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Der Pakt

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03.08.2002
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Der Pakt

Die Türen der U-Bahn öffneten sich und Manuel trat ins Freie. Die Luft ihm Untergrund Berlins war eindeutig zu kühl für Ende September. Auch sein Mantel konnte nichts daran ändern, dass Manuel augenblicklich Gänsehaut packte. Die Uhr über dem Haltestellenschild stand auf Punkt elf.
Manuel seufzte. Eigentlich hatte er schon vor drei Stunden in ihrer Wohnung bei Clarissa sein wollen. Verdammt, er hatte es ihr versprochen. Unweigerlich stellte er sich seine Frau weinend im Sessel sitzend vor. Es musste ihr den ganzen Tag über dreckig ergangen sein. Der 21. September war für sie beide das wichtigste Datum des Jahres, auch wenn es keiner von ihnen laut aussprach. Denn an diesem Tag, vor sechs Jahren, hatte ein Arzt ihr das Ergebnis ihres Fruchtbarkeitstests überbracht und damit den Kinderwunsch zu einer hoffnungslosen Sehnsucht werden lassen. Selbst modernste Technik war in diesem Fall machtlos.
Und noch etwas gab es, das er an diesem Tag hätte erledigen müssen. Denn ebenfalls am 21. September war sein Vater ermordet worden. Das war 1969 gewesen. Acht Monate vor seiner Geburt.
Für Manuel war es zu einem Ritual geworden, an diesem Datum seine schlichte Grabstätte zu Besuchen und dort einen Strauß Blumen nieder zu legen. Er konnte sich nicht daran erinnern, dies irgendwann einmal versäumt zu haben. Bis heute.
Er versuchte die Gedanken an das traurige Gesicht der Frau, die er liebte, und an das Gesicht seines Vaters, das er nur von ein paar Fotos kannte, zu verdrängen und machte sich auf zu einer Bank, auf der eine Frau asiatischer Herkunft unruhig die ausgestiegenen Fahrgäste betrachtete.
Der geschundene Aktenkoffer in seiner Hand gab ächzende Geräusche von sich, während Manuel seine müden Beine in Bewegung setzte.
Verdammt, wieso tue ich mir das Ganze an?, dachte er und erkannte, dass die U-Bahn-Haltestelle Wilmersdorfer Straße in ihrer Tristes nicht der richtige Ort für solche Fragen war. Als er sich auf der Bank niederließ, sah er aus den Augenwinkeln, wie die Asiatin ein Stückchen weiter von ihm wegrutschte. Er sah ihr ins aufgedunsene Gesicht und sagte: „Guten Abend.“
„Abend“, erwiderte die Frau kaum hörbar.
Er zündete sich eine Zigarette an und versuchte zu vergessen. Er war müde, sein Körper – und vor allem sein Geist – hatten einen zwölf Stunden Arbeitstag als Verlagsvertreter hinter sich und konnten einen Moment Ruhe vertragen. Clarissa würde sowieso schon schlafen.
„Chino“, hörte er schwach eine Stimme. Zunächst glaubte er, sie käme von einem der drei Anzugträger, die sich rechts von der Bank um den Süßigkeitenautomaten versammelt hatten, dann hörte er es erneut, diesmal etwas kräftiger und eindeutig hinter seinem Rücken.
„Chino.“ Es gab keinen Zweifel. Wie lange hatte er diesen Namen nicht mehr gehört! Aber war es möglich…
Er drehte sich um und sah einen Schemen, der in einer Ecke neben einer schweren Eisentür hockte, auf der NUR FÜR PERSONAL stand.
Er wollte sich gerade abwenden, als der Schemen eine Handbewegung machte. Er deutete Manuel, zu ihm zu kommen. Manuel glaubte zu erkennen, dass der Mann, der dort im Schatten der mäßig Licht spendenden Neonröhren saß, eine Art Gewandt trug. Oder vielleicht war es ein Mantel. Und langes Haar schien er zu haben.
Sein Verstand sagte ihm, dass es das Beste – das Vernünftigste – war, einfach zu verschwinden ohne auch nur einen weiteren Blick in diese Richtung zu werfen.
Doch seine Neugier war stärker. Chino, so hatten ihn seine Kumpel während seiner sechs Semester Studium der Germanistik an der Uni genannt. Seine drei besten Kompadre, die, mit denen er exzessartig gesoffen und mit denen er alle seine sexuellen Erfahrungen mit den Studentinnen (Gelehrtenmuschis, hatten sie sie unter sich genannt) bis ins Detail erörtert hatte. Diesen Namen hatte er seiner damaligen Vorliebe für Kung-Fu-Filme zu verdanken gehabt, von denen er eine beachtliche Sammlung besessen hatte. In mindestens einem Viertel der Vorspanne war der Darsteller Wang Chino Min aufgetaucht.
Und so ließ Manuel die kräftig gebaute Asiatin zurück und schritt unsicher auf den Bereich der Station zu, der die Mitte der Strecke zwischen den beiden Ausgängen markierte, die an die Oberfläche führten. Seine Augen blieben stur auf den Schemen gerichtet, dessen Konturen sich nun verdeutlichten.
„Chino“, wiederholte dieser. „Chino, komm zu mir!“ Eine gewisse Belustigung in der Stimme war nicht zu leugnen.
Die U-Bahn setzte sich in seinem Rücken mit metallenem Quietschen in Bewegung, als Manuel wenige Schritte vor dem am Boden kauernden Mann stehen blieb. Mit dem Gewand hatte Manuel nicht falsch gelegen. Kutte wäre ein ähnlich guter Begriff für den schwarzen zerschlissenen Stoff gewesen, den der Mann am Körper trug. Doch was er für langes Haar gehalten hatte, war nichts anderes, als eine tief in die Stirn gezogene Kapuze.
Unter ihr waren von der Augenpartie nur die Tränensäcke zu erkennen. Aufgedunsen und mit etlichen kleiner Fältchen durchzogen. Das auffälligste aber war die Hakennase, geformt wie der Schnabel einer Krähe.
