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Der Renoir-Code

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13.11.2002
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Der Renoir-Code

»Geben Sie es den Dokumentenjungs«, sagte Pabst und klopfte eine Zigarette aus der Schachtel. Er betrachtete sie, und zwar als das, was sie war: potentiell tödlich. Pabst schob sich die Marlboro zwischen die Lippen und machte sich an der Kindersicherung des billigen Plastikfeuerzeugs zu schaffen.
»Verdammt«, murmelte er. »Die Herrschaften von der Entschlüsselung sollen gleich einen Plan hierfür mitgeben.«
Er öffnete die Schublade und ließ das Feuerzeug verschwinden.
»Hat jemand eine umgehend verfügbare Flamme?«
Dond beugte sich über den Tisch; seine Krawatte hing in seiner Kaffeetasse, als er dem Chef Feuer gab.
»Sie sollten Köderfischen, Dond.«
Dond registrierte das Missgeschick, blieb aber teilnahmslos. Er zurrte einfach die Schlaufe des Windsorknotens auf, zog sich den Schlips vom Hals und hängte ihn wie eine seltsame, tropfende Trophäe über die Stuhllehne.
»Ich hoffe, die finden ein Muster«, sagte Pabst. »Was haben wir noch?«
Pabst schwenkte das Blatt. Es steckte in einer Klarsichthülle und war die Kopie einer Email. Ihrer einzigen, richtigen Spur.
»Gritz ermittelte also wegen dieser Chat-Sache. Er hatte mehrere Ortstermine. Den einen, den wir festgenommen haben, konnten wir wieder nach Hause schicken. Dann sagte Gritz, er wäre an etwas Solidem dran, und dann verschwand er. Aber vorher schickte er diese Mail an mich. Ich sage: der hatte was. Der war wirklich an was dran. Irgendwas, das brisant genug war, es in dieser Mail zu codieren. Diese Botschaft ist der Schlüssel. Jetzt brauchen wir nur noch den Schlüssel zur Botschaft.«
»Gritz war nicht eben transparent«, warf Dond ein.
»Sind Sie schon«, erwiderte Pabst, und der Vorwurf darin war nicht zu überhören: Ehret die vielleicht Toten, auch wenn sie das bessere Büro hatten.
»Sie sind so transparent wie nur was, Dond«, fuhr Pabst fort, und Dond hatte das Gefühl, Wasser beim Kochen zuzusehen.
»Sie sind durchsichtig wie eine Drehtür, und das leider nicht nur für mich, sondern auch für die ganzen degenerierten Typen jenseits dieses Gebäudes. Deswegen ist ihr Arbeitsplatz hier. Und nicht da.« Pabst wies aus dem Fenster.
»Ich kenne mich ebenfalls mit Computern aus«, sagte Dond gereizt.
»Das ist hier aber kein Bewerbungsgespräch für eine freie Planstelle. Macht es Ihnen was aus, Gritz erst abzuschreiben, bevor Sie ihr Gesuch einreichen?«
Das Wasser kochte nun, und Dond hielt den Mund.
»Wir gehen da ran wie üblich. Ab jetzt nur noch Fakten.«
Jonas Dond, Ermittler. David Gritz Team-Kollege, verbunden durch kriminalistische Herangehensweisen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Sie ergänzen sich, obwohl Dond seinen Kollegen nicht sonderlich schätzte. Zwischen ihnen war wenig, und am allerwenigsten dieses Schimanski-Thanner-Ding; sie hatten nie zusammen eine Currywurst gegessen, hatten sich nie Zuhilfe kommen müssen. Beschlagnahmten Sie Zeug – Rechner, Akten, irgendwas -, trug Dond es zum Wagen und schrieb den Bericht. Gritz war einer der Lieblinge vom Chef, körperlich am besten geeignet, Kistenweise belastendes Material aus Häusern zu schleppen, aber die Sache zwischen ihnen lief nicht Toto und Harry-mäßig, nichts mit Batman und Robin. Tim und Struppi? Schon eher.
David Gritz, Ermittler. Verschwunden.
Sonderauftrag, verdeckt, abgesegnet, obwohl keine Drogen oder Waffen im Spiel waren. Gritz hatte eine Zeitlang von zuhause aus gearbeitet und es damit begründet, dass er nicht in der Nähe des Präsidiums gesehen werden wollte. Dond konnte dieses Begehren nachvollziehen: man nannte es Urlaub. Aber Gritz erklärte, er sei an was dran, und wenn diese Aussage auch eine recht neblige Phrase war, nickte Pabst, weil er Engagement schätzte. Und er schätzte Gritz - Gritz, der alle Gefallen aufgebraucht hatte, was allerdings niemand zu bemerken schien. Gleichsam wurde nicht registriert, dass irgendjemand den Papierkram machen musste, Vorladungen erstellen, sondieren, abheften, nachschlagen. Dond, der Papiermann. Gritz, der scharfe Hund. Gritz, dachte Dond mit einem Anflug grimmigen Humors, für den er sich augenblicklich schlecht fühlte, Gritz, der Läufer.

Gritz war von einem Beamten in der Nähe des Präsidiums gesehen worden. Rennend, das Gesicht verschwitzt. Wie in Panik. Gritz, der lässige, eloquente Gritz, war problemlos anhand seiner Lederjacke identifiziert worden, diesem braunen Büffellederding mit Fransen. Ein Mitbringsel aus dem amerikanischen Mittelwesten und Gegenstand gelegentlicher Spötteleien. Seine Glatze tat ein übriges. Er war so auffällig für einen Kripo-Mann, dass es lächerlich war. Seine persönliche Note, dieses Cowboyhafte, hatte ihn im Kreis seiner Pullovertragenden Kollegen zu einer lästigen Legende gemacht.
Er war auf der Flucht. Soviel stand fest. Böse Zungen munkelten, er floh vor sich selbst.
»Er rannte wie ein Bekloppter. Hat gegen einen Abfalleimer getreten. Jede Wette, der kokst. Freier Fall.«
Der Beamte, der ihn gesehen hatte, war als glaubwürdig einzustufen.
Er hatte Gritz nicht aufgehalten. Warum auch? David Gritz, der sich gelegentlich in den Waschräumen umzog, der Kollegen Sprüche wie »Ey, wie geht’s deiner Frau und meinen Kindern?« hinwarf, Gritz, dem so ziemlich alles egal zu sein schien außer dem Verbrechen, inklusive des Verbrechens, ihn zu kritisieren.
Er war herum gerannt, und dann war er verschwunden. Keine Spuren, Handy aus, Gattin nervlich am Ende. Da war nichts als der Hinweis des Streifenbeamten, der Gritz gesehen hatte. Und diese Email.

Pabst, seit dreiundzwanzig Jahren Leiter der Kriminalpolizei, arbeitete mit dem, was er hatte, aber auch nach all diesen Jahren hatte er Probleme, anderen zu vertrauen. Ihnen etwas zuzutrauen.
Gritz war gut. Das war was anderes. Ein Spürhund, verbindlich, mit allen Wassern gewaschen. Den konnte man vorzeigen.
Nachdem man Gritz an die Sonderkommission für Internet-Straftaten entliehen hatte, war Pabst ein wenig besorgt gewesen, ob er ihn je wieder sah.
Der Mann konnte einiges, und nicht weniges davon war für Pabst ein Buch mit sieben Siegeln: Social Engineering. Hacking. Der Umgang mit Computern im Allgemeinen. Und sein Umgang mit Menschen. Die Jungs aus der EDV hatten sich für Maschinen entschieden, und so benahmen sie sich auch. Gritz konnte mit denen ebenso gut wie mit den Nutten oder dem Bürgermeister.
»Kann ich es noch mal sehen?« fragte Dond.
Pabst entschränkte seine Arme und betätigte den Schalter des Tageslichtprojektors. Ein milchiges Trapez erschien an der Wand. Der Text der Mail war auf Folie gezogen worden. Pabst legte sie auf.

