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Der normale Tag

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29.05.2024
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Der normale Tag

Bis neun Uhr war es ein stinknormaler Montagmorgen im Rathaus. Die vereinzelten gutgelaunten Kollegen wurden von den anderen, die sich in der kleinen Küche verzweifelt an ihre Kaffeetassen klammerten, mit finsteren Blicken bedacht. Der all-wöchentliche Wettstreit, wer das Wochenende am kreativsten verbracht hatte, schien diesmal an die Sekretärin des Tiefbauamtes zu gehen. Mit leuchtenden Augen erzählte sie davon, wie sie an einem Kurs zum Knüpfen von Makramee Blumenampeln teilgenommen hatte.
„Was soll das denn wieder für ein neumodisches Zeug sein?“ Klaus vom Ordnungsamt schüttelte verständnislos den Kopf und warf einen prüfenden Blick auf die Kaffeekanne. Vorsichtig sah er sich um. Wenn er seine Tasse schnell genug leerte und sich nachschenkte, würde jemand anderes, die nächste Kanne aufsetzen müssen.
„Damit kann man Blumentöpfe aufhängen.“ Die junge Auszubildende sah nicht einmal von ihrem Smartphone auf. „Sehr hübsch.“
„Was spricht dagegen Töpfe ganz normal auf den Boden oder aufs Fensterbrett zu stellen, wie es sich gehört?“
Keiner ging auf die Herausforderung ein und Klaus beobachtete mit verkniffenem Gesicht, dass Horst vom Umweltamt einen Tick schneller gewesen war als er. Mit einem triumphierenden Lächeln schüttete der den letzten Kaffee in seinen Becher und verließ mit einem gnädigen Winken die Küche.
„Ich mag den Lackaffen nicht.“
„Ach, ne. Sag blos, es gibt irgendwen, den du magst?“
„Ne ernsthaft.“ Klaus hob die Schultern. „Der kann doch gar nichts.“
„Er ist ein toller Tänzer“, erinnerte die Sekretärin augenzwinkernd.
„Ach komm schon. Das kann jeder.“
„Ach ja?“ Die Auszubildende sah von ihrem Smartphone auf. „Du kannst tanzen?“
„Sicher.“
„Aha. Und was?“
„Polonaise.“
„Du beherrschst polnische Volkstänze?“, erkundigte sich Werner zweifelnd.
„Ne, die Polonaise von Blankenese.“
Als die meisten lachten, schob Klaus sich missmutig an den anderen vorbei. „Ich setz noch ne halbe Kanne auf.“
„So viel Gel, wie der in seinen Schnauzer schmiert, dürfte der eigentlich nicht mehr im Umweltamt arbeiten.“
„Pomade heißt das Zeug.“
Erschrocken fuhren sie alle zusammen, als der Boden wackelte.
„Himmel, was ist das denn?“, fluchte Klaus. „Ein Erdbeben?“
„Quatsch!“ Die Sekretärin vom Tiefbauamt rollte mit den Augen. „Die reißen draußen den Gehweg für die neue Gasleitung auf.“
„So ein Bagger mit Presslufthammer? Wie soll man da arbeiten können? Klaus, setz besser ne ganze Kanne auf.“
Ein Knall ließ sie aufschrecken. Die Kollegen sahen sich abwartend an. So lange es niemand zugab, war nichts vorgefallen. Keiner war bereit einzugestehen, etwas wäre zu Bruch gegangen.
„Hildegard? Biste wieder eingepennt und vom Stuhl gekippt?“, rief Horst aus seinem Büro und lachte gackernd.
„Zähl deine Regenwürmer und versuch es nicht mit Witzen“, tönte es gereizt aus einem Zimmer.
„Wenigstens gehe ich nicht zum Lachen in den Keller.“
„Da wäre auch nicht genug Platz für dich und dein Ego“, schoss Hildegard zurück.
In der Küche lächelte man sich fröhlich an.
