nicht so genannt?) unter
http://www.target-human-rights.com/H...atwa/index.php
widerspricht Freund Hamed, wenn seine "Biografie" auch schon ein Jahr alt ist ...

Frteud hat übrigens auch den Santorin auf seiner Rechnung!

In einer Fußnote im Moses Roman streift Freud eine Naturkatastrophe (ein Erdbeben), welche nicht nur die minoisch / mykenischen Kulturkreise erschüttert hatte und als Anstoß des Wandels vom Matriarchat, besser: matrilinearer Gesellschaftsformen zum Patriarchat gelten kann, sondern den gesamten Mittelmeerraum. Als am 26. Dez. 2004 im Indischen Ozean der Tsunami ausbrach, war nicht nur für Populärwissenschaftler für das historische Ereignis die Ursache gefunden: ein Tsunami! Freud kannte den Ausdruck, der aus dem Japanischen kommt, gar nicht, nennt auch nicht ausdrücklich den Santorin, beginnt aber mit JHWH, dem Vulkangott. Hier der vollst. Text der FN:
„Jahve war unzweifelhaft ein Vulkangott. Für Einwohner Ägyptens bestand kein Anlaß, ihn zu verehren. Ich bin gewiß nicht der erste, der von dem Gleichklang des Namens Jahve mit der Wurzel des anderen Götternamens Ju-piter (Jovis) betroffen wird. Der mit der Abkürzung des hebräischen Jahve zusammengesetzte Name Jochanan (etwa: Gotthold, punisches Äquivalent: Hannibal) ist in den Formen Johann, John, Jean, Juan der beliebteste Vorname der europäischen Christenheit geworden. Wenn die Italiener ihn als Giovanni wiedergeben und dann einen Tag der Woche Giovedi heißen, so bringen sie eine Ähnlichkeit wieder ans Licht, die möglicherweise nichts, vielleicht sehr viel bedeutet. Es eröffnen sich hier weitreichende, aber auch sehr unsichere Perspektiven. Es scheint, daß die Länder um das östliche Becken des Mittelmeers in jenen dunkeln, der Geschichtsforschung kaum eröffneten Jahrhunderten der Schauplatz häufiger und heftiger vulkanischer Ausbrüche waren, die den Umwohnern den stärksten Eindruck machen mußten. Evans nimmt an, daß auch die endgültige Zerstörung des Minos-Palastes in Knossos die Folge eines Erdbebens war. Auf Kreta wurde damals, wie wahrscheinlich allgemein in der ägäischen Welt, die große Muttergottheit verehrt. Die Wahrnehmung, daß sie nicht imstande war, ihr Haus gegen die Angriffe einer stärkeren Macht zu schützen, mag dazu beigetragen haben, daß sie einer männlichen Gottheit den Platz räumen mußte, und dann hatte der Vulkangott das erste Anrecht darauf, sie zu ersetzen. Zeus ist ja immer noch der »Erderschütterer«. Es ist wenig zweifelhaft, daß sich in jenen dunkeln Zeiten die Ablösung der Muttergottheiten durch männliche Götter (die vielleicht ursprünglich Söhne waren?) vollzog. Besonders eindrucksvoll ist das Schicksal der Pallas Athene, die gewiß die lokale Form der Muttergottheit war, durch den religiösen Umsturz zur Tochter herabgesetzt, ihrer eigenen Mutter beraubt und durch die ihr auferlegte Jungfräulichkeit dauernd von der Mutterschaft ausgeschlossen wurde.“
Aus: Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Freud-Studienausgabe Bd. IX, S. 495, FN 1; für andere Zählungen (zB im Internet unter gutenberg.de, Der Mann Moses …, Abhandlung II Wenn Moses ein Ägypter war …, Abschnitt (6), da in den laufenden Text eingearbeitet.


Es kam von

Jo und Set

die Frage auf, wie Freud auf den Zusammenhang Beschneidung - Kastration komme. In dem im folgenden zitierten Buch hab ich eher zufällig, eine ägyptisch / muslimische Variante gefunden, die mE nun wieder unterm Moses Roman zu zitieren allzu aufwendig wäre.

"... Mit einem Initiationsritual sollte ich der Welt der Erwachsenen ein Stück näherkommen. Das Haus war voll, und eine gelassene Stimmung herrschte. Ich war wie ein kleiner Prinz gekleidet, um mich herum standen meine Cousins, ... Im Nebenzimmer waren die Frauen versammelt, man hörte ihr Gelächter. ... Meister Fathi, der neben seinem Hauptberuf als Barbier auch der Krankenpfleger des Dorfes war, kam ins Haus. Die Frauen hießen ihn mit ohrenbetäubendem Getriller willkommen. ... Plötzlich schwieg jeder, und mein Vater fing an, ein Gebet zu sprechen, dann packte Meister Fathi seine Werkzeuge aus: ein Messer, eine Zange, die einem Nagelzwicker ähnlich war, und Desinfektionsmittel. Meine Mutter brachte einen Topf heißen Wassers, in den Meister Fathi die Werkzeuge eintauchte. Mein Vater hielt meinen Kopf, zwei Cousins hielten meine Hände, zwei weitere Cousins zogen mir meine Hose aus und spreizten meine Beine. Alles ging rasend schnell. Meister Fathi nahm das Messer aus dem heißen Wasser, zog meinen Penis in die Länge und schnitt die Vorhaut weg. Ohne Betäubung. Mit meinem Schrei schwoll das Getriller der Frauen an. Meister Fathi wickelte meinen blutenden Penis in eine mit Desinfektionsmittel beschmierte Binde.
... Fathi nahm den Topf mit der Zange mit in das Nebenzimmer und bald hörte ich einen kurzen lauten Schrei, aber keinen Jubel danach. Obwohl ich mit dem eigenen Schmerz beschäftigt war, konnte ich erkennen, dass dieser Schrei von meiner älteren Schwester Sabah stammte. Aber was hat ihr dieser Mann abgeschnitten? ...
Danach begrub man meine Vorhaut hinter dem Haus und wickelte die Klitoris meiner Schwester in ein Stück Stoff und warf sie in den Nil: ein Brauch, der seit der Pharaonenzeit bekannt ist. Immer zur Erntezeit veranstalteten die alten Ägypter einen Miss-Egypt-Wettbewerb und suchten das schönste Mädchen im Lande, um es dem Nil zu opfern. Mit dem Mädchen warf man zahllose Klitorides in den Fluss, um ihm zu danken. Jedes Jahr zur Erntezeit gab es auch die Klitoris-Ernte. Trotzdem glauben viele Ägypter bis heute, die
Beschneidung der Frauen sei eine islamische Tradition.
... Ich fluchte und weinte, während meine achtjährige Schwester ihren Schmerz mit Würde und in Schweigen ertrug. ... Als ich erwachsen wurde, erfuhr ich, dass man meiner Schwester nicht ein Stück Vorhaut, sondern
die gesamte Spitze ihrer Klitoris weggeknipst hatte. Das ist so, als hätte man mir die Eichel statt der Vorhaut weggeschnitten.
... Das Einzige, was Fathi zu wissen schien, war, dass die Beschneidung eines Mannes früher stattfinden musste, damit die Wunde besser heilte. Bei den Mädchen wartete man, bis sie mindestens acht Jahre alt.
...
Aber der wahre Gott sind die Dogmen, ...