Ich benötige Verstärkung

Die Adresse

Hbfüp8lß´764vkwöoeGDSVBbbc
K_Öo98+ß
Eitjünä bälsfäÖrpe3ß4
fff
uztutiuo68
78987ui jjj


»Eine lange Adresse, selbst als Chiffre«, sagte einer der Beamten, die neben Dond an der Besprechung teilnahmen. »Ich denke nicht, dass sie in Dortmund ist. Wenn der Code überhaupt nur die Adresse enthält. Und keinen Ort, zusätzlich.«
»Scharfsinnig«, sagte Pabst. »Zu lang. Wir haben bereits alle Straßennamen mit so vielen Buchstaben durch. In Dortmund kommen wir maximal auf achtundzwanzig Zeichen. In Köln gibt es eine Straße mit dreißig. Ende der Vorstellung.«
»Er hätte durchaus vernünftige Zwischenberichte fertigen können«, sagte Dond, wobei er darauf achtete, sachlich zu klingen. »Dann wüssten wir vielleicht, wohin er ging.«
»Ja«, sagte Pabst. »Aber wer Mails codiert, hinterlässt keine Zettelchen.«
»Was sagt der Provider?« Dond.
»Noch keine Daten. Wir müssen warten.«
Die Email war über Gmx, einen kostenlosen Account, verschickt worden.
»Machen Sie Druck«, sagte Pabst, ohne sich an jemand Speziellen zu wenden.
»Um vier bilden wir die Soko. Sie Dond, weil Sie ihn gut kennen, sechs weitere Ermittler. Ich bekomme zwei vom Rauschgift, zwei aus der Sitte. Ich hätte gern noch zwei oder drei EDV´s dabei. Die Sache hat Priorität. Brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.«
Gut kennen? Donds Gesicht blieb ausdruckslos. Ich kenne den Kerl nicht.
Die Mittagssonne fiel durch die Lamellen vor den Fenstern und malte flirrende Streifen in die nickenden Gesichter.

2

Die Kaffeemaschine gurgelte; Dampf stieg auf und ließ das Glas des Bildes beschlagen, das neben dem Schreibtisch hing. Ein Karibikstrand. Billiges Papier, Din-A2. Einen Meter weiter links weiteres Glas, dahinter die Dortmunder Realität aus Verkehrslärm, Glockenschlägen und Herbstgeruch.
Dond las sich ein. Dies war seine Chance. Er war sich zwar ziemlich sicher, dass Gritz wieder auftauchen würde, verkatert und zerknittert, aber mit einer guten, wenn auch recht vagen Erklärung im Schlepptau ...
Trotzdem: Hausaufgaben.
Er sichtete alles – das erste Verschwinden eines älteren Mannes, von dem seine Familie zu berichten hatte, dass er des Öfteren Internet-Chats aufsuchte, um Anschluss zu finden.
Dond kannte diese Chaträume: Die Reservate der Einsamen, sauber sortiert nach Altersgruppen und Interessen, wenn der Anbieter etwas taugte, ein dampfender Buchstabenkessel aus Vulgarismen und unverhohlenen Angeboten, wenn dem Portal Struktur und Kontrolle fehlte. Es war wie eine Reuse, in der sich Menschen verfingen, die Defizite hatten. Manchen mangelte an allem. Gesprächspartnern, Sex, Zerstreuung.
Harmlos. Aber es auch gab eine Spezies, die der digitale Darwinismus hervorgebracht hatte, als sich das Belanglose von der Besessenheit trennte. Seit Mitte der Neunziger ging das schon so, und mit dem Ausbau des Internet waren neue Nischen entstanden, kleine, schmale, sehr dunkle Gassen im Dickicht der Datenströme, und dort tobten und stromerten jene, die es zu finden galt.
Die Kinderschänder, Vergewaltiger, Mörder. Die Attentäter, Betrüger, Erpresser.
Im Falle des alten Herrn war der Sachverhalt einfach gewesen.
Wie seine Tochter mitteilte, hatte er sich mit einer »reizenden Dame« verabredet, und der geplante Ablauf hatte sehr dem Rosenkavaliersklischee entsprochen. Ein Cafe, nachmittags. Ein Rendezvous zweier Menschen in einem Alter, das Sinatra als »the September oft my Life« bezeichnet hatte.
Der alte Mann war nie wieder aufgetaucht, und bei der Kripo ging man davon aus, dass es sich weniger um ein Verbrechen als eine Übersiedlung in südliche Gefilde handelte.
Der Fall ging unter dem Geschrei der Angehörigen zu den Akten.
Dann verschwand ein weiterer Mann.
Dieser hatte keine Angehörigen, aber Nachbarn, und um dem Verwesen einer Leiche in einer Mietwohnung vorzubeugen, öffnete die Polizei die Wohnungstür. Sie trafen niemanden an. Dafür lief der Computer, ein neues, schnelles Modell. Ein Chatfenster war geöffnet.
Das Ganze nannte sich HERBSTLIEBE, und die Liste der Eingeloggten sprach Bände: Redford1932, Giselle66, GrandDame-einsam.
Der Chat der älteren Herrschaften.
Ein Mann kann gehen, wohin er will, aber dass der Alte sich nicht die Zeit genommen hatte, seinen Rechner herunter zu fahren, war sonderbar. Und er hatte eine Katze, ein graubraunes Tier, dessen Flanken schon ziemlich eingefallen waren, als die Beamten die Wohnung betraten. Trotzdem lag kein Hinweis auf ein Verbrechen vor. Die Tür war abgeschlossen worden, niemand hatte Fremde im Treppenhaus gesehen. Die Katze kam ins Tierheim.
Kurz, bevor auch dieser Fall auf Nimmerwiedersehen in einen Stahlschrank wanderte, zog ein pfiffiger Ermittler, nämlich Gritz, Parallelen. Zwei Senioren. Das Internet. Ein Chatroom. Zwei Vermisste.
Während ein Gerichtsbeschluss erwirkt wurde, der die Herausgabe der persönlichen Nutzerdaten der User von HERBSTLIEBE erzwingen sollte, begann Gritz, sich hineinzusteigern. »Es ist mehr Instinkt als klare Polizeiarbeit, Freunde. Da ist was.«
HERBSTLIEBE hatte seinen Firmensitz in den Niederlanden. Die Ermittlungen zogen sich hin.
Gritz trat auf den Plan. Er investierte nicht wenige private Stunden, indem er sich eine neue, virtuelle Identität zulegte und des Abends HERBSTLIEBE aufsuchte.

Einige seiner halboffiziellen Berichte –man fand sie, auf verschiedenen Zetteln und Druckerpapier geschrieben, in seinem Büro - enthielten Details zu seinen Besuchen des Chats. Sie ließen keinen Zweifel zu, dass Gritz diese Berichte nur für sich fertigte. Einige der Memos rochen nach Bier, andere wiesen die Ringe abgestellter Tassen auf.

22.09.2008
Der Chat ist gut besucht, aber nur bis etwa 21.00. Offenbar wird Wert auf frühe Nachtruhe gelegt. Nett hier. Kann man nicht anders sagen. Ein bisschen, als würde man sich reizende Postkarten schreiben.

27.09.2008
Alte Leute können massiv werden. Nicht wenige der Herrschaften hier sind sexuell aggressiver, als man meinen möchte. Ich erhalte Angebote von extrem betagten Damen, und neben einigen schön formulierten Offerten sind auch einige recht pornographische dabei. Ich versuche mich in die Community einzuführen und spiele mit.

30.09.2008
Es gibt sehr gebildete Homosexuelle hier. Die Gespräche mit ihnen sind im Vergleich zu dem Geplauder mit manchen Damen geradezu erhellend. Ich wage mich vor und versuche, aktiv Verabredungen zu treffen. Vermutlich suchen wir einen Mann. Event. Homosexualität der Vermissten gegen checken.

2.10.2008
Ich muss zurück rudern. Speziell die »Schwulen« scheinen vor allem auf Konversation aus zu sein. Anmerkung: Der Chat ist in zwei Bereiche unterteilt. Den öffentlichen, wo jeder alles mitlesen kann, und dann gibt es noch ein »Privatzimmer« genanntes Areal. Hier wird unter »vier Augen« geredet. Hatte ein interessantes Gespräch mit CASANOVA. Netter Mann. Sehr relaxt, sehr höflich.
Alles sehr anspruchsvoll, was die Themen betrifft. Literatur, Kunst, Klassische Musik. Kein Wort von toten Lebenspartnern, Krankheiten oder Katzen.
Ich bin allerdings zu forsch. Wette eine Kiste Warsteiner, dass die hier alle nur das eine wollen, aber speziell die Männer sagen nicht einen Mucks. Stattdessen Philosophie, Geplänkel, Bonmots.
Muss etwas über Ovid lesen, wenn ich Schritt halten möchte.