„Klarer Punktesieg“, murmelte die Auszubildende.
„Und was war das jetzt für ein Knall?“ Die Sekretärin sah sich fragend um. „Kann da mal wer nachsehen?“
„Ich mache gerade Kaffee.“ Klaus hob entschuldigend die Schultern.
„Bevor noch jemand schreit, dass man dafür ja Lehrlinge hat, gehe ich lieber gleich.“ Mit einem Seufzen erhob sich die Jüngste im Raum.
Man sah ihr lächelnd nach, doch sie war nur einen Schritt aus der Küche getreten, als sie bereits wieder stehenblieb und den Kopf schräg legte.
„Das große Bild ist von der Wand gefallen.“
Sie tauschten überraschte Blicke und drängten nach draußen. Dann sahen sie sich stumm die Bescherung an. Das Gemälde lag am Boden und hatte sich auch aus dem Bilderrahmen gelöst.
„Was ist denn hier los?“, erkundigte sich eine tiefe Stimme hinter ihnen.
„Guten Morgen, Herr Bürgermeister.“ Die Sekretärin hatte am schnellsten reagiert. „Das Bild ist heruntergefallen. Wahrscheinlich wegen der Vibrationen.“
„Ein Fall für die Versicherung“, kommentierte Klaus achselzuckend.
„Eher weniger. Es gab ne Rundmail, in der wir aufgefordert wurden, alles zu sichern.“ Werner vom Kulturamt verzog schmerzlich das Gesicht und drehte dann vorsichtig das Bild um. „Auch sehe ich jetzt auf Anhieb keine Beschädigung. Es müsste nur dringend gereinigt werden.“
„Sollte das nicht schon vor fünf Jahren gemacht werden?“ Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf.
„Sollte es“, bestätigte Werner. „Aber damals bekamen wir es nicht aus dem Rahmen.“
„Problem gelöst“, kommentierte Klaus trocken.
„Veranlassen sie die Restaurierung des Kunstwerkes.“ Das Stadtoberhaupt wendete sich gelangweilt ab.
„Dafür haben wir kein Budget mehr.“ Werner zog den Kopf ein.
„Was kostet das denn schon?“ Der Bürgermeister rollte die Augen. „Einmal drüberwischen und gut is.“
„Wir reden hier von einem Ölgemälde auf Leinwand, das ein halbes Jahrhundert hinter Zigarre rauchenden Stadtvätern hing. In den alten Beschreibungen stand was von leuchtenden Farben. Es war nicht immer so ein düsterer Schinken“, protestierte der Kulturreferent. „Bei dieser Größe kommen wir da auf drei- bis viertausend Euro für die Reinigung und nochmal tausend für die Restaurierung des Rahmens.“
„Na dann los.“ Der Bürgermeister winkte ungeduldig.
„Das haben wir nicht mehr im Budget für dieses Jahr!“, verteidigte sich Werner. „Außer, wenn wir...“
„Ja?“
Alle sahen ihn fragend an und warteten darauf, dass er sich dem allmächtigen Stadtoberhaupt beugte.
„Das darf ich nicht entscheiden“, rief er verzweifelt. „Da müsst ihr Gerda fragen!“
Und die Zeit blieb stehen. Alle starrten Werner entsetzt an. Die sprichwörtliche Nadel, die zu Boden fällt, hätte wie ein Donnerknall geklungen.
Die Sekretärin sah sich furchtsam um, als könnte das alleinige Aussprechen des Namens sie herbeirufen. Sie. Gerda Meier. Der Schrecken des Rathauses. Die Herrin des Kulturreferates. Niemand legte sich mit ihr an. Die IT nannte sie schlicht nur ‚den Endgegner‘.
Die eben noch joviale Miene des Bürgermeisters hatte sich verhärtet.
„Schicken Sie sie in mein Büro.“
Die Blicke der Kollegen schwankten zwischen Entsetzen und Bewunderung, als er sich mit energischen Schritten auf den Weg zu seinem Schreibtisch machte.

