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Der Rabe

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09.02.2003
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Der Rabe

Der alte Mann überraschte uns alle. Es wurde augenblicklich still, nachdem er gesprochen hatte. Ich hörte meinen Herzschlag so laut wie unsere Stimmen zuvor. Hatte er wirklich das gesagt, was ich zu hören geglaubt hatte?
Noch immer sagte niemand etwas. Aber ich sah, dass Frank sich bereitmachte. Das konnte nicht gut kommen. Er war jähzornig.
„Das ist doch nur eine Legende.“ Erwiderte Frank abfällig. Der alte Mann wandte ihm seinen leeren Blick zu. Seine Augen waren so hell, dass man die Iris oder die Pupille nicht mehr sah. Er war blind. Zumindest nahm ich das an. Frank sah nach unten.
„Ich habe es selbst gesehen.“ Der alte Mann sah uns alle der Reihe nach an. Keiner wagte es, ihm in die Augen zu sehen. Ich selbst starrte intensiv in mein Bierglas. Ich wusste gar nicht, wieso ich es bestellt hatte. Ich mochte den Geschmack nicht einmal.
„Gesehen?“ flüsterte Frank grinsend. Wieso musste er den Mann noch provozieren?
„Jetzt bin ich blind, junger Freund. Damals…“
„Ich…“ krächzte ich. Ich räusperte mich und versuchte es erneut. „Wieso erzählen sie’s uns dann überhaupt?“
Sofort schnellte sein Kopf in meine Richtung. Diesmal sah ich in seine leeren, weissen Augen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Er sah mich an, blind oder nicht.
„Ihr sollt euch von jenem gottlosen Ort fernhalten. Das will ich.“ Er starrte mich noch immer an. Ich schluckte laut. Ed war noch weisser als ich. Sein Gesicht schien nur noch aus Augen zu bestehen.
„Genau genommen waren wir schon dort.“ Der Alte sackte in sich zusammen. Sein runzeliges Gesicht wurde noch runzliger. Da begriff ich, dass er lachte. Das keuchende Geräusch dazu kam eine Sekunde danach.
„Dann ist es zu spät.“ Er sah noch immer zu mir. Ich bewegte mich nicht einen Millimeter.
Draussen war ein schöner Herbstabend. Keine stürmische, unheimliche Nacht, wo Geistergeschichten einen erschrecken sollten.
„Wieso zu spät?“ meldete sich Ed zu Wort. Seine Stimme klang piepsig. Der einzige von uns, der keine Angst zu haben schien, war Moon. Er schien eher vor Neugier gespannt zu sein.
„Mann, was denkst du denn? Haben dir deine Eltern die Geschichte nicht erzählt?“ Moon verdrehte die Augen. „Wir müssen sterben.“ Er grinste. Ich dagegen kämpfte gegen einen weiteren Schauer an.
„Schlimmer, Kleiner.“ Die Stimme des alten Mannes war staubig. Er räusperte sich nicht, aber ich wartete nur darauf, so wie er sich anhörte. „Wenn ihr wirklich auf Grund und Boden der Hexe wart…“ Er verstummte. Sogar Frank drückte sich gegen seinen Stuhl. „Seht mich an.“
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Moon begann zu lachen, was uns allen irgendwie Mut gab. Ed und Frank begannen ebenfalls zu grinsen. Nur ich konnte nicht lachen. Der Blick des Mannes war noch immer starr auf mich gerichtet.
„Was denkt ihr wie alt ich bin? Na?“ Ich räusperte mich erneut, um Zeit zu schinden.
„100?“ versuchte ich. Moon grinste mich an. Frank nickte anerkennend.
„133.“ Ed verschluckte sich an seinem Bier. Sogar Moon sah erschrocken aus.
„Soll das der böse Fluch der Hexe sein?“ Moon konnte es nicht lassen. Ich wünschte mir nur noch, dass der Alte seinen Blick abwandte. Ich wollte raus aus dieser Kneipe, diesen schrecklichen Tag nur noch hinter mich bringen.
„Ihr kennt die Legende. Ich war dabei als sie entstand.“ Ich konnte ihn nicht mehr ansehen und starrte wieder in mein Bier. „Aber lacht nur. Ich habe versucht euch zu warnen.“ Ich spürte, wie er endlich den Blick abwandte. Er sah die anderen drei an.
Dann stand er auf und schlurfte davon. Ich wagte nicht zu atmen, bis er draussen war. Meine Gänsehaut hielt noch immer an.
„Der war ja total daneben.“ Meinte Ed. Ich nahm einen grossen Schluck Bier, um meine Kopfschmerzen einzudämmen. Der Kater vom gestrigen Abend, an dem ich zu diesem blöden Streich ja gesagt hatte. Moons Taktik. Er meinte, um seinen Kater loszuwerden musste man einfach mit dem Trinken weitermachen.
„Ach Leute, jetzt lasst euch nicht runterziehen. Der war doch senil.“ erwiderte Frank.
„Ein bisschen unheimlich war er schon.“
„Ash, du bist so ein Feigling. Machst dir in die Hosen wegen einem alten Sack.“ Frank grinste. Ich mochte ihn nicht wirklich.
„Lass ihn in Ruhe, er sagt nur, was er denkt. Solange er nicht aussteigen will, seh ich das nicht als Feigheit.“ Moon zwinkerte mir zu. Ich schluckte. Eigentlich hatte ich das tatsächlich vorgehabt.
„Wir ziehen das noch immer durch, klar?“ Moon sah jedem von uns in die Augen.
„Der alte…“
„Vergesst den doch.“ Moon verdrehte die Augen. Er rief dem Barkeeper zu: „Louis, sag mal, wer war denn der Alte?“
„Das ist Albert. Der unterhält hier die Gäste mit Geschichten an Halloween. Hat er mit euch die Nummer mit der Hexe abgezogen?“ Louis verzog den Mund zu einem Grinsen, bei dem die Hälfte der Zähne fehlte.
„Da hast du’s, der wollte uns bloss verarschen.“ Moon schlug mir auf die Schulter. Ich grinste kläglich.
„Du hast wohl Recht.“ Ich war auch ein Riesenbaby. Nur ein Geschichtenerzähler und ich war auf sein Geschwätz reingefallen. Ed sah mindestens so erleichtert aus wie ich. Er war zwar schon länger dabei, aber wie er es geschafft hatte, war mir ein Rätsel.
„Also los, auf geht’s.“ rief Frank und war schon raus aus der Kneipe. Moon zog mich mit und wir rannten lachend raus.
„Was ist mit bezahlen?“
„Ach, Louis kennt meine Eltern. Das geht in Ordnung.“
Wir rannten weiter in Richtung Fair Haus. Ich begann diese kitzelnde Vorfreude zu spüren. Wir taten was Verbotenes, Aufregendes.
„Und gleich nachdem wir es getan haben, gehen wir auf Angelas Party. Das wird der absolute Hammer.“ Rief Frank ein bisschen ausser Atem. Wir wurden langsamer.
„Oh ja, dort wird auch Laila sein. Die ist so heiss.“ Ed leckte sich über die Lippen.
„Da haben wir eh keine Chance, die steht doch total auf Moon.“ Meinte ich. Ein bisschen neidisch war ich schon. Moon war der totale Frauenheld und natürlich wollte auch die schärfste Braut der ganzen Schule was von ihm.
„Und was glaubt ihr, wer sie heute Nacht nageln darf?“ Moon grinste breit. Wir waren alle etwas angetrunken und die Stimmung lockerte sich auf. Die ganze Sache erschien mir schon gar nicht mehr so übel.

Das Fairhaus war riesig und hob sich wie ein alter Rabe aus dem Schatten. Ausgefranste Federn und verblichenes Schwarz. Es sah noch unheimlicher aus, weil es im Licht der untergehenden Sonne stand.

Seltsame, phantastisch wilde, unerklärliche Gebilde,
Schwarz und dicht gleich undurchsicht'gen nächtig dunklen Nebelschwaden huschten aus den Zimmerecken, füllten mich mit tausend Schrecken

Aus irgendeinem Grund musste ich plötzlich an dieses Gedicht von Poe denken. Wir hatten es gerade in der Schule durchgenommen. Eigentlich mochte ich Poes Geschichten, aber in jenem Augenblick fühlte ich mich genau wie der Erzähler im Gedicht, gefüllt mit tausend Schrecken. Es war dieses Haus. Ich erschauerte.
„Wow, das sieht ja geil aus.“ Rief Frank und riss mich damit aus meinen Gedanken. Er nahm einen Stein und schoss ein Fenster ein. „Wuhu! 100 Punkte!“
„Du bist der Mann!“ Ed grinste.
„Hey, zeigt ein bisschen Respekt. Das ist das Haus der alten Fairhexe.“ Rief Moon. „Immerhin sind hier 20 junge Mädchen gefoltert und umgebracht worden.“
„Ich hab gehört, sie hat einige sogar lebend gekocht und dann gegessen.“
„Das ist ekelhaft.“ Ed spuckte aus.
Plötzlich polterte etwas herunter, Frank sprang auf und Ed zuckte zurück. Ich zuckte auch zusammen. Ein Stück des Fensters war heruntergestürzt.
Wir lachten nervös auf. Die Stimmung war wieder angespannt.
Es war soweit.

Ich hatte unheimliche Angst, aber ich wollte vor den Jungs nicht als Feigling dastehen. Und ich wollte Moon nicht enttäuschen. Er hatte sich für mich eingesetzt. Ohne ihn würde ich noch immer ohne Freunde alleine in der Raucherecke rumstehen. Ausserdem würde es mich wirklich zur Legende machen.
Die anderen waren schon ganz verschwommen in der Dunkelheit, was die Sache nicht leichter machte. Aber Moon hatte mir Laila versprochen. Ich ging weiter in Richtung Haus und stellte mir vor, wie sich Laila vor mir auszog und ihre Lippen über meinen Körper wanderten. Das half.
Ich stand schon vor der Tür, sie war alt und vergilbt, aber nur angelehnt. Drinnen war es ganz dunkel. Ich schluckte und streckte die Hand nach der Klinke aus. Ich öffnete die Tür, die Worte des alten Mannes im Ohr. „Seht mich an.“
Da wurde ich von hinten gepackt und zurückgezogen. Der Schrei blieb mir in der Kehle stecken. Moon stand grinsend vor mir.
„Hey Mann, nicht so stürmisch.“
„Spinnst du?! Scheisse, das ist nicht lustig.“ Zischte ich. In Wirklichkeit war ich erleichtert. So musste ich noch nicht in dieses Haus hinein.
„Reg dich ab. Ich wollte dir noch viel Glück wünschen.“ Er legte seine Hand auf meine Schulter.
„Danke, Mann.“
Moon lächelte. Ich lächelte zurück. Auf einmal machte er einen Schritt auf mich zu und presste seine Lippen auf meine. Ich war wie erstarrt. Die Blätter raschelten und der Wind heulte auf. Dann trat er zurück und schubste mich in Richtung Haus.
„Ich zähl auf dich Mann.“
Er drehte sich um und rannte davon, während ich ins Innere des Hauses stolperte. Meine Lippen kribbelten. Moon hatte mich geküsst. Was sollte das? Und wieso prickelte es in meiner Bauchgegend? War ich schwul? Das bedeutete aber auch das Moon schwul war, immerhin hatte er mich geküsst. Ich war verwirrt. Moon war der Aufreisser, den alle Frauen liebten und zu dem wir Jungs deswegen alle aufsahen. Er konnte nicht schwul sein. Ich wischte mir über die Lippen, wo noch immer ein bisschen Speichel war. Moons Speichel. Mein Magen suchte sich diesen Zeitpunkt aus, um zu rebellieren und ich würgte angestrengt.
Erst da bemerkte ich, wo ich war. Nämlich im Haus drin.
Es war dunkel, staubig und zerfallen. Ich machte einen Schritt ins Zimmer. Es fühlte sich an, als ob das Haus zufrieden grinste. Ich war in die Falle der Hexe getappt.

Lang in dieses Dunkel starrend, stand ich fürchtend, stand ich harrend, Fürchtend, harrend, zweifelnd, staunend, meine Seele ganz im Ohre -
Doch die Nacht blieb ungelichtet, tiefes Schwarz auf Schwarz geschichtet, Und das Schweigen ungebrochen, und nichts weiter ward gesprochen

„Warum braucht er so lange?“ Ed war schon ungeduldig. Die drei Jungs sassen im Gebüsch und warteten auf Ash. Eine Ewigkeit wie es schien.
„Was wenn was passiert ist?“ Ed hörte nicht auf zu reden.
„Reg dich ab, Mann. Du gehst mir langsam auf den Sack.“ Frank schlug Ed mit der Hand. Moon sagte kein Wort.
„Hey Moon, was ist nur los mit dir?“ Beide drehten sich zu ihm um.
„Nichts.“
„Du bist so schweigsam. Malst dir wohl aus, wie’s nachher zur Sache gehen wird.“ Frank grinste anzüglich. Eds Blick wurde glasig. Moon grinste zurück.
„So was in der Art.“
Ed kramte in seiner Tasche herum und zauberte einen Joint hervor. Triumphierend zündete er ihn an. Frank streckte die Hand aus und Ed gab den Joint weiter.
„Nicht schlecht.“ Meinte er, während er den Rauch ausblies.
„Gib mal her.“ Moon nahm einen kräftigen Zug.
„Den hab ich von den Jamaikanern am See gekriegt. Das Zeug ist nicht schlecht.“ Der Joint wanderte umher.
„Also ist nichts mehr mit Selbstanbau?“
„Klar, Mann. Aber…“
Ein Schrei unterbrach Eds Erklärung. Die Jungs verstummten. Frank liess den Joint fallen.
„Scheisse, war das Ash?“
„Wer denn sonst, Einstein! Los!“ Moon war schon auf den Beinen. Ed folgte ihm, nur Frank blieb sitzen.
„Mann, was ist, wenn da wirklich was ist? Ich möchte nicht reingezogen werden.“
„Scheiss drauf.“ Moon zog ihn an den Handgelenken hoch. Sie liefen los. Ed fiel es schwer auf den Beinen zu bleiben. Er stolperte hinter den beiden anderen her.
Als sie vor dem Haus standen, sahen sie Ash herauskommen. Er war bleich und zitterte. Bevor die Jungs ihn erreichten, drehte er sich um und übergab sich.
„Mann, was ist passiert?“ fragte Frank atemlos.
„Nichts, alles ok.“ Krächzte Ash und wischte sich über die Lippen. Seine Augen sahen unruhig hin und her. „Lasst uns einfach verschwinden.“ Er setzte sich in Bewegung, ruckartig und irgendwie ungelenk. Moon packte seinen Arm.
„Dir geht’s doch nicht gut, verdammt. Was ist da drin passiert?“
„…huschten aus den Zimmerecken, füllten mich mit tausend Schrecken.“ murmelte Ash und zog seinen Arm zurück. Moon wich zurück und starrte ihn an.
„Wo ist denn der Joint? Davon könnte er was brauchen.“ Ed liess seine Hand wieder in seine Tasche wandern. Schon hatte Ash einen Joint im Mund. „Zieh kräftig dran. Das wird dich wieder normal machen.“
Ash nahm einen kräftigen Zug. „Behalt es drinnen, solang’ s geht. Dann wirkt’ s besser.“ Wäre Marihuanakunde ein Fach, Ed wäre Klassenbester.
„Ich will auch noch mehr.“ Meldete sich Frank zu Wort.
„Mann, lass doch Ash erst mal zu Kräften kommen. Auf der Party gibt’s noch mehr.“ Ed zog Frank mit sich. „Moon, Ash, los geht’s! It’ s Partytime.“

„Ash, was ist los, du hast noch kein Wort gesagt, seit wir hier sind.“ Ash warf Moon einen leeren Blick zu.
„Der alte Mann hatte Recht. Wir hätten nicht hingehen sollen.“
„Dann sag mir doch wieso? Was war da?“
„Ja Mann, das würde uns alle interessieren.“ Mischte sich Frank ein. Er grinste dümmlich vor sich hin. Ein paar Bierchen zuviel. „Wo ist Ed überhaupt?“
„Der verkauft seinen Stoff an irgendwelche Typen.“
„Also?“ Frank und Moon sahen ihn gespannt an. „Hast du die Hexe gesehen?“
„Scheisse nein. Es war total dunkel da. Und der Gestank. Scheisse. Ich hab nicht gesehen, wo ich hingehe. Und dann… Da war ne vergammelte Leiche. Versteht ihr? Maden überall, sogar in… sogar dort, wo die Augen sind.“ Ash würgte.
„Ne Leiche? Deswegen machst du so nen Aufstand?“ Frank lachte auf und gab Ash eine Kopfnuss. „Du bist vielleicht ein Weichei.“
„Hast du schon mal ne Leiche gesehen ausser im Fernsehen, Idiot?“ Fauchte Ash und schlug Franks Hand weg. „Ausserdem weiss ich, wer es ist. Dieses Mädchen aus den Nachrichten. Sie verwest dort vor sich hin und kein Schwein interessiert sich dafür.“
„Das ist Sache der Polizei, Mann. Nicht unsere.“
„Aber sie…“
„Hey, reg dich doch nicht so auf. Dafür kriegst du Laila. Die ist schon ziemlich voll, da nimmt sie sogar dich.“ Frank knuffte Ashs Schulter.
„Fick dich doch.“ Ash stand auf und wollte davonlaufen.
„Ash, Mann, nimm’ s nicht so schwer.“ Frank warf ihm ein Bier zu. Ash fing es auf und trank es in einem Schluck. „Wow, hier nimm noch eins.“ Ash trank auch dieses sofort aus, obwohl die Hälfte daneben ging.
„Los, lass uns ein Wetttrinken machen. Wer die Dose zuerst austrinkt.“ Frank nahm eine Dose und gab die andere and Ash weiter.
„Wo gehst du hin, Moon? Wir brauchen einen Schiedsrichter.“
„Ich hol Eddie, wir brauchen mehr Stoff.“


Ich war schon ziemlich betrunken und die Sache mit der Leiche war wie ein längst vergangener, nebulöser Traum. Die Sonnenseite des Alkohols.
Moon war gerade dabei mich irgendwo hin zu stossen. Er war nicht so zu wie ich. Der Mann konnte trinken.
„Wo.. inst u mih in?“ Ich schüttelte den Kopf, um die Schwere zu vertreiben, stattdessen verlor ich mein Gleichgewicht. Wir stürzten lachend zu Boden.
Moon half mir hoch und einen Moment lang war sein Gesicht vor meinem. Mein Gesicht brannte.
„Laila wartet auf dich.“ Moon grinste. Ich grinste zurück. Laila…
Vor der Tür drehte ich mich noch einmal zu Moon um.
„Wegen vorhin, ich…“
„Viel Spass dann noch.“ Meinte er nur und wankte davon.
Ich trat ins Zimmer und da war Laila. Sie grinste anzüglich und irgendwie war ihr Shirt weg. Mein Traum. Sie zog mich aufs Bett und ich spürte ihre feuchten Lippen auf meinen. Seltsamerweise musste ich an Moon denken.
Ich schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte mich auf Lailas Brüste, die sich gegen meinen Oberkörper pressten. Ich liess meine Hände über ihren Hintern wandern und presste sie stärker an mich. Genau das wollte ich, nichts anderes.
Als ich die Augen öffnete, küsste mich nicht Laila, sondern die Frauenleiche. Maden krochen aus ihren Augen und ihrem Mund und sie stank nach Verwesung. Ich schubste sie weg und übergab mich.
Sie begann zu schreien.
„Was ist los mit dir? Bist du krank?!“ Sei ohrfeigte mich. Ich stiess sie zu Boden. „Was für ein Arschloch bist du?“
„Mir ist nur schlecht.“ Ich vergrub das Gesicht in den Händen. Ich hatte es vermasselt. Die Tür ging auf und Moon stand da.
„Was ist los? Ich hab einen Schrei gehört.“
„Dein Freund ist ein Freak.“ Schrie Laila bevor sie losstürzte. Moon fing sie ab.
„Ach komm schon, Laila, er ist nur ein bisschen angeschlagen. Aber du kannst ihn… sagen wir mal aufheitern…“ Er zwinkerte ihr zu.
„Moon, lass es, ich brauch deine Hilfe nicht.“ Rief ich wütend. Wieso musste er sich überall einmischen?
„Ich wollte es nur in Ordnung bringen. Ich wollte nicht…“
„In Ordnung bringen? Nichts ist mehr in Ordnung, seit du mich geküsst hast!“ Ich bereute die Worte noch im selben Atemzug. Laila sah uns beide entgeistert an.
„Scheisse, Schwuchteln.“
„Verpiss dich, Schlampe!“ Moon schubste sie aus dem Zimmer und schloss die Tür. Laila schrie uns noch etwas zu, aber ich verstand sie nicht.
„Was soll das, Ash?“
„Mann, ich weiss nicht. Sag du es mir.“ Es fiel mir schwer, ihm zu folgen. Er war doch mindestens genauso betrunken wie ich. Und es half nicht, dass sich mein Magen wieder zusammenzog.
„Du machst ne Mücke zum Elefanten oder so. Da ist doch nichts dabei.“
„Wie nichts dabei? Das ist schwul, Mann.“ Ich sah ihn herausfordernd an. Er sollte es mir erklären, mir beweisen, dass ich normal war. Dass alles nur ein Ausrutscher war.
„Denkst du, ich bin ne Schwuchtel?“ er packte mich am Kragen und hob mich ein Stückchen hoch. Selbst in diesem Zustand war er stärker als ich. Ich riss mich los.
„Weiss nicht.“ Murmelte ich.
„Wir sind doch Freunde, Kumpanen. So wie Homer und Barney. Das hat nichts mit Schwulsein zu tun.“ Er legte seinen Arm um mich und ich zuckte nicht zurück. Er hatte Recht, wir konnten ja nicht schwul sein. So was hätte ich gemerkt.
„Schade, dass du die Sache mit Laila vermasselt hast. Die ist schon was.“ Moon grinste. Ich grinste zurück.
„Ja, Mann.“ Das Zimmer schien sich zu drehen. Ich blinzelte. Wieso sah Moon so normal aus? Er war mindestens genauso betrunken wie ich und wie viele Joints er gehabt hatte, wusste ich nicht einmal mehr. Dabei sah er besser aus als ich nach nur einem Bier. Er war eben Moon und er war mein Freund.
Plötzlich war sein Gesicht wieder vor meinem. Ich ahnte, was geschehen würde. Dennoch hinderte ich ihn nicht daran. Ohne Moon würde ich in dieser Gesellschaft sowieso nicht existieren. Ich weiss nicht, ob es der Alkohol war oder einfach meine Neugier. Aber in diesem Augenblick schien es das Natürlichste auf der Welt zu sein. Meine Erinnerung daran ist trotz des Alkohols erschreckend klar.
Moons Gesicht kam immer näher und wieder spürte ich seine Lippen auf meinen. Mein Mund öffnete sich ganz von selbst. Ich hatte das vorher noch nie so gemacht, nicht einmal mit einem Mädchen. Am nahesten war ich vorhin mit Laila gekommen.
Es fühlte sich auch gar nicht falsch an. Seine Lippen waren weich. Ich schloss die Augen. Seine Hand wanderte über meinen Brustkorb und tiefer.
In diesem Moment ging die Tür auf und wir fuhren auseinander. Frank stand da und starrte uns entsetzt an. Moons Hand lag noch auf meiner ziemlich sichtbaren Erektion. Ich spürte wie ich errötete. Frank taumelte ins Zimmer und statt etwas zu sagen übergab er sich zu unseren Füssen. Ich wollte ihm helfen, aber Moon hielt mich zurück.
Frank blieb einfach liegen. Ich drehte ihn um und er schnarchte.
„Er schläft.“ Sagte ich ins leere Zimmer. Moon war weg. Ich suchte nicht nach ihm, sondern ging nach Hause.
Meine Mutter tat mal wieder so, als müsse sie genau in diesem Augenblick auf die Toilette. Sie umarmte mich und rümpfte die Nase. Kontrollmanöver. Morgen würde ich wahrscheinlich was über Alkohol- und Drogenmissbrauch hören.
Ich taumelte in mein Zimmer und liess mich aufs Bett fallen. Mein Gesicht brannte noch immer aus Scham. Ich konnte nicht schlafen, die ganze Nacht nicht. Alles woran ich denken konnte, war Moon.

Und auf meinem Türgerüste, auf der bleichen Pallasbüste,
Unverdrossen, ohn' Ermatten, sitzt mein dunkler Gast noch immer.
Sein Dämonenauge funkelt und sein Schattenriß verdunkelt
Das Gemach, schwillt immer mächt'ger und wird immer grabesnächt'ger - Und aus diesen schweren Schatten hebt sich meine Seele nimmer

Moon war mein Rabe. Wieso dachte ich nur immer an Poe, wenn ich high war? Würde sich meine Seele auch nie mehr erheben? Verdammt, ich las zuviel Schund. Ich sollte mehr normale Bücher lesen. Dann hätte ich diese Scheissgedanken nicht mehr. Ich wälzte mich hin und her.
Als ich es nicht mehr aushielt, stand ich auf und rief ich die Polizei an und erzählte ihnen von der Leiche im Fairhaus. Das half.
Ich wusste nicht, ob ich noch mit Moon befreundet sein konnte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, mit ihm reden oder alles totschweigen. Und ich wusste nicht, ob ich jetzt schwul war oder nicht. Aber eines wusste ich mit Sicherheit, der alte Mann hatte Recht gehabt. Wir hätten niemals zum Fairhaus gehen sollen.

 

Hallo Jeled,

es gibt eine ganze Reihe Elemente, die mir an dem Text gefallen, aber es gibt in meinen Augen ein schwerwiegendes Problem: der fehlende Fokus - um was geht es hier eigentlich, was möchtest Du rüberbringen? Spukhaus, sexuelle Identitätsfindung, verwesende Frauenleiche, Partnertausch... mich verwirrt die Vielfalt hier ein bißchen ;-)

Dann haben mich auch ein paar Elemente aus dem Fluß gerissen, weil sie mir unplausibel erschienen: In der beschriebenen Situation zu kiffen erscheint mir irgendwie ziemlich abwegig, und beim Fund einer verwesenden Frauenleiche den Freunden nicht gleich davon zu erzählen ebenfalls. Und daß da jemand seine Freundin für eine Nummer an einen Kumpel abtritt - hä? Und daß die das auch noch ohne weiteres mit sich machen läßt - Doppel-hä???

Der Perspektivwechsel mittendrin hat mich auch etwas verwirrt, bin auch nicht sicher, ob der inhaltlich notwendig ist.

Viele Grüße,
Michael

 

Hallo jeled,

ich finde es eher zu wenig als zu viel. Das liegt allerdings in erster Linie daran, dass ich die Figuren gern etwas mehr charakterisiert hätte. Du dürftest dir rhythmisch mehr Zeit für die Erzählung lassen, um mehr Stimmung zu erzeugen.
Der Perspektivwechsel hat mich auch erst irritiert, die Passage ist vor allem gar nicht nötig, nicht einmal als Ergänzung zum Geschehen.
Die Passagen zur sexuellen Orientierung finde ich im Rahmen dieser eher pubertärmännlichkeitsorientierten Kulisse eigentlich sehr interessant, allerdings auch ein bisschen unklar. Damit meine ich nicht, dass sie den Protagonisten noch unklar sind, das ist in Ordnung. Ich hatte nur das Gefühl, sie sind auch dem Autor unklar. Eine wirklich homosexuelle Handlung wird frühestens beim zweiten Kuss daraus. Es könnte natürlich sein, dass Moon heimlich verliebt ist und Ash das Mädchen nur besorgt hat, weil ihn die Vorstellung seiner Liebe dabei zuzusehen, erregt.
Ich finde, die Geschichte hat noch reichlich Optimierungspotential, aber es würde sich auch sehr lohnen, sich noch einmal dran zusetzen und sie auszuarbeiten.

Details:

„Das ist doch nur eine Legende.“ Erwiderte Frank abfällig.
Zeichensetzung: Legende", erwiderte
„Gesehen?“ flüsterte Frank grinsend.
Zeichensetzung: "Gesehen?", flüsterte Frank
„Jetzt bin ich blind, junger Freund. Damals…“
fehlendes Leerzeichen vor den Auslassungszeichen: Damals ...
Gleich im Anschluss: "Ich ...", krächzte ich. (Fehler ist häufiger, liste ich jetzt nicht mehr auf)
Keine stürmische, unheimliche Nacht, wo Geistergeschichten einen erschrecken sollten.
"wo" ist falsch, "da" oder "in der"
„Wieso zu spät?“ meldete sich Ed zu Wort
Komma fehlt (Fehler ist häufiger, liste ich jetzt nicht mehr auf)
Ich spürte, wie er endlich den Blick abwandte.
"wie" ist falsch. "dass"
Er sah die anderen drei an.
Bezug unklar, so könnte der Blick die anderern drei selbstständig ansehen. Ich würde es in einem Satz zusammenfassen: Ich spürte, dass er seinen Blick abwandte und die anderen drei ansah.
Wir rannten weiter in Richtung Fair Haus.
Richtung was?
Das Fairhaus war riesig
hier auf einmal zusammen?
„Ich hab gehört, sie hat einige sogar lebend gekocht und dann gegessen.“
Sie hat sie lebend gekocht? Waren sie vorher tot?
Nämlich im Haus drin.
im Haus draußen geht ja auch schlecht.

Lieben Gruß, sim

 

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