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Der normale Tag

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29.05.2024
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Der normale Tag

Erschrocken fuhren die Kollegen in der Kaffeeküche des Rathauses zusammen, als der Boden wackelte.
„Himmel, was ist das denn?“, fragte Klaus. „Ein Erdbeben?“
„Entweder das, oder die haben oben in der IT wieder ihren dicken Chef an einen Bürostuhl gefesselt und ins Treppenhaus geschoben.“
„Spinnst du?“ Werner schüttelte den Kopf. „Es ist gerade mal neun Uhr. Vor halb zehn taucht nie einer von denen auf.“
„Quatsch!“ Die Sekretärin aus dem Tiefbauamt rollte mit den Augen. „Die reißen doch draußen den Gehweg für die neue Gasleitung auf.“
„So ein Bagger mit Presslufthammer? Wie soll man da arbeiten? Klaus, setz besser ne frische Kanne auf.“
„Ist ein Hydraulik- oder Abrisshammer, der nicht mit Pressluft, sondern mit Hydrauliköl betrieben ...“
„Keiner mag Klugscheißer!“
Ein Knall ließ sie aufschrecken. Die Kollegen tauschten verstohlen Blicke aus. So lange es niemand zugab, war nichts vorgefallen. Keiner war bereit einzugestehen, etwas wäre zu Bruch gegangen.
„Hildegard? Biste wieder eingepennt und vom Stuhl gekippt?“, rief Horst aus dem Umweltreferat aus seinem Büro und lachte gackernd.
„Zähl deine Regenwürmer und versuch es nicht mit Witzen“, tönte es gereizt aus einem Zimmer.
„Wenigstens gehe ich nicht zum Lachen in den Keller.“
„Da wäre auch nicht genug Platz für dich und dein Ego“, schoss Hildegard zurück.
In der Küche grinste man sich fröhlich an.
„Klarer Punktesieg“, murmelte die Auszubildende.
„Und was war das jetzt für ein Knall?“ Die Sekretärin sah sich fragend um. „Kann da mal wer nachsehen?“
„Ich mache gerade Kaffee.“ Klaus hob entschuldigend die Schultern.
„Bevor noch jemand schreit, dass man dafür ja Lehrlinge hat, gehe ich lieber gleich.“ Mit einem Seufzen erhob sich die Jüngste im Raum.
Man sah ihr lächelnd nach, doch sie war nur einen Schritt aus der Küche getreten, als sie bereits wieder stehenblieb und den Kopf schräg legte.
„Das große Bild ist von der Wand gefallen.“
Sie tauschten überraschte Blicke und drängten nach draußen. Dann sah man sich stumm die Bescherung an. Das Gemälde lag am Boden und hatte sich auch aus dem Bilderrahmen gelöst.
„Was ist denn hier los?“, erkundigte sich eine tiefe Stimme hinter ihnen.
„Guten Morgen, Herr Bürgermeister.“ Die Sekretärin hatte am schnellsten reagiert. „Das Bild ist heruntergefallen. Wahrscheinlich wegen der Vibrationen.“
„Ein Fall für die Versicherung“, kommentierte Klaus achselzuckend.
„Eher weniger. Es gab ne Rundmail, in der wir aufgefordert wurden, alles zu sichern.“
