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Der Paukist

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12.08.2006
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Der Paukist

Im Herbste, Jahro 1849, saß ich des stillen Abends bei Zigarre, Brandy und gutem Gespräche mit einem alten Jugendfreund zusammen, den ich schon lange, lange nicht mehr gesehen. Wir waren ernstester Stimmung, denn unsere ganze Unterhaltung beinhaltete höchstlich dumpfe Themen. Es wurde gesprochen über die Pikanterie der Bestattung, die Köstlichkeit gewisser Krankheitsbilder sowie das bizarre Gebiet der Dämonologie. Die Reden, welche wir abwechselnd führten, steigerten sich immer mehr in düstere Bewegtheit hinein; unsere Gesichter verfinsterten sich von selbo zu verzerrten, grotesken, käsigen Gebilden, auf denen sich die Schatten der einbrechenden Nacht abzuzeichnen begannen. Ich saß auf einem bequemen Lehnstuhl, gleich am weit geöffneten Fenster. Kaltluft strömte ins Bücherzimmer, das unser gewählter Aufenthaltsort war; und bald schien es, als wabere die Bitternis der draußen vorherrschenden Geisterlandschaft stetig stärker fühlbar auf unsere Gemüter ein. Doch schuld an der Versteinerung des Herzens waren wohl zunächst die Problemfelder, welche erregt erörtert wurden. Man muß, so merkwürdig es sich auch ausnehmen mag, davon reden, daß unsere dunkle Plauderei zwar unterschwellig wogte und sich auftürmte, im äußeren Bilde aber betont ruhig verlief. Es steckte in jedem von uns die Schule der alten, sehr bewußten Höflichkeit, die jegliches Wort zum Genuß für Geist und Zunge gestaltete; hätten wir uns je unterbrochen, so wäre diese Fügung einem Verbrechen gleichgekommen, das nicht wiedergutgemacht werden konnte.

Nun, alsbald machte sich mein alter Kamerad auf, um einige belegte Brote zu bringen, die er in der alten Küche des entfärbten Hauses noch zuzubereiten gedachte; ich indessen hing noch innerlich grabend meinen Gedanken nach, verhielt mich vollends lautlos. Draußen sanken - wie schon vermerkt - die schweren Schwingen der Nacht hernieder und man bemerkte nebenbei, wie ein Wind zu wehen begann, dessen Stärke allmählich zunahm. Zieselnde Geräusche entstanden, welche jene magischen Reize mit sich trugen, die mir schon von Kindheitstagen an lieb und teuer gewesen. Die persönlichen Gedankenspiele vereinten sich itzo voller Inbrunst mit der ach so delikaten Schreckensaura; mein Fleisch begann - ganz erwartungsgemäß - den Zitterreigen harmoniedurchsetzter Wollust zu tanzen. Als graue Ahnung hatte es schon immer im Raume gestanden - nun erfuhr ich´s erneut: Wenn die Windsbräute des Firmamentes sich erhoben, um sich mit dem Nachtprinzen zu vereinigen, geschah es, daß - wenn sich abgestorbene Baumkrüppel in der Nähe befanden - meine sexuellen Begierden erwachten; jedoch nie brachial und gewaltig, sondern eher sehr leise und fein. Meine Aufmerksamkeit für´s Detail spitzte sich zu; meine Dränge, das Weltgeheimnis zu entschlüsseln, konnten schier zur körperlich fühlbaren Qual werden, wenn die Schwärze sich zusehens nach meinem Geschmacke entwickelte. Mir war bekannt, daß mein Freund und Gastgeber ähnlich fühlte; so verwunderte es mich mitnichten, daß er lange wegblieb und die Brote wohl längst vergessen hatte.

Es wird dem Leser klar verständlich sein, daß ich mir die Hose öffnete und lautstark jauchzend damit begann, meinen Phallus in brauchbare Steife zu versetzen. Zu unwiderstehlich präsentierte sich der Totenhauch vor dem Hause - zu eindringlich stöhnte die ebigst bereits genannte Windsbraut. Unter´m Himmel ging das Sterben um. Es war dabei, mich einzunehmen. Und einmal würde es damit fertig sein! Dem Schauder, der Greulichkeit und dem Horror kann sich der vernünftig denkende Mensch nicht widersetzen. Ist´s nicht ein modriges Gerüchlein, das uns in Schwelgerei versetzt - das uns mit unsichtbarem Augenaufschlag höchstlich gekonnt lockt? Jede Vollendung ist in der Lage, einen Mann zu beeinflussen; allerdings ist´s erst der Schrecken der Medusa oder die absolute Reife einer gichtkranken Friedhofswärterin,- ja, diese Aspekte müssen es sein,- die dazu bewegen, die eigene Hand an den Stab zu legen.

Als ein toter Ast - geborsten durch die Kraft der schaurigen Windsbraut - an der Außenmauer des Gebäudes herabfiel, entstammend einer hohen, dicht am Hause stehenden Baumleiche - ejakulierte ich auf´s Fensterbrett.

Nun gut, dies Werk war getan. Jetzt schien es darauf anzukommen, den Hausherren zu finden. Es lag auf der Hand, daß mein Kamerad sich nicht in der Küche aufhielt - eher war einzuschätzen, daß er vor dem Bau weilte und sich andächtig zu den Wirkungen aller vorhandenen farblosen Ausdünstungen wiegte. Er,- der Detailverliebte,- der gleiche Typus wie auch ich.

Der Hang zur Mystik, zum Einzelgesichtspunkt - läßt er sich erklären mit ungewöhnlichen Kindheitserlebnissen? Der Schulpsychologe würde sicherlich zustimmend nicken, doch ich selbo nicht! Ich sage, daß jener Zwang verwoben ist mit einer Abgehobenheit vom Schauen und Trachten der großen Masse, welche an sich der großen Selbsttäuschung unterliegt, daß Gottes Reich auf Erden lichterfüllt sei. Diese graue Masse erfährt mit jeder Lebenssekunde Trauer und Verzweiflung, obwohl sie es empfinden mögen als Freude und Lebenslust.

Betreffs meines Gastgebers sah ich alsbald meine Vermutung bestätigt: Er befand sich vor dem Hausportale unter freiem Himmel. Schon von weither hatte ich das Tönen seiner Pauke hören können, die er da draußen aufgestellt hatte und jetzt mit tausend weinerlichen Sprüchen auf den eingetrockneten, grausam wirkenden Lippen anschlug.

"Ich bin der Paukist!" rief er erregt, als er mich erblickte. "Ich bin der Paukist!" rief er mit Schaume vor dem Mund. "Und Du bist der Schall, der die Holztür aufreißt - die Holztür in der Vorhalle, die Du ja kennst!"

Ich nickte. Ach! Diese Zeremonie war mir nur zu gut bekannt. Ich als Schall hatte die Aufgabe, in den spärlich von Fackeln ausgeleuchteten Raum zu eilen und die Türe, die er meinte, jäh mit kraftvollem Ruck aufzutun. Und ich wußte, daß die verwesten Leichen herauskippten - daß er sich an ihnen erfreute. Mehrmals hatte ich damals gekichert.

"Ja, ich bin der Schall!"

Und die Pauke dröhnte wuchtig in die Halle des Hauses. Und der Schall riß die furchteinflößende Holztür auf, die wir in Kindertagen gefürchtet und im Mannesalter mit geraubten Leichen aufgefüllt. Und die leeren, trockenen Augen starrten dumpf, stumpfig und nunmehr unwissend ins Schummerlicht der schauderlich-schönen Räumlichkeit.

ENDE

 

Hehe, was du mit dumpf meinst, war mir klar. Nur kannte ich das Wort dumpf in diesem Zuammenhang nicht.

Und dass du Lovecraft nicht gelesen hast, glaub ich dir zwar, hätt ich mir jedoch niemals gedacht! :)

 

Ich möchte mich überhaupt entschuldigen, dass ich auf die sehr umfangreiche Einschätzung Deinerseits nur spärlich antwortete.

Bin gegenwärtig auch wieder heftig am Schreiben. "Das Kichern der zerfetzten Fratze des Todes". Eine Spuk-Story, in der siamesische Zwillinge eine große Rolle spielen. Es spukt dann in einer alten Windmühle, nachdem der Vater versuchte, die Zwillinge (2 Söhne) mit einer Sense "chirurgisch" zu trennen.

Gruß Leichnam

 

Tamira Samir schrieb:
Und dass du Lovecraft nicht gelesen hast, glaub ich dir zwar, hätt ich mir jedoch niemals gedacht! :)

Vielleicht gibt es doch so was wie Seelenverwandtschaft.

Kennst Du Algernon Blackwood? Auch ein ganz hervorragender Schriftsteller, der in diese Kerbe haut!

 

Nun ja, ich schreibe schon jahrelang diese O´s an Wörter ran. Ganz einfach, weil für mich diese dann besser klingen.

Das Wort "Zieseln" im Zusammenhang mit Wind habe ich erfunden, aber aus Gefühl heraus. Wind zieselt. Wind zieselt einfach, wenn er einsame Gegend durchbläst. Das muss man verstehen oder auch nicht

Also diese Craziness und Abgefahrenheit, die dir da von deinem Bekanntenkreis bescheinigt wird (Höre ich da einen Anflug von Stolz und Egomanie in diesem Hinweis? So was wie "Nun, natürlich nennt mich der eino oder andero schwer gestörto, aber wie Sie ja wissen, Mr. Bond, hat man das auch von Jesus Christus behauptet") in allen Ehren, aber bei "Ich denk mir Wörter aus und Pech für den Leser, der nicht von selbst drauf kommt, was sie bedeuten" platzt mir ja schon irgendwie der Socken. :fluch:

Vielleicht solltest du deine Geschichten mit dazugehörigem Wörterbuch "Leichnam-Deutsch Deutsch-Leichnam" veröffentlichen.

Du börklst wirklich den Torrel zu dudativ, mein zöteliger Drödel.

Ja ganau, die Wörter hab' ich mir selbst ausgedacht, die deutsche Sprache ist mir schlicht zu unzureichend und primitiv.

Böselken,

Jan-Christoph

 

Na ja, die Sache mit dem "O" und "Zieseln" sind eigentlich die einzigen Dinge in der Richtung. Ein Verbrechen ists doch nicht.

Ich bin nicht sehr stolz auf meine mentale Welt, das musst Du mir glauben. Unter anderem hat diese 1988 zu einem Selbstmordversuch geführt.

Gruß Leichnam

 

Oh. Jetzt stehe ich ja mal richtig super da. :(

Wollte nur 'n bisschen rumgiften, rein spaßeshalber. Hellsehen kann ich ja nun leider nicht.

Also: Sorry. Dachte du wärst einfach nur einer von diesen verquarksten Gothic- "Ich bin so anders" -Typen, aber bei Suizidversuchen hört der Spaß natürlich auf.

Darf ich mich denn trotzdem weiter über deinen Stil lustig machen? :)

Liebe Grüße,

Jan-Christoph

 

Auch weiterhin: Sage ruhig Deine Auffassungen. Warum denn auch nicht?

Ohnehin muss man hier im Forum hart im Nehmen sein. Als Weichei wird man schnell wieder fliehen.

Gruß Leichnam

 

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