9.10.2008
Sie nennen es nicht »Date«. Scheinbar ist dieser Begriff hier entweder unbekannt oder verpönt. »Stelldichein« oder »Rendezvous« sind akzeptierte Varianten. Ich rede seit mehreren Abenden mit Serge41, einem ehemaligen Professor für Geschichte und Kunst. Er scheint weniger ein Rendezvous zu suchen als eine Person, die seinen Ausführungen zum Schaffen Hieronymus Bosch folgt.
CASANOVA scheint immerhin aufzutauen.
Die obszönen Angebote von Frauen nehmen indes nicht ab. Ich sollte mich an ihnen orientieren, pack das aber nicht. Habe über den letzten Rentner recherchiert, der verschütt gegangen ist. Er war verheiratet, hat sich aber in den Achtzigern scheiden lassen. Ich sage: Hmmm.
Ich werde ab jetzt wohl ältere Damen mit anderen Augen sehen, wenn sie mich im Supermarkt anlächeln. Mann Mann. Da sind mir die Kerle lieber.

14.10.2008
Treffer. Buchstäblich. Ich treffe morgen gegen fünf nachmittags einen User namens Stoker6644 im »Trödler«. Ungewöhnlicher Ort. Sehr gemischtes Publikum. Werde ihm auf den Zahn fühlen. Stoker6644 spricht unverhüllt sexuell gewagte Praktiken an. Allerdings denkt er, ich wäre Anfang sechzig. Ich hätte mich vorher darum kümmern müssen.
CASANOVA behandelt mich wie einen Freund, aber er scheint nicht anzuspringen. Ich halt ihn mir warm und werde Tacheles mit Stoker reden. Vermutlich ist er nicht so zugeknöpft, wenn man sich gegenüber sitzt. Ich werd mich sogar rasieren. Ich bin nicht schwul. Nenene. Pamela Anderson. Und nochmal: PAMELA ANDERSON!
Hoffentlich muss ich mir das hier nie mehr durchlesen.

Hier endeten die Aufzeichnungen.

Dond reichte es ohnehin.
Er wusste, was aus Stoker6644 geworden war.
Er hatte nicht einen Lidschlag lang in Haft verbracht, keine Hinweise geliefert, nicht eine Sekunde die Contenance verloren. Er war praktizierender Anwalt, offen schwul und binnen Minuten darüber im Bilde, dass es sich bei seinem Rendezvous nicht um den Mann handelte, den er erwartet hatte. Gritz hatte einen angehenden Pensionär aus dem Bereich Beschaffungskriminalität gebeten, für ihn einzuspringen.
Beim Zugriff war Stoker6644 ziemlich zornig geworden. Ein anhängiges Verfahren gegen die Polizei lief noch. Gritz erhielt eine halbherzige Rüge. Pabst hatte Gritz dabei auf die Schulter geschlagen.
Trotzdem war Gritz sich sicher, auf der richtigen Spur zu sein, schon, weil es die einzige war. Er erklärte Pabst, etwas subtiler ranzugehen, aber am Ball zu bleiben.
Gritz legte sich für HERBSTLIEBE eine neue Identität zu, fertigte aber keine Notizen mehr an.
Dann verschwand er.
Dond erkannte den Ansatz. Mochte sich eine Soko mit dem Verschwinden von David Gritz befassen. Nochmal diesen Stoker durchleuchten. Gritz` Rechner durchsuchen. Alle Kneipen, Cafes und Bistros abklappern, die auch nur ansatzweise für ein Rendezvous in Frage kamen. Fotos von Gritz in seiner albernen Lederjacke herumzeigen. Unauffällig auch in Kneipen recherchieren, die weniger als Date-Location, als vielmehr für den Schauplatz einsamer Alkoholexzesse in Frage kamen.
Möglicherweise würde Gritz durch die Tür spazieren, sich die Hose ein Stück hochziehen und zum Kotzen auf den Gang zurück marschieren.
Möglicherweise würde die Email entschlüsselt werden.
Vielleicht auch nicht.
Gritz war vielleicht wirklich mit brauchbaren Instinkten ausgestattet gewesen.
Dond wusste, welche Werkbank für diese Sorte von Arbeit nötig war. Und welche Art von Handwerker. Ein Papiermann. Ein Innendienstler.

3

»Genehmigt«, sagte Pabst.
»Ich mach das von zuhause aus.«
»Warum nicht in der Bürozeit?«
»Gritz war auch abends dran.«
Das Argument schien Pabst einzuleuchten.
»Es wird nichts schaden. Fühlen sie den Alten auf den Zahn. Erkennen Sie ein Muster. Und halten Sie Ausschau nach Codes, Chiffren, Wortspielereien. Das sind ja wohl alle Intelligenzbestien da. Also ran an den Speck. Überstunden sind auch genehmigt. Die Adresse von HERBSTLIEBE-wasauchimmer führt zu einem Postfach in Utrecht. Kein Bild, kein Ton. Wir haben das gemeldet, also machen sie was, bevor die vom Netz genommen werden.«
»Das wird meine Frau nicht lustig finden«, sagte Dond nachdenklich. Dummerweise sagte er es laut.
»Hören Sie die Frau von Gritz lachen? Dond? Was?«
Dond glaubte zwar, dass Frau Gritz schon sehr lange nicht mehr gelacht hatte, sagte aber nichts. Er hatte Gerüchte aufgeschnappt, dass Gritz seine Frau betrog.
»Wenn Sie eine Spur auftun, oder irgendwen, der was weiß …«
»Ja?«
» … ist vielleicht was für Sie drin. Die anderen laufen, Sie machen Kopfarbeit. Morgen erster Wissensabgleich. Besprechung morgen früh neun Uhr.«
»Ich hänge vielleicht bis spätnachts vor dem PC.«
Pabst lächelte. »Punkt neun.«

4

Der Desktop von Donds Dienstlaptop war verwaist; Keine Ordner, keine Icons. Nur die hübsche, grüne Wiese als Hintergrund.
Dond, der sich nach wie vor im Dienst wähnte, trug noch immer ein weißes Hemd mit kurzem Arm und Motivkrawatte. Seine Unterarme waren bleich und haarig.
Dond gab die Adresse des Chatrooms ein.
»Vielleicht öffnen wir noch Google«, murmelte er. »Wenn die hier tatsächlich so kulturinteressiert sind, wäre es gut, mithalten zu können.«
Er saß in der Küche; das DSL-Kabel war zehn Meter lang, schlängelte sich über den PVC des Bodens und verschwand dann im Flur der Wohnung.
Nina Dond, eine hübsche Brünette Mitte dreißig, saß im Wohnzimmer, und dem Stapel Wolldecken nach, den sie dort hinein getragen hatte, beabsichtigte sie auch, dort zu nächtigen. Verdammt.
Die Diskussion war kurz gewesen, aber das traf auch auf den Angriff auf Pearl Harbour zu. Dond hatte sich durchgesetzt, natürlich, aber es würde nichts schaden, hier Dampf zu machen. Er konnte nicht einige Tage bis Nachts in der Küche sitzen.
Alles war bereit: der Spiralblock lag in Griffnähe, das Programm für Screenshots war via USB aufgespielt, und notfalls verfügten er über eine gute Digitalkamera. Vor ihm stand Kaffee, daneben ordendliche Kopien von Gritz Aufzeichungen.
Ein fragiles Klingeln wie von einem Windspiel ertönte.
Die Seite öffnete sich. Sie war schlicht und geschmackvoll gestaltet.
Mattes Silber, ein elfenbeinfarbener Hintergrund. Ein Fenster flappte auf:
LOGIN/Registrieren

Dond rieb sich die Hände.
Ich bin ein Mann. Nicht mehr jung. Solvent. Attraktiv. Akademiker. GOOGLE macht mich zum Akademiker.
Er gab einen falschen, nicht allzu alltäglichen Namen ein, nannte als Geburtsjahr 1944 und wählte einen Usernamen.
SinatraNRW64.
Dond kicherte, und wunderte sich, wie instinktiv der Name gekommen war. Sinatra: das klang nach gepflegtem, silbernem Haar, nach aufrechter Haltung, Stil. Der kleine, blaue Kreis von VISTA rotierte still, dann öffnete sich das eigentliche Portal, und Dond, Sinatra-Dond, abendlicher, mit seiner Gattin zerstrittener Entertainer, trat ein.
So viele Namen.