Eilig quälte er sich durch kommunale Budgetverwaltung des Ortes. An sich gäbe es noch genug Gelder, aber wahrscheinlich waren die Mittel schon intern verplant.
Und ihm war bewusst, dass die Kollegin Meier in ihm den Erzfeind sah, nachdem er vor einem halben Jahr leicht angetrunken einem Parteifreund zugesagt hatte, eine Rede vor der Falknervereinigung zu halten. Er hatte ja nicht die geringste Ahnung von der seit Jahrzehnten tobenden Fehde des Vereins mit dem Verband der Kaninchenzüchter gehabt.
Angeblich war vor der Jahrtausendwende einmal ein mit Preisen überhäufter Rammler von einem Falken geschlagen worden. Wenig später war ein abgerichteter Habicht in einer Drahtschlinge verendet. Danach war es eskaliert. Kein Monat verging seither ohne gegenseitige Beschuldigungen und Klagen. Selbst den Kindern wurde der Kontakt zu den Sprösslingen des jeweils anderen Vereins verboten.
Und nun sollte er, der auf der Jahrestagung der Falkner eine Ansprache gehalten (und danach ein fantastisches Kaninchen in Weißweinsauce genossen) hatte, der stellvertretenden Vorsitzenden der Kaninchenzüchter Geld aus dem Kreuz leiern.
Mit einem schweren Seufzen überlegte er sich eine Strategie. Natürlich konnte er als Vorgesetzter es ihr einfach anordnen, aber sie war auch Politikerin des Koalitionspartners im Stadtrat und konnte ihm dort das Leben zur Hölle machen.
Ein wuchtiges Hämmern an seine Tür ließ ihn zusammenzucken. Er setzte sich auf und atmete tief durch. Vorsichtshalber noch einmal.
„Herein!“ Er hoffte, die dicke Eichentür schaffte es, seine Unsicherheit zu verschlucken. Ja vielleicht sogar, es in einen markanten, geradezu bedrohlichen Tonfall zu verwandeln.
Langsam wurde die Tür aufgeschoben und Frau Meier stolzierte in den Raum. Die himmelblaue Bluse unter ihrem rosafarbenen Strickjäckchen war hochgeschlossen und ihr langer dunkelkarierter Rock reichte bis zu den Knöcheln. Die grauen Haare streng zu einem Zopf geflochten, durchbohrte sie ihn mit einem eisigen Blick durch ihre Hornbrille, die ihr ein katzenhaftes Aussehen verlieh. Das aufgesetzte charmante Lächeln erreichte die Augen nicht. „Sie wollten mich sprechen, Herr Bürgermeister.“
„In der Tat, Frau Meier.“ Überschwänglich wies er auf einen Stuhl. „Aber setzen Sie sich doch.“
Ohne ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen, nahm sie Platz und schlug die Beine übereinander. „Worum geht es?“
„Ein Bild wurde heute beschädigt“, erzählte er beiläufig und hob entschuldigend eine Hand, als wäre es unter ihrer Würde sich um eine derartige Banalität kümmern zu müssen. „Es müsste gereinigt und restauriert werden. Würden Sie das bitte veranlassen?“
„Nichts lieber als das, aber das Budget...“ Sie zuckte mit einem grausamen Lächeln die Schultern.
„Ach?“ Er sah sie mit gespielter Überraschung an und wies dann auf seinen Rechner. „Das Programm meinte, sie hätten noch ausreichend Mittel um so etwas leicht stemmen zu können.“
„Theoretisch ja“, gestand sie gelangweilt. „Aber Ende des Jahres steht noch die Kleintiermesse an, bei der wir als Sponsor in Erscheinung treten wollten.“
„Was hat das mit dem Kulturbudget zu tun?“, erkundigte er sich verständnislos.
„Aber Herr Bürgermeister!“, widersprach sie vehement. „Hier im Ort werden seit über 130 Jahren Kaninchen gezüchtet und der Züchterverein ist der älteste eingetragene Verein des Ortes. Das ist praktisch schon ein Kulturerbe.“
„Ich verstehe.“ Er trommelte genervt mit seinen Fingern auf den Schreibtisch, während er sie kalt musterte.
Natürlich war ihnen beiden bewusst, dass sie mit dem Auftritt als Sponsor die Mittel für Kultur missbrauchen würde. Und gleichzeitig war bekannt, dass die Weicheier der Finanzverwaltung deshalb keinesfalls einen Aufstand starten würden. Nicht gegen eine Gerda Meier. Also konnte es nur zwischen ihnen beiden ausgetragen werden. Stumm duellierten sie sich mit Blicken.
