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Der Prinz aus Stein
Wenn die Nachtwiese abblüht
und der Mondtau vergeht
fühl ich mich gefangen
wo niemand versteht
Und sowie er sein Klagelied zu Ende gesungen, erstarrt der dunkle Prinz zu Stein. Die ersten Lichtstrahlen des noch dämmernden Morgens brennen heiß auf seinem Schädel, ein wenig muss die Sonne noch wandern, bis die starke Eiche ihm endlich Schutz gibt.
Seit einigen Tagen schon hat ein junges Mädchen sich zu ihm in den Wald verirrt, das Rauschen des schmalen Bächleins scheint es angelockt zu haben. Im seidengoldnen Haar trägt es ein Blümchen, tiefblau und ehrlich, wie seine Augen.
Nova bückt sich zum Bach hinab und schöpft das frische Wasser mit den Händen, um zu trinken. Ängstlich zuckt sie zusammen, als sie zum ersten Mal den langen schwarzen Schatten sieht, der kaum zehn Schritt weit von ihr über den Bach hinweg ragt. Vorsichtig schaut sie sich um, erblickt einen Prinzen aus Stein.
„Stand der gestern schon hier?“, stutzt sie und läuft auf die Statue zu.
„Wie echt du aussiehst, beinahe als wärst du verwünscht worden“, streicht sie sanft die Arme der Figur, die kalt waren noch von der Nacht.
„Aber was stellt man dich in den tiefen Wald, wo keine Seele dich findet?“
Sie setzt sich zu seinen Füßen, und schaut dem goldbraunen Amselweibchen nach, das seine Fittiche im klaren Wasser platschen lässt, und stimmt in des Vögelchens Gezwitscher ein.
Wie hell der Bach rauschet
wo Menschen nicht nah
ich floh aus der Liebe
die keine mehr war.
„Ach, steinerner Prinz, ich muss gehen. Aber ich darf doch wieder kommen zu dir, morgen, wenn mein Herz deinen Trost braucht?“, und als sie das gesagt, spürt sie eine zauberhafte Kraft, die ihre Seele entzweireißt. Zweifel erfüllt sie wie der Wille, noch länger zu bleiben, als die Amsel plötzlich aufschreckt und davonfliegt. Ganz in der Nähe hat Nova eine Axt schlagen hören und nun nimmt auch sie das Rufen und Singen der Holzfäller wahr und eilt schnell den Pfad, den sie gekommen, zurück ins Dorf.
Im Bett wälzt sich Nova in dieser Nacht und der helle Mond scheint durch die Läden in ihre Kammer. „Welch seltsame Statue“, denkt es ihr, „so ganz alleine im Wald. Und wie ich mit ihr sprach, beinahe gar als wäre sie ein echter Mensch.“
Die Nachtigall singt auf dem Apfelbaum im Garten ihr Lied und Nova wird nun einer Stimme gewahr, die nur eines Prinzen würdig, tief und dunkel, doch lieblich verführerisch zugleich.
Wenn des Mondes Schein
die Erde zart küsst
entstehen die Träume
im ewigen Licht
Nova tritt ans Fenster, klappt die Läden zurück und sieht unter dem Apfelbaum in Fleisch und Blut den Prinzen hocken, den sie am Morgen im Wald gefunden. Ist er gar nicht aus Stein? Und warum ist er ihr gefolgt? Im blanken Nachthemd schleicht sie sich aus dem Haus.
O, blaue Blume
im goldenen Haar
wo bist du gewesen
dein Retter ist da
Der Prinz fasst sie an der Hand und gemeinsam fliegen sie, als wären sie Engel. Wie klein die Dörfer von oben ausschauen. Schäfchenweiße Wolken, auf denen sie treiben durch den Himmel der Nacht, der leuchtet in allen Farben, und Sterne zum Greifen nah spielen eine Musik, zauberhaft und zart, dass der Prinz die Prinzessin küsst, bis die Lilien sich verwirren auf der ganzen Welt.
Wenn die Nachtwiese abblüht
und der Mondtau vergeht
fühln wir uns gefangen
wo niemand versteht
Zwei Holzfäller finden das Kind mit bloßem Nachthemd am Leib, erfroren im tiefen Schnee. Die Arme um einen Brocken Stein geschlungen, auf dem eine Amsel sitzt, die des Winters Kälte nicht scheut und fröhlich ihr Liedchen zwitschert.