„Wann kam die denn?“ Die Auszubildende sah überrascht auf. „Ich habe nichts gelesen.“
„Freitagnachmittag hat die beauftragte Firma etwas gemailt“, warf die Sekretärin ein.
„Wir sind eine ordentliche Behörde“, protestierte Klaus und zitierte sein Lebensmotto: „Freitag um eins, macht jeder Seins.“
Bestätigend nickten die meisten Kollegen.
„Wollte es ja nur sagen“, verteidigte sich die Kollegin. „Ich habe es selbst erst heute früh gelesen.“
„Auf Anhieb sehe ich jetzt keine Beschädigung.“ Werner drehte vorsichtig das Bild um und betrachtete es eingehend. Als Mitarbeiter der Kulturabteilung hätte man ihm diese Aufgabe eh früher oder später zugeschoben. „Es müsste nur dringend gereinigt werden.“
„Sollte das nicht schon vor fünf Jahren gemacht werden?“ Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf.
„Sollte es“, bestätigte Werner. „Aber damals bekamen wir es nicht aus dem Rahmen.“
„Problem gelöst“, kommentierte Klaus trocken.
„Veranlassen Sie die Restaurierung des Kunstwerkes.“ Das Stadtoberhaupt wandte sich gelangweilt ab.
„Dafür haben wir kein Budget mehr.“ Werner zog den Kopf ein.
„Was kostet das denn schon?“ Der Bürgermeister drehte sich nochmals um und rollte die Augen. „Einmal drüberwischen und gut is.“
„Wir reden hier von einem Ölgemälde auf Leinwand, das ein halbes Jahrhundert hinter Zigarre rauchenden Stadtvätern hing. In den alten Beschreibungen stand was von leuchtenden Farben. Es war nicht immer so ein düsterer Schinken“, protestierte der Kulturreferent. „Bei dieser Größe kommen wir da auf drei- bis viertausend Euro für die Reinigung und nochmal tausend für die Restaurierung des Rahmens.“
„Na dann los.“ Der Bürgermeister winkte ungeduldig.
„Das haben wir nicht mehr im Budget für dieses Jahr!“, verteidigte sich Werner. „Außer, wenn wir...“
„Ja?“
Alle sahen ihn fragend an und warteten darauf, dass er sich dem allmächtigen Stadtoberhaupt beugte.
„Das darf ich nicht entscheiden“, rief er verzweifelt. „Da müsst ihr Gerda fragen!“
Und die Zeit blieb stehen. Alle starrten Werner entsetzt an. Die sprichwörtliche Nadel, die zu Boden fällt, hätte wie ein Donnerknall geklungen.
Die Sekretärin sah sich furchtsam um, als könnte das alleinige Aussprechen des Namens sie herbeirufen. Sie. Gerda Meier. Der Schrecken des Rathauses. Die Herrin der Kulturabteilung. Niemand legte sich mit ihr an. Die IT nannte sie schlicht nur ‚den Endgegner‘.
Die eben noch joviale Miene des Bürgermeisters hatte sich verhärtet.
„Schicken Sie sie in mein Büro.“
Die Blicke der Kollegen schwankten zwischen Entsetzen und Bewunderung, als er sich mit energischen Schritten auf den Weg zu seinem Schreibtisch machte.