Ms.Marple5589> SinatraNRW64:
Buona Sera, schöner Mann

SinatraNRW64> Ms.Marple5589:
HALLO

Einige Sekunden passierte nichts.

Ms.Marple5589> SinatraNRW64:
alles Gute

»Scheiße«, murmelte Dond. »Was soll das denn?«
Zu plump, wurde ihm klar. Er blätterte kurz durch die Berichte von Gritz. Also ganz charmant.

SinatraNRW64> Ms.Marple5589:
Verzeiht. Ich bin etwas derangiert

Ms.Marple5589> SinatraNRW64:
alles Gute

»Dann nicht«, sagte Dond.
Er verhielt sich eine Zeitlang passiv, beobachtete, fertigte Screenshots.
Bis zu 23 Teilnehmer befanden sich zeitgleich im Chat. Keine Obszönitäten. Keine anstößigen Benutzernamen. Nicht einmal Zweideutigkeiten. Keine Icons, keine Smileys, die man seinem Text anhängen konnte. Der Chat hatte die die Eleganz des Orientexpress.
Er klickte sich durch die Anwesenden. Kein Stoker, aber den hätte er auch nicht mit der Kneifzange angefasst. Dond fragte sich, wie man aus einer geschlossenen Front plänkelnder Senioren einen Gesprächspartner löste, der weiterhalf. Falls überhaupt jemand weiterhalf.
Er fluchte. Hinter ihm rasselten die Plastikperlen des Küchentürvorhangs. Eine warme Hand auf seiner Schulter.
»Entschuldige, Liebling.«
Dond drehte sich um und lächelte sanft. »Entschuldige du. Ich versuche einfach nur, hier was raus zu kriegen.«
»Was denn genau?« fragte Donds Frau, die Augenbrauen eine Idee zu hochgezogen, um lediglich erstaunt zu wirken.
Dond zögerte, sagte aber dann: »Ich weiß es nicht bestimmt. Der Gritz war hier«, er tippte auf das Display, »und hat nach Zeugen für das Verschwinden von zwei Männern gesucht. Vage, das alles. Außerdem glaube ich, dass er es nicht sonderlich geschickt gemacht hat. Tue ich aber auch nicht gerade.« Dond seufzte.
Nina Dond zog den Gürtel ihres mintfarbenen Hausanzugs zusammen, nahm sich einen Küchenstuhl und setzte sich neben ihren Mann.
»Und das soll was bringen?«
Dond zuckte mit den Schultern. »Sehen wir, Liebling. Ich versuche es zwei oder drei Abende.«
»Sucht Ihr einen Mann oder eine Frau?«
»Interessante Frage. Keine Ahnung.«
»Ich koche mir Tee. Möchtest du einen?«
Dond schüttelte den Kopf.


CASANOVA678> SinatraNRW64:
Guten Abend.

Donds Finger schwebten über der Tastatur. Etwas in seinem Kopf klickte. Er griff zu den Notizen. Casanova. Bingo. Sehr relaxt. Gut gemacht, Gritz, wenigstens ein brauchbarer Hinweis.

SinatraNRW64> CASANOVA678:
Guten Abend!

CASANOVA678> SinatraNRW64:
Privatzimmer?

»Oha!« Dond drehte den Kopf. Es knackte. »Showtime.«


SinatraNRW64> CASANOVA678:
Sehr gern.

Sekundenlang Schwärze. Ein kurzer Jingle, Musik von Vivaldi. Hinter sich hörte Dond das heisere Pfeifen des Wasserkessels.
Ein kleineres Fenster öffnete sich. Der Rahmen war mit feinen Ranken verziert.
»Hübsch«, sagte Donds Frau. Aus ihrer Tasse waberte der Duft von Marillen.

CASANOVA678/priv:
Ein neues Gesicht? Willkommen.

SinatraNRW64/ priv:
In der Tat. Dankeschön, Casanova!


CASANOVA678/priv:
Du bist unter Freunden. Nenn mich Giacomo.

Donds Gattin kicherte, und er warf ihr einen strengen Blick zu. »Ich mach das hier nicht zum Spass.«
»Aha«, sagte sie. Ihr Grinsen war zu breit.

SinatraNRW64/ priv:
Gern. Ich suche Anschluss. Kannst du mir helfen?

CASANOVA678/priv:
Hängt von deinem konkreten Begehr ab, Freund.

SinatraNRW64/ priv:
Alles, was Männer tun können.

»Autos polieren? Fußball? Oder was?« Nina hatte ihren Spaß. Dond wunderte sich. An sich ging seine Frau zeitig zu Bett. »Das gefällt dir, was?«
Sie nickte. »Legst du es auf eine Verabredung an?«
»Schon möglich.«
»Dann«, lächelte sie, »musst du konkreter werden.«
Dond schnaubte. Seine Frau amüsierte sich etwas zu gut für seinen Geschmack. Er sollte die Hölle zufrieren, bevor er zuließ, dass dieser Dreck hier seinem Eheleben neue Impulse gab.
Dond schrieb:

SinatraNRW64/ priv:
Miteinander, meine ich.

Das Schweigen Casanovas hatte etwas eigentümlich Höfliches. Eine Minute verstrich. »Das war wieder zu direkt. Als würde man mit rohen Eiern jonglieren.« Dond schnaubte. Plötzlich:

CASANOVA678/priv:
Wir reden von Sex?

SinatraNRW64/ priv:
Ja.

CASANOVA678/priv:
Das Tier mit dem doppelten Rücken?

»Was ist los?« fragte Dond. Er fertigte einen Screenshot und speicherte das Bild.
»Ist doch hübsch.«
Er drehte ihr das Gesicht zu. »Liebling …?«
»Okay okay«, flüsterte sie kichernd.
»Ist klar«, sagte Dond.


SinatraNRW64/ priv:
Schön gesagt, Giacomo.


CASANOVA678/priv:
Bist du passiv? Bist du das Tier?


SinatraNRW64/ priv:
Ich bin das Tier. Passiv. Ja.

CASANOVA678/priv:
Dann lass uns ein Geheimnis teilen.

»Was für ein Geheimnis?«
»Ein Geheimnis … das könnte alles bedeuten. Aber ich nehme an, er meint diskreten Sex«, sagte Nina Dond beherrscht.
»Meinst du?«
Sie nickte.

SinatraNRW64/ priv:
Hast du ein Refugieum?

»Das schreibt man nicht mit ie!« sagte Nina. Sie war wieder sehr kurz davor, zu lachen, aber Dond spürte, dass er es gar nicht so schlimm fand. Immerhin war der Streit Geschichte. »Ist egal. Hoffe ich.«
Dond verschränkte die Finger, ließ die Knöchel knacken. Er sah sich kurz die Leiste an, die alle Anwesenden aufführte, und registrierte leicht verwundert, dass CASANOVA678 nicht aufgeführt war. Er selbst schon. Ich rede mit einem Geist, dachte er.

CASANOVA678/priv:
Ein trubeliger Ort wäre für den Anfang nicht übel, Freund.
Ich schlage ein Cafe vor. Hast du Vorlieben?

»Das passt. Ein Cafe. Sex. Vermutlich lag Gritz nicht schlecht mit seiner Schwulen-Theorie.«

SinatraNRW64/ priv:
Ruhig. Hell. Zentral. Verschwiegen.

CASANOVA678/priv:
Hell und zentral – und verschwiegen?

SinatraNRW64/ priv:
Entscheide du. Ich werde da sein.

Drei Minuten Starre. Dond hielt seine Kaffeetasse, roch den Tee seiner Frau.
»Du wirst nicht wirklich dahin gehen, oder?«
»Und ob. Und das nicht allein. Gritz hat diesen Casanova erwähnt. Er kennt Gritz. Gesicherte Erkenntnis. Eine saubere, hübsche Spur. Die erste.«


CASANOVA678/priv:
Cafe Renoir, Gneisenaustraße. So gegen 18 Uhr?

»Nie gehört«, sagte Nina, und Dond nickte zustimmend, aber das hieß nichts; er war derjenige, der arbeitete, sie die kulturell interessierte: Theater, Cafes, Lesungen.