Nur leider hatte auch er seine Leichen im Keller und war sich nicht sicher, ob sie davon wusste. Daher konnte er in dieser Richtung ebenfalls keinen Angriff riskieren. Dann vielleicht doch mit Vernunft versuchen?
„Frau Meier, sehen sie: Wir sprechen hier von einem antiken Werk des berühmten Malers Sebastian Bierdimpfel aus dem Jahre 1832. Wie Sie sicherlich wissen, lebte er eine Weile im Ort und schuf in dieser Zeit das bekannte Ölgemälde unserer Heimatstadt, bevor er leider aus unbekannten Gründen weiterzog.“
„Angeblich weil die Brauerei abbrannte und den alten Säufer außer dem guten Bier hier nichts hielt“, murmelte sie abfällig.
„Wie auch immer.“ Der Bürgermeister winkte ab. „Ein derartiger Kulturschatz wie das Abbild unserer Heimat muss unbedingt erhalten werden.“
Sie betrachtete ihn, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Finden Sie nicht auch?“
In Gerdas Gesicht rührte sich kein Muskel.
„Ich könnte auch bei der nächsten Jahresversammlung der Kaninchenzüchter eine kurze Rede halten“, bot er leise an.
Eine ihrer Augenbrauen rutschte nach oben, aber ansonsten hatte sie sich nicht bewegt.
„Und vielleicht auch zum Essen bleiben.“ Erschrocken biss er sich auf die Lippe.
So weit hatte er eigentlich nicht nachgeben wollen. „Wo findet denn die Versammlung statt?“
„Im Veggie Paradies.“
Der Bürgermeister schluckte schwer.
„Es gibt Ratatoullie“, schmetterte sie ihm ins Gesicht.
„Als Beilage?“, fragte er vorsichtig und ruderte sofort zurück, als sich ihre Miene verfinsterte. „Ich meine, als Beilage wäre ein gemischter Salat sicherlich empfehlenswert.“
„Mit einer Spinat-Sojamilch-Sauce.“ Sie beugte sich etwas vor und spießte das Stadtoberhaupt, das fast jede Woche auf Social Media Bilder seiner Grillpartys postete, mit Blicken auf.
Er kämpfte den Würgereiz nieder. Warum hatte er sich nur dazu hinreißen lassen diese strenggläubige Veganerin so plump überreden zu wollen?
„Wann ist denn die Versammlung?“ Er hoffte, sich mit irgendwelchen Terminen herausreden zu können.
„Letzter Samstag im August.“
„Da startet die neue Bundesliga-Saison.“ Blankes Entsetzen sprach aus seinem Blick, aber prallte an ihrer steinernen Miene ab. Seine Schultern sackten nach unten. „Was ich mir sicherlich besser in Ruhe am nächsten Tag ansehen kann...“
Sie erhob sich langsam und gebieterisch. „Ich werde prüfen, ob das Kulturreferat Gelder für die Restaurierung freimachen kann.“
Er nickte geschlagen und sah zu Boden.
„Ach eins noch“, fiel ihm ein. „Wenn ich sie gerade hier habe. Meine Tochter möchte partout zum Geburtstag ein Kanin...“
„Zwei!“, schrie sie aufgebracht. „Mindestens! Einzelhaltung ist ein Verbrechen.“
Er starrte sie mit offenem Mund an.
„Selbstverständlich kann ich Ihnen hierzu weiterhelfen, Herr Bürgermeister.“ Sie schenkte ihm ein weiches Lächeln. „Der Kaninchenzüchterverein wird mit Freuden bei der Auswahl helfen. Natürlich auch mit Rat und Tat bei der Aufstellung der Stallungen, den Außengehegen und den Schutzgittern vor gierigen Greifvögeln behilflich sein.“
Mit weit aufgerissenen Augen nickte er nur ergeben.
„Keine Sorge!“, versicherte sie energisch und ballte kämpferisch die Faust. „Wir Kaninchenhalter stehen zusammen. Aber zuerst muss ich mich um die sofortige Säuberung und Restaurierung eines wichtigen Kunstschatzes kümmern.“
Er entließ sie mit einem hilflosen Winken.
Kopfschüttelnd stand er auf und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen.
Klaus sah ihn fragend an. „Und?“
„Was und?“
„Na rückt sie die Kohle raus?“
„Ich bin der Bürgermeister!“ Er sah seinen Untergebenen entrüstet an. „Wenn ich sage, wir machen das so, dann machen wir das so!“
Er war sich der bewundernden Blicke durchaus bewusst, als er sich seinen Kaffee einschenkte.
‚Manchmal kann man doch noch Frieden schließen‘, dachte er schmunzelnd. ‚Und alles, was es dafür brauchte, war ein Ort, der aus dem Rahmen fällt.‘