Nun leben wir im 21. Jahrhundert, und die Beschneidung von Frauen ist seit einigen Jahren in Ägypten per Gesetz verboten, doch 95 Prozent aller Mädchen werden nach wie vor beschnitten. Erst jüngst erklärte der Großmufti von Ägypten,dass die Beschneidung von Frauen mit dem Islam unvereinbar sei. Er reagierte damit auf den Tod eines Mädchens im
Süden des Landes, das nach seiner Beschneidung verblutete. ...Derartige Gesetze und »Fatwas«, nur selten von einer Aufklärungskampagne begleitet,werden als ein Teil eines amerikanisch-imperialistischen Projektes verstanden, das darauf abzielt, die Moral in der islamischen Welt zu unterminieren.
...
Ich habe immer versucht, mir die Frage zu beantworten, warum Männer, die sonst im Grunde sehr freundlich und humorvoll sind, es nötig haben, ihre Frauen einzuschüchtern. Eine Erklärung dafür findet man in unserem Verständnis von Ehre als Muslime und als Ägypter. Dem Islam ist es nicht gelungen, die vorislamischen arabischen Stammesstrukturen aufzulösen. Auch wenn es der Wunsch des Propheten Mohammed war, dies zu tun, musste er erkennen, dass er gerade diese Strukturen brauchte, um seine Botschaft zu verbreiten. Er kämpfte zwar für die Abschaffung des Kindsmordes an jungen Mädchen, die in vorislamischer Zeit von ihren Vätern lebendig begraben wurden, weil sich die Familie einen Jungen wünschte. Mohammed gestand auch der Frau die Hälfte des Erbteils ihres Bruders zu, was damals eine kleine soziale Revolution war. Aber auch seine Gesellschaft war eine Männergesellschaft. Die Krieger bestimmten alles. Sogar der Koran, der ja eigentlich zu Männern und Frauen ohne Unterschied spricht, gibt dem Mann das Recht, seine Frau körperlich zu züchtigen, wenn sie ungehorsam wird. Auch nach dem Tod des Propheten prägten die altarabischen Clanstrukturen das Herrschaftssystem und die Moralvorstellungen. Im Zentrum dieser Stammesstruktur liegt die Blutsverwandtschaft. Die Ehre des Menschen ist seine genealogische Abstammung. Diese Abstammung kann man nur bewahren und sicher zurückverfolgen, wenn die Frauen ihre Keuschheit bewahren und kein fremdes Blut in die Familie einfließen lassen. Die Frau, und nur die Frau allein, kann mit Sicherheit wissen, wer der Vater ihres Kindes ist, und muss daher überwacht werden. Und deshalb platziert man die Ehre der gesamten Familie direkt zwischen den Beinen der Frau. An dieser begehrten und zugleich gefürchteten Stelle lauert jene Kraft, vor der jeder Mann große Angst hat: Angst vor der weiblichen Emotion, Leidenschaft und Unberechenbarkeit. Die Klitoris ist eines von vielen Opfern, die eine Frau bringen muss, um diese kindische Angst des Mannes zu besänftigen.
...
Nicht wenige junge Männer in meinem Dorf schlagen ihre frischangetrauten Frauen mit einem Bambusstock auf die nackte Haut, bevor sie ihnen die geheiligte Jungfräulichkeit entreißen. Danach beflecken sie ein weißes Tuch mit dem Blut der Unschuld und übergeben es der Familie der Braut, die draußen gespannt wartet. Das ist der Beweis, dass ihre Tochter keusch war. Am kommenden Morgen besucht die Familie die Tochter, die über die Brutalität der vorherigen Nacht kein Wort verliert. Es gilt als eine Schande, wenn eine Frau ihren Ehemann schon so früh infrage stellt. Außerdem weiß jede Frau, welche Alternativen sie nach der Scheidung hat.
Nach einer Hochzeit jubelten in meinem Dorf Massen von Menschen auf Lastwagen, Karren und Traktoren. Ein Mann reckte das mit Blut beschmierte Tuch in die Höhe und schrie:Sharifa, Sharifa! Ehrenhaft, ehrenhaft! Unsere Tochter ist ehrenhaft! Bei manchen Familien war die Entjungferung der Braut nicht einmal die Aufgabe ihres Ehemannes, sondern der Hebamme. Sie betrat das Zimmer vor dem Mann, steckte ihren Daumen in das Mädchen, bis das ersehnte Blut herauskam. Somit hat sie den Weg für den Helden geebnet. Sollte aus irgend einem Grund kein Jungfräulichkeitsblut dabei herauskommen, kratzte die Hebamme mit dem Fingernagel ins Innere der Braut eine Wunde, um eine Schande der Familie zu vermeiden.
...
Am Tag nach der Beschneidung hatte ich bereits meine Schwester und ihren Schmerz vergessen und war mit mir selbst beschäftigt. Ich fragte meine Mutter, warum man mir den Penis weggeschnitten hätte und ob ich jetzt nicht mehr pinkeln könne.
»Kein Mensch hat deinen Penis abgeschnitten. Es war nur ein kleines Stückchen Haut!« Meine Mutter erzählte mir eine gruselige Geschichte, die mir die Entstehung der Beschneidung erklären sollte. Den Sinn dieser Geschichte habe ich nicht verstanden. Sie handelte von einem alten Mann namens Abraham, der im Begriff war, seinen erstgeborenen Sohn zu schlachten, weil er das im Traum sah und davon ausging, dass Gott es so wollte. Abraham legte das Messer auf den Nacken seines Sohnes und wollte ihn töten, doch im letzten Moment wurde das Messer stumpf. Dann kam ein Lamm aus dem Himmel, das Abraham statt seines Sohnes für Gott opferte, und der Junge wurde gerettet. Muslime beschneiden ihre Kinder, um der Rettung von Abrahams Kind zu gedenken.
Ich verstand nicht, was genau diese Geschichte mit meinem Penis zu tun haben sollte, und hatte danach ständig Angst, mein Vater könne nach einem schlechten Traum auf die Idee kommen, mich Gott zu opfern.
....

Aus: Hamed Abdel-Samad, Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland, München 2010

 

Die Bedeutung und Verdienste Freuds bei der Entdeckung des Unbewussten sind enorm: Dass unser Verhalten so stark von (verdrängten) Kindheitserlebnissen beeinflusst wird, hat vor ihm keiner gesehen bzw. für wichtig erachtet. Aber beim Versuch, andere Dinge zu erklären, bleibt er zu sehr an der Oberfläche. Bei diesem Buch kommt noch dazu, dass er verstehen wollte, woher der Judenhass kommt.