SinatraNRW64/ priv:
Gerne. Ein guter Ort?

CASANOVA678/priv:
Gut? Inwiefern? Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, mein Junge, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten.

Schulterzucken am Küchentisch.
»Was meint er?«
»Ich glaube, er will sagen, dass es ziemlich egal ist, wenn man sich erst einmal trifft«, sagte Frau Dond. »Wen wirst du mitnehmen?«
»Warte.«
Dond schrieb:

SinatraNRW64/ priv:
Da freue ich mich sehr. Ich fiebere unserem Date entgegen.

»Falscher Begriff. Rendezvous wäre besser gewesen«, sagte sie.
»Jetzt nicht mit der Goldwaage unterwegs sein«, entgegnete Dond.
Casanova musste das Fenster geschlossen haben; eben noch ein verzierter, digitaler Rahmen, nun die Kühle des allgemeinen Chatrooms.
»Ich fühl mich irgendwie vor die Tür gesetzt.«
Das Ehepaar saß da, blickte in den Chat. Casanova war nicht aufgeführt, unsichtbar, einfach nicht da.
Dond fuhr den Rechner herunter. Sie gingen ins Schlafzimmer. Liebten sich.


5

»Sie haben also ein Date, Dond? Glückwunsch. Bringt das was?«
Pabst sah müde aus. Er war über einen Stapel Berichte gebeugt. Seine Manschettenknöpfe lagen neben dem Aschenbecher, die Ärmel waren aufgerollt.
»Keine Ahnung. Werden wir sehen. Einer muss in der Nähe bleiben, fotografieren. Ich nehme mir den Typen dann zur Brust. Er erwartet zwar einen Alten, aber das ist mir egal. Sofort aufs Ganze.«
»Ja genau. Simulieren Sie Kompetenz.«
Dond hob die Hand.
»Ist gut. Entschuldigung«, sagte Pabst. » Ich bin nervlich etwas am Ende. Machen Sie einen Bericht. Was Knappes. Wenn wir jedes Arschloch aus dem Internet erkennungsdienstlich erfassen müssen, tun wir das. Und mit Ihrem neuen Lover fangen wir an. Wir nehmen jeden in die Mangel.«
Ein junger Mann in Jeans trat in Pabst Büro, stutzte kurz, als er Dond sah und warf dann einen dünnen Schnellhefter auf den Schreibtisch.
»Keine bekannte Chiffre. Wir hatten ziemlich schnell die üblichen Methoden durch. Das ist was Neues. Entweder zu simpel für uns …«
»Oder was!« brüllte Pabst. »Oder zu schwierig? Ja?«
»Es gibt Codes, die nicht einfach so abgleichbar sind. Effektive Kryptogramme. Bastelvorlagen, wie wir sagen. Das ist das Problem. Wenn Ihr Mann… dieser… « Der Ermittler versuchte sich die Akte zu nehmen, aber Pabst hieb mit der Faust darauf.
»Gritz.«
»Wenn dieser Gritz seine Chiffre selbst erfunden hat, wird es schwierig. Nehmen wir an, er hat festgelegt, dass die Raute »Geld« bedeutet. Oder »Haus«. Oder »Scheißrotationsmaschine«. Wie soll da einer drauf kommen? Die Entschlüsselung kriegen nur zwei Menschen hin. Der Verfasser und der Empfänger. Der mit dem Schlüssel. Der mit der Liste. An wen ging die Mail?«
»An mich«, sagte Pabst. »Und Gritz und ich haben zufällig nicht über kryptisches Zeug geredet.«
Pabst schüttelte den Kopf. Unfähiges Pack. Gerade dazu imstande, die bekloppt codierten Zettelchen von Gras-Dealern auszulesen. Eigentlich war diese Abteilung nichts weiter als eine Handvoll Beamter, die exotische Fremdsprachenkenntnisse aufwiesen und gelegentlich mit einem Institut telefonierten, deren Leute tatsächlich etwas von Kryptographie verstanden und sich über jede Aufgabe freuten. Das war der zweite Fall dieser Art in neun Jahren. Pabst erinnerte sich dunkel an einen Erpresserbrief, der amateurhaft diese Zodiac-Sache kopierte.
Buchstabengruppen waren Zahlenkombinationen zugeordnet. Das Ding hatte man hausintern geknackt, und zwar binnen 40 Minuten.
»Wenn Sie es nicht knacken können, sagen Sie es.«
»Wir können es nicht knacken«, sagte der junge Mann ungerührt. »Aber wir haben es nach Berlin gefaxt.«
Pabst sah Dond an. »Ist noch was?«
»Ich brauche zwei Mann. Sie erinnern sich? Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, mein Junge, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten, wie man so sagt. Ein Zitat. Ich hätte gern zwei zur Observation. Dafür verspreche ich, das keine Klagen kommen, und das meine ich wörtlich.«
»Cooles Zitat«, sagte der junge Mann.
»Welches? Das mit den Eindrücken? Ist von einem Verdächtigen aus einem Chatraum. Kriege es nicht aus dem Kopf.« Dond zuckte mit den Schultern.
»Irrtum«, erwiderte der junge Mann lächelnd. »Das sagte Sherlock Holmes. Das gefleckte Band, glaub ich.«
Dond hob langsam den Kopf.
»Scheiße.«
»Warum?« fragte Pabst.
»Weil«, sagte sie, »ich denke, dieser Casanova-Typ mir damit mitteilen wollte, dass er mich für einen Ermittler hält. Damit ist die Sache wohl gestorben.«
Der junge Mann fuhr sich durchs Haar und sagte:
»Wussten Sie, dass Casanova sich intensiv mit Chiffrierungen und Kryptographie beschäftigte? Es war eines seiner Steckenpferde.« Er grinste. »Seine anderen Hobbies sind ja sowieso überliefert.«
»Von wegen gestorben«, sagte Pabst kalt.
»Den«, sagte Dond sanft, »werden wir uns sowas von kaufen. Falls er kommt.«


6

Dond im schwarzen Anzug.
Dond mit der Dienstwaffe, unauffällig am hinteren Hosenbund.
Dond rasiert, das Haar, Gott steh ihm bei, voller starrem Spray.
Dond, der Ermittler.
Dond, das Date.
»Schnieke«, sagte Steffen, als Dond zustieg.
Jennifer Steffen war Ermittlerin der Sitte. Sie hatte mehr Frauenhäuser von innen gesehen als jede andere Beamtin. Dond kannte sie von abteilungsübergreifenden Seminaren. Sie war ansehnlich, aber nicht auffällig hübsch, und fuhr mit ihrem Privatwagen, einem Corsa älteren Baujahrs. Damit hatte sie alles, was Dond wollte.
Sie fuhren von der B1 ab, auf den Ring, dann Richtung Südstadt.
Pabst hatte einen weiteren Beamten abgestellt. Dieser würde das Lokal von der Zufahrtstraße aus beobachten, Steffen hingegen Nahe der Tür des Cafés vom Wagen aus.
Ein 500 Meter – Radius. Im Prinzip zu ambitioniert für etwas so Vages, aber Pabst hatte es abgesegnet. Gritz war seit über einer Woche wie vom Erdboden verschluckt.
»Bleiben Sie ganz locker.«
»Ich fische absolut im Trüben«, sagte Dond. Er fühlte sich verspannt. »Das letzte Mal, dass ich mit einem Mann verabredet war, ist eine Weile her. Und das war der Bestattungsunternehmer, der meinen Vater unter die Erde gebracht hat.«
»Was für eine hübsche Geschichte, Herr Dond«, erwiderte Steffen und gestattete sich ein schmales Lächeln.
»Seien Sie charmant«, sagte sie. »Und fragen Sie. Das wirkt interessiert. Schön fragen.«
»Rutschen Sie mir den Buckel runter«, sagte Dond liebenswürdig.
»Ich behalte Sie im Auge. Bleiben Sie, wenn möglich, in der Nähe der Tür.« Sie spähte hinüber zum Cafe Renoir. Schlichte Fassade. Verhängte Fenster. Eine Glastür. »Ich hab ein Teleobjektiv. Nur für den Fall.«
»Ich fühl mich schon viel besser«, sagte Dond.
Dann stieg er aus, strich sein Sakko glatt und atmete scharf aus.

