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Der Phil-Effekt
Paul rieb sich verwundert die Augen, als er die Nachricht seines alten Schulkameradens las.
„Hey Pauli, Lust zu treffen? Hätte Bock! Vielleicht ne Runde gamen? Grüße Phil“
Zu Abi-Zeiten hatten Paul und Phil wenig Kontakt. Dennoch musste Paul oft über Phils lustige Sprüche und Aktionen lachen. Auch wenn Phil nicht gerade der Sportlichste und Schönste des Jahrgangs war, hatte er eine Art an sich, die ihn sehr beliebt machte. Paul mochte vor allem seine Schlagfertigkeit. Als Herr Külzer wieder einmal nicht pünktlich zum Unterricht erschienen war, übernahm Phil den Mathe-Unterricht und verlegte ihn in den Biergarten. „Prozentrechnen anhand von Gerstensaft. Praxisnaher und handlungsorientierter Unterricht. Fachübergreifend mit einer Schnittstelle zum Fach Biologie!“ Bei dieser Ausrede war selbst Herr Külzer während der anschließenden Konfrontation überrascht und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wo andere deutliche Konsequenzen gespürt hätten, kam Phil wieder einmal mit einem blauen Auge davon. Eine Woche Kehrdienst war als Sanktion für ihn zu verschmerzen.
Paul und die anderen nannten dies den „Phil-Effekt“. Phil konnte sich vieles erlauben und wenn er zu einem nett war, verzieh man ihm schnell.
„Ich hätte auch gern diesen Charme!“, dachte Paul. Aber er war nicht sonderlich neidisch, viel mehr mochte er, dass Phil zu ihm immer cool war, auch wenn Phil andere Mitschüler schon ziemlich nerven konnte, oder auch mobbte. „Bei mir macht er ne Ausnahme! Das gefällt mir!“, dachte sich Paul. „Ich weiß, dass er auch ein Arsch sein kann, aber ich mag ihn. Das ist einfach der Phil-Effekt! Bestimmt gibt es in jeder Generation einen, der sich mehr erlauben darf als die anderen!“
Aus diesem Grund ließ Paul Phil auch manchmal die Hausaufgaben abschreiben und Phil verteidigte Paul, wenn einige Mitschüler ihm wegen seiner roten Haare und seiner geringen Körpergröße aufziehen wollten. So gab er Paul das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. „Wem würde das nicht gefallen?“, dachte sich Paul, auch wenn er wusste, dass sie keine engen Freunde waren.
Obwohl Paul in seiner Stufe nicht unbeliebt war, mied er seit der Scheidung seiner Eltern die meisten Abi-Feiern. Er hatte nur wenige Kumpel, mit denen er online zockte. Viele bewunderten ihn für seine Skills in Mathematik und Informatik, aber Paul fiel es schwer, anderen zu vertrauen. Sein alleinerziehender Vater war nach der Blitzscheidung mit Pauls Mutter sichtlich überfordert, Job und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Dementsprechend sah ihre Wohnung aus. „Boah! Ich schäme mich, Leute nach Hause zu bringen!“, schrie Paul eines Tages seinen Vater an. „Das Bad ist kaputt. Das Sofa hat Löcher. Es stinkt! Papa ich hab dich lieb, aber eines Tages habe ich meine eigene Bude. Die wird toll aussehen und ich werde mich nicht schämen, Freunde mitzubringen!“, rief er.
Sein Studiennebenjob im IT-Bereich ermöglichte ihm nach dem Abi das nötige Kleingeld für eine Dreizimmerwohnung. Er designte Homepages für namenhafte Agenturen. Alles lief nach Plan. „Und dann kam Corona. So ne scheiße!“, dachte sich Paul, der nach dem plötzlichen Herztod seiner Mutter wenige Monate zuvor große Angst vor dem Virus hatte. „Die Angst ist zwar irrational, aber leider da. Ich hasse es, dass ich so unlogisch denke, aber ohne Maske kommt mir keiner ins Haus!“, dachte sich Paul.