Seine Erklärung des Monotheismus der Juden ist zwar eine logische, dennoch geht sie nicht tief genug. Ich bin überzeugt, dass alles, was Menschen rituell tun (Glaube, Riten, Sitten, Moralvorstellungen und -normen), einst eine reale Nützlichkeit hatte, deren Sinn jedoch später verloren ging. So sind die heutigen Erklärungen nur etwas Nachgereichtes, höchstens etwas Nachempfundenes. Vor allem Erklärungen, die auf Religion verweisen, sind mit Vorsicht zu genießen - Beispiel hierzu ist die Beschneidung von Frauen: Sie hat absolut nichts mit irgendeinen der heutigen Religionen zu tun, denn sie stammt wahrscheinlich aus Neolithikum, auf jeden Fall war sie 6.000 bis 5.000 vor Chr. in Ägypten präsent, also zu einer Zeit als es weder jüdischen, noch christlichen oder moslemischen Glauben gab. Die Tatsache, dass sie bei allen Völkern in und um das alte Ägypten herum vertreten ist - und zwar sowohl bei Moslems als auch bei Christen (Katholiken und Kopten) und Juden (in Äthiopien) -, deutet auf den Ursprung dieser Sitte in eben diesem Gebiet hin.

Auf die einstige reale Basis für diese Sitte – in unseren (heutigen) Augen eher eine Unsitte -, vorzudringen ist schwierig, man bewegt sich meistens auf dem Niveau der auf Indizien basierenden Spekulationen. Ich vermute, dass die Beschneidung einst ein Statussymbol der Herrschenden war – Begründung: Man hat beschnittene Mumien gefunden, und mumifiziert wurden damals nur Leute von Rang, d.h. Könige, hohe Priester und hohe Staatsbeamte. Vielleicht war das eine Voraussetzung für ein hohes Amt, aber vielleicht hat das einfache Volk das nur nachgeahmt.

Eine Ahnung davon, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, um zum Höheren aufzusteigen, geben uns Märchen (Aschenputtel), aber auch das Neue Testament (Matthäus (19,12):

Denn einige sind von Geburt an zur Ehe unfähig; andere sind von Menschen zur Ehe unfähig gemacht; und wieder andere haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht um des Himmelreichs willen. Wer es fassen kann, der fasse es!

Die einen lassen sich (nur) beschneiden, die anderen kastrieren sich gleich selbst (die Ehelosigkeit der katholischen Priester ist eine milde Form dieser Selbstkastration), nur um König ähnlicher und damit mächtiger zu werden bzw. Gott näher zu sein. Das sind handfeste bzw. gedachte Vorteile und damit Motivation genug, wahnsinnige Schmerzen zu ertragen.

Anfangs jedenfalls. Jetzt bzw. schon vor Jahrtausenden hat sich das Wissen um das Warum verloren – es bleibt nur nachgereichte Erklärung: Wenn man beschnitten ist oder ehelos lebt, ist man reiner, und das sowohl im hygienischen wie auch im übertragenen Sinn.

 

Hallo Dion,

schön. dass Du mal vorbeischaust. Dass keiner vor ihm die Bedeutung der Kindheit fürs weitere Leben erkannt habe ist eine gewagte Behauptung. Bei der Beschäftigung mit dem Werk Gottfried Kellers find ich in der ersten Fassung des Grünen Heinrich mehr als eine Generation vor Freud, dass Keller davon überzeugt ist,

„daß die Kindheit schon ein Vorspiel des ganzen Lebens ist und bis zu ihrem Abschlusse schon die Hauptzüge der menschlichen Zerwürfnisse im Kleinen abspiegele, so daß später nur wenige Erlebnisse vorkommen mögen, deren Umriß nicht wie ein Traum schon in unserm Wissen vorhanden, wie ein Schema, welches, wenn es Gutes bedeutet, froh zu erfüllen ist, wenn aber Uebles, als frühe Warnung gelten kann, so würde ich mich nicht so weitläufig mit den kleinen Dingen jener Zeit beschäftigen.“ (05.GHA1.09.380)
in der Rezession Leben, um von zu erzählen, dass kein Krieg um Troia sei, hier unter http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=44831, entsprechend umfangreich wird die Kindheit in beiden Fassungen des Grünen Heinrich ausgebreitet, dass es schon geradezu verwunderlich ist, dass ich bei Freud nur zwo Stellen zu Gottfried Keller gefunden hab und überhaupt mW in Imago eine einzige längere Arbeit sich mit Keller beschäftigt - sinnigerweise mit seinen Frauen ... Das aber nur am Rande.

Seine Erklärung des Monotheismus der Juden ist zwar eine logische, dennoch geht sie nicht tief genug.
Wie tief müsste es denn gehn, vor allem in der Gewissheit, dass man an seiner heimatlichen Arbeits- & Wirkungsstätte ein potentiell Verdächtiger dank Herkunft ist und in der Gewissheit, eh nur noch eine sehr begrenzte Lebenszeit zu haben?

Zu Deiner Überzeugung will ich weiter nichts sagen, außer, dass Überzeugungen sehr nahe beim Glauben liegen. Dennoch ist es so, dass man von den Riten durchaus Nutzen ziehen kann. Es wird dich wenig überraschen, dass mir ziemlich wurst ist, ob einer gläubig / fromm ist, solang er nicht nach dem Händefalten über einen andern herfällt oder auch nur übel redet. Das hat Erich Kästner in Moral auf kürzeste und damit genialste Weise auf den Punkt gebracht: Es gibt nichts Gutes / Außer man tut es. (Hoffentlich ist mein Gedächtnis noch in Ordnung, wenn nicht ... Naja.)

So sind die heutigen Erklärungen nur etwas Nachgereichtes, höchstens etwas Nachempfundenes
wie schon der erste deutsche Antikriegsroman: das Nibelungenlied, achthundert Jahre nach den beschriebenen Ereignissen. Alles ist nur nachgereicht und hoffentlich schlüssig gedeutet.

Beispiel hierzu ist die Beschneidung von Frauen: Sie hat absolut nichts mit irgendeinen der heutigen Religionen zu tun,
wie sollte das auch, ob in der Jungsteinzeit, der Bronzezeit, der Eisenzeit ... Es zweifelt auch keiner an der ägyptischen Herkunft, und die alten Hochkulturen kommen alle nicht aus dem Nichts, also von heut auf morgen, ob am Nil oder Euphrat, ob in Asien oder Amerika.

-, deutet auf den Ursprung dieser Sitte in eben diesem Gebiet hin.
, was Freud wie der von mir zitierte Hamed Abdel-Samad auch nie bezweifeln. Gleichwohl schnitten selbst die alten Preußen ihre Zöpfe ab (die Chinesen haben dafür länger gebraucht). Deine Vermutungen zur Beschneidung, Aufstieg und den Zölibat haben aber tatsächlich einiges für sich.