Sie hatten einen Pianisten. Er sah aus, als hätte er in seinen Klamotten geschlafen. An seinem Hinterkopf stand ein Wirbel ab.Eine Sprite stand in Griffnähe auf dem Instrument. Er spielte eine Idee zu schnell das Thema von LOVESTORY.
Dond spürte ein leises Aufwallen von Panik.
Wie zum Schinder sah Casanova aus? Brillant. Eine Nachfrage hätte da wohl nicht geschadet.
Das Licht verbarg sich hinter muschelförmigen Wandlampen, die Tische, rund und aus Marmor, wirkten, wie man sich die Ausstattung einer Eisdiele der Fünfziger vorstellte. Der Pianist wechselte zu einer zuckerigen »can you feel the love tonight« - Version. Ein Kellner trat an Dond heran. Nein … Kellner, fand Dond, war nicht korrekt. Ein Concierge. Ein Butler. Ein aufrechter, schlanker Mann, der servil wirkte, aber vor Würde zu glühen schien.
»Guten Abend«, sagte er.
»Hallo«, erwiderte Dond.
Eine winzige Bewegung durchfuhr die Augenbrauen des Mannes. Ein Zucken, nicht mehr, aber Dond hatte zu oft im Spiegelkabinett des Präsidiums gesessen und zugesehen, wie sich die Mimik Verdächtiger verselbständigte.
Missbilligung.
»Guten Abend«, fügte Dond hinzu und erntete ein Nicken.
»Sie sind verabredet?«
Dond nickte. Zuwenig. »Ja.«
Dond suchte die Wand nach einer Uhr ab und fand keine.
»Ich empfehle Ihnen den Tisch dort drüben. Begleiten Sie mich bitte.«
Rahmengenähte Schuhe auf Granitfliesen.
Der Mann schien zu gleiten. Dond musste an Fred Astaire denken.
»Bitte sehr.«
Der Tisch war hübsch dekoriert. Ein durchwirkter Brokatläufer durchbrach die Marmorierung der Platte, und die einzelne Kerze sah nicht wie eine der billigen, rußenden Supermarktdinger aus. Sie verströmte einen verhaltenen Duft nach Rosen. Sehr geschmackvoll. Aber der Tisch war von der Tür aus nicht einsehbar, und das machte Dond nervös.
»Haben Sie nichts in der Mitte des Raumes?«
Donds Gastgeber wendete den Kopf, als sähe er den Raum zum ersten Mal, betrachtete kurz die anderen sechs Tische, alle unbesetzt, wie überhaupt das ganze Cafe menschenleer war, und sagte: »Bedaure.«
Egal, dachte Dond. Er musste flexibel sein. Und vielleicht war es bei einem Date unter echten oder vermeintlichen Schwulen keine üble Sache, nicht in absoluter Hörnähe anderer zu hocken. Er hoffte, dass seine Kollegin das einsah.
»Macht nichts. Danke.«
»Darf ich Ihnen einen Aperitif reichen?«
»Reichen? Vielleicht einen …«
Der Mann nickte knapp und verschwand.
» … Kaffee«, murmelte Dond. »Besten Dank auch, James.«
Er zog sein Handy hervor und tippte eine Nachricht an Jennifer Steffen.

Völlig entspannt hier. Sitze am Arsch des Propheten. Können Sie mich sehen?

Der schlanke Mann erschien wieder. Er servierte Dond wortlos ein geeistes Martini-Glas, um das eine leinene Serviette gelegt war. Keine Oliven.
Es brummte in Donds Sakko.

Nein. Kommen Sie näher zur Tür. Sonst kann ich direkt nach Hause fahren.

Ist nicht, schrieb Dond. Der Laden ist eh nur eine Schuhschachtel. Passt schon.Fotografieren Sie alle, die reingehen.
»Klasse«, sagte Dond leise. Dann ergab er sich in sein Schicksal und nippte an seinem Drink. Exzellent. Schmeckte wie pures Gold. Er musste daran denken, sich eine Quittung geben zu lassen.
»Sinatra?«
Dond, nur einen Herzschlag davon entfernt, den Martini quer über den Tisch zu spucken, ruckte herum.
Es war der Pianist.
»Was meinen Sie?«
»Mögen Sie … Sinatra?«
Donds Herz schlug wie eine Faust.
»Sicher. My Way. New York, New York.«
»Darf es auch was aus der Phase mit Jonny Mercer sein?«
Der Musiker roch recht streng nach Rasierwasser, und darunter wütete der Gestank von Alkohol, der aus seinen Poren zu dringen schien.
»Logisch. Das geht«, sagte Dond irritiert.
»Body and Soul
Von mir aus auch ICH BIN DER BI-BA-BUTZEMANN, dachte Dond, nickte aber nur.
Der Pianist ging. Dond sah ihm nach. Er trug eine Jogginghose aus Kunstseide zu einem weißen Dinnerjacket und schien sich nicht recht auf den Beinen halten zu können.
Donds Nerven beruhigten sich. Er blickte auf seine Uhr.
Das Piano begann kleine Melodieperlen in den Raum zu entlassen.
Casanova hatte noch drei Minuten.
Wer ficken will, muss pünktlich sein, dachte Dond, griff nach hinten und ertastete seine Dienstwaffe.
Der Gastgeber erschien, nickte Dond würdevoll zu und steuerte die Tür an.
Er verriegelte sie.
»Hören Sie«, sagte Dond, »ich erwarte noch jemanden.«
»Ich weiß«, sagte der Mann lächelnd.
Er ging hinüber zu Donds Tisch, deutete eine knappe Verbeugung an und nahm Platz.
»Sie gestatten?«
»Was?«
»Nennen Sie mich Giacomo.«

7

Diesmal brachte der Pianist den Drink.
»Mit Verlaub … ich schätzte Sie älter ein, Freund.«
»Ich halte mich fit«, sagte Dond lahm.
»Mit Frischzellen? Kälberföten?«
»Nein«, sagte Dond, erkannte dann den Scherz und sagte:
»Entschuldigung. Ich habe eine Affinität zu älteren Herren.«
Guter Gott, dachte er.
»Sehr erfreulich, was mich betrifft.«
Etwas blitzte im Hintergrund, und Dond kniff kurz die Augen zusammen.
»Eine Ihrer Lampen ist kaputt.« Er rieb sich die Augen.
»Ja. Ich kümmere mich noch darum. Sie sind ein attraktiver Mann. Was tun Sie so? Was beflügelt Sie?«
Dond wusste einen Moment nicht, was er sagen sollte.
Er dachte an Jennifer Steffen und den Kollegen, der ein paar hundert Meter entfernt die Straße observierte. Niemand würde kommen. Verdammt.
»Ich?« fragte Dond, um zusätzliche Sekunden zu schinden.
Casanova lächelte.»Ja.«
»Ich spiele gern Tennis. Ich lese viel.«
»Was lesen Sie?«
Dond stutze.
»Grisham … und so.«
»Grisham und so«, wiederholte Casanova.
»Ja. Lesen Sie auch gern?« Dond kam sich unendlich dämlich vor.
»Außerordentlich«, sagte Casanova strahlend. »einiges an Philosophie, viel Geschichtliches, und gern medizinische Fachliteratur.«
»Und wissenschaftliche Sachen?«
»Auch.« Interessiertes Nicken.
»Sachbücher über Kryptographie?«
Dond war auf der Überholspur. Es war eine Frage der Nerven. Besser jetzt, sagte er sich. Sofort.
»Nein. Ich weiß schon: Giacomo Casanova interessierte sich dafür. Schön, dass Sie Interesse zeigen, aber was mich an Casanova reizt, sind die geschliffenen Umgangsformen, über die er verfügte. Das, und seine Neigung, für eine Eroberung viel zu riskieren. Wissenschaftlich gesehen war er wohl ein Dilettant. Er begeisterte sich für manches, jedoch selten für lange. Er war ein Müßiggänger.«
Dond nickte. Er war hochkonzentriert.
»Mögen Sie denn Grisham? Oder eher Arthur Conan Doyle?«
Der Mann lachte kurz auf, ein einnehmendes Geräusch, melodisch und rauh.
»Verzeihen Sie das Zitat gestern. Ich bin erfreut, dass Sie belesen genug sind. Wissen Sie … ich teste gern den Horizont meiner … Partner. Straffes Fleisch interessiert mich nicht, wenn es dumm ist.«
»Ich verstehe.«
Scheiße im Himmel …
»Das hoffe ich doch«, sagte Casanova und nippte an seinem Getränk.
»Ihr Lokal?«
»Meins«, sagte Casanova. »Perfekter Service, schlechter Umsatz. Aber meine Leidenschaft. Wie sagt man? Ohne Finanzinteressen.«
Casanova lachte erneut, und Dond gab sich Mühe, mit einzustimmen.
»Nun denn«, sagte Casanova, wobei er den oberen Hemdknopf öffnete, »wie hätten Sie es gern?«
Zwei Stillleben. Ein lächelnder, schlanker Mann, der Blick offen, aber nicht aufdringlich. Ein nicht ganz so schlanker Mann, der sich ein Grinsen abpresste.
»Wo kann ich hier austreten?« Dond zwinkerte, und etwas in ihm verspottete sich selbst.
»Soll ich Sie begleiten?«
Scheiße!
»Natürlich nur, um Ihnen den Weg zu weisen.«
»Wollen wir uns nicht duzen?« fragte Dond.
»Nein«, sagte Casanova herzlich. »Nein. Ich denke nicht. Die Waschräume sind dort drüben.«
Er wies auf eine tapezierte Trennwand. »Dahinter.«
»Bis gleich«, sagte Dond.