„Meinen Sie mich?“, fragte Manuel und erschreckte ob seiner brüchigen Stimme.
Der Mann, der Manuel trotz seines Standorts und dem abgehalfterten Gewand keineswegs an einen Bahnhofspenner erinnerte, schien es nicht für nötig zu halten, darauf zu antworten.
„Wenn unser Gespräch beendet ist, wird dein Leben mit einem Sinn erfüllt sein“, drang die Stimme aus zwei verschrumpelten Lippen, die vielleicht nicht nur aufgrund der Lichtverhältnisse eine bläuliche Färbung trugen.
„Woher kennen…“, begann Manuel, wurde aber von dem schrillen, abgehackten Kichern des Alten unterbrochen.
Als es abgeklungen war, fügte er hinzu: „Magst es nicht glauben, doch deine Existenz ist für mich von Bedeutung. Stell nicht zu viele Fragen. Das was deinerseits von Bedeutung ist, wirst du von mir erfahren!“ Er öffnete den Mund und ließ seine – ebenfalls bläuliche (Oh, Herr, bitte lass das beschissene Licht daran Schuld haben!) – Zunge zwischen gelben Zahnreihen zum Vorschein kommen. Er ließ sie ein paar Mal auf und ab schlagen und zog sie dann zurück in ihre finstere Behausung.
Manuel spürte den Impuls, sich so weit wie möglich von dem Mann im Schatten zu entfernen, in sich wachsen. Wie ein starkes Kribbeln unter der Haut. Besser, unter seinem Brustkorb, ganz tief in seinen Eingeweiden. Es war nicht nur das kryptische und beängstigende Gerede, es war nicht nur die Tatsache, dass er seinen Namen aus der Jugendzeit kannte, oder seine Kleidung, die man einfach mit Verderben assoziieren musste… Es war alles an der Gestalt.
Aus dem weiten Ärmel ließ der Mann mit der Hakennase einen Briefumschlag in seine rechte Hand gleiten. Es war, als sähe man einem kleinen Zaubertrick zu.
Er streckte den Arm vor und Manuel trat reflexartig einen Schritt zurück.
„Nimm“, sagte der Schemen.
Manuel schüttelte den Kopf. Ihm war nicht einfach nur mehr kühl, sein Körper zitterte vor Kälte. Er wollte weg von hier. So schnell wie möglich.
Doch es schien, als hätte sein Wille keine Bedeutung mehr für seinen Körper.
„Nimm“, sagte der Mann im Dunkeln erneut und grinste. Er war die Hexe, die Hänsel den wohlschmeckenden Lebkuchen reicht, mit dem Hintergedanken, wie wohl sein Brustfleisch schmecken mochte.
„Dir ist keine andere Wahl gegönnt. Und jetzt akzeptiere und nimm!“
Ohne es zu wollen trat Manuel vor und streckte eine Hand nach dem Briefumschlag aus. Für einen kurzen Moment hielten beide den Brief. Manuels Fingerspitzen waren nur wenige Zentimeter von den eingekerbten, grauen Fingernägeln des Schattens entfernt.
Nur ein Augenblick, doch Manuel zweifelte nicht daran, dass das Bild dieser unterschiedlichen Finger, die sich beinahe berührten, noch lange, lange in seinen Träumen betrachten würde.
Etwas ist übergegangen, dachte er voller Entsetzen. Wie bei Michelangelos Erschaffung des Adams.
Später, zwischen der zweiten und dritten Stunde des neuen Tages, den er mit wenig Schlaf beginnen würde, sollte ihm ein anderer Vergleich kommen: Der Pakt des Faust mit Mephisto.
Dann glitten die dürren Finger des Mannes von dem Papier und überließen Manuel den Brief.
„Was ist…“, stotterte dieser, doch der Mann unterbrach ihn: „Du wirst mir helfen. Mir und dir selbst. Drei Bilder sind in dem Umschlag enthalten. Nette Gesichter, allesamt.“ Er gackerte erneut ein Kichern.
„Denk an sie!“, fuhr er fort. „An die Gesichter. Du weißt wie, du weißt warum du.“
„Ich… Nein, wer Sie auch…“
Das Anheben des knochigen Zeigefingers überzogen von furchiger Lederhaut genügte, um Manuel verstummen zu lassen.
Der Schemen legte den Kopf in den Nacken, und Manuel machte sich bereits darauf gefasst machte, seine Augen sehen zu müssen. Doch diese blieben weiter im Verborgenen. Dies änderte sich auch nicht, als über ihm aus zwei Schweißnähten der über ihm verlaufenden Rohre grünes Licht aufleuchtete. Es erstrahlte die Wand, doch die Gestalt des Mannes blieb weiterhin in Dunkelheit gehüllt, als könnte sie diese aus sich selbst erzeugen.
Grünlicher Rauch trat aus den beiden Stellen und senkte sich in Wirbeln zu Boden. Wie Nebel kroch er um Manuels Knöchel und breitete sich weiter aus.
Zwei Männer mit Bierbäuchen und langem, fettigen Haar näherten sich Manuel und dem Schatten, und für einen Moment keimte in Manuel die Hoffnung auf, sie würden die Situation auf irgendeine Weise klären und ihr den Schrecken nehmen. Etwa indem sie anfangen würden den Schemen anzupöbeln. Doch nichts geschah. Der eine blickte Manuel kurz in die Augen, ging dann aber ungerührt an ihm vorbei. Den grünen Rauch schienen sie nicht zu bemerken.
Als er sich umdrehte, sah er, dass auch die Asiatin und die drei Männer am Süßigkeitenautomaten keine Notiz von dem Geschehen nahmen.
Ein leises Grollen kam auf. Manuels erster Gedanke war, dass eine weitere Bahn in die Station einfuhr, doch dann sah er wie sich Steinbrocken aus dem Mauerwerk zu beiden Seiten des Schattenmannes zu Boden fielen. Staub und grünlicher Rauch bildeten ein Gemisch, hinter dem der Schemen Manuel weiterhin angrinste.
Hinter ihm fiel das Mauerwerk nun mit lautem Krachen in sich zusammen.
„Zwei“, sagte er und richtete sich in die Hocke auf. „Zwei Mal werde ich dir noch begegnen.“ Dann schritt er rückwärts ähnlich einem Troll durch das entstandene Loch in die dahinter liegende Finsternis.