Dank Dir und hat mich gefreut!

Gruß

Friedel

 

Dass keiner vor ihm die Bedeutung der Kindheit fürs weitere Leben erkannt habe ist eine gewagte Behauptung. Bei der Beschäftigung mit dem Werk Gottfried Kellers find ich …
Mag Gottfried Keller geschrieben haben, was will, Tatsache ist, nicht er, sondern Sigmund Freud gilt als der Begründer der Psychoanalyse, bei der im günstigen Fall die (verborgenen) frühen Kindheitserlebnisse als Ursache für irgendeine psychische Störung erkannt werden. Davon gibt es bei Gottfried Keller nichts, er plaudert nur und macht sich Gedanken über die Kindheit - wie fast jeder von uns auch.

Wie tief müsste es denn gehn, vor allem in der Gewissheit, dass man an seiner heimatlichen Arbeits- & Wirkungsstätte ein potentiell Verdächtiger dank Herkunft ist und in der Gewissheit, eh nur noch eine sehr begrenzte Lebenszeit zu haben?
Freud stellt die Religionen nicht generell in Frage. Er beschäftigt sich nur noch mit den Unterschieden zwischen ihnen - z.B.: woher kam Monotheismus und was ist bei ihm besser/schlechter als bei Polytheismus?

Zu Deiner Überzeugung will ich weiter nichts sagen, außer, dass Überzeugungen sehr nahe beim Glauben liegen.
Der wesentliche Unterschied ist: Zu einer Überzeugung kommt man durch Vernunft und zum Glauben durch Gefühl (oder etwas Ähnlichem), denn begründen und beweisen kann man den Glauben rational nicht.

Dennoch ist es so, dass man von den Riten durchaus Nutzen ziehen kann.
Das habe ich nicht bezweifelt.

Es wird dich wenig überraschen, dass mir ziemlich wurst ist, ob einer gläubig / fromm ist, solang er nicht nach dem Händefalten über einen andern herfällt oder auch nur übel redet.
Das ist Theorie und genau das Problem: Der Mensch ist nicht vollkommen und wird auch durch Glauben nicht vollkommener. Ganz im Gegenteil: Erst durch Glaube wird er noch radikaler in seiner Unvollkommenheit, denn er glaubt sich plötzlich im Recht auch da, wo er unrecht hat, weil er sich auf eine höhere Instanz berufen kann(die er einst selbst erfunden).

Es zweifelt auch keiner an der ägyptischen Herkunft, und die alten Hochkulturen kommen alle nicht aus dem Nichts, also von heut auf morgen, ob am Nil oder Euphrat, ob in Asien oder Amerika.
Richtiger wäre es zu sagen: Jetzt wird nicht mehr an der ägyptischen Herkunft gezweifelt – lange Zeit wurde diese Sitte den Moslems zugeschrieben.

Deine Vermutungen zur Beschneidung, Aufstieg und den Zölibat haben aber tatsächlich einiges für sich.
Freut mich, ein paar Gemeinsamkeiten zu haben, wo wir doch beide sonst auf ziemlich vielen Gebieten unterschiedlicher Meinung sind.

Nachtrag:

Der Gedanke, dem Mann die weiblichen und der Frau die männlichen Elemente zu nehmen, um ihre geschlechtliche Polarität zu verstärken, mag in den archaischen gesellschaften und einigen Völkern Schwarzafrikas eine Rolle gespielt haben bzw.- spielen. Daß dabei der Frau ungleich mehr genommen wird als dem Mann, steht aussenvor.
Das gilt nicht immer: Die am weitesten verbreitete Beschneidung von Frauen ist vom Typ I FGC (schneiden der Vorhaut, womit Glans clitoridis freigelegt wird), und die ist mit der männlichen Beschneidung absolut vergleichbar.

die sogenannte pharaonische Beschneidung entfernt auch die äußeren und inneren Schamlippen und macht später jede sinnliche Sexualität unmöglich, falls der Frau nach der starken Traumatisierung noch der Sinn danach steht. Hier wird auch die - als urprünglich angenommene - Zielsetzung der Entfernung der "männlichen" Teile verletzt; die Frau als solche wird zerstört. Nach der Entfernung der Klitoris ist das sexuelle Erleben noch nicht am Ende, nach dieser Totalbeschneidung jedoch unmöglich.
Diese Art der Beschneidung (Typ III) wird bei 10 bis 20% aller Beschneidungen praktiziert, bei der Kritik aber oft so getan, als ob alle Beschneidungen pharaonisch sind.

In dem Wikipedia-Artikel werden auch ästhetische Genitaloperationen in westlichen Kulturen genannt:

„Unter den Hauptbegründungen, welche von afrikanischen Frauen, die Operationen an den weiblichen Genitalien befürworten, vorgebracht wurden, befinden sich Verschönerung, Erhabenheit über die Scham sowie der Wunsch sich anzupassen; solche Gründe bewegen auch amerikanische Frauen, die kosmetische Operationen an ihren Labien durchführen wollen... So gesehen, kann man jene westlichen Frauen, die in die Prozeduren einwilligen (und sogar noch dafür zahlen), als von der Geschlechterrolle noch mehr unterdrückt und gefesselt betrachten als ihre afrikanischen Gegenstücke.“

Ich will das, was erwachsene Frauen bei uns an sich machen lassen, keineswegs mit den Zuständen in Afrika vergleichen, aber interessant ist dieser allgemeine Drang nach "Verschönerung" schon. :D

 

Ich will das, was erwachsene Frauen bei uns an sich machen lassen, keineswegs mit den Zuständen in Afrika vergleichen, aber interessant ist dieser allgemeine Drang nach "Verschönerung" schon.

Vergleichen dem Ausmaß nach nicht, aber sonst ist es schon verwandt. Ein selbstbestimmter emanzipierter Mensch läßt nicht ständig (unter Lebensgefahr, wie sich gerade wieder gezeigt hat) an sich herumoperieren, um anderen zu gefallen. Wenn man auf diesem Weg weiter denkt, kann man schnell zu einer unüblichen Einschätzung der Frauenemanzipation in den Industrieländern kommen. Das gilt auch un besoners für die erfolgreichen Frauen: was bringt eine Frau, die ein 8-stelliges Vermögen hat, überall, wo sie auftritt, bejubelt wird, dazu, sich für einen einzigen Film Silikon in die Brüste stopfen zu lassen (wie Demi Moore für "Striptease")? Warum hat sie das noch nötig?- Dass Sklavinnenbewußtsein reicht bis in die luftigsten Höhen.