 

Hallo @Tsunami
ich dachte aufgrund deines Namens erst, dass uns hier ein Tsunami erwartet und ein Beben eine Rolle spielt. Das war ja aber nur ganz am Rande der Fall. Insgesamt eine irgendwie ganz sympathische Geschichte, wie ich fand. Ein paar Dinge habe ich trotzdem anzumerken und auch einen grundlegenden Vorschlag. Ich steige direkt mal ein:

Bis neun Uhr war es ein stinknormaler Montagmorgen im Rathaus. Die vereinzelten gutgelaunten Kollegen wurden von den anderen, die sich in der kleinen Küche verzweifelt an ihre Kaffeetassen klammerten, mit finsteren Blicken bedacht. Der all-wöchentliche Wettstreit, wer das Wochenende am kreativsten verbracht hatte, schien diesmal an die Sekretärin aus dem Tiefbauamt zu gehen. Mit leuchtenden Augen erzählte sie davon, wie sie an einem Kurs zum Knüpfen von Makramee Blumenampeln teilgenommen hatte.
Mit den ersten Sätzen setzt man gewissermaßen schon mal so den Grundton für alles Weitere. Hier erwarte ich also nach diesem Einstieg eine Geschichte, die eher in Richtung sanfter Klamauk geht. Das muss nichts Schlechtes sein, sollte aber beabsichtigt sein.

„Hildegard? Biste wieder eingepennt und vom Stuhl gekippt?“, rief Horst aus seinem Büro und lachte gackernd
Auch das schließt tonal an.

„Zähl deine Regenwürmer und versuch es nicht mit Witzen“, tönte es gereizt aus einem Zimmer.
„Wenigstens gehe ich nicht zum Lachen in den Keller.“
„Da wäre auch nicht genug Platz für dich und dein Ego“, schoss Hildegard zurück.
Ich bin beruflich eigentlich nie in solchen städtischen Büros, die du hier zeichnest. Sollte es aber nur annähernd so sein, wie du es behauptest: shoot me. Ich fürchte aber, auch wenn es überzeichnet sein mag, dass du gar nicht mal soo weit weg von der Wahrheit bist ...