Eilig quälte er sich am Rechner durch die kommunale Budgetverwaltung des Ortes. An sich gäbe es noch genug Gelder, aber wahrscheinlich waren die Mittel schon intern verplant.
Und ihm war bewusst, dass die Kollegin Meier in ihm den Erzfeind sah, nachdem er vor einem halben Jahr leicht angetrunken einem Parteifreund zugesagt hatte, eine Rede vor der Falknervereinigung zu halten. Er hatte ja nicht die geringste Ahnung von der seit Jahrzehnten tobenden Fehde des Vereins mit dem Verband der Kaninchenzüchter gehabt.
Angeblich war vor der Jahrtausendwende einmal ein mit Preisen überhäufter Rammler von einem Falken geschlagen worden. Wenig später war ein abgerichteter Habicht in einer Drahtschlinge verendet. Danach war es eskaliert.
Vor einer Ausstellung hatten Unbekannte allen Langhaarkaninchen einer Züchterin die Haare pink gefärbt und Streifenmuster ins Fell rasiert. Als sie am Morgen dann ihre mit Lockenwicklern bestückten Tiere fand, war sie einem Nervenzusammenbruch nahe.
Ein Jahr später hatte jemand vor einer Flugshow der Falkner, anlässlich eines Besuches ranghoher Mitglieder der internationalen Falknervereinigung, sämtlichen Vögeln Dutzende toter Küken in die Volieren geworfen. Die völlig überfressenen Tiere hatten danach ihre Halter lediglich verständnislos angesehen und waren nicht mehr gewillt gewesen, sich in die Lüfte zu erheben.
Kein Monat verging seither ohne gegenseitige Beschuldigungen und Klagen. Vor wichtigen Terminen wurden nachts Posten vor den Gehegen aufgestellt. Gerda Meier hatte sogar mit ihrem Zwergpudel Jonathan die Hundeschule besucht und versuchte verzweifelt, ihn abrichten zu lassen. (Der Befehl „Fass!“ funktionierte bisher leider nur bei Leberwurstbroten.)
Selbst den Kindern wurde der Kontakt zu den Sprösslingen des jeweils anderen Vereins verboten.
Und nun sollte er, der auf der Jahrestagung der Falkner eine Ansprache gehalten (und danach ein fantastisches Kaninchen in Weißweinsauce genossen) hatte, der stellvertretenden Vorsitzenden der Kaninchenzüchter Geld aus dem Kreuz leiern.
Mit einem schweren Seufzen überlegte er sich eine Strategie. Natürlich konnte er als Vorgesetzter es ihr einfach anordnen, aber sie war auch Politikerin des Koalitionspartners im Stadtrat und konnte ihm dort das Leben zur Hölle machen.
Ein wuchtiges Hämmern an seine Tür ließ ihn zusammenzucken. Er setzte sich auf und atmete tief durch. Vorsichtshalber noch einmal.
„Herein!“ Er hoffte, die dicke Eichentür hatte seine Unsicherheit verschluckt und seine Aufforderung irgendwie in ein einschüchterndes Grollen verwandelt.
Langsam wurde die Tür aufgeschoben und Frau Meier stolzierte in den Raum. Die himmelblaue Bluse unter ihrem rosafarbenen Strickjäckchen war hochgeschlossen und ihr langer dunkelkarierter Rock reichte bis zu den Knöcheln. Die grauen Haare streng zu einem Zopf geflochten, durchbohrte sie ihn mit einem eisigen Blick durch ihre Hornbrille, die ihr ein katzenhaftes Aussehen verlieh. Das charmante Lächeln erreichte die Augen nicht. „Sie wollten mich sprechen, Herr Bürgermeister.“
„In der Tat, Frau Referatsleiterin.“ Überschwänglich wies er auf einen Stuhl. „Aber setzen Sie sich doch.“
Ohne ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen, nahm sie Platz und schlug langsam die Beine übereinander. „Worum geht es?“
„Ein Bild wurde heute beschädigt“, erzählte er beiläufig und hob entschuldigend eine Hand, als wäre es unter ihrer Würde sich um eine derartige Banalität kümmern zu müssen. „Es müsste gereinigt und restauriert werden. Würden Sie das bitte veranlassen?“
„Nichts lieber als das, aber das Budget...“ Sie zuckte mit einem grausamen Lächeln die Schultern.
„Ach?“ Er sah sie mit gespielter Überraschung an und wies dann auf seinen Rechner. „Das Programm meinte, sie hätten noch ausreichend Mittel, um so etwas leicht stemmen zu können.“
„Theoretisch ja“, gestand sie gelangweilt. „Aber Ende des Jahres steht noch die Kleintiermesse an, bei der wir als Sponsor in Erscheinung treten wollten.“
„Was hat das mit dem Kulturbudget zu tun?“, erkundigte er sich verständnislos.
„Aber Herr Bürgermeister! Hier im Ort werden seit über 130 Jahren Kaninchen gezüchtet und der Züchterverein ist der älteste eingetragene Verein der Stadt. Das ist praktisch schon ein Kulturerbe.“
„Ich verstehe.“ Er trommelte genervt mit seinen Fingern auf den Schreibtisch, während er sie kalt musterte.