 

Ein selbstbestimmter emanzipierter Mensch läßt nicht ständig (unter Lebensgefahr, wie sich gerade wieder gezeigt hat) an sich herumoperieren, um anderen zu gefallen. Wenn man auf diesem Weg weiter denkt, kann man schnell zu einer unüblichen Einschätzung der Frauenemanzipation in den Industrieländern kommen.
Das ist vielleicht ein bisschen zu hart gesagt, denn dem Konformitätsdruck beugen sich alle, wenn dieser nur groß genug ist - das hat schon 1951 Solomon Asch mit einem Experiment bewiesen:

Eine Linie bestimmter Länge sollte mit 3 weitere Linien, von denen nur eine der ersten Linie entsprach, verglichen werden. Eine Gruppe der Versuchspersonen, von denen nur eine die echte Versuchsperson war (die anderen waren Vertraute des Versuchsleiter und entsprechend instruiert), sollte sagen, welche der Linien der Referenzlinie entsprach.

Das Ergebnis war: Wenn die instruierten „Versuchspersonen“ bewusst eine falsche Linie als gleichlang wählten, wählte auch die echte Versuchsperson diese, und zwar auch dann, wenn sie insgeheim meinte, diese Entscheidung sei falsch. Ich zitiere dazu aus Wikipedia:

In der Experimentalgruppe fanden jeweils 18 Schätzungen statt. Während sechs dieser Durchgänge waren die heimlichen Vertrauten instruiert, ein richtiges Urteil abzugeben (um glaubhaft zu erscheinen). Während der verbliebenen zwölf Durchgänge (zufällig unter die sechs richtigen gemischt) sollten die Vertrauten einstimmig ein falsches Urteil abgeben. Unter dieser Bedingung blieb keine Versuchsperson fehlerfrei.

Daher: Wenn schon in Fällen, bei denen es um nichts geht, solche Dinge passieren, was dürfen wir von Menschen in Dorfgemeinschaften irgendwo in Afrika erwarten, die alle aufeinander wirklich angewiesen sind. Wer, so frage ich, will unter solchen Umständen der erste sein, der das Flasche erkennt und auch als falsch bezeichnet?

Voltaire erkannte das Problem ganz ohne Experiment: „Gewohnheit, Sitte und Brauch sind stärker als die Wahrheit.“

 

Es ist schon erstaunlich, wo der Weg des Moses einen hinführen kann, vor allem, wenn man nicht jeden Tag selbst vor der Glotze sitzt und zusieht.

Ich dank Euch

für die zwischenzeitlichen Beiträge während der Zeit, wo ich mir Abdel-Samad noch mal reingezogen hab – aus dem Gedächtnis heraus wär einiges nicht angerissen worden in der Rezension, die nun ihrerseits wieder den Moses und den Keller beeinflussen und somit ändern wird.

Zur Beschneidungsdebatte will ich nur andeuten, dass die Aufhebung des Inzestverbotes in den Königshäusern ob am Nil oder in den Anden sicherlich eine Rolle spielte, grundsätzlich hab ich mit den alten Zöpfen aber schon meine Meinung gesagt: Beschneidung gehört abgeschafft wie das Gotteskönigtum.

Aber nun noch’n paar Anmerkungen.

Am 19.01. d. J. (# 10) schreibt Dion

Die Bedeutung und Verdienste Freuds bei der Entdeckung des Unbewussten sind enorm: Dass unser Verhalten so stark von (verdrängten) Kindheitserlebnissen beeinflusst wird, hat vor ihm keiner gesehen bzw. für wichtig erachtet,
um vier Tage später auf den bescheidenen Hinweis zu Gottfried Kellers Ansicht der grundlegenden Bedeutung der Kindheit fürs spätere Leben den kuriosen Schuss mit der Schrotflinte abzugeben
Mag Gottfried Keller geschrieben haben, was will, Tatsache ist, nicht er, sondern Sigmund Freud gilt als der Begründer der Psychoanalyse, bei der im günstigen Fall die (verborgenen) frühen Kindheitserlebnisse als Ursache für irgendeine psychische Störung erkannt werden. Davon gibt es bei Gottfried Keller nichts, er plaudert nur und macht sich Gedanken über die Kindheit - wie fast jeder von uns auch.
Ist es nicht geradezu beruhigend, dass Keller schreiben darf, was er wollte? Bei mir jedenfalls darf jeder grundsätzlich machen, was ich will!
Aber im Ernst: Dass Freud die Psychoanalyse begründete, stand zwar nicht zu Debatte, wohl aber, dass – wie so manches andere, man schaue zB allein den umfangreichen ersten Teil der Traumdeutung an – vor ihm andere bereits die Bedeutung mancher seiner Themen erkannt und benannt hatten (da war Keller auch nicht der erste oder gar einzige). Oder wirfstu verschwiegen den Vorgängern vor, dass sie die Sozialisation nicht in Phasen einteilten und mit so wunderschönen Adjektiven wie oral/anal/phallisch/latent/genital benannten?
Aber weitaus interessanter find ich die stilistische Beurteilung Kellers als Plaudertasche, die wir beide doch eher wären.
Zu der Bemerkung
Freud stellt die Religionen nicht generell in Frage. Er beschäftigt sich nur noch mit den Unterschieden zwischen ihnen - z.B.: woher kam Monotheismus und was ist bei ihm besser/schlechter als bei Polytheismus?,
wüsst ich zwar jetzt nicht, dass dem so wäre, aber Deine Antwort,

lieber Dion,

gilt auch weniger meiner Frage, wie tief er denn hätte gehen müssen in seiner biografischen und unter der historischen Situation, als er den Moses geschrieben hat. Gleichwohl: die Suche nach der Quelle des Monotheismus brachte ihn zum Moses Roman, aber dass er eine Hitparade besser/schlechter unter den Religionen aufstellte, ist mir neu.

Sieht es nicht eher so aus, dass mit der zunehmenden Abstraktion – angelegt in der Annahme eines einzigen & somit vereinsamenden Gottes, der zudem ein Bild- und Namensverbot erteilt – dieser Mutter- oder Vaterfigur eh Deprivation mit allen Folgen und dem abschließenden sozialen Tod droht? Da hülfe auch kein Systemvergleich. Wäre es da nicht vernünftig, ohne imaginäre Leit-/Mutter-/Vaterfigur soziale Kontakte aufrechtzuerhalten – und sei es nach Erich Kästners Moral oder selbst der gereimten Volksweisheit „was du nicht willst …“ Muss ja nicht jeder Kant oder den Pentateuch studieren.

Der Mensch ist nicht vollkommen und wird auch durch Glauben nicht vollkommener.
Soll wohl so sein und wird auch so bleiben, selbst wenn er zum Prothesengott wird oder das Internet zum Orakel und Hort der Weisheit nimmt oder sich unter die Fuchtel von Marketing und Kulturindustrie zwingen lässt, um dem je aktuellen Lifestyle zu frönen.