„Guten Morgen, Herr Bürgermeister.“ Die Sekretärin hatte am schnellsten reagiert. „Das Bild ist heruntergefallen. Wahrscheinlich wegen der Vibrationen.“
„Ein Fall für die Versicherung“, kommentierte Klaus achselzuckend.
„Eher weniger. Es gab ne Rundmail, in der wir aufgefordert wurden, alles zu sichern.“ Werner vom Kulturamt verzog schmerzlich das Gesicht und drehte dann vorsichtig das Bild um. „Auch sehe ich jetzt auf Anhieb keine Beschädigung. Es müsste nur dringend gereinigt werden.“
„Sollte das nicht schon vor fünf Jahren gemacht werden?“ Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf.
„Sollte es“, bestätigte Werner. „Aber damals bekamen wir es nicht aus dem Rahmen.“
„Problem gelöst“, kommentierte Klaus trocken.
„Veranlassen sie die Restaurierung des Kunstwerkes.“ Das Stadtoberhaupt wendete sich gelangweilt ab.
„Dafür haben wir kein Budget mehr.“ Werner zog den Kopf ein.
„Was kostet das denn schon?“ Der Bürgermeister rollte die Augen. „Einmal drüberwischen und gut is.“
Was deiner Geschichte in meinen Augen fehlt, ist ein klarer Protagonist oder eine Figur, die für mich im Zentrum steht. Stattdessen ploppen da eine ganze Menge Namen auf, die aber alle so nebeneinanderstehen, fies zueinander sind und sich gegenseitig anpflaumen. Da sticht aber jetzt keiner sonderlich heraus und mir zumindest geht es so, dass die deswegen ein wenig verschwimmen. Vielleicht wäre es eine Überlegung, da eine Figur irgendwie hervorzuheben und ins Zentrum zu setzen, damit wir als Leser einen Identifikationspunkt haben. Später ist es dann noch am ehesten der Bürgermeister, aber tortzdem so richtig funktioniert das für mich noch nicht.

Einige sogen erschrocken Luft ein und auch das Gesicht des Bürgermeisters verhärtete sich. Eine Konfrontation mit der streitsüchtigen Leiterin des Kulturreferates Gerda Meier scheute jeder.
„Schicken Sie sie in mein Büro.“
Noch mal zum Ton. Du trägst hier ja schon einigermaßen dick auf. Also Gerda Meier quasi als stadtinterner Drache usw. Aber: Ich finde, wenn du schon in diese Richtung gehst, dann mach es doch noch viel irrer. Bisher ist das ja eher eine überspitzte Darstellung, wie sich alle ein Rathaus oder die städtische Bürokratie vorstellen. Dein Text könnte da aber echt hervorstechen, wenn du die Wahnsinnsschraube noch mal voll auf Anschlag drehst (ohne dass es völlig banana wird, versteht sich).

die ihre ein katzenhaftes Aussehen verlieh
Klischee. Andererseits passt es ja auch zum Rest. So gesehen: Statt nur eines Klischees - dreh doch mal richtig auf! Mir fällt als Vergleich so die Derbheit vom kleinen Arschloch ein (passt als Vergleich nur so semi und ist auch nicht mehr ganz so lustig wie damals, aber als grobe Richtung, was ich meine).

„Ich könnte auch bei der nächsten Jahresversammlung der Kaninchenzüchter eine kurze Rede halten“, bot er leise an.
„Das würden Sie tun?“ Erschrocken sah sie ihn an und langsam wurde ihr Blick weich. „Mit einer kleinen Fragerunde vielleicht?“
Ja, das hatte ich schon befürchtet, dass es hierauf hinausläuft. Das ist mir zu vorhersehbar und harmlos. Ich für meinen Teil würde mir hier einen echten Hammer wünschen.

Zusammenfassend: Ich finde, dass du hier eigentlich einen ganz sympathischen Text geschrieben hast. Mir ist der aber zu konventionell in dem Versuch, Büroalltag und städtische Kleinspolitik etwas überspitzt darzustellen. Ich würde also dafür plädieren, dass du hier mal wirklich dick aufträgst und dann mal schaust, ob das funktioniert. Aber das ist auch nur meine Perspektive. Es mag sein, dass andere Leser das Ganze anders sehen.
Insgesamt auf jeden Fall schön, dass du mitmachst, und lass dich von meinem Kommentar nicht beirren!