8

Das Piano war beinahe zur Unhörbarkeit gedimmt. Dond war es nicht möglich, die Melodie zu erkennen, aber das sorgte ihn nicht. Was ihn sorgte, war der Rest. Zum Beispiel, dass sein Handy keinen Empfang hatte, hier, in dieser gekachelten Kemenate, die nach Zitrone duftete. Zum Beispiel Casanovas Absichtserklärung, verschleiert zwar, aber vorhanden.
Es würde bald zur Sache gehen, wenn es nach dem Herrn des Hauses ging. Dond fingerte eine Nachricht ins Handy, ging ans vergitterte Fenster und hielt das Sony dicht ans Glas. Senden.
Nicht erfolgt.
Kein Netz.
Notfalls würde er eben die Dienstwaffe ziehen und den Spuk aufklären. Er dachte an das Gespräch mit Casanova. Nichts mit Chiffren und dergleichen. Es hatte ehrlich geklungen. Dond hatte sich schön in die Kacke geritten.
Er trat ans Waschbecken, drehte den Hahn auf und ließ einen Moment das Wasser laufen.
»Showtime.«
Dond kontrollierte sich im Spiegel – fester Blick, gut -,und verließ den Waschraum.

Sie waren zu viert.
Dond blieb stehen.
Casanova. Der Pianospieler. Ein Mann in Unterwäsche. Ein weiterer Mann, kräftig. Er war maskiert.
Sie hielten Waffen in den Fäusten.
»Wären Sie so reizend, abzulegen?«
»Was ablegen?« fragte Dond. Sein Verstand raste. Wie schnell war gleich ein Projektil?
»Ihre Kleidung. Wären Sie so reizend?«
Dond konnte sich nicht bewegen.
»Warum trägt der Kerl da eine Maske?«
Sie war aus Vinyl oder Latex, schwer zu sagen, und ohnehin nicht von Belang für Dond. Er schaffte es einfach nicht, sich von diesem Pferdekopf zu lösen, dieses Gesicht eines Gauls, hinter dessen Augenlöchern es glimmte.
Dond rechnete. Schnellziehholster, ja. Aber hinten. Waffe tief drücken, entriegeln, ziehen, eine Linie, der Arm und die Waffe. Eine Linie. Combatschießen. Vier gegen einen. Nein.
»Ohne speziellen Grund. Er schätzt es einfach. Sie mögen Slipper mit Gummisohle, das Herz meines Freundes hier schlägt für die chinesischen Tierkreiszeichen. Sie sollten ihn mal als Hahn sehen. Werden Sie vermutlich. Legen Sie jetzt ab. Bitte.«

9

Steffen schaute auf die Uhr. Eine Stunde. Sie stand etwa 50 Meter vom Eingang des Renoir entfernt. Niemand hatte das Cafe betreten. Dond war versetzt worden.
Er reagierte nicht auf ihre SMS. Sie hoffte für Dond, dass er sich nicht einen auf die Lampe goss. Dann würde sie persönlich Sorge tragen, dass er für die nächsten sechs Monate den Kopierraum des Präsidiums nicht verließ. Er würde mit Toner an den Händen nach Hause gehen, viele, viele Abende.
Sie überlegte, reinzugehen. Ihr Telefon klingelte.
»Ja?«
»Die Straße ist tot. Ist ja auch eine Scheißgegend«, sagte der Beamte, der zweihundert Meter entfernt in seinem Wagen hockte. » Wenn’s wenigstens der Norden wäre, da gibt’s genug Pubs und …«
»Also niemand in Sicht?«
»Kein Stück.«
»Ich werde mal rein gehen.«
»Viel Spaß. Ich fahre um den Block.«
Jennifer löste den Gurt, kontrollierte ihr Makeup im Rückspiegel und schnippte mit den Fingern.
»Wehe dir, Dond. Wehe dir.«
Die Wagentür öffnete sich beinahe zeitgleich mit der Tür des Cafés.
Ein Lichtstrahl fiel in die Dämmerung des Bürgersteigs, und dann trat Dond auf die Straße. Er verharrte eine Sekunde, rieb sich mit der Hand über das Gesicht und begann zu laufen.
»Dond!«
Keine Reaktion. Donds Jacketschöße bauschten sich im Wind.
»Ey! Dond, verdammt!«
Dond hob im Rennen eine Hand, als wolle er abwinken. Dann bog er um die Ecke.
»Unser Mann verschwindet. Hinterher. Ich geh rein!«
»Welcher Mann?« kam es aus dem Handy.
»Unserer. Also Dond. Der Lockvogel.«
»Ja und?«
»Er rennt vor irgendwas davon! Aufgreifen. Er scheint in Panik zu sein!«
Eine kurze Pause.
»Ich sehe ihn. Ist der bescheuert? Boah …der rennt gut. Ich häng mich dran. Ist ja irre.« Ein aufjaulender Motor.
Steffen sprintete über die Straße, stieß die Tür auf, wurde augenblicklich von warmem Licht und Pianomusik eingehüllt.
»Polizei!«
Der schlanke, elegante Mann hinter dem Tresen sah auf, richtete seinen Blick dann wieder auf das polierte Glas in seiner Hand und hielt es gegen das Licht.
»Guten Abend. Schön, dass sie da sind. Das ging schnell. Sie sehen mich beeindruckt.«
»Inwiefern?« Die Beamtin atmete schwer.
»Insofern«, sagte der Mann, »dass ich soeben die Polizei angerufen habe. Hier ist gerade ein Mann heraus gestürmt, ohne seine Drinks zu zahlen. Kein großer Schaden, aber ein Vergehen, nicht wahr? Ich kann ihn beschreiben.«
»Brauchen Sie nicht«, zischte sie.
»Nicht?«
»Nein.«
Das weitere Gespräch ergab, dass Dond offensichtlich einiges getrunken hatte, dann ein Telefonat erhielt, aufsprang und flüchtete.
»Er hat auf jemanden gewartet«, sagte der Mann.
»Ich muss ihre Personalien aufnehmen.«
»Aber gern. Möchten Sie inzwischen einen Espresso?«
»Nein. Ihr Ausweis, bitte.«
Ihr Handy klingelte.
»Hab ihn nicht gekriegt. Irre schnell unterwegs. Werde versuchen, ihn zuhause abzufangen. Ich frag mich, was ihm solche Angst machte.«
»Ich mich auch«, sagte Steffen und ließ den Blick schweifen.
Hübsch hier. Verwaist. Sauber.
Sie legte auf und sagte:
»Warum haben Sie den Mann nicht verfolgt?«
Der Chef des Cafés lächelte väterlich. »Wegen ein paar Martinis? Außerdem kann ich nicht einfach mein Lokal im Stich lassen.«
»Was ist mit dem?« Sie wies auf den Pianospieler. Er drehte den Kopf und nickte.
»Eine Teilzeitkraft«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Gott bewahre. Sie verstehen? Ich bin hier geblieben, weil ich keine Spurts mehr einlegen kann. Ich bin beinahe sechzig.« Er zwinkerte. »Aber was recht ist, muss recht bleiben.«
Steffen nickte, dann griff sie in ihre Tasche. »Warten Sie.«