Und jetzt war da diese Nachricht von Phil. „Scheiße, was mach ich nur? Ich hätte schon wieder mal Bock auf Leute im Real-Life! Hab seit nem Jahr keinen Besuch mehr gehabt. Aber was will er von mir? Und warum gerade jetzt während der Pandemie?“
Paul war skeptisch. Nach dem Abi hatten beide lange gar keinen Kontakt. Dennoch schmeichelte es Paul, dass ausgerechnet Phil, der Stufenliebling ihm seit dem Abiball auf Insta folgte, auch wenn sie nie schrieben.
Paul war stolz auf seine Wohnung und seinen beruflichen Erfolg, den er trotz seines Studiums ganz früh feiern konnte. Das hatte sich auch bei den zwei bis drei Leuten vom Abi herumgesprochen, mit denen Paul regelmäßig chattete und online spielte.
„Vielleicht hat Toni ihm das mit der Wohnung erzählt? Die beiden sind doch ziemlich gute Buddies!“, dachte er sich. „Ach was soll’s. Scheiß drauf. Ich lade ihn ein!“
Als Phil ihn in dessen Wohnung besuchen wollte, war Paul sehr aufgeregt. Natürlich öffnete er die Tür im dritten Stock nur mit FFP2-Maske. Auch Phil trug eine Maske, dies war vorab online vereinbart worden. Seinen negativen Coronateststreifen zeigte er sofort vor. Phil war von Anfang an einverstanden, er lobte Pauls Idee sogar. Die offenen Fenster bei fünf Grad Außentemepratur waren für Phil auch kein Problem.
Phil brachte sogar ein Sixpack Desperados und ein paar Dosen Dr. Pepper zum ersten Wiedersehen mit. „Hey Diggi, krasse Bude. Die anderen vom Abi hatten recht, du hast es einfach voll drauf. Aber das wussten wir ja schon immer!“, rief Phil als er sich in der Wohnung umsah.
„Woher kennt er meine Lieblings-Cola-Sorte?“, fragte sich Paul überrascht.
Beide zockten den ganzen Tag Mario Kart. "Soziale Kontakte sind ein Health-Booster! Fühlt sich endlich mal wieder gut an, mit jemanden zu lachen und zu quatschen", dachte er sich. „Online zocken ist zwar nice, aber das hier ist schon viel besser!“
Beide trafen sich auch in den nächsten Tagen bei Paul, um zu zocken.
Und dann vertraute Phil ausgerechnet ihm ein Geheimnis an. Phil litt seit Jahren unter Asthma. Und zu Hause lief er nur mit FFP2-Maske rum. Paul gehörte zu den wenigen, denen Phil sich anvertraut hatte. "Asthma in diesen Zeiten ...Mies!", sagte Paul. „Tut mir leid!“
„Ach geht schon. Das wissen nur wenige! Bitte sag es keinem. Soll ein Geheimnis zwischen uns bleiben!“, sagte Phil und zwinkerte ihm zu.
„Du. Das bleibt aber unter uns?! Ich muss dir noch was sagen! Kann ich dir vertrauen?
Paul nickte. „Klar!“
„Es läuft gerade nicht bei mir, diggi! Leni hat Schluss gemacht. Mein Opa ist tot. Corona! Und das Studium läuft gerade auch nicht. Ich hab verdammt viel Angst. Kennst du das? Warum klappt gerade gar nichts?!“, seufzte Phil.
Paul drückte auf Pause und schaute ihn an.
„Fuck. Das tut mir leid. Echt mies alles! Ja, ich kenn solche Phasen!“, sagte Paul, ohne Näheres zu benennen.