Beste Grüße
Habentus

 

Hallo Habentus,

vielen Dank für deinen Kommentar und deine Anregungen. Warum sollte ich ich beirren lassen? Du bemängelst an meinem Text, was mich selbst gestört hat, aber ich nicht so recht den Finger drauf legen konnte.
Ja, das ganze war ursprünglich als sanfter Klamauk vorgesehen. Nur um dann am Ende festzustellen: Na wenn ich schon nicht darüber lachen kann, wie sollen es andere können?
Dein Ansatz, die Charaktere stärker zu überzeichnen, gefällt mir. Ich gelobe Bess... Änderung.

Der fehlende Protagonist wird allerdings schwieriger. Mal sehen ob ich das in den Griff bekomme.

Schöne Grüße
Tsunami

 

Hallo @Tsunami,


mir hat deine humorvolle Geschichte super gefallen. Der kurze Einblick in den Behördenalltag mit seinen Machtspielen und den kleinen Alltagspläckeleien, mit Blick auf die kleinen Absurditäten des Rathausalltags war unterhaltsam.
Ich hoffe, dass wir auch noch etwas Ähnliches von @FlicFlac zu lesen bekommen.
Dass du einen personalen Erzähler gewählt hast, fand ich überhaupt nicht schlimm. Ob ein Ich-Erzähler mehr Tiefe gebracht hätte, weiß ich nicht – so funktioniert es jedenfalls für mich prima.
Besonders stark sind die Figuren, allen voran Gerda Meier, diese politische „Endgegnerin“. Toll, wie du mit den Personen spielst und über sie schmunzelst, ohne sie lächerlich zu machen.

Der all-wöchentliche Wettstreit, wer das Wochenende am kreativsten verbracht hatte, schien diesmal an die Sekretärin aus dem Tiefbauamt zu gehen.
an die Sekretärin des Tiefbauamts zu gehen.
Man sah ihr lächelnd nach, aber sie war nur einen Schritt aus der Küche getreten, als sie bereits wieder stehenblieb und den Kopf schräg legte.
doch sie war erst einen Schritt aus der Küche getreten,

sprichwörtliche Nadel, die zu Boden fällt, wäre einem Donnerknall gleich aufgeschlagen.
Die sprichwörtliche Nadel, die zu Boden fällt, hätte wie ein Donnerknall geklungen.
Vorsichtshalber ein zweites Mal.
Vorsichtshalber noch einmal.

Vielleicht kannst du mit einem meiner Gedanken etwas anfangen. Ich habe es sehr gerne gelesen.
CoK


Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.

 

Hallo @Tsunami

Eigentlich hättest du gut noch den Satire Tag anheften können, denn eine reine Alltagsbeobachtung habe ich hier nicht gelesen. Eher Karikaturen und Figuren bzw. Szenen die bewusst überspitzt wurden.

Da ich selbst (vor langer langer Zeit) in diesem sogenannten Büro Alltag arbeiten „durfte“, habe ich bei manchen Abschnitten schon sehr schmunzeln müssen. Dir gelingt es gut, die Machtspielchen, interne (und sinnlose) Fehden sowie die bürokratischen Absurditäten darzustellen.

Situationskomik herzustellen finde ich persönlich sehr schwer. Deswegen schon mal ein Kompliment von mir. Denn meistens gelingt dir das sehr gut. An manchen Stellen ist es dann doch ein wenig gezwungen, aber im großen und ganzen funktioniert das schon!

Bis neun Uhr war es ein stinknormaler Montagmorgen im Rathaus.

Es ist ein grammatikalisch richtiger, aber ungelenker Satz. Das ist am Anfang der Geschichte natürlich nicht optimal. Ich würde das in jedem Fall aufdröseln.

„Ein weiterer stinknormaler Montag im Rathaus. Bis es neun schlug und alle eintrudelten.“

Sehr spontan und natürlich alles andere als perfekt. Ich selbst kann solche Alltagsmomente auch schlecht beschreiben. Aber du verstehst was ich meine? Ein bisschen schneller und dramatischer darf es zum Einstieg schon sein.

maulte Klaus

Ich weiß, dass man da schnell reinrutscht. Aber es wirkt textlich oft stärker, wenn man solche Rede-Verben weglässt.