Seine Frau schlief bereits, als Manuel nach Hause kam. Er hörte ihr monotones Schnarchen bereits, als er noch in der Tür stand. Er hängte seinen Mantel an die Garderobe und entschied, dass er sich ebenfalls hinlegen würde. Er würde zwar nicht schlafen können, aber er wollte nahe bei Clarissa sein, wollte die Wärme spüren, die von ihrem Körper ausging.
Bevor er jedoch ins Schlafzimmer ging, griff er in seine Manteltasche. Die wage Hoffnung, er würde nichts weiter, als seine Zigarettenschachtel ertasten, erfüllte sich nicht. Seine Finger ertasteten den Briefumschlag.

„Morgen, Schatz“, begrüßte ihn Clarissa, als er mit schmerzendem Rücken und noch halbgeschlossenen Augen in die Küche trat. Ihr molliges Gesicht zeigte ein Lächeln, als sie auf eine Tasse Kaffee auf dem Tisch deutete.
„Danke“, brachte Manuel hervor.
Nachdem er sich gesetzt hatte, griff er zu der Zigarettenpackung auf dem Tisch. Er machte sich gerade daran, sich eine Kippe anzuzünden, als sein Blick auf Clarissa fiel, und dem Gegenstand, den sie in der Hand hielt.
Ihr Lächeln wurde breiter.
„Du brauchst dich nicht dafür zu schämen“, sagte sie. Sie kam zum Tisch und legte Manuel den vergilbten Briefumschlag hin. „Es macht mir nichts aus, ich bin da offen!“
Verwirrt nahm er den geöffneten Umschlag in die Hand und sah drei Fotos darin. Wie man es ihm gesagt hatte.
„Na los doch. Hol sie raus!“
Er blickte zu seiner Frau, um sich zu vergewissern, dass das Abgebildete tatsächlich harmlos war, dann nahm er sie raus.
Er hatte mit allem Möglichen gerechnet, doch damit nicht. Die Fotos zeigten zwei Männern beim Liebesspiel. Und einer von diesen schmächtigen Typen war er selbst. Ohne Zweifel.
Und als ob das nicht bereits reichen würde, glich ihm der andere so stark, dass ein Außenstehender sicher davon ausgegangen wäre, sie seien Brüder.
Ein Foto zeigte, wie er den Schwanz seines Partners im Mund hatte, ein weiteres, wie der Schwanz des anderen in seinem Arsch steckte.
Eine Flut von Gefühlen ergoss sich über ihn, und für einen Moment befürchtete Manuel, er könnte in Ohnmacht fallen. Doch dann legte sich dieses Gefühl sich wieder, und stattdessen brach er in hysterisches Gelächter aus.

Als er gegen Mittag in einem Straßencafe saß und ein Schinkenbaguette aß, hatte er das Ganze (alles ab dem Zeitpunkt, an dem er gestern aus der U-Bahn gestiegen war) als Traumgebilde abgetan. Wahrscheinlich eine Art Nervenzusammenbruch. Man las oft in den Zeitungen heutzutage oft über die Zunahme psychischer Probleme bedingt durch Stress. Wieso sollte nicht auch er ein Opfer davon geworden sein?
Vielleicht hatte der Stress irgendwelche Gedankensplitter, die in seinem Unterbewusstsein vergraben gewesen waren, zum Vorschein geholt und so die Erscheinungen erschaffen. Die Chancen standen nicht schlecht, dachte Manuel, dass er die Schattengestalt eines Tages in der Videothek auf dem Cover eines Horrorstreifens aus den 70gern wiederentdecken würde.
Und die Sache mit den Bildern? Nun ja, wahrscheinlich hatte es Zeiten gegeben, in denen er auch dem männlichen Körper sexuelles Interesse entgegengebracht hatte. Wenn man Lifestylemagazinen vertrauen konnte, war dies nichts Ungewöhnliches. Würde er Clarissa heute Abend darauf ansprechen, würde sie nur ein ungläubiges Gesicht machen und ihn fragen, ob er nicht mehr ganz bei Trost sei.
Ja, genau. So war’s!
Mit diesem Bewusstsein ließen sich die letzten vier Arbeitsstunden gut überstehen, in denen er Belegexemplare eines kitschigen Westerns und einer noch kitschigeren Romanze, in der eine Sekretärin sich scheinbar aussichtslos in ihren jungen, gut aussehenden Chef verliebte, allerlei Buchhändlern in die Hand drückte.
Es reichte jedoch nicht aus, um U-Bahn Linie 14 zu besteigen, die Halt an Station Wilmersdorfer-Straße machte.

„Komm“, sagt ein junger Mann und streckt ihm die Rechte entgegen. „Komm!“
Doch Manuel will diese Hand nicht ergreifen. Sie ist durch entstellt, wie durch Feuer gezeichnet.
Die Finger sind beinahe zusammen gewachsen und enden nicht in Nägeln. Die Haut ist aufgequollen und mit Schlieren überzogen.
Manuel schaut sich um. Er steht in einer Art leer stehender Lagerhalle. Durch die eingeschmissene Fensterfront fällt nur das fahle Licht des Mondes. Er will gerade etwas sagen, da fällt sein Blick auf das Loch in der Wand der gegenüberliegenden Seite. Es ist so hoch und breit, dass ein Mann hindurchpasst, geht er gebückt. Dahinter pulsiert inmitten von Schwärze ein grünliches Licht. Gleich einem Herzen zieht es sich zusammen, um sich im nächsten Moment wieder auszudehnen. Zieht sich zusammen, dehnt sich aus, zieht…
Auch an den ungleichmäßigen Rändern des Lochs ist dieser grüne Schimmer anzutreffen.
Im selben Moment, da Manuels Verstand die Befürchtung hegt, dass der Mann ihn zur Öffnung führen will, spürt er auch schon dessen Hand auf seinem Unterarm. Manuel schaut zu ihm auf. Der junge Mann nickt nur und deutet auf das Loch in dem das Grün pulsiert..
Schrecken steigt in ihm auf. Seine Angst warnt ihn vor dem, was dahinter auf ihn warten mag. Doch er geht.
Einen Fuß vor den anderen setzend folgt er dem jungen Mann. Durch den dünnen Stoff der grauen Lumpen, die er am Leib trägt, zeichnen sich deutlich seine Knochen ab. Besonders die Hüftknochen treten deutlich hervor und erinnern Manuel an das Bild eines KZ-Häftlings . Dennoch ist sein Griff um sein Handgelenk fest, ja beinahe schmerzend. Auch seine Schritte erscheinen kraftvoll. Zielgerichtet zieht er Manuel mit sich.
Die Halle erscheint Manuel riesig. Als sie einige Meter vor der Wandöffnung zum Stehen kommen, fühlt es sich für ihn dennoch so an, als hätten sie zu ihrer Durchquerung nur wenige Augenblicke gebraucht.
Das Pulsieren des grünen Lichts ist hier nicht mehr nur zu sehen, man spürt auch die von ihm ausgehenden Vibrationen. Doch nicht nur das: Der Boden scheint es ihm gleich machen zu wollen, und hebt und senkt sich von der Hallenmitte ausgehend.
Der junge Mann dreht sich zu ihm um, und neben Entschlossenheit, erkennt Manuel auch Angst in seinem Blick. Und noch etwas offenbart sich ihm. Das Gesicht kommt ihm bekannt vor, jedenfalls seine Konturen.
Bevor er diesen Gedanken weiter ausführen kann, wendet sich der junge Mann an ihn und nickt erneut.
Jetzt wird es ernst. Ich fürchte ihn, doch wir werden den Ort hinter dem Loch aufsuchen. Wir müssen, hört er die Stimme des Mannes in seinem Kopf.
Dann bewegen sie sich weiter auf das Loch zu. Sie schweben, erkennt Manuel, als er an sich hinunter blickt und sieht, dass seine Schuhe nicht den Boden berühren.
Das grüne Scheinen ist nun nahe, und Manuel schließt die Augen. Im nächsten Moment spürt er, dass um ihn herum eine Veränderung stattfindet. Es fühlt sich an, als hätte die Atmosphäre sich gewandelt. Wäre irgendwie leichter…
Als er die Augen öffnet, ist er umgeben von grünem Licht. Und er und sein Begleiter sind nicht mehr allein.
Es sind dutzende, wenn nicht gar hunderte Gestalten, die in allen Höhen kreisförmig umherschwirren. Wie Tänzer, denkt Manuel, der noch immer die Hand seines Begleiters an seinem Arm spürt. Doch würden diese Tänzer niemals auf einer Bühne geduldet werden. Ihr Aussehen ist entstellt. Ein jeder von ihnen ist bis auf das Skelett abgemagert. Sie tragen Lumpen, wie der junge Mann, doch hängen sie manchem nur noch in Fetzen am Leib und darunter offenbart sich ihr Gedärm durch geöffnete Brustkörbe oder aufgeschlitzte Bäuche. Ihre Gesichter sind verschieden, doch zeigen sie denselben Ausdruck von Resignation und Leid.
Er schaut zu seinem Begleiter, will etwas sagen und erkennt plötzlich, an wen ihn sein Gesicht erinnert. Es weißt ähnliche Konturen auf, wie das seines Vaters. Wären die Wangen nicht eingefallen und lägen die Augen nicht so tief in ihren Höhlen…
Tu es nicht, sagt der Mann zu ihm, ohne die Lippen zu gebrauchen. Gehe nicht auf den Pakt des Hexers ein, wie schwer es dir auch fallen mag. Wir alle begangen diesen Fehler und geleiteten so unsere Seelen ins Verderben!
Er deutet mit seinem Finger auf das Zentrum des grünen Scheins, das so grell erstrahlt, dass Manuel nur ein kurzer Blick bleibt, bevor er die Augen abwenden muss.
Wir ernähren ihn. Wir ernähren sein Herz!
Manuel will eine Frage formulieren, doch da verändert sich die Szenerie um ihn erneut; sie schweben jetzt nicht mehr nur, nein, sie rasen im kreisförmig um das Zentrum, und das Pulsieren – der Herzschlag – gibt den Takt seines Pulses vor. Es sind keine hundert Wesen mehr, die in ihrem verlorenen Blick der Resignation ein Antlitz verleihen – jetzt mögen es Millionen sein. Der Raum hat sich auf groteske Weise vergrößert, ist gewachsen wie eine Großstadt betrachtet in einem Zeitraffer, der in einer Zehntelsekunde mehrere Jahrzehnte durchläuft.
Manuel und sein Begleiter werden auseinander gerissen.
Gehe nicht darauf ein, hört Manuel ihn noch rufen, dann wird alles schwarz.