Jedem sein Gott und wenn er im Jungle versumpfte!, wobei wir nie vergessen sollten, dass mit Luther Religionsfreiheit und somit ein erster Schritt zur Meinungsfreiheit in die Welt kam. Auch die wird einem nicht geschenkt.

Gruß

Friedel

 

wobei wir nie vergessen sollten, dass mit Luther Religionsfreiheit und somit ein erster Schritt zur Meinungsfreiheit in die Welt kam. Auch die wird einem nicht geschenkt.

Also: in meinem religiösen Weltbild erschien die erste Religion nicht Hand in Hand mit der Religionsunfreiheit, sondern letztere wurde nach und nach mit dem zunnehmenden Verlust der Religiosität und der gleichzeitigen Entwicklung der religiösen Institutionen eingeführt. Ob Luther einen Schritt in Richtung Religionsfreiheit erreichen wollte oder nur einen in Richtung Freiheit vom Vatikan, kann ich nicht beurteilen, aber ersteres würde mich schon etwas erstaunen lassen.

 

… um vier Tage später auf den bescheidenen Hinweis zu Gottfried Kellers Ansicht der grundlegenden Bedeutung der Kindheit fürs spätere Leben den kuriosen Schuss mit der Schrotflinte abzugeben
[…]
Aber weitaus interessanter find ich die stilistische Beurteilung Kellers als Plaudertasche, die wir beide doch eher wären.
:D Ich werde einen Teufel tun und mich mit dir bzgl. Gottfried Keller anlegen, wo doch jeder weiß, dass dieser einer deiner Lieblingsschrifteller ist. :D

Jedem sein Gott und wenn er im Jungle versumpfte!, wobei wir nie vergessen sollten, dass mit Luther Religionsfreiheit und somit ein erster Schritt zur Meinungsfreiheit in die Welt kam. Auch die wird einem nicht geschenkt.
Wie schon Setnemides so treffend sagte, denke auch ich, dass Luther keineswegs den ersten Schritt zu Meinungsfreiheit getan hat, und wenn doch, dann nur insofern, dass er demonstrierte, wie man einer Autorität erfolgreich Widerstand leisten kann.

Wie schon bei Gottfried Keller, denn du als einen Vorgänger Freuds darzustellen versuchst, sehe ich auch bei deiner Interpretation der innerkirchlichen Auseinandersetzung den Versuch, Martin Luther als Vater aller Meinungsfreiheitskämpfer zu inthronisieren. Willst du die Geschichte umschreiben? :D

Gleichwohl: die Suche nach der Quelle des Monotheismus brachte ihn zum Moses Roman, aber dass er eine Hitparade besser/schlechter unter den Religionen aufstellte, ist mir neu.
Nun, Freud hat natürlich keine Besser/Schlechter-Hitparade zusammengestellt, sondern nur gesagt, dass Monotheismus ein Fortschritt gegenüber Polytheismus war (weil nur noch ein Gott für alles zuständig) und gleichzeitig eine Rückkehr zu dem Eigentlichen: Erwachsener sucht Schutz bei Gott (und fürchtet sich vor ihm) wie einst das Kind bei seinem Vater es getan hatte.

Freuds Fazit: Ein Mensch, der an einen allmächtigen Gott glaubt, gleicht einem Kind, das an seinen (in seinen Augen) allmächtigen Vater glaubt - siehe seine Aussagen in „Die Zukunft einer Illusion“.

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielleicht bin ich dem Lutherfilm aufgesessen, aber Dion verrät zumindest

dass er demonstrierte, wie man einer Autorität erfolgreich Widerstand leisten kann
, was ja immerhin ein erster Schritt ist und zeigt, dass er trotz Drohung des Huss'schen Schicksals seine Meinung vertrat und dass ein Monopol sich brechen lässt. Natürlich steckt er noch im Mittelalter, aber wär's beim Thomas Müntzer /ERasmus / Melanchthon anders? Ich werd nachschau'n und komm drauf zurück (Wiki wär mir wirklich zu blöde & Zeitvergeudung hier vor Ort, da schau ich lieber in die Freiheit eines Christenmenschen).

Hab ich behauptet, Keller wär ein Vorgänger Freuds? Wüsst ich aber! Vielleicht war er mit seinem gesunden Menschenverstand Vorgänger Fs. Und wo heb ich Luther auf welchen Thron?

Willst du die Geschichte umschreiben?
Schöne Vorstellung, aber ich bin anerkanntermaßen ein fauler Hund (Anpassung Hund & Halter).

Nun, Freud hat natürlich keine Besser/Schlechter-Hitparade zusammengestellt
, den Eindruck musste man mit Deinem Beitrag gewinnen ...
sondern nur gesagt, dass Monotheismus ein Fortschritt gegenüber Polytheismus war
Tatsächlich? Befand er nicht eher Regression als Störung? Eben;
Ein Mensch, der an einen allmächtigen Gott glaubt, gleicht einem Kind, das an seinen (in seinen Augen) allmächtigen Vater glaubt

Aber - wie schon im Text gesagt - wir suchen uns das aus, was uns passt. Wir ziehn uns ja auch keine Zelte, sondern ein Hemdchen an.

Gruß & Dank vom

Friedel

 

Tatsächlich? Befand er nicht eher Regression als Störung?
Nicht, wenn er von Religion sprach. In seinem Buch „Die Zukunft einer Illusion“ aus dem Jahr 1927 schrieb er wörtlich (Hervorhebungen von mir):


Mit dem ersten Schritt ist bereits sehr viel gewonnen. Und dieser ist, die Natur zu vermenschlichen. An die unpersönlichen Kräfte und Schicksale kann man nicht heran, sie bleiben ewig fremd. Aber wenn in den Elementen Leidenschaften toben wie in der eigenen Seele, wenn selbst der Tod nichts Spontanes ist, sondern die Gewalttat eines bösen Willens, wenn man überall in der Natur Wesen um sich hat, wie man sie aus der eigenen Gesellschaft kennt, dann atmet man auf, fühlt sich heimisch im Unheimlichen, kann seine sinnlose Angst psychisch bearbeiten. Man ist vielleicht noch wehrlos, aber nicht mehr hilflos gelähmt, man kann zum mindesten reagieren, ja vielleicht ist man nicht einmal wehrlos, man kann gegen diese gewaltätigen Übermenschen draußen dieselben Mittel in Anwendung bringen, deren man sich in seiner Gesellschaft bedient, kann versuchen, sie zu beschwören, beschwichtigen, bestechen, raubt ihnen durch solche Beeinflussung einen Teil ihrer Macht. Solch ein Ersatz einer Naturwissenschaft durch Psychologie schafft nicht bloß sofortige Erleichterung, er zeigt auch den Weg zu einer weiteren Bewältigung der Situation.