„Und meine Eltern wollen unbedingt, dass ich mir einen Nebenjob hole. Aber das ist mir gerade alles zu viel. Ich bin kein IT-Crack wie du! Mir fallen keine Distanzjobs ein. Echt kompliziert gerade. Das Zocken mit dir tut mir aber gut. Danke, Bro!“
Paul lächelte. „Kein Problem. Ich bin gerne für dich da. Mach richtig Bock mit dir!“
Auch in der zweiten Woche trafen sie sich bei Paul. Phil schickte vorab über WhatsApp immer ein Bild seines negativen Covid-Tests und kam ohne Aufforderung mit Maske. Der kleine Hypochonder in Paul war dadurch sofort beruhigt. Auch wenn Paul durch Insta durchaus wusste, dass Phil sich draußen oft mit Leuten ohne Maske traf, war das für ihn kein Problem. Im Gegenteil: Der Phil-Effekt sorgte dafür, dass Paul sich wieder besonders fühlte. „Nur für mich trägt er eine Maske. Cool von ihm, dass er mich respektiert!“, dachte sich Paul. Und deshalb verwunderte es auch nicht, dass er für Phil da sein wollte, als dessen Eltern an Covid erkrankten und er einen Schlafplatz brauchte. „Du kannst ein bis zwei Wochen bei mir pennen. Du hast schließlich Asthma. Ich will nicht, dass dir was passiert und du dich bei deinen Eltern ansteckst!“ sagte Paul.
„Mega nice. Du bist echt cool! Schade, dass wir im Abi so wenig Kontakt hatten!“
Paul grinste stolz. Er traute sich nicht, genauer nachzuhaken, warum dies damals der Fall war.
Dankend nahm Phil den Vorschlag an und zog vorübergehend zu Paul. Er schlief in dessen Gästezimmer. In den ersten Tagen spielten sie noch oft Mario Kart.
Nach und nach wurde es weniger. Phil traf sich oft mit seinen Leuten im Park „Eigentlich wär ich auch gerne dabei, muss aber auch viel arbeiten. Vielleicht fragt er mich das nächste Mal?!“, dachte er.
Eines Abends kehrte Phil stark angetrunken von einer Party zurück. Paul wurde wütend.
„Ey, wir waren zum Zocken verabredet. Du hättest mich schon fragen können, ob ich mitmöchte, anstatt mich hängen zu lassen! Schon uncool von dir!“, sagte er.
„Mensch, Diggi. Wie unhöflich von mir! Du hast recht. Ich dachte nur, dass du Angst hättest, ohne Maske feiern zu gehen. Ich wollte dich zu nichts drängen. Sorry, Bruder!“
" Ja. Schon okay. Das nächste Mal gehen wir halt zusammen! Okay?"
"Ja, sicher!" Phils Atem roch streng. Und er trug keine Maske. Dann begab er sich leicht wankelnd ins Badezimmer.
Paul lief rot an. „Gestern hat er auch schon ohne Maske auf dem Sofa gechillt und die Couch mit Erdnussflips vollgekrümelt. Gelüftet hat er auch nicht. Die Bude riecht nach einer Mischung aus Bier und Mett. Das Mett hat er auch alleine gegessen, ohne mir etwas anzubieten. Dr. Pepper bringt er vom Einkaufen auch nicht mehr mit. Immer muss ich einkaufen!“, dachte Paul. „So langsam nervt es! Es sieht hier aus wie in einer Messi-Bude. Ich wollte das doch nie wieder! Aber er macht ja auch ne schwere Zeit durch, außerdem hoffe ich, dass wir bald wieder zocken. Alleine sein, ist doch auch lame! Ich will ja auch nicht wie ein Spießer wirken“, dachte Paul.
Erst zwei Wochen später fragte er wieder nach. Phil und er hatten seit Tagen nicht mehr geredet. Phil lag oft nur auf dem Sofa und trank beim Zocken große Mengen Desperados. Eines Abends hatte Paul Pizza gebacken, um Phil bei einem gemütlichen Essen zu fragen, wie es um die Gesundheit seiner Mutter stand. „Dann kann ich ja auch mal nachhaken, wann er endlich auszieht ...“, dachte er.