Doch noch wird er nicht in die Realität entlassen. Stattdessen findet er sich an einem Krankenhausbett wieder. Seine Frau liegt schweißgebadet darin und an ihrer Seite sieht er sich selbst knien. Sein Ebenbild hält ihre Hand und streichelt sie. Clarissa bringt ein gequältes Lächeln hervor, was sein anderes Ich erwidert.
Ihr Bauch ist gewölbt und ihr angespanntes Gesicht kündet von Wehen und einer nahenden Geburt.
Er empfindet das Bedürfnis den Bauch zu berühren, in dem sein Kind heran gewachsen ist. Doch als er die Hand danach ausstreckt, reißt ihn etwas mit sich und er stolpert auf sein kniendes Ich zu, um im nächsten Moment eins mit ihm zu werden.
Das nächste, was er sieht, ist ein kleiner, Schleim überzogener Kopf, der zwischen einer weit gedehnten Vagina hervor lugt.
Sieh, dein Kind!, dröhnt eine Stimme in Manuels Gedanken. Düster und arglistig zugleich, erkennt er sie als die des Dunklen aus der U-Bahn.
Ich weiß um dein Verlangen, nach einem, der dein Blut in sich trägt. Und es soll dir erfüllt werden…
Die Muskeln der Oberschenkel entspannen sich kurz, um im nächsten Augenblick zu verkrampfen. Der Kopf entweicht ein weiteres Stück seiner Behausung.
Vollbringe, was ich dir aufgetragen! Ansonsten…
Der Kopf des Kindes nimmt eine dunkelrote Färbung an und schrumpft gleichzeitig in sich zusammen. Die nächste Wehe lässt den Leib des Kindes in einem Stück aus dem Körper der Mutter flutschen. Ohne, dass die Hände eines Arztes oder einer Schwester ihn auffangen würden, klatscht er, die Nabelschnur hinter sich herziehend auf die Fließen. Die Exkremente des Kindes sind verkümmert, eine Nase oder Ohren besitzt es nicht. Die Augen sind leer.

Manuel erwachte mit einem lang gezogenen Seufzer. Die Panik, die ihm die Kehle zuschnürte, klang erst ab, nachdem er mit zittrigem Finger den Schalter der Nachttischlampe betätigt hatte.
Neben ihm lag Clarissa und atmete gleichmäßig.
Er wendete seinen Blick zur Zimmerdecke und wartete darauf, dass sich sein Atmen normalisierte.
Normalerweise blieb von seinen Träumen nicht mehr, als ein Gefühl zurück. Normalerweise…
Doch normalerweise fühlten sich seine Träume – soweit er dies beurteilen konnte – auch nicht so realistisch an, wie dieser.
Er schwang sich aus dem Bett und bewegte sich auf wackligen Beinen zu der Kommode im Flur. In seiner Manteltasche fand er, wonach er suchte.
Auf der Toilette sitzend öffnete er den Briefumschlag, den ihm der dunkle Mann (Der Hexer!) in die Hand gedrückt hatte. Diesmal zeigten die Bilder keine imaginären Schwänze; die drei Fotos zeigten die Gesichter von Frauen. Keines davon kam ihm bekannt vor.
Eine der Frauen besaß rotes gelocktes Haar, das ein breites Gesicht mit aufgedunsenen Lippen umrahmte. Die Zweite hatte ein klar gezeichnetes Gesicht, was ihr Anmut verlieh. Ihr fortgeschrittenes Alter offenbarten tiefe Falten ungnädig. Doch sprach aus ihren braunen Augen Agilität.
Foto Nummer drei zeigte das Gesicht einer Frau mittleren Alters, das bis auf einem Muttermal an der rechten Wange und einer zu großen Nase, keine Besonderheit auf zu weißen hatte.
Alle drei lächelten und alle drei waren sie auf ihre Weise schön.
Du weißt, was du zu tun hast, flüsterte eine Stimme in ihm. Und ja, das tat er. Er hatte es natürlich von Anfang an gewusst. Seit dem Moment, da er zum ersten Mal die Verdammnis prophezeiende Stimme des Schemens gehört hatte. Doch erst jetzt wollte sein Verstand es sich eingestehen. Er würde ein weiteres Mal die Gabe anwenden müssen.
Er wusste, was er zu tun hatte…
Aber zunächst würde er sich eine Zigarette anstecken. Um Lungenkrebs jedenfalls machte er sich keine Sorgen mehr. Sollte der Teer doch die A1000 in seinem Atmungsorgan errichten, wie Clarissa es manchmal ausdrückte. Clarissa… Clarissa, die bald ihr gemeinsames Kind zur Welt bringen würde. Ihr lebendes Kind, denn er würde den Pakt erfüllen.