Natürlich war ihnen beiden bewusst, ein Auftreten als Sponsor auf einer Messe wäre ein Missbrauch der Mittel für Kultur. Und gleichzeitig war bekannt, dass die Weicheier der Finanzverwaltung deshalb keinesfalls einen Aufstand starten würden. Nicht gegen eine Gerda Meier. Also würde es zwischen ihnen beiden ausgetragen werden. Stumm duellierten sie sich mit Blicken.
Nur leider hatte auch er seine Leichen im Keller und war sich nicht sicher, ob sie davon wusste: Der weitläufige Grillplatz hinter seinem Haus war von der gleichen Firma gepflastert worden, die überraschend den Zuschlag für die Ausbesserungsarbeiten in der Fußgängerzone erhalten hatte. Die Stadt kam das zwar teurer, aber er hatte sich ordentlich was gespart. Glich sich also aus.
Daher konnte er in dieser Richtung ebenfalls keinen Angriff riskieren. Doch er musste in die Offensive gehen. Nur so kam er bei ihr weiter.
„Also bitte, wir sprechen hier immerhin von einem Werk von Sebastian Bierdimpfel.“ Der Bürgermeister sah sie streng an.
„Der abgehauen ist, als 1832 die Brauerei abbrannte, weil den alten Säufer außer dem guten Bier nichts in unserer Stadt hielt“, schoss sie sofort zurück.
„Wie auch immer.“ Er winkte ab. „Ein derartiger Kulturschatz wie das älteste Abbild unserer Heimatstadt muss unbedingt erhalten werden.“
Sie betrachtete ihn, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Finden Sie nicht auch?“
In Gerdas Gesicht rührte sich kein Muskel.
„Ich könnte auch bei der nächsten Jahresversammlung der Kaninchenzüchter eine kurze Rede halten“, bot er leise an.
Eine ihrer Augenbrauen rutschte nach oben, aber ansonsten hatte sie sich nicht bewegt.
„Und vielleicht auch zum Essen bleiben.“ Erschrocken biss er sich auf die Lippe. So weit hatte er eigentlich nicht nachgeben wollen. „Wo findet denn die Versammlung statt?“
„Im Veggie Paradies.“
Der Bürgermeister schluckte schwer.
„Es gibt Ratatoullie“, schmetterte sie ihm ins Gesicht. In seinen Ohren klang es eher wie eine Gewehrsalve und so gar nicht nach einem Gemüseeintopf.
„Als Beilage?“, fragte er vorsichtig und ruderte sofort zurück, als sich ihre Miene verfinsterte. „Ich meine, als Beilage wäre ein gemischter Salat sicherlich empfehlenswert.“
„Mit einer Spinat-Sojamilch-Sauce.“ Sie beugte sich etwas vor und spießte das Stadtoberhaupt, das fast jede Woche auf Social Media Bilder seiner ausschweifenden Grillpartys postete, mit Blicken auf.
Er kämpfte den Würgereiz nieder. Warum hatte er sich nur dazu hinreißen lassen diese strenggläubige Veganerin so plump überreden zu wollen?
„Wann ist denn die Versammlung?“ Er hoffte, sich mit irgendwelchen Terminen herausreden zu können.
„Letzter Samstag im August.“
„Da startet die neue Bundesliga-Saison.“ Blankes Entsetzen sprach aus seinem Blick, aber prallte an ihrer steinernen Miene ab. Seine Schultern sackten nach unten. „Was ich mir sicherlich besser in Ruhe am nächsten Tag ansehen kann...“
Sie erhob sich langsam und gebieterisch. „Ich werde prüfen, ob die Kulturabteilung Gelder für die Restaurierung freimachen kann.“
Er nickte geschlagen und sah zu Boden.
„Ach eins noch“, fiel ihm ein. „Wenn ich sie gerade hier habe. Meine Tochter möchte partout zum Geburtstag ein Kanin...“
„Zwei!“, schrie sie aufgebracht. „Mindestens! Einzelhaltung ist ein Verbrechen.“
Er starrte sie mit offenem Mund an.
„Selbstverständlich kann ich Ihnen hierzu weiterhelfen, Herr Bürgermeister.“ Sie schenkte ihm ein weiches Lächeln. „Der Kaninchenzüchterverein wird mit Freuden bei der Auswahl helfen. Natürlich werden wir auch mit Rat und Tat bei der Aufstellung der Stallungen, den Außengehegen und den Schutzgittern vor gierigen Greifvögeln behilflich sein.“
Mit weit aufgerissenen Augen nickte er nur ergeben.
„Keine Sorge!“, versicherte sie energisch und ballte kämpferisch die Faust. „Wir Kaninchenhalter stehen zusammen. Aber zuerst muss ich mich um die sofortige Säuberung und Restaurierung eines wichtigen Kunstschatzes kümmern.“
Er entließ sie mit einem hilflosen Winken.
Kopfschüttelnd stand er auf und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen.
Klaus sah ihn fragend an. „Und?“
„Was und?“
„Na rückt sie die Kohle raus?“
„Ich bin der Bürgermeister!“ Er sah seinen Untergebenen entrüstet an. „Wenn ich sage, wir machen das so, dann machen wir das so!“
Er war sich der bewundernden Blicke durchaus bewusst, als er sich seinen Kaffee einschenkte.