Paul betrat ungefragt das Gästezimmer, aus dem es seit Tagen unangenehm roch. Als er die Tür öffnete, sah er Phil, der aus dem Fenster starrte und rauchte. Panisch schnippte er die Kippe aus dem Fenster und hustete etwas überrascht. „Hi. Was kann ich für dich tun?“, fragte er. Paul registrierte erst jetzt Phils großen Augenringe, seine leichte gerötete Netzhaut und einen faulig-süßen Geruch.
„Öhm. Es gibt Pizza. Hunger?“
„Ach ne, Diggi. Mir geht es heute nicht so gut. Kannst mir ja was übriglassen, falls es dir nichts ausmacht...“ Phil hustete noch einmal.
Eigentlich machte es Paul schon etwas aus, doch am selben Abend erhielt er eine Nachricht, die sein Leben verändern sollte. "Wow. Ein Jobangebot aus Berlin. City Masters. Krass. Die Agentur will echt, dass ich vor Ort ihre Homepage designe. 10000 Ocken. Das Projekt wäre gut bezahlt. Ein Monat ist aber auch ne lange Zeit. Kann ich Phil so lange alleine lassen? Überlebt die Bude das? Schwierig?!" Paul überlegte eine Weile, bis er die Dutzenden leeren Bierflaschen im Wohnzimmer bemerkte. „Boah, es ist wie früher bei Papa. Ich muss hier einfach mal raus. Ich halte es hier nicht mehr aus. Ich will ihn auch nicht hängen lassen, aber wenn ich zurück bin, muss er weg!“
Phil durfte noch ein paar Wochen bleiben, bis es seiner Mutter wieder besser ging. Nach Pauls Rückkehr sollte er jedoch spätestens ausgezogen sein und die Bude so sauber hinterlassen haben, wie sie anfangs war. Das war der Deal. Phil erklärte sich mit einem "Sicher, Diggi!" einverstanden.
***
Nach zwei Monaten in Berlin kehrte Paul zurück. Phil hatte nicht auf seine Anrufe und Nachrichten reagiert. Trotz der Angst um seine Wohnung, freute Paul sich, seinen Freund wiederzusehen. „Ich muss ihm von Marie erzählen. Das wird ihn freuen. Aber wenn sie mich nächste Woche besuchen möchte, muss er ausgezogen sein. Sie hat recht. Ist ja schließlich meine Bude!“
Als Paul die Tür aufschloss, fand er eine immer noch verdreckte und stinkende Wohnung vor. Dutzende Bierkästen und Bierflaschen lagen herum. Die Spüle war verstopft. Gerade als er nach Phil rufen wollte, huschte eine halbnackte Frau aus dem Bad. Es war Leni, die schreiend ihre Hände vor ihre Brüste hielt, als sie Paul bemerkte.
„Was machst du denn hier?“, fragte sie entsetzt, während Paul sich halbherzig die Augen zuhielt und grinste.
„Hallo Leni. Ich wohne hier. Und was machst du hier?“
„Ach, du bist es. Wie war noch mal dein Name?“, fragte Leni leicht abfällig.
„Paul. Wir hatten Philo zusammen in der 12. Klasse. Ich bin der Typ, der deinen Ex hier wohnen lässt. Erinnerst du dich?“, fragte Paul zynisch.
Leni verdrehte die Augen. „Ja, kann sein. Phil hat nicht viel über dich gesprochen. Aber was meinst du mit Ex?“
Paul wiegelte ab. „Öhm. Ach. Es ist schon spät. Ich hab da vielleicht nur was vercheckt. Sorry!“
„Wie geht es denn Phils Mutter?“, hakte Paul nach.
„Gut, sehr gut! Lore und ich haben noch Kontakt. Aber die Alte hat Phil immer noch nicht die Kifferei verziehen. Wieso fragst du so komische Sachen? Geht es dir denn gut?“
„Kiffen? Ähm. Ja. Eigentlich schon. War halt ein langer Tag … Ich bin etwas verwirrt. Wir sprechen morgen, okay?“
„Na, wenn’s sein muss. Ist ja deine Bude. Aber jetzt nicht stören. Phil und ich brauchen noch etwas Quality Time!“, sagte sie und zwinkerte.