Am nächsten Morgen saß er wieder in der U-Bahn, die Halt an Station Wilmersdorfer-Straße machen würde. Es war noch nicht einmal 8:00 Uhr, doch Manuel hatte das Gefühl, dass es keine Rolle spielte, wann er eintraf; der Hexer würde ihn erwarten.
Bis auf einen Mann in einem versifften AC/DC T-Shirt war das Abteil verlassen. Er stand gegenüber der Tür im Gang und hielt sich an einer Schlaufe am Rahmen fest. Langes, fettiges haar lag auf seinen
Schultern und sein Gesicht zierten Bartstoppeln. Ebenso offensichtlich wie die Tätowierungen an seinen Unterarmen waren die Einstichstellen in den Armbeugen.
Der Typ hatte Manuel unentwegt angestarrt, seitdem er an der letzten Haltestelle zugestiegen war. Als Manuel jetzt zu ihm aufsah, wendete er den Blick von ihm ab auf den Boden.
Im nächsten Moment erkannte Manuel warum. Von hinten schlug ihm ein Atem voller Verwesung entgegen. Mit ihm erklang die schelmische Stimme des Hexers.
„Ein Sohn, rein in seiner Seele. Ungetrübt wird er sein Leben verbringen, unwissend über die Opfer, denen er es zu verdanken hat.“ Es folgte ein abgehacktes Kichern.
Manuel wagte nicht, sich umzuschauen. Der Atem und der grünliche Schein, den er aus den Augenwinkeln wahrnahm, genügten, um ihn vor Entsetzen erstarren zu lassen. Er war sich sicher, dass auch der Langhaarige es spürte. Auch wenn er den Hexer nicht sah. Ebenso wenig, wie es die Personen in der U-Bahn-Station getan hatten.
„Du hast dich entschieden“, sagte der Schatten, und Manuel nickte.
„Gut, gut. Du kennst den Ort, an den dich unser Pakt nach deinem Ableben führen wird?“ Manuel nickte erneut. Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt und jeden Augenblick befürchtete er die Berührung einer kalten knochigen Hand an genau dieser Stelle zu spüren.
„Es ist nur gerecht. Man bedenke den unfruchtbaren Leib deines Weibs. Und nun siehe mich an, Chino!“
Es war wie in jener Situation, in der er den Briefumschlag entgegen genommen hatte; unfähig sich zu widersetzen, drehte er den Kopf, und wäre beinahe gegen die Hakennase des Hexers gestoßen, dessen spitzes Kinn auf der Sitzlehne ruhte.
Ein Aufschrei entfuhr Manuel und er schreckte zurück. Die Kapuze der gestalt war nicht so weit ins Gesicht gezogen, als dass sie hätte die Augen verdeckt hätte. Grässlich grüne Augen, die von nichts anderem als Verdammnis sprachen.
„Noch heute“, entfuhr es den trockenen Lippen.
Manuel fühlte sich plötzlich, als wäre er Teil eines Traums. Taubheit hatte seine Glieder erfasst, und über seinem Denken senkte sich ein Schleier der Unberührtheit.
„Warum sollen diese Frauen sterben?“, hörte er sich mit monotoner Stimme fragen.
„Auch ich habe einen Pakt zu erfüllen“, sagte der Hexer. „Es gibt viele Mächte und mein Herr fordert für meine Existenz ebenfalls Tribut.“
„Es sind gute Menschen, die ich umbringen werde, richtig?“
„So ist’s, so ist’s!“ Mit diesen Worten löste sich seine Gestalt in dichten grünlichen Rauch auf, der sich ausbreitete und schließlich verflüchtigte. Manuel und der Typ mit dem AC/DC T-Shirt waren wieder unter sich. Es überraschte ihn nicht, dass der Typ abwesend auf seine Füße herab schaute.