 

Hallo @linktofink ,

vielen Dank für deine Anregungen und dein Lob. Ging runter wie Öl.
Noch mehr aufs Gas treten und ins groteske ziehen? Puh, muss ich sehen, ob ich da noch was finde.

Chance verschenkt. Hinter "ein Erdbeben" bieten sich dir so viele Möglichkeiten. "Horst hat seine Aktentasche abgestellt." Oder: "Klaus, was gab`s bei dir zum Frühstück?", nur mal so aus der Hüfte geschossen, da würde dir bestimmt noch etwas Besseres einfallen.
Stattdessen erfahren wir ohne Umweg die Ursache. Hm.
Stimmt, da ist mehr drin. Hab mal ein Provisorium eingebaut, aber das gefällt mir noch nicht.

So ein Bagger mit Presslufthammer?
Kleinigkeit. Bagger haben einen Hydraulikhammer = Öl, keine Pressluft. Frage ist, ob die Bürohengste das wissen. Mich hat es stolpern lassen.
Ok danke, wieder was gelernt. Habe es angepasst ... ein wenig zumindest.

Du hast einige interessante Anregungen angebracht. Nur habe ich da noch keine Ahnung wie und ob ich das umsetzen kann. Mal sehen.

Schöne Grüße
Tsunami

 

Hallo @Tsunami,

ich liebe witzige Geschichten, einfach, weil ich sowieso gerne lache, aber wer tut das nicht und andererseits, weil wir alle grad auf diesem Planeten fast gar nichts mehr zum Lachen haben. Daher lechze ich geradezu nach Witz und selbstverständlich auch Satire.

Deine Geschichte über diese typische kleinbürgerliche Hin-und Herschieberei von Haushaltsgeldern einer Gemeinde oder eines Landkreises ist einfach herrlich angenehm zu lesen. In einem Rutsch runter mit ein paar Lachern dazwischen und zwar immer dann, wenn du mich mit neuen witzigen Ideen überrascht hast.
Sie hat mir sehr gut gefallen, deine Geschichte und ich empfinde sie auch als Satire, was hier in diesem Forum ganz oft, obwohl es laut Tag so bezeichnet wird, gar nicht der Fall ist. Bei dir ist der Seitenhieb auf das leicht korrupte Verhalten einiger, die an den Geldquellen sitzen, schön herausgearbeitet.

Klar wären wir nicht bei den Wortkriegern, wenn es nicht auch ein büschen was zu kritisieren gibt, aber du bist ja nicht nur hier, um dir Komplimente abzuholen.
Ich geh mal im Detail vor:

Mir fiel auf, dass du bei der wörtlichen Rede etwas machst, was alle gerne machen und meist erst nach einer ganzen Weile abzulegen vermögen und das ist dies gleich hinter der wörtlichen Rede Stehende, das meist nochmals mit einem bestimmten Verb die Rede selbst untermalen, unterstreichen, betonen soll.
Tatsache ist, dass es meist nicht viel bringt, aber diese Erkenntnis gewinnt man oft erst nach einer gewissen Zeit, daher könnte ich gut verstehen, wenn du dich jetzt weigerst, da was wegzustreichen oder zu verändern.
Der Fokus einer wörtlichen Rede liegt ausschließlich auf dieser! D.h. sie allein muss im Idealfall in der Lage sein, alles rüberzubringen, was man als Autor aussagen will.
Also einerseits den Sachverhalt, andererseits die Emotionen, die Stimmung. Glaube mir, das kann gelingen, wenn man sich darauf konzentriert und nichts auslagert, wie du es z.B. hier getan hast.

„Himmel, was ist das denn?“, fluchte Klaus. „Ein Erdbeben?“
Zum einen bin ich der Auffassung, dass es kein Fluchen ist, wenn man so einen Satz sagt, zum anderen könntest du einfach schreiben: "sagte Klaus"