Schnell begab Paul sich auf sein Zimmer. Er hatte es vor seiner Abreise abgeschlossen und alle Wertsachen und Elektronik-Geräte darin verstaut. Nur die Mario Kart Konsole und den Fernseher hatte er Phil überlassen. „Gut, dass hier niemand rein konnte. Ich traue ihm nicht mehr! Er muss hier raus!“
Dann klingelte sein Handy. Es war Marie, die ebenfalls für die Agentur arbeitete. Sie war nicht begeistert, als sie die Story über die halbnackte Frau in Pauls Wohnung hörte.
„Ganz ehrlich. Ich glaube, der Typ verarscht dich die ganze Zeit! Der will nur um sonst bei dir chillen. Da stimmt was nicht. Vertrau mir. Der ist ja schlimmer als ein Nomade! Mein Ex war so ähnlich, ein manipulatives Genie. Wach auf, Paul!“, riet sie ihm. „Ich hatte damals nicht den Mumm und habe ihn nur geghostet. Vielleicht konfrontierst du ihn mal mit den Fakten. Solche Leute dürfen nicht immer, mit allem davonkommen. Hab dich lieb. Aber klär das bitte. Ich steh auf selbstbewusste Männer! Oh sorry, meine Mum ruft an. Meld mich später. Ciao.“
„Aufgelegt. Verdammt. Was mach ich nur?“, dachte Paul sich und knabberte an seinem Fingernagel. "Blöder Phil-Effekt! Aber es reicht. Es ist endlich Zeit, diese Theorie zu widerlegen! Damit kommt er nicht davon. Er fliegt raus!"
Nach dem Telefonat schrieb Paul eine Nachricht. „Phil, es geht so nicht weiter.
Lass uns morgen reden! Du musst ausziehen!“
Als er die Nachricht abgeschickt hatte, fiel er erschöpft auf sein Bett. „Ich bin so ein Feigling. Würde gerne bei ihm klopfen. Aber da ist ja auch Leni. Will die beiden nicht sehen, schon gar nicht nackt. Ach egal. Wir reden morgen!“, brabbelte er vor sich her.
***
Am nächsten Morgen wurde Paul durch ein Rumpeln geweckt. Er blickte auf sein Handy. „Nichts.“ Es war 11 Uhr. "Mist! Verpennt!" Schlaftrunken rieb er sich die Augen und verließ sein Zimmer.
Ein Mann mit grau melierten Haaren und einem akkurat geschnittenen Schnauzer kollidierte beim Tragen einer Umzugsbox fast mit ihm. Paul schaute auf den Mann, der Birkenstocksandalen und eine Rolex trug.
„Guten Tag!“, sagte der Mann kurz angebunden und rümpfte die Nase.
„Hallo. Dürfte ich fragen, wer Sie sind und was Sie in meiner Wohnung machen?“
„Ich bin Hubertus von der Heyden. Ich bin der Großvater von Philipp. Und Sie müssen dieser Peter sein?“
„Paul“, entgegnete er überrumpelt.
„Ja, wie auch immer. Vielen Dank, dass Sie meinen Enkel hier aufgenommen haben, als der Konflikt mit meiner Tochter so eskalierte.“
Als Leni sich, diesmal angezogen, mit einem Karton näherte, flüsterte der Mann etwas in Pauls Ohr. Dabei blickte er auf die leeren Bierflaschen, die überall in der Wohnung herumlagen. „Aber ich hoffe, Sie kriegen Ihre Drogenprobleme bald in den Griff, junger Mann. Mein Enkel kann hier nicht wohnen bleiben. Das ganze Marihuana tut ihm nicht gut. Sie ziehen ihn nur immer weiter mit herunter. Ich hoffe, Sie verstehen das! Leni und ich helfen ihm beim Auszug, wenn Sie damit einverstanden sind. Er muss hier raus!“
Pauls Stimme brach kurz weg. Dann atmete er tief ein und aus. „Ach, das hat er Ihnen erzählt? Und Sie glauben ihm diese billige Geschichte? Wirklich? Passt die Wahrheit nicht in Ihre heile Welt? Sind Sie wirklich so naiv und blind?“
Der ältere Herr schien, sich ertappt zu fühlen und schwieg. Dann verschwand er durch die offene Wohnungstür im Treppenhaus. Paul hätte dem Mann gerne die ganze Wahrheit gesagt, aber zuerst wollte er Phil konfrontieren. Als Leni und Phils Großvater draußen waren, stürmte er in das Gästezimmer.