Denn diese Situation ist nichts Neues, sie hat ein infantiles Vorbild, ist eigentlich nur die Fortsetzung des früheren, denn in solcher Hilflosigkeit hatte man sich schon einmal befunden als kleines Kind einem Elternpaar gegenüber, das man Grund hatte zu fürchten, zumal den Vater, dessen Schutzes man aber auch sicher war gegen die Gefahren, die man damals kannte. So lag es nahe, die beiden Situationen einander anzugleichen.
[…]
Ähnlich macht der Mensch die Naturkräfte nicht einfach zu Menschen, mit denen er wie mit seinesgleichen verkehren kann, das würde auch dem überwältigenden Eindruck nicht gerecht werden, den er von ihnen hat, sondern er gibt ihnen Vatercharakter, macht sie zu Göttern, folgt dabei nicht nur einem infantilen, sondern auch, wie ich versucht habe zu zeigen, einem phylogenetischen Vorbild.
Mit der Zeit werden die ersten Beobachtungen von Regel- und Gesetzmäßigkeit an den Naturerscheinungen gemacht, die Naturkräfte verlieren damit ihre menschlichen Züge. Aber die Hilflosigkeit der Menschen bleibt und damit ihre Vatersehnsucht und die Götter. Die Götter behalten ihre dreifache Aufgabe, die Schrecken der Natur zu bannen, mit der Grausamkeit des Schicksals, besonders wie es sich im Tode zeigt, zu versöhnen und für die Leiden und Entbehrungen zu entschädigen, die dem Menschen durch das kulturelle Zusammenleben auferlegt werden.
Aber allmählich verschiebt sich innerhalb dieser Leistungen der Akzent. Man merkt, daß die Naturerscheinungen sich nach inneren Notwendigkeiten von selbst abwickeln; gewiß sind die Götter die Herren der Natur, sie haben sie so eingerichtet und können sie nun sich selbst überlassen.
[…]
Und je mehr die Natur selbständig wird, die Götter sich von ihr zurückziehen, desto ernsthafter drängen alle Erwartungen auf die dritte Leistung, die ihnen zugewiesen ist, desto mehr wird das Moralische ihre eigentliche Domäne. Göttliche Aufgabe wird es nun, die Mängel und Schäden der Kultur auszugleichen, die Leiden in acht zu nehmen, die die Menschen im Zusammenleben einander zufügen, über die Ausführung der Kulturvorschriften zu wachen, die die Menschen so schlecht befolgen. Den Kulturvorschriften selbst wird göttlicher Ursprung zugesprochen, sie werden über die menschliche Gesellschaft hinausgehoben, auf Natur und Weltgeschehen ausgedehnt.
So wird ein Schatz von Vorstellungen geschaffen, geboren aus dem Bedürfnis, die menschliche Hilflosigkeit erträglich zu machen, erbaut aus dem Material der Erinnerungen an die Hilflosigkeit der eigenen und der Kindheit des Menschengeschlechts. Es ist deutlich erkennbar, daß dieser Besitz den Menschen nach zwei Richtungen beschützt, gegen die Gefahren der Natur und des Schicksals und gegen die Schädigungen aus der menschlichen Gesellschaft selbst.
[…]
Alles, was in dieser Welt vor sich geht, ist Ausführung der Absichten einer uns überlegenen Intelligenz, die, wenn auch auf schwer zu verfolgenden Wegen und Umwegen, schließlich alles zum Guten, d. h. für uns Erfreulichen, lenkt.
[…]
Und die überlegene Weisheit, die diesen Ablauf lenkt, die Allgüte, die sich in ihm äußert, die Gerechtigkeit, die sich in ihm durchsetzt, das sind die Eigenschaften der göttlichen Wesen, die auch uns und die Welt im ganzen geschaffen haben. Oder vielmehr des einen göttlichen Wesens, zu dem sich in unserer Kultur alle Götter der Vorzeiten verdichtet haben. Das Volk, dem zuerst solche Konzentrierung der göttlichen Eigenschaften gelang, war nicht wenig stolz auf diesen Fortschritt. Es hatte den väterlichen Kern, der von jeher hinter jeder Gottesgestalt verborgen war, freigelegt; im Grunde war es eine Rückkehr zu den historischen Anfängen der Gottesidee. Nun, da Gott ein Einziger war, konnten die Beziehungen zu ihm die Innigkeit und Intensität des kindlichen Verhältnisses zum Vater wiedergewinnen. Wenn man soviel für den Vater getan hatte, wollte man aber auch belohnt werden, zum mindesten das einziggeliebte Kind sein, das auserwählte Volk.

 

Denn er, Gott, fängt die Schlauen in ihrer Schlauheit
und kehret die Berge um, ehe sie es inne waren.
Luther​

Ja - wo mag der Weg des Mose' uns noch hinführen. Bei dem Text zwischen Totem & Tabu und dem Mose sollte man sich geschlagen geben,

lieber Dion,

und doch mein im Mose gelegentlich den Begriff der Regeression und in der Folge den der Infaltilität fürs Christentum (im paulinischen Sinne) gefunden zu haben. Vielleicht hab ich aber schon in der Nähe von Alsheim eine Höhle bezogen.

Da hab ich mich doch zu der Behauptung hinreißen lassen, dass wir

wir nie vergessen sollten, dass mit Luther Religionsfreiheit und somit ein erster Schritt zur Meinungsfreiheit in die Welt kam. Auch die wird einem nicht geschenkt,
worauf Set geradezu diplomatisch und nicht zu Unrecht konterte
Also: in meinem religiösen Weltbild erschien die erste Religion nicht Hand in Hand mit der Religionsunfreiheit, sondern letztere wurde nach und nach mit dem zunnehmenden Verlust der Religiosität und der gleichzeitigen Entwicklung der religiösen Institutionen eingeführt. Ob Luther einen Schritt in Richtung Religionsfreiheit erreichen wollte oder nur einen in Richtung Freiheit vom Vatikan, kann ich nicht beurteilen, aber ersteres würde mich schon etwas erstaunen lassen,
dass ich schon vermutete, der Erinnerung der Lutherverfilmung von 2003 aufgesessen zu sein.

Jeder Vergleich hinkt und dieser hier,

Ihr Lieben,

geht vielleicht - wie Peter Ustinov in der Rolle des Kurfürsten Friedrich III., dem Weisen - am Rollator, aber ich wills mal auf den Punkt bringen weniger mit Theologie, Juristerei & Politik, sondern mit der Mutter allen Übels, der Philosophie: begann nicht dass, was wir heute in der ach so sauberen Atomenergie bewundern und darum gerne Zugaben fordern, mit der Atomistik des Demokrit, der in der Folge einem Eudämonismus frönte und somit durchaus in die Reihe der irreligiösen Keller + Freud passt, oder ist es doch eher ein Hahn, der uns Glucken beglückte?

Nun gut, ich polemisier und zieh heran, was nicht zusammengehört! Spaß beiseit!

Nun ist jeder Kind seiner Zeit und in Übergangszeiten wird mancher mit den Füßen schon in der neuen wandeln, mit dem Kopf aber noch in den älteren Hüten stecken. Dass Luther Kind seiner Zeit und ein gläubiger und auch noch autoritärer Kotzbrocken war, wusste er selber („Denn ich mache mich nicht zu einem Heiligen und trete hier nicht für meinen Lebenswandel ein, sondern für die Lehre Christi.“), und hab ich auch schon in Nix da (d. i. der Papst von Wittenberg) und viel besser, als ich es könnte, schon Kleist im Kohlhaas angerissen. Zudem war er feige - im Brecht’schen Sinne. Dass L. die Bauernaufstände ablehnte lag an der Auffassung, sie – die Aufständischen – missbräuchten das Evangelium. Zudem war er kein Freund der Wiedertäufer, obwohl er den Thomas Müntzer nach Zwickau empfohlen hatte. Und doch wird man zugeben können, dass die Wiedertäufer Kinder der Reformation und Väter der persönlichen Religionsfreiheit waren. Oder wie Bruder Martin selbst sagt: „Wie das Gebot: «Du sollst nicht böse Begierde haben» beweist, dass wir allesamt Sünder sind und kein Mensch vermag zu sein ohne böse Begierde, er tue, was er will, woraus er lernt an sich selbst verzagen und anderswo zu suchen Hilfe, dass er ohne böse Begierde sei und also das Gebot erfülle durch einen andern, was er aus sich selbst nicht vermag, also sind auch alle anderen Gebote uns unmöglich.“

Dass Luther den Begriff der Religionsfreiheit, wie wir ihn heute verstehen, nicht kannte, mag an seinen mangelnden prophetischen Gaben liegen. Dass er Gefangener seines Gewissens (Anm. für Dion: ja, er kannte den Begriff schon vor Freud, auch ohne dass er was von Psychologie verstand oder gar die Psychoanalyse erfunden hätte), womit wir schon mitten in den heute sog. Grundrechten stecken: „ … mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun.“ (18. April 1521, vor seinem „Allergnädigsten Herrn und Kaiser” Karl V. [Rechtschreibung ist der letzten Reformation angepasst, freilich ohne Gewähr])

Sätze wie „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“ in Verbindung mit dem, was christliche Freiheit heiße, nämlich „der einzige Glaube, der da macht, nicht dass wir müßig gehen oder übel tun können, sondern dass wir keines Werks bedürfen, zur Frömmigkeit und Seligkeit zu gelangen“, wo die Frage gestellt wird zwischen den Professionellen (Priester, der Theo- oder heute Technokratie) und den Laien. „Es ist dem Wörtlein «Priester», «Pfaffe», «Geistlich» und desgleichen Unrecht geschehen, dass sie von dem gemeinen Haufen sind bezogen auf den kleinen Haufen, den man jetzt nennt geistlichen Stand. Die Heilige Schrift gibt keinen andern Unterschied, denn dass sie die Gelehrten oder Geweihten nennt ministros, servor, oeconomos, das ist Diener, Knechte, Schaffner, die da sollen den andern Christum, Glauben und christliche Freiheit predigen. Denn ob wir wohl alle gleich Priester sind, können wir doch nicht alle dienen oder schaffen und predigen.“ Gleichwohl ist die soziale Asymmetrie in Priester und Laientum nivelliert („als wären die Laien etwas anderes denn Christenleute“ heißt’s in Anlehnung an Paulus und „wir haben dafür überkommen viel Menschengesetz und -werk, sind ganz Knechte geworden der alleruntüchtigsten Leute auf Erden.“ Da ist doch eine Lunte gelegt zu mehr als Gebet und gute Tat!) Und obwohl jedermann König und Priester sei, „aller Dinge mächtig“, lebe „der Mensch … nicht allein in seinem Leibe, sondern auch unter andern Menschen auf Erden. Darum kann er nicht ohne Werke sein gegen dieselben, er muss ja mit ihnen zu reden und zu schaffen haben, wiewohl ihm derselben Werke keines not ist zur Frömmigkeit und Seligkeit. Darum soll seine Meinung in allen Werken frei und nur dahin gerichtet sein, dass er andern Leuten damit diene und nütze sei, nichts anderes sich vorstelle, denn was den andern not ist. Das heißt dann ein wahrhaftiges Christenleben“ als Anerkennung sozialer Bezüge. In dem Maße, wie er frei ist, ist „ein Christenmensch … ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Zitate aus der Freiheit eines Christenmenschen)

Wie wird denn Religionsfreiheit heute definiert?

Hierorts nach Art. 4 GG wären Freiheit des Glaubens / Gewissens und des religiösen / weltanschaulichen Bekenntnisses „unverletzlich“, ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet, woraus das Verbot einer Staatskirche abgeleitet wird (Art. 140 GG). Erstaunlich ist dabei, dass die „alten“ Religionsgemeinschaften „Körperschaften öffentlichen Rechts“ und – obwohl unabhängig vom Staat - somit Teil der öffentlichen Ordnung mit je eigenem Recht (Arbeits- Prozess-, Straf- und Verwaltungsrecht), soweit es dem weltlichen nicht widerspreche, aber neuere Religionsgemeinschaften müssen’s über Bürgerlichem Recht angehn, was den Ruch später Geburt und der Ungleichbehandlung hat.

Freiheit wird einem bekanntermaßen nicht geschenkt. Man muss sie sich nehmen!

Warum hab ich für Art. 4 GG anfangs den Konjunktiv II gewählt? Religionsfreiheit ist Menschenrecht (schon bei Luther, wobei er unterstellt, dass es nur die EINE Kirche gäbe) und Teil der umfassenderen Würde, die angeblich „unverletzlich“ ist. Aber weil der bürgerliche Mensch schon nicht „Freiheit“ erträgt, sondern zu Freiheiten wie oben aufgeführt zerschlägt und atomisiert (Gedanken-, Gewissens-, Religions-, Meinungs-, Gewerbe- und diverse andere –freiheiten) hat er inzwischen auch die „Würde“ in Teile zerschlagen: so gibt es u. a. die Würde des Alters, des Amtes (da bräuchte man dann gar keinen Amtsinhaber mehr, da die Würde durchs Amt verliehen wird, also per se besteht) ... Da tut's nicht wunder, wieviel Kulturen es gibt, wo doch wenigstens eine reichte in all der Zivilisation!

„Was hilft da Freiheit; Es ist nicht bequem, nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!“ (Brecht, Ballade vom angenehmen Leben)

Dass auch der letzte sehe, dass die Beiträge nicht OT sind, die Frage wer zu behaupten wagte, Marx wäre für Stalin verantwortlich?, denn im www zieht der Verfasser wider den Lutherfilm den armen Bruder Martin für den Holocaust heran, dessen Wurzeln ja im Moses besprochen werden.

Gruß & schönes Wochenend vom

Friedel

 

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