10

Morgensonne. Kaffeeduft. Schmale Lippen.
»Was meinen Sie damit, Steffen?«
»Er rannte los. Ich hab ihn gesehen. Schröder hat ihn gesehen. Er rannte wie von Furien gejagt. Wie bei Gritz. Genau wie Gritz.«
»Irgendetwas ist da vorgefallen. Haben Sie den Wirt gecheckt?«
»Er hat tatsächlich bei uns angerufen. Dond hat die Zeche geprellt. Ich hab dem Wirt noch nicht mitgeteilt, dass Dond einer von uns ist.«
Pabst nickte. »Gut gemacht. Dond taucht wieder auf. Vielleicht hat er ein Alkoholproblem. Zuhause war er seitdem auch nicht mehr. Seine Frau ist außer sich. Wir klappern die Kneipen ab und halten die Augen auf. Herr Dond steckt mächtig in der Klemme.«
»Es ist wie bei Gritz«, sagte Steffen erneut. Sie wirkte nachdenklich.
»Wir haben keine Email bekommen«, sagte Pabst.
»Stimmt. Vielleicht kommt das noch.«
»Ich glaube nicht. Gritz war an was dran. Etwas, das zu heikel war, um es offen in einer Mail auszusprechen. Vergessen Sie nicht, dass er ziemlich versiert im Umgang mit solchen Dingen ist. Wir haben irgendetwas übersehen. Wir haben bei der Email irgendein Detail nicht wahrgenommen. Aber die Herren in Berlin arbeiten daran. Einer von denen hat schon angerufen. Ich hab nicht ein Wort verstanden, aber es klang kompetent.«
»Vielleicht ist Dond dahinter gekommen«, sagte Frau Steffen.
»Wohinter?«
Steffen zögerte. »Die Sache mit Gitz und Donds Frau. Jeder im Präsidium weiß davon. Gritz kann es einfach nicht lassen.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Gritz hat es erzählt. Nicht nur mir. Irgendwie«, sagte sie, »schien ihm völlig egal zu sein, ob Dond es mitkriegt. Irgendwie scheint Gritz alles ziemlich egal zu sein.«
»Ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden, wenn er wieder auftaucht.«
»Wenn wer wieder auftaucht?«
Pabst schüttelte den Kopf. »Egal wer.«
Während Pabst und Steffen sich unterhielten, löste Dond mit einfachsten Mitteln das Rätsel der Email. Reine Kopfarbeit.

11

Dond trank Kaffee aus einem Pappbecher.
»Mehr Milch?«
Dond schüttelte den Kopf. Wegen seiner geschwollenen Lippen war an Sprechen nicht zu denken.
Es war hinter der tapezierten Wand weitergegangen. Die Damentoilette, Kabine zwei. Dahinter eine Tür, mit den gleichen Fliesen wie im Waschraum beklebt, fast unsichtbar, klinkenlos.
Eine nackte Betontreppe, die nach Unten führte.
Unten war nun Dond, und nackt war Dond ebenfalls.
Seine Füße waren mit Draht an die Beine eines stählernen Bistrostuhls fixiert, eine effektive Fesselung, ausreichend.
»Sagen Sie nicht, es war unangenehm. Das würde meine Gefühle verletzen.«
Casanova trug einen Kimono aus Seide, schlicht, ohne Drachen oder ähnlichem Klimbim. Nichts in diesem Raum war schmuckvoll, wenn er auch sehr sauber war. Casanova, leicht verschwitzt, strich Dond über den Nacken. Donds Kopf war rasiert.
»Mein kleiner Polizist.«
Es hatte oben geblitzt. Es blitzte hier unten. Es blitzte unentwegt. Es blitzte, als Dond kniete, es blitzte, als er auf dem Boden lag. Es war keine kaputte Lampe.
Dond, der in der digitalen Welt dieses Spiel begonnen hatte, war nun eine Figur auf diesem schwarzen Mensch-wehre-dich-nicht-Brett, und jede seiner Bewegungen, sofern sie exotisch und anregend war, wurde erfasst, gepixelt und der Ewigkeit überantwortet.
Dond, das Model.
Dond, das Sexspielzeug.

Das erste Blitzen jedoch, das allererste Foto, galt indes anderen Zwecken, wie Dond erkannt hatte.
Der Mann in Unterhose hatte Donds Kleidung angezogen. Er war auf Grundlage des allerersten Fotos wie Dond frisiert worden. Viel Haarspray. Die Charakteristik seiner Nase, gut, aber grob modelliert, klebte, gemacht aus einer Art hautfarbenem Kitt, im Gesicht des Fremden. Dieser Mann, der fremde Mann in Donds Kleidern, hatte das Lokal verlassen, und Dond, doch mehr Polizist, als man ihm zutraute, war klar geworden, worauf das hinaus lief: Erst war Dond zum Lockvogel geworden. Dann wurde ein Lockvogel zu Dond. Ein Dond, der herumrannte, eine verwischte Kopie seiner selbst, die sich zeigte, das Cafe aus dem Zentrum des Interesses zerrte, einen neuen, letzten Aufenthaltsort definierte.
Wie bei Gritz.
Holmes hatte recht: Wir hätten auf Details achten sollen.
Es waren vier Mann, und sie wurden nicht müde. Dond weinte nicht, weil etwas in ihm kaputt gegangen war. Er weinte, weil er wusste, dass man es nicht reparieren konnte.
Bisher war der Pianist der Schlimmste gewesen, ein Wüterich, zornig, brutal … doch wenigstens schnell.
Dond betete etwas, aber Gott hatte den Hörer danebengelegt.
Die Nacht hatte sich durch vier geteilt, vier hatten Dond durch sich geteilt, ab und zu gab es etwas zu trinken, und er erinnerte sich auch an ein belegtes Brot im Dunkelgrau dieser nassen, brennenden Betonnacht.
Der Kimono raschelte, und Dond wimmerte.
Seide glitt zu Boden.
»Hat es dir gefallen?«
Dond antwortete nicht.
»Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, mein Junge, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten. Erinnerst du dich?«
Dond weinte wieder.
»Was nun kommt, erfordert es anders. Versuche, das Allgemeinbild zu verinnerlichen. Achte nicht auf Details. Achte jetzt nicht auf Details. Mach einfach die Augen zu, wenn du willst.«
Die Tür ging auf, und der Mann trat ein. Eine Schweinemaske diesmal, seltsam verschmitzt wirkend, über einem massigen, nackten Leib. Teigig und schwer, haarig.
»Oink, Oink«, sagte der Maskierte. Es klang, als spräche er in eine leere Blechdose.
Dond schloss die Augen.

Er öffnete sie Stunden später.
»Hörst du mich?«
Dond nickte. Er brannte. Alles brannte.
»Steh auf.«
Dond kam auf die Knie. Erbrach sich.
»Du musst nun etwas tun. Mach uns keine Schwierigkeiten, Freund. Dein Kollege dachte, er wäre besonders schlau. Mach nicht den gleichen Fehler. Setz dich dahin.«
Dond stand. Etwas lief seine Beine hinab, aber er sah nicht hin.
»Du bist keiner der Durchschnittsleute. Wirklich nicht.«
Hinter Dond lachte jemand.
»So wars nicht gemeint«, sagte Casanova launig. »Du bist Polizeibeamter. Sie werden keine Ruhe geben, nicht wie bei den beiden Großvätern.«
Erneutes Auflachen.
»Mon Dieu. Die konnten wirklich Garnichts … « Casanova zögerte kurz.
»… Ach, ich sag es ruhig: wegstecken.«
Ungebremste Heiterkeit nahe der Tür. Dond wandte sich nicht um. Nicht nur, weil er keine weitere Gummifratze mehr sehen wollte – er starrte auf den leuchtenden Monitor. Das blaue Glimmen der On-Taste des Rechners, der neben dem Bildschirm auf dem Tapeziertisch stand. Die Tastatur. Die Maus.
»Setz dich hin. Sei so gütig und schreib eine Email. Schreib, dass es dir gut geht. Dass du eine Auszeit brauchst. Mach es gut.«
Donds Stimme war die des Vogelscheuchenmannes, Kreide unter Stiefelabsätzen, ein