Und zu deiner mentalen Unterstützung erlaube ich mir, dir ein Urgestein der Literatur beiseite zu stellen und das ist Stephen King. Der hat nämlich in seinem Buch "Das Leben und das Schreiben" sich mit dem Thema "wörtliche Rede" befasst und dieses Dilemma auch erkannt.
Er ist der Auffassung, dass man sich eben vor solchen besonderen Verben bei der wörtlichen Rede hüten soll, sie also möglichst durch das schlichte " er sagte, sie sagte, es sagte" ersetzen sollte, wenn überhaupt die wörtliche Rede nicht auch ohne auskommt, was ja manchmal durchaus der Fall ist. Er war davon überzeugt, dass man als Leser genau dieses "er sagte, sie sagte, etc." gar nicht mehr wahrnimmt, es sei denn, man benötigt es als Info und dann würde sich keiner dran stören.
Ich werde nochmals gucken, ob ich die Stelle in seinem Buch finde und ob ich da jetzt zu freiflottierend drüber geschrieben habe, aber im Tenor liege ich richtig mit dieser Wiedergabe.

„Spinnst du?“, fragte Werner entsetzt. „Es ist gerade mal neun Uhr. Vor halb zehn taucht nie einer von denen auf.“
Auch hier habe ich bereits ein wenig Probleme mit dem "entsetzt" denn es ist ja eher ein Vorwurf. Übrigens witzige Antwort.
„So ein Bagger mit Presslufthammer? Wie soll man da arbeiten können? Klaus, setz besser ne frische Kanne auf.“
Hier würde ich mehr die Sprache wählen, wie wir so sprechen und das Wort "können" streichen.
Die Kollegen sahen sich abwartend an.
eventuell: ...sahen sich abwechselnd abwartend an?
„Zähl deine Regenwürmer und versuch es nicht mit Witzen“, tönte es gereizt aus einem Zimmer.
Perfekt und witzig.
In der Küche lächelte man sich fröhlich an.
Grinste man nicht eher?
„Veranlassen sie die Restaurierung des Kunstwerkes.“ Das Stadtoberhaupt wandte sich gelangweilt ab.
Veranlassen Sie ...
Und die Zeit blieb stehen. Alle starrten Werner entsetzt an.
Herrlich!
Die IT nannte sie schlicht nur ‚den Endgegner‘.
Musste lachen.
Ein Jahr später hatte jemand vor einer Flugshow der Falkner, anlässlich eines Besuches ranghoher Mitglieder der internationalen Falknervereinigung, sämtlichen Vögeln Dutzende toter Küken in die Volieren geworfen. Die völlig überfressenen Tiere hatten danach ihre Halter lediglich verständnislos angesehen
Hier ist für mich der Höhepunkt: Ich habe sie direkt vor Augen, die vollgefutterten Raubvögel, die null Motivation haben, in die Lüfte zu steigen und wahrscheinlich uns Menschen mal wieder einhellig für reichlich sonderbar halten.
Der Befehl „Fass!“ funktionierte bisher leider nur bei Leberwurstbroten.)
Witzig.
Langsam wurde die Tür aufgeschoben und Frau Meier
Nee, die Meier ist doch keine Langsamtüraufmacherin, die ist eine "energische" Türaufmacherin.
sie hätten noch ausreichend Mittel um so etwas leicht stemmen zu können.“
Bitte hinter Mittel ein Komma setzen
„Aber Herr Bürgermeister!“, widersprach sie vehement. „Hier im Ort werden seit ü
Dass sie widerspricht und das vehement ist schon in dem vorwurfvollen "Aber Herr Bürgermeister" drin ich würde den Mittelteil ganz weglassen und man weiß ja auch, wer spricht, sie einfach durchgängig reden lassen.
von einem Werk von Sebastian Bierdimpfel.“ Der Bürgermeister sah sie streng an.
„Der abgehauen ist, als 1832 die Brauerei abbrannte, weil den alten Säufer außer dem guten Bier nichts in unserer Stadt hielt“, schoss sie sofort zurück.
Herrlich dieser bekloppte Name und die perfekte Antwort, hat mir gefallen.
„Als Beilage?“, fragte er vorsichtig und ruderte sofort zurück
Haha ...
„Da startet die neue Bundesliga-Saison.“ Blankes Entsetzen sprach aus seinem Blick, aber prallte an ihrer steinernen Miene ab. Seine Schultern sackten nach unten. „Was ich mir sicherlich besser in Ruhe am nächsten Tag ansehen kann...“
Super Szene.
„Ach eins noch“, fiel ihm ein. „Wenn ich sie gerade hier habe. Meine Tochter möchte partout zum Geburtstag ein Kanin...“
„Zwei!“, schrie sie aufgebracht. „Mindestens! Einzelhaltung ist ein Verbrechen.“
Hier gefällt mir dein Timing irre gut. Du machst eben nicht: Er sagte, sie sagte und jeder darf brav seinen Satz zuende reden, sondern sie grätscht total dazwischen und das macht es witzig.
‚Manchmal kann man doch noch Frieden schließen‘, dachte er schmunzelnd. ‚Und alles, was es dafür brauchte, war ein Ort, der aus dem Rahmen fällt.‘
Für mich bräuchte es diesen Satz rein gar nicht. Schon mal überlegt, den zu streichen?