Während er sich die nächste Zigarette an einem Streichholz anzündete, dachte er zurück an das erste Mal, in dem er seine Gabe genutzt hatte. Ein erstes Mal, das ihn etliche schlaflose Nächte gekostet hatte, weil er immer, wenn er die Augen schloss, das Bild zweier sich wie von Geisterhand zerquetschender Augen, gesehen hatte.
Es waren die Augen seines Hundes Mira gewesen. Dieser hatte den Fehler begangen, Manuel in die Hand zu beißen, als dieser die Welpen streicheln wollte, die Mira tags zuvor geworfen hatte.
Der Schmerz hatte nie gekannte Wut in ihm aufsteigen lassen und dann… dann hatte es einfach klick gemacht. Der berühmte Schalter war in seinem Kopf umgelegt worden und er hatte seine ganzen Gedanken auf den Hund gelenkt. Hatte nach Methoden gesucht, die den selben gottlosen Schmerz versprachen, den auch er spürte, und war schließlich auf eine seiner Urängste gestoßen; War es möglich, dass die Augen zerquetscht wurden, wenn man die Lider nur fest genug zusammen presste?
Dann hatte er geschrieen und voller Genuss beobachtet, wie sich die Lider des Hundes geschlossen hatten und die Adern an ihnen immer größer zum Vorschein getreten waren. Bis schließlich eine weiß-graue gelertartige Flüssigkeit zwischen den Wimpern hervorgequollen war.
Später hatte er nur noch ein Mal von der Gabe gebrauch gemacht, zu erschreckt war er damals über sich selbst gewesen. Das war vor 16 Jahren gewesen, als er Teil eines Banküberfalls geworden war. Die Waffe vor Augen hatte ihn alle Zweifel und den Schrecken vergessen lassen. Wut und Angst hatten ein tödliches Gemisch ergeben, und Augenblicke später war der Verbrecher an seinem eigenen Kot gestorben, der in seinen Körper geströmt war, nachdem sein Darm beschlossen hatte, sich an etlichen Stellen zu verknoten. Von all dem hatte er Clarissa nie etwas erzählt. Er hatte überhaupt niemandem davon erzählt.
Nun würde er es wieder tun.
Vor ihm auf dem Küchentisch ausgebreitet lagen die Fotos der Frauen. Verkehrt herum, mit den Gesichtern nach unten.
Er goss sich einen Whiskey ein, bereits der vierte in dieser Nacht, und kippte ihn in einem Zug runter.
Vor zwei Stunden hatte er mit Clarissa geschlafen. Sie hatten es in letzter Zeit nicht häufig mit einander getrieben, und wenn, dann waren es mehr mechanische Akte gewesen. Etwas, das man tun musste, um seine Lust zu stillen. Wie ein Essen, das man runter schlang, nicht des Genuss wegen, sondern um satt zu werden. Heute war es anders gewesen. Ein Ausdruck tief empfundener Liebe. Er hatte seinen Samen in sie ergossen, mit der Gewissheit, dass sie diesmal schwanger werden würde.
Anschließend hatte er sie dazu überredet, die Geburtstagsfeier einer alten Freundin von ihr aufzusuchen. Es würde noch einige Stunden dauern, bis sie zurückkam.
Manuel schaute auf die Uhr über der Tür. Es war Zwanzig vor Zwölf. Noch heute, hatte der Hexer gesagt.
Nun musste er noch nur Wut herauf beschwören und es konnte beginnen.
Denk an das Kind, rief er sich im Geiste zu. Das Kind, das ihr euch immer gewünscht habt und das jetzt im Leib deiner Frau heranwächst.
Manuel wendete das erste Bild. Es zeigte die alte Frau. Und wie beim ersten Mal, als er ihr Gesicht gesehen hatte, spürte er auch diesmal Sympathie. Das würde die Aufgabe nicht leichter machen. Er sah zu dem Messer hinüber. Die Hoffnung, dass er es nicht brauchen würde, war gering.
Er trank noch einen weiteren Whiskey. Dann ließ er in seinem Kopf das Bild eines Säuglings entstehen, der auf den Fließen eines Operationssaals mit deformiertem Kopf in seiner eigenen Blutlache zappelnd verendete. Anders als in der Vision des Hexers, besaß er Augen. Blaue Augen. Das Kind, das sie über so viele Jahre hinweg erfleht hatten…
Diese Vorstellung brachte nicht den ersehnten Erfolg. Es berührte ihn, weckte gewisse Zensoren in ihm, doch zu schwach.
Konzentriere dich auf die blauen Augen, sagte er sich. Deine blauen Augen!
Und er sah sie vor sich. Anstatt Leben auszustrahlen und den Eltern den Zauber der Geburt zu übermitteln, waren diese leer.
Und so wird es kommen, wenn diese Frauen nicht sterben!
Den Schweiß auf der Stirn, griff Manuel mit zittriger Hand nach dem Messer. Die 18cm lange Klinge reflektierte den Schein der Kerzen, die er auf dem Tisch aufgestellt hatte, und die seine einzige Lichtquelle waren.
Die linke Hand legte er auf die Tischplatte, wobei er nur den Ringfinger ausgestreckt hielt und die Übrigen unter dem Handteller verbarg.
„Mein Gott“, murmelte er, dann holte er mit dem Messer aus.
Die Klinge durchtrennte den Finger zur Hälfte, bis es im Knochen stecken blieb.
Blut spritzte hervor und ein Teil davon landete in seinem Gesicht bildete. Noch bevor er den Schmerz wahrnahm, umfasste er den Griff fester und begann zu sägen.
Das Aufeinandertreffen von Metal und Knochen brachte ein Nervenzerfressendes Quietschen hervor.
Die Qual wurde unerträglich und er schrie. Doch entließ er den Schrei nicht aus seinem Mund, sondern manifestierte ihn in Bildern.
Deutlich sah er die alte Frau vor sich in ihrem Bett liegen. Die Augen hatte sie weit aufgerissen und dort, wo einst ihre linke Brust gewesen war, klaffte nun ein Krater, dessen Ränder zerfranstes Fleisch darstellten. Das, was einst ihr Herz gewesen sein musste, fand er als Gemisch aus allerlei Rottönen an der Zimmerdecke verspritzt.
Manuel deckte das zweite Foto auf, während seine Welt nur noch aus Schmerz und daraus resultierender Wut zu bestehen schien. Die Alte lächelte ihn an.
Er riss das Messer aus seinem Finger und ließ es ein weiteres Mal herabfallen. Die Klinge schlug in die Kerbe und durchtrennte den Knochen vollständig. Sein Ringfinger endete nun knapp hinter dem zweiten Knöchel. Blut floss aus dem Stumpf und bildete eine Lache auf dem Tisch. Durch die Lichtverhältnisse war es fast schwarz.
Auch in der Welt der lächelnden Alten gab es nun Blut. Unmengen davon.
Er sah sie in einem Meer des roten Lebenssafts ließen auf den Fließen ihres Badezimmers liegen. Auf ihrem nackten Leib hatten sich unzählige Risse aufgetan, die tief ins Fleisch reichten. Als hätte man mit stumpfer Klinge ihren Körper bearbeitet. Von der Stelle knapp oberhalb der Brüste, bis hin zu ihren mit Krampfadern überzogenen Oberschenkeln.
„Nur noch eine“, brachte Manuel hinter zusammen gepressten Zähnen hervor und streckte den Mittelfinger aus. In seinen Schläfen hatte ein monotones Pochen eingesetzt, das – würden die Schmerzen von seinem Fingerstumpf ausgehend einmal abgeklungen sein – die entsetzlichsten Kopfschmerzen seines Lebens mit sich bringen würde.
Ohne einen weiteren Augenblick zu verschwenden, holte er ein weiteres Mal mit dem Messer aus und rammte es ins Fleisch des zweiten Fingers, den er für diesen grausamen Pakt opferte.
Blut und Schmerz, Hass und Wahnsinn – das waren nun die einzigen Bestandteile seiner Welt. Er ließ das Messer fallen und griff mit verkrampfter Hand nach dem letzten Foto. Es offenbarte ihm das Antlitz der Rothaarigen.
Dieses gelockte Haar, war es auch, das für die bläuliche Färbung ihres Gesichts gesorgt hatte. Wie ein Strick hatte es sich um die Kehle der Frau gelegt und begonnen sich in Rhythmen immer kräftiger zuzuziehen. Das hatte es auch noch getan, nachdem längst alles Leben aus der Frau entronnen war. Letztlich hatten die Haare solch enormen Druck auf den Hals ausgeübt, dass die Haut aufgeplatzt war, und eine Furche für sie gebildet hatte, von der aus sie sich nun anschickten, Fleisch und Muskelgewebe zu zerstören. Ähnlich, wie es das Messerklinge mit Manuels Fingern getan hatte.
Als er spürte, wie die Ohnmacht langsam über ihn herein brach, verblasste das Bild vor seinem Auge. Die schreckliche Szenerie wurde von einem Schleier aus Nebel verfremdet, und verlor schließlich seine Konturen. Es war geschafft.
Bevor Manuel endgültig das Bewusstsein verlor und in eine schmerz – und gedankenlose Welt entrückte, quälte er sich mit letzter Kraft zu der Schublade neben dem Kühlschrank. Dort bewahrte er eine Sammlung nützlicher Kleinigkeiten, wie Stofftaschentücher auf. Mit ihnen verband er die blutenden Enden von Ring – und Mittelfinger. Dann knickten seine Beine ein und er fiel zu Boden.
Seine letzten Gedanken galten dem Kind, das Clarissa zur Welt bringen würde. Dem Kind mit seinen blauen Augen.

