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Der Raub
Der Raub
Schritte hallten durch die Vorhalle des Palastes. Ein Licht wurde entzündet und geisterhafte Schemen huschten über die Wände. Plötzlich klirrte Glas. Tyrus fluchte leise. Mussten diese dummen, unfähigen Elfen immer solchen Krach machen? Es war doch ein Kinderspiel, durch Spiegel zu gehen! Obwohl… das Schlafgas würde die Wächter doch sowieso betäuben und wenn er morgen fehlte, würde sie sowieso begreifen, was los war. Und spätestens, wenn sie die trübegewordenen und gesprungenen Spiegel sah, würde sie auch wissen, wer ihn gestohlen hatte. Wozu sich die Mühe machen?! Andererseits… im Schloss seiner Schwester war man nie vorsichtig genug…
Tyrus und seine Elfen schlichen durch die ausgestorbenen Gänge des Palastes. Bei jedem Geräusch zuckten sie zusammen. Hier und da standen oder lagen einige betäubte Wächter. Um selbst nicht einzuschlafen, hatten die Elfen Helme konstruiert, die die Luft um sie herum filterten, sodass kein Schlafgas hereindrang. Sie sahen aus wie diese Goldfischgläser, die die Menschen besaßen. Es kam Tyrus lächerlich vor, so etwas zu tragen, aber es musste sein. Das wäre ja noch besser, hier, auf feindlichem Boden einzuschlafen. Seine Schwester würde sich totlachen - was allerdings gar kein so schlechter Gedanke war. Seine verfluchte Schwester! Wenn er nur an sie dachte, drehte sich ihm der Magen um. Sie hatte ihn um alles betrogen, was ihm gehörte! Seinen Platz auf dem Thron, sein Land, seine Krone - alles hatte sie ihm genommen! Er ballte die Fäuste. Er war der Erstgeborene! Nicht diese Hexe! Die Herrscherin, die Magierin, die gerechte Kaiserin, die Beschützerin der Armen, pah! Er würde ihr schon noch zeigen, wer hier der Mächtigere war! Wenn er ihr den Stein klaute, war auch ihre Macht gebrochen und er brauchte sie nur noch anzugreifen. Er hatte nicht umsonst Bundesgenossen gewonnen. Eine riesenhafte Streitmacht wartete nur auf sein Zeichen... Er kicherte schadenfroh. Ihr Untergang war gewiss. Er musste sich nur noch eine hübsche Hinrichtung für sie ausdenken. Vielleicht pfählen lassen, oder doch lieber schön altmodisch verbrennen?
Ein Geräusch holte ihn in die Gegenwart zurück. Einer der Wächter hatte sich stöhnend bewegt. Oh nein, diese verdammten, unfähigen Elfen hatten ein viel zu schwaches Schlafmittel gebraut. Sie mussten sich beeilen! Seine Schwester war eine gnadenlose Richterin. Wenn auch nicht ganz so grausam wie er. Aber sie war ja auch jünger.
Die kleine Gruppe huschte weiter. Rechts, links, gerade aus… es war wirklich ein riesiger Palast! Endlich, nach vielen unzähligen Gängen, standen sie vor einer Tür. Es war eine unscheinbare Tür, eine von diesen Türen, hinter denen man einen verstaubten Schreibtisch oder ein leeres Regal erwartet, aber nichts Wertvolles oder Geheimnisvolles. Dennoch gab es für Tyrus keine Zweifel. Es war die richtige Tür, ganz bestimmt! Er spürte seine Nähe so deutlich, als wenn er neben ihm stünde. Er streckte seine Hand nach der Klinke aus und zog sie so schnell wieder zurück, als ob er sich verbrannnt hätte. Er war doch so ein Idiot! Seine Schwester lud Diebe aller Art ja förmlich dazu ein, einzubrechen und ihn zu stehlen, wenn sie überall verkünden ließ, dass er im Schloss war. Sie hatte sicherlich Fallen eingebaut! Er durfte nichts riskieren! „Funditor, öffne die Tür! Und zwar schnell“, befahl er einem der Elfen, „na wird`s bald!“ Der Elf zuckte zusammen und begann mit flinken Fingern im Schloss herumzustochern. Nach wenigen Sekunden, die den Wartenden wie eine Ewigkeit vorkamen, sprang die Tür auf. Die Gruppe und auch der kleine Elf atmeten auf. Gut, dass nichts passiert war. Funditor ging voraus. Kaum hatte er einen Fuß über die Schwelle gesetzt, da zischte ein Schwert aus dem Inneren der Kammer und dann ging alles so schnell, dass niemand Zeit zum Reagieren hatte. Man hörte mehrmals ein ekelerregendes Krrrrk und dann war der Boden der Kammer von kleinen würfelförmigen Fleischstücken bedeckt. Die Wände trieften vor Blut. Auch Tyrus und sein Gefolge hatten einiges abbekommen. Angewidert wischte sich Tyrus die Hände an seinem Mantel ab und verzog das Gesicht. Das seine Schwester immer so einen Aufstand machen musste! Es hätte doch gereicht, diesem Dummkopf den Kopf abzuhacken! Wozu bitte diese Sauerei?! Wen sollte das abschrecken? Ihn bestimmt nicht!
Unbarmherzig trieb er seine Elfen weiter. Er nahm sich nur noch die Zeit, sich das Schwert zu schnappen, dass auf dem Boden lag. Man konnte ja nie wissen! Aus dieser Kammer ging es weiter durch einen langen, schmalen Korridor. Sie gelangten in einem quadratischen Raum. In jeder seiner Wände war eine Tür eingelassen. Durch die erste, eine Kellertür mit Eisenbeschlägen, hatten sie das Zimmer betreten. Blieben also drei Möglichkeiten. Tyrus musterte die restlichen Türen. Die erste war eine simple Holztür mit einem runden Messingknauf. Sie war schmutzig, und über, und über mit Spinnweben behangen. Die zweite Tür wirkte da schon freundlicher. Sie war aus purem Gold und hatte einen rechteckigen silbernen Knauf. Doch sie war staubig, wenn auch nicht ganz so verdreckt wie die erste. Auf jeden Fall sah es nicht so aus, als ob sie in letzter Zeit irgendwer berührt hätte. Die Dritte war eher ein Portal. Es war aus einem einzigen meerblauen Diamanten geschliffen, der Türknauf war sechseckig und aus mehreren Smaragden zusammengesetzt. Es war blank poliert und funkelte im Licht von… ja, wo kam das Licht überhaupt her? Tyrus sah sich um. Seltsam, dass ihm das vorher nicht aufgefallen war. Das Licht kam von nirgendwo. Der Raum selbst strahlte ein seltsam bläuliches Licht aus .Komisch, warum blau? Spielte das eine Rolle? Es war so schön warm hier. So wunderbar warm. Und er war so müde. So müde… Tyrus wollte sich gerade hinlegen, da schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Glasklar und kalt. Dieser eine Gedanke genügte, um all seine Müdigkeit zu verscheuchen. „Schlafgas!“ Sofort rappelte er sich auf. Die Helme! Sie waren verschwunden, ohne dass jemand es bemerkt hatte! Sie mussten hier raus und zwar schnell! Die Elfen waren etwas resistenter gegen die Betäubung, doch auch sie wankten. Sie mussten verschwinden, sonst waren ihre schönen Pläne futsch. Außerdem war es wirklich nicht angenehm, wie ein gemeiner Dieb gehängt zu werden. Tyrus brüllte drei der Elfen an: „ Cognatus, Proditor, Servulus, los macht schon!“ Schnell machten sich die Elfen ans Werk. Cognatus öffnete die erste Tür und wurde von einem Pfeil, der aus dem Nichts geschossen wurde, getötet, Proditor starb, als er den Türknauf der zweiten Tür berührte. Nur die dritte Tür, das Portal, ließ sich öffnen. Alle stürmten hinein und warfen sich gegen die Tür. Nur Servulus blieb zurück. Er wurde gleich darauf ohnmächtig. Bei den Anderen tauchten, sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, die Helme wieder auf, sodass sie beruhigt atmen konnten. Tyrus gönnte seinen Leuten jedoch keine Verschnaufpause. Sie mussten weiter, sie hatten zu viel Zeit verloren. Fehler konnten sie sich keine mehr leisten!
Also marschierten sie weiter. Sie liefen einen langen Gang entlang. Sie konnten nur hintereinander gehen so eng war es hier. Die Wände hier waren aus unbehauenem Fels und mehrere Meter von ihnen entfernt, doch zwischen den Wänden und dem Weg lagen tiefe Abgründe und als Tyrus probeweise ein Steinchen aus seiner Tasche hinunterfallen ließ, mussten sie sehr, seeeehr lange auf das Echo warten. Es war kalt hier, sehr kalt. Ihr Atem hing als weißer Nebel über ihnen. Die Wände - wenn man das überhaupt so nennen konnte- waren mit seltsamen Fratzen behauen. Die Elfen waren ein sehr abergläubisches Völkchen und mehrmals machte der kleine Trupp Anstalten umzukehren. Tyrus war besorgt. Sie hatten nicht mehr viel Zeit, er konnte seine Untergebenen kaum noch unter Kontrolle halten und allein war er machtlos. „Verdammt“, fluchte er. Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Die Diebe hatten bereits jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange schlichen sie schon durch diesen furchtbaren Gang? Eine Minute? Eine Stunde? Sie hatten keine Ahnung.
Da! Da vorne! Was war das? Licht? Licht! Endlich! Die Elfen samt Anführer atmeten auf. Sie legten die letzten Meter im Eilschritt zurück. Erneut standen sie vor einer Tür. Diesmal war sie aus Glas und Tyrus drückte sie ohne jede Vorsicht auf. Er hatte genug von diesen Türen! Seine Schwester sollte endlich aufhören ihm Steine in den Weg zu legen! Er würde sie ja doch besiegen! Wozu also der Ärger?!
Er sah sich um und hielt die Luft an. Er stand in einem kreisrunden Raum. Aber wie schön es hier war! Die Fließen waren aus purem Gold, die Wände waren mit aus Edelsteinen gefertigten Mosaiken bedeckt, die die Sagen Marmaias darstellten. Und das war längst nicht alles! Die Decke bestand aus einem einzigen, dunkelblauen Diamanten in dem klitzekleine weiße Brillianten funkelten. Die Männer glaubten im ersten Moment ins Freie getreten zu sein. In der Mitte des Saales stand ein einbeiniges silbernes Tischchen. Auf diesem lag ein purpurrotes Samtkissen und auf diesem lag er. Der Ja-To-Len. Der magische Stein und Schlüssel zu Schwesterchens Macht.Er funkelte in allen Farben des Regenbogens und ließ das ganze Zimmer in seinem Licht glitzern. Die Elfen verstummten. Ihre Augen weiteten sich auf die Größe von Untertassen und ihre Münder öffnteten sich zu einem stummen Ausruf des Erstaunens. "Ein Wunder, dass ihnen kein Speichel raustropft!", dachte Tyrus angewidert, "Marmaia an Elfen, ihr seid erwachsen! Reißt euch doch zusammen!" Er wollte gerade etwas unternehmen, da kam ihm eine neue Falle zuvor.
Die Mienen der Elfen veränderten sich. Aus begeistertem Staunen wurde Angst, bodenloses Entsetzen. Um das silberne Tischchen hatte sich ein Ring aus grünem Feuer gebildet, um diesen ein Ring aus Purpurrotem, darum Einer aus azurblaue Flammen. Die Elfen wichen zurück. Sie verabscheuten magisches Feuer. Elfen waren zwar feuerfest und absolut unempfindlich gegen herkömmliches Feuer, aber mit magischem Feuer hatten sie… Probleme. Im Klartext hieß das, dass man von Glück reden konnte, wenn von einem Elf ein bisschen Asche übrig blieb, nachdem er mit magischem Feuer in Berührung gekommen war. Tyrus musste all seine Kraft aufbieten, um sie an der Flucht zu hindern. Er atmete tief durch und ballte die Fäuste. Oh, diese verdammte Hexe! So kurz vor dem Ziel machte sie alles zunichte! Schon allein dafür würde er sie vierteilen, er würde sie köpfen, aufspießen lassen, verbrennen, oh, sie würde um Gnade winseln, oh ja, sie würde es bereuen - wenn er hier rauskam. Aufregen konnte er sich später auch noch. Jetzt galt es hier verschwinden!
Und dann hatte er eine Idee. Eine verdammt gute Idee. Ihm fielen all die Fallen ein, die sie ihnen gestellt hatte: jede Falle hatte nur einen von ihnen vernichtet. Warum hatte das Schwert in der ersten Kammer nicht alle umgebracht? Warum waren die Helme wieder aufgetaucht? Warum standen sie hier? Warum waren sie noch am Leben? Er dachte kurz nach. Plötzlich bemerkten die Elfen das Funkeln in den Augen ihres Meisters. Dieses irre Glitzern, das Zeichen dafür, dass er wieder eine Idee hatte, eine Idee, die die Gruppe wieder dezimieren würde. Aber wer war der nächste?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Ihr da, Fustis, Ignus, Falaror geht durch das Feuer! Na wird`s bald! Soll ich euch Beine machen?“ Schlotternd schlurfte Fustis auf den äußeren Flammenring zu. Am Rand blieb er stehen, holte tief Luft und machte einen großen Schritt. Kaum hatte sein Fuß das Feuer berührt, verschwand es zusammen mit ihm. Ignus stand weiter hinten in der Halle. Er versuchte es mit einer anderen Technik. Er schloss die Augen und stürmte blindlings in sein Verderben. Ein riesiges purpurfarbenes Knäuel bildete sich und verpuffte dann zu ein paar Rauchwölkchen. Falarors Gesicht hatte mittlerweile die Farbe von Schimmel angenommen und er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er wankte ein paar Schrittchen nach vorn, blieb stehen. Er konnte nicht mehr. Schwarze Punkte tanzten Polka vor seinen Augen und er wäre wohl hingefallen, hätte Tyrus ihn nicht gepackt und in die Flammen geschleudert. Diese loderten, schlugen in die Höhe und für einen Augenblick wurde die Hitze so drückend, dass die Gefährten zurückwichen. Dann schrumpfte das Feuer zu einem kleinen Häufchen blauer Asche zusammen.
Der Weg war frei! Endlich! Tyrus erlaubte sich eine kleine Verschnaufpause, dann befahl er dem letzten Elfen den Stein zu holen. Der Tollpatsch stolperte nach vorn, packte den Stein und ließ ihn mit einem Aufschrei fallen. Tyrus hechtete nach vorn, doch es war bereits zu spät. Mit einem dumpfen Dröhnen, welches das Schloss in seinen Grundfesten erzittern ließ, zersprang der Stein. Fluchend rappelte Tyrus sich auf. „Du elender Dummkopf! Kannst du nicht besser aufpassen!“, schrie er, zog sein Schwert und hieb dem Kleinen den Kopf ab. Dann bückte er sich und sammelte die Splitter ein. Er fühlte sie in seiner Hand pulsierten und zitterte. Er spürte die unglaubliche Macht des Steines, sein unvorstellbares Alter, seine Kraft. In einem einzigen Bruchstück war immer noch genug Energie, um das ganze Universum zu Staub zerfallen zu lassen und hinterher wieder aufzubauen. Kein Wunder dass dieser Schwächling von Elf ihn losgelassen hatte! Irgendwie konnte er immer noch nicht glauben, dass er es geschafft hatte! Er hatte seine Schwester ausgetrickst und ihre letzte Waffe geklaut! Jetzt konnte ihn nichts mehr aufhalten! Oder?! Stimmen rissen ihn aus seinen Wachträumen. Oh verflucht! Die Welle der Magie, die bei der Zerstörung des Steines freigesetzt worden musste das Schloss leergespült haben. Hier drin war kein Funken Zauberei mehr! Das Problem war nur, dass das Schlafgas leider auch auf magischer Basis gemixt war! Eilig sah Tyrus sich nach einem Fluchtweg um. Himmel, er brauchte einen Spiegel und zwar schnell, sonst würde sein Blut (kostbar wie kein anderes) bald diese wunderbaren Fließen röten, in denen sich sein edles Gesicht spiegelte… Moment mal! Spiegelte?! Der Zauber funktionierte bei allem, in dem man sein Abbild betrachten konnte, warum nicht auch hier?! Blitzschnell beschwor er sein Wappenbild herauf und verschwand vollkommen lautlos in einer der Fliesen, als sei er nur ein böser Traum gewesen.