Also, falls du öfter vorhast, solche Texte zu schreiben, hast du bereits mit mir eine Teilnehmerin deiner Fan-Gruppe eingefahren. Weiter so!

Liebe Grüße

lakita

 

Hallo @lakita,

vielen Dank für dein Lob und deine Kritik. Einiges habe ich gleich umgesetzt.
Als ich deine Kritik las, schwoll mein Herz an in der Brust.
Dann wurde es herausgerissen!
Stephen King?! Den einen Autor, den ich mir immer geschworen habe sicherlich niemals gar nie nicht zu lesen, legst du mir ans Herz?
Zugegeben, wahrscheinlich besser als die verschachtelten 60-Wörter-Sätze von Thomas Mann, aber ich mag das Genre Horror nicht. (Wobei mir zugegebenermaßen mal jemand sagte, es wäre Horror, wenn sie meine Fantasy lesen müssten...egal, tut nichts zur Sache)
Lass es mich so ausdrücken: Ich weiss, was du mir sagen willst und stimme dir auch zu (mhm...zu 85%. Meinetwegen 90%!), nur versuche ich ehrlich gesagt, die Formulierung "er/sie/es sagt" zu vermeiden wie der Deibel das Weihwasser.
Grund? Ich finde das Wort eben so völlig emotionslos. Wenn ich einen apathischen, zugekifften Typen habe, ja dann verwende ich "sagen". Oder in einem Sci-Fi Szenario, wenn ein Roboter spricht. Sonst ungern (oder nur versehentlich).
Und ich muss Herrn König ein wenig widersprechen: ja, meist überlese ich das tatsächlich, aber manchmal fällt es mir auf und dann stört es mich.

Zumindest weiss ich nun, warum das Wort hier im Forum so exzessiv verwendet wird - hatte mich schon gewundert.
Tatsächlich bin ich inzwischen eher bemüht diese "Sprech-Verben" vermehrt durch Tätigkeiten zu ersetzen.

"Ne." Fritz bohrte in der Nase.
"Doch, sicher." Seine Schwester sah ihm zu...

Problematisch dabei finde ich, dass man hier praktisch gerne versucht, zwei Geschichten zugleich zu erzählen. Eine gesprochene und eine durch Handlung erzeugte. Macht zwar Spaß, so etwas zu schreiben, aber finde es anstrengend zu lesen.

Der Fokus einer wörtlichen Rede liegt ausschließlich auf dieser! D.h. sie allein muss im Idealfall in der Lage sein, alles rüberzubringen, was man als Autor aussagen will.
Also einerseits den Sachverhalt, andererseits die Emotionen, die Stimmung. Glaube mir, das kann gelingen, wenn man sich darauf konzentriert und nichts auslagert, wie du es z.B. hier getan hast.
Puh, hier muss ich ehrlich zugeben: Ne, schaffe ich nicht. Halte ich auch für extrem schwierig. Wenn es eine sachliche Diskussion ist, meinetwegen. Ein emotionales Gespräch mit etwas Sarkasmus gewürzt? Kaum machbar. Denn oftmals macht der Ton die Musik. Den höre ich als Schreiberling, aber nicht als Leser. Zumindest nicht so leicht, wenn es keine Hilfestellung gibt.

Also, falls du öfter vorhast, solche Texte zu schreiben, hast du bereits mit mir eine Teilnehmerin deiner Fan-Gruppe eingefahren. Weiter so!
Vielen Dank für die Blumen, aber ich betrete hier absolutes Neuland.

Nochmals Danke für dein Lob. Und den Augenöffner.

Schöne Grüße
Tsunami

 

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