Diesmal ist es nicht der junge Mann, der seine Hand hält und ihn mit sich zieht. Diesmal ist es der Hexer selbst. Auch befindet Manuel sich nicht in einer Halle. Es ist ein Tunnel, durch den er vor ran gezogen wird. Die gemauerten Wände sind eng beieinander und münden in einem Halbbogen, der nur kurz über ihre Köpfe reicht. Das Ende des Tunnels liegt in Dunkelheit.
Das einzige Licht an diesem Ort, ist der grünliche Schimmer, der die schwarze Gestalt vor ihm umgibt.
Diese rennt. Die Bewegungen des Hexers ähneln der Vorstellung, die man von einem Kobold haben mag, und scheinen gar nicht zu dem großen und kräftigen Körper zu passen, der unter dem Stoff der Kutte zu erahnen ist. Beinahe tänzelnd hebt er die Knie und wenn er das Bein wieder absetzt, berührt nur die Spitze seines Stiefels den Boden.
Manuel wird von ihm mitgerissen und weiß, dass es aus der Klaue des Hexers kein Entkommen geben kann. Die Wände rasen an ihm vorbei und das einzige Geräusch, das er hier unten (und sie sind unten, befinden sich etliche Sphären unter der Oberfläche, das spürt er) vernimmt, ist das Gackern seines dunklen Führers.
Der Gang knickt ab, verläuft gerade, wird steiler, verläuft dann wieder eben… bis er schließlich in einer Sackgasse endet. In der Wand, die sich vor ihnen auftut, befindet sich eine Öffnung, aus der grünes Licht dringt. Licht, das pulsiert. Hinter der Mauer befindet sich der Ort seiner Verdammnis. Vor ihm hat der junge Mann, der Ähnlichkeit mit seinem Vater besitzt, Manuel gewarnt. Dort existieren all jene, die wie er auf den Pakt mit dem Dämon eingegangen sind. Dort befindet sich das Herz des Hexers.
Mit einer Geschwindigkeit, die Manuel keine Zeit zum Atemholen lässt, rennt der gackernde Troll auf die Öffnung zu, bückt sich und reißt ihn mit in die Welt dahinter.

An einem kalten Novembertag stieg ein junger Mann die Stufen zur U-Bahn-Station hinab. Es war kalt und er trug Mantel und Schal. In zehn Minuten würde die Bahn eintreffen und ca. 25 Minuten bis zur Haltestelle Lohrallee brauchen würde. Würde er sich von da aus zu Fuß beeilen, konnte er es also noch schaffen, rechtzeitig zur Abendschule zu kommen. Doch die Schule war im Moment nebensächlich. Seine Gedanken drehten sich einzig um seine Mutter, die diese Nacht in einem Krankenhausbett verbringen würde. Und der Junge wusste, dass sie nicht mehr viele Nächte in ihrem Leben erwarten durfte. Die Ärzte hatten von zwei Monaten gesprochen. Soviel Zeit blieb, bis der Lungenkrebs sein Endziel erreicht hatte. Diese verdammten Zigaretten!
Seine Mutter hatte damit kurz nach seiner Geburt angefangen. Der Tod ihres Mannes und dann noch ein kleines Kind, das versorgt werden wollte, das war zu viel für sie gewesen, um ohne Sucht auszukommen. Bei einer hatte sie es allerdings nicht belassen. Neben dem Marlboro-Cowboy hatte auch Mister Jack Daniels einen reservierten Platz auf ihrem Nachttischschränkchen innegehabt. Die beiden hatten einen Wettstreit veranstaltet und wie es aussah, würde der Cowboy das Feld als Sieger verlassen.
Wäre dein Vater doch nicht von uns gegangen, hatte sie in verzweifelten Momenten immer wieder herunter gebetet. Dies war ihre Umschreibung für die Tatsache, dass man ihn tot in einer verdreckten Ecke einer U-Bahn-Station gefunden hatte. Herzinfarkt.
Und der junge Mann zweifelte nicht an der Berechtigung dieses Wäre-Satzes. Sie wäre nie so weit abgerutscht, hätte es an ihrer Seite den liebevollen, sorgsamen Mann gegeben, wie sie seinen Vater immer beschrieben hatte.
Der junge Mann seufzte während er die letzten Stufen nahm und strich sich über sein wuscheliges Haar, das bereits tiefe Geheimratsecken aufwies. Ihm war es in dieser Hinsicht nicht anders ergangen, als seinem Vater, glaubte man dem Schwarz-Weiß-Foto, das er in seinem Portmonai neben dem seiner Mutter bei sich trug.
Ein junges Paar kam ihm entgegen. Den Arm um die Hüfte des jeweils anderen gelegt, hatten sie die Köpfe zusammen gesteckt und redeten angeregt. Für sie mochte es in diesem Augenblicknichts anderes als ihre Liebe geben. Der junge Mann fragte sich, ob seine Mutter mit seinem Vater in jungen Jahren ebenso umhergeschlendert war, und ob das rothaarige Mädchen sich auch eines Tages verlassen und Krebs befallen in beiden Lungenflügeln wieder finden würde.
Tränen stiegen ihm in die Augen, während er links von sich in einer Ecke einen grünlichen Schein wahrnahm.

 

Hallo kevin2

Die Luft ihm Untergrund Berlins
ihm -> im

Auch sein Mantel konnte nichts daran ändern, dass Manuel augenblicklich Gänsehaut packte.
Irgendwie finde diesen diesen Satz etwas unglücklich formuliert.
Den Namen kannst Du, meiner Meinung nach, durch "ihn" ersetzen.
Ich will mich ja nicht in Deine Formulierungen einmischen, aber wenn Du es z.B. irgendwie in die Richtung schreiben würdest wie "Auch sein Mantel konnte nichts daran ändern, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief."
Ich hab eben noch nie die Formulierung gehört, dass einen Gänsehaut packen kann.

Selbst modernste Technik war in diesem Fall machtlos.
Ich kenne mich da ja nicht 100% aus, aber gibt es nicht immer eine Möglichkeit der künstlichen Befruchtung? (Sofern der Frau halt nicht entsprechende notwendige "Organe" entfernt wurden).
Na ja, nur so nebenbei. Kannste auch so stehen lassen.

und machte sich auf zu einer Bank, auf der eine Frau asiatischer Herkunft unruhig die ausgestiegenen Fahrgäste betrachtete.
Diesen Satz mußte ich dreimal lesen, ehe ich feststellte, man muß nicht unbedingt was daran ändern.
Das die Frau auf der Bank sitzt ist zwar klar, aber es liest sich irgendwie holprig wie es da steht.

Der geschundene Aktenkoffer in seiner Hand gab ächzende Geräusche von sich
Die Formulierung mit dem ächzenden Aktenkofer hat mir gefallen, da ich mich nur zu gut an meine Reisetasche erinnern kann, die zwar nicht geächzt hat, dafür aber am Halteriehmen ständig gequitscht hat.

ebenfalls bläuliche (Oh, Herr, bitte lass das beschissene Licht daran Schuld haben!)
Super beschrieben diese Stelle. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie abstosend Manuel den Anblick der Gestalt in dem Moment fand.

Manuel spürte den Impuls, sich so weit wie möglich von dem Mann im Schatten zu entfernen, in sich wachsen.
Daß Du in sich wachsen ans Ende des Satzes gestellt hast, liest sich irgendwie merkwürdig.
Würde ich eher an den Satzanfang mit einbauen.

Nur ein Augenblick, doch Manuel zweifelte nicht daran, dass das Bild dieser unterschiedlichen Finger, die sich beinahe berührten, noch lange, lange in seinen Träumen betrachten würde.
Das Ende des Satzes stimmt so irgendwie nicht ganz.
Entweder erscheinen ihm diese Bilder in seinen Träumen, oder er betrachtet die Bilder in seinen Träumen.
Aber daß die Träume irgendwas betrachten würden, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Oder habe ich da was falsch verstanden?

Du weißt wie, du weißt warum du.“
Steht das letzte du am Ende Satzes mit Absicht da?

Der Schemen legte den Kopf in den Nacken, und Manuel machte sich bereits darauf gefasst machte,
Einmal machte der liebe Manuel irgendwas zuviel. ;)

Doch dann legte sich dieses Gefühl sich wieder
Wieder ein Wort zuviel -> sich

Man las oft in den Zeitungen heutzutage oft über die Zunahme
Und oft wiederholt man sich immer wieder.

Zum Rest der Geschichte werde ich mich auch noch äußern. Muß hier leider erst mal abbrechen.

Gruß
LoC

 

Soddele, nun weiter im Text:

Sie ist durch entstellt, wie durch Feuer gezeichnet.
Du magst wohl diese ständigen Wiederholungen. ->durch

Der junge Mann nickt nur und deutet auf das Loch in dem das Grün pulsiert..
Ein Punkt zuviel.
Oder einer zu wenig? :hmm:

zeichnen sich deutlich seine Knochen ab. Besonders die Hüftknochen treten deutlich hervor und erinnern
In meinen eigenen Geschichten fällt mir das eher weniger auf, und ich bin immer froh, wenn ich darauf hingewiesen werde.
Unnötige Wiederholungen, welche man durch andere Wörter beschreiben könnte, stören mich einfach mitunter.
Hier wäre es deutlich.

Wir alle begangen diesen Fehler und geleiteten so unsere Seelen ins Verderben!
1.) Zu begangen hätte ich eine Frage.
Im Prinzip ist es ja, von der ganzen Art her wie die Geschichte sprachlich dargestellt ist, passend.
Aber wäre nicht beging der korrekte Ausdruck?
2.)geleiteten : Dieses Wort ist mir eher geläufig, wenn jemand anderes eine Seele irgendwohin geleitet. Aber das man selbst seine Seele an einen anderen Ort geleiten kann ist mir unbekannt.
---> Wäre froh über eine kurze Aufklärung, und wenn ich noch was dazulernen kann.

nein, sie rasen im kreisförmig um das Zentrum
Ein Wort zuviel? -> im

Die Muskeln der Oberschenkel entspannen sich kurz, um im nächsten Augenblick zu verkrampfen.
"um im nächsten Augenblick wieder zu verkrampfen", würde sich in dieser Beschreibung besser anhören.

Langes, fettiges haar lag auf seinen
Schultern und sein Gesicht zierten Bartstoppeln

haar = Haar
Und den Absatz, der da versehentlich entstanden ist, editier doch einfach auch raus.

Und nun siehe mich an, Chino!“
Heißt es nicht sieh mich an? Ohne "e"?

Die Kapuze der gestalt war nicht so weit ins Gesicht gezogen,
gestalt = Gestalt

Nun musste er noch nur Wut herauf beschwören und es konnte beginnen.
-> noch nur = nur noch

Blut spritzte hervor und ein Teil davon landete in seinem Gesicht bildete.
Bildete was?

Er sah sie in einem Meer des roten Lebenssafts ließen auf den Fließen ihres Badezimmers liegen.
:confused:

Ok, ab hier muß ich zugeben, ich habe aufgehört zu lesen.
Meiner Meinung nach hättest Du einige Umschreibungen enorm kürzen können.
Die Spannung, um mich zum weiterlesen zu animieren, ging schon ziemlich zu Anfang verloren. Ich dachte, ich halte es bis zum Ende durch, was mir aber nicht gelang.
Vielleicht werde ich mir das Ende bei Gelegenheit mal antun, um zu erfahren wo die Verknüpfungen zwischen den Geschehnissen in der Story sind.

Nimm es mir nicht übel. Ich bin nur ein von vielen Lesern.

Gruß
LoC

 

Hallo Lady und herzlichen Dank für's Kommentieren.

Du bürgst dir wirklich viel Arbeit auf.

Also, zunächst hat es mich richtig geärgert, dass dann doch noch soviel Fehler enthalten sind. Denn bei dieser Geschichte habe ich wesentlich gründlicher überarbeitet, als jemals zuvor, aber nun gut. Ist schon eigenartig, wie einem solche Fehler, wie Wortwiederholungen, etc. entgehen können.

Das was du aufzählst, gehört natürlich verändert, und das werde ich auch morgen noch tun.

Aber mindestens doppelt so viel geärgert hat mich, oder viel besser enttäuscht, dass ich es scheinbar nicht geschafft habe, eine interessante Story zustande zu bringen. Denn nichts ist wohl schlimmer, als wenn sich ein LEser durch eine Geschichte durch quälen muss. Das tut mir leid, und beim nächsten Mal einfach ohne schlechtes Gewissen vorher aufhören.

Naja, vielleicht findet die Geschichte noch ein paar Leser, und vielleicht (hoffentlich) sind sie anderer Meinung als du.

Nochmals Danke...

 

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