Das muss ich dir gar nicht groß erklären, weil du es später in der Geschichte ohnehin so gestaltest. Bisher habe ich jedenfalls eins gelernt: Wenn man ein Verb wie „maulen“ verwendet, ist dass ein sicheres Zeichen, dass man den Charakter hier besser charakterisieren könnte.

Auf die Szene bezogen: Lass ihn hier einfach nur Kaffee einschenken. Denn sein vorheriger Satz (-neumodisches Zeug-) reicht völlig. Da hab ich als Leser dann schon ein gutes Bild

sah verstimmt

Auch hier: Wenn man ein Adjektiv benutzt, sollte man immer darüber nachdenken, ob man es nicht anders darstellen könnte. Das heißt ja nicht, dass man alle Adjektive streichen muss. Aber meistens geht es eleganter.

Ein Knall ließ sie aufschrecken. Die Kollegen sahen sich abwartend an. So lange niemand etwas sagte, war nichts vorgefallen. Keiner war bereit, zuzugeben, etwas wäre zu Bruch gegangen.
„Hildegard? Biste wieder eingepennt und vom Stuhl gekippt?“, rief Horst aus seinem Büro und lachte gackernd.
„Zähl deine Regenwürmer und versuch es nicht mit Witzen“, tönte es gereizt aus einem Zimmer.
„Wenigstens gehe ich nicht zum Lachen in den Keller.“
„Da wäre auch nicht genug Platz für dich und dein Ego“, schoss Hildegard zurück.
In der Küche lächelte man sich fröhlich an.
„Klarer Punktesieg“, murmelte die Auszubildende.

Das hier ist eine ganz prägnante Szene, in der die Satire durchkommt. Im Büro selbst würden sie niemals so miteinander umgehen. Das wirkt eher nach dem Weihnachtsfest, bei dem man alle Familienmitglieder trifft, die man eigentlich gar nicht sehen möchte.

Ich meine dass jetzt positiv. Der Moment ist gut beschrieben. Aber du meintest es überspitzt, oder?

Er hoffte, die dicke Eichentür hatte seine Unsicherheit verschluckt.

Tempusfehler. Statt „hatte“ —> „habe“ oder „hätte“

Natürlich war ihnen beiden bewusst, ein Auftreten als Sponsor auf einer Messe wäre ein Missbrauch der Mittel für Kultur.

Wieder ein verstolperter Satz. „Ihnen war bewusst, dass sie mit ihrem Auftritt als Sponsor die Mittel der Kultur missbrauchen würden.“

So in der Art.

Also würde es zwischen ihnen beiden ausgetragen werden. Stumm duellierten sie sich mit Blicken.

Den ersten Satz kannst du problemlos streichen, weil der zweite viel stärker ist und ohnehin alles erklärt.

‚Und alles, was es dafür brauchte, war ein Ort, der aus dem Rahmen fällt.‘

Dieses Ende wiederum finde ich ganz stark. Weil es einfach passt und gleichzeitig den Challenge Titel mit eingearbeitet hat. Das zeigt echte Kreativität und Talent!

Was man, abgesehen von den oben genannten Punkten verbessern könnte:

1. Straffe den Mittelteil (Ab „Eilig quälte er sich durch kommunale Budgetverwaltung des Ortes.“ beginnt ein längerer Teil, der sehr viel erklärt, statt zeigt. Wenn das so gewollt war, Ok. Aber es bremst mich als Leser.

2. Reduziere die Nebenfiguren. Das ist die gleiche Problematik. Auf diese Länge müsste man verdichten, um den Leser bei der Stange zu halten. Im Kontext eines Romans wäre das anders. Und prinzipiell glaube ich sogar, dass hier viel Stoff für etwas größeres drin steckt.
Aber im Rahmen der Kurzgeschichte müsste etwas rausfliegen.

Trotzdem gerne gelesen!

Liebe Grüße
Rainbow Runner

 

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