„Wieso, Alter? Wieso all diese Lügen? Und warum schiebst du alles auf mich?“, fragte Paul.
Phil schwieg kurz. Dann grinste er. „Ja sorry. War vielleicht einen drüber, aber mal ganz ehrlich. Du hast es auch zugelassen. Tu jetzt bloß nicht so, als ob die ersten Wochen mit uns nicht die geilste Zeit deines fucking Lebens waren. Es braucht immer zwei für so einen Konflikt. Und du bist halt ein typisches Opfer. Das ist nicht meine Schuld!“
„Und ich dachte, wir wären Freunde!“, sagte Paul wütend.
Phil lachte hämisch. „Freunde? Ich dachte, ich könnte wie zu Abi-Zeiten etwas von dir profitieren. Aber du bist ja noch uncooler als damals. Du dachtest echt, wir wären Freunde? Freunde schmeißen einen nicht einfach so raus. Zum Glück habe ich noch mehrere Kumpels, wo ich unterkommen kann. Die sind auch nicht so lahm wie du! Die Asthma- Story kauft mir bestimmt noch einer ab.“ Phil lachte. "Mann, war das einfach!"
Paul wurde immer wütender. Er musste sich das Weinen verkneifen. „Du mich auch! Ich hoffe, ihr entsorgt die Bierflaschen noch, oder es fliegt alles auf! Ich lass mir das nicht länger gefallen! Ich will nicht in so einer Messi-Bude wohnen. Nutz deine anderen Kumpels aus. Vielleicht glauben die deine Märchen!“, schrie er.
„Schade, ich dachte, du wärst durch mich ein bisschen cooler geworden! Jetzt heulst du hier rum“, raunte Phil ihn an. Seine Augen waren immer noch etwas gerötet.
"Wenn so etwas wie du cool bist, dann bin ich gerne uncool! Räum einfach die Bude auf und verpiss dich! Und wenn nicht, erzähl ich deinen Leuten die Wahrheit! Dein Opa wirkt sehr interessiert.“
„Schade. Mein Projekt ist gescheitert. Dich kann keiner in einen coolen Typen verwandeln“, raunte Phil ihn an. „Hab es hier auch kaum mehr ausgehalten! Den ganzen Tag Mario Kart … Wir sind doch keine Kinder mehr! Voll lame!“
Paul schnaubte. „Ich mein es ernst! Räume auf und verzieh dich danach!“ Dann schaute er Phil das erste Mal direkt in die Augen.
Phil wich seinem Blick aus. Ohne eine Antwort schnappte er sich die ersten vier Flaschen und legte sie in einen leeren Kasten. Dann machte er weiter. Die Fenster kippte er auch. „Geht doch!“, sagte Paul. „Schon krass, was du trotz Asthma alles schaffst! Beeindruckend!", rief Paul und lachte.
Phil verdrehte die Augen und schwieg.
Paul begab sich erleichtert zurück in sein Zimmer. Als ihm langweilig wurde, surfte er im Netz. Da bemerkte er, dass Phil ihm bereits auf Insta entfolgt war.
Als er eine Stunde später in das Wohnzimmer zurückkehrte, war die Bude aufgeräumt. Phil war verschwunden. Paul blickte in den Spiegel im Flur und nickte seinem maskenlosen Spiegelbild zufrieden zu. „Endlich ist alles im Reinen! Ich kann wieder frei atmen“, dachte er.
ENDE