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Der Raum
„Sie wollen hier doch genau so raus, wie ich, oder?“
Der Mann sieht mich an. Wenigstens reagiert er.
„Nein. Ich hatte schon schlechtere Unterkünfte. Mir gehts hier gut, dir gehts nur schlecht.“
Ich wende mich einer der Türen, einer blauen, zu und will sie öffnen und hindurch gehen.
Da hält mich die Stimme des Alten zurück.
„Warte!“
Ich drehe mich um.
„Das hier brauchst du“, sagt er und gibt mir einen Hammer, an dessen Spitze getrocknetes Blut klebt.
„Was soll ich damit?“, frage ich verdutzt und nehme das Werkzeug an mich.
„Geh jetzt!“
Damit schließt der Mann seine Augen.
Ich wende mich wieder der blauen Tür zu und gehe hindurch. Dann schließe ich die Tür hinter mir und drehe mich um. Sie ist auf der anderen Seite rot.
Und obwohl ich durch eine Tür den Raum verlassen habe, stehe ich wieder in demselben Raum.
Ich sehe mich um. Ja, alles genau gleich: Der alte Mann, der mit geschlossenen Augen auf dem Boden sitzt, die sechs Türen, eine blaue, eine rote, eine braune, eine weiße, eine schwarze und eine Spiegeltür.
„So helfen Sie mir doch bitte!“, appelliere ich an den Mann, in dem Wissen, dass er mir nicht antworten wird.
Ich sehe mir die Türen eingehender an. Dann betrachte ich den Hammer. Hm, er ist voller Blut. Blut ist rot, also muss ich wohl durch die rote Tür. Aber die Metallspitze ist schwarz. Und der Griff braun. Der Griff ist unten mit blauem und weißem Band umwickelt.
Ich weiß keinen Ausweg.
Ich versuche mich an irgendetwas zu erinnern, das vor dem Raum war, aber ich schaffe es nicht. Meine Erinnerung fängt damit an, den alten Mann gefragt zu haben, was es mit dem Raum auf sich hat.
Wie bin ich hier hergekommen? Was habe ich davor gemacht? Und wer bin ich überhaupt?
Wieso soll der Hammer ein Zeichen sein? Wie soll er mir den richtigen Weg weisen, wenn er alle Türfarben in sich vereint? Alle Farben in sich vereint. Was vereint alle Farben in sich? Weiß. Aber was noch? Es muss doch noch etwas geben.
Geleitet von dieser Intuition schreite ich auf die Spiegeltür zu.
Lange Zeit bleibe ich davor stehen und durchdenke meine These. Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass ich nur einen einzigen Versuch habe, durch die richtige Tür zu laufen. Sollte ich die falsche wählen, müsste ich die Stelle des alten Mannes einnehmen, und er würde in die Freiheit gelangen. Dann müsste ich solange hier bleiben, bis ein anderer junger Mann hierher gelangt und zweimal die falsche Tür wählt.
Wie ich auch denke und denke, ich komme immer zu dem gleichen Schluss, durch welche Tür ich gehen muss.
Ich hebe den Hammer und schlage den Spiegel ein.
Der Spiegel zerbirst und fällt in sich zusammen. Im hinter ihm freigewordenen Sichtfeld sehe ich schwarze Leere. War es am Ende falsch, den Spiegel zu zerstören?
Aber jetzt ist es zu spät, sich Gedanken zu machen, ich trete über die Türschwelle und harre der Dinge, die mich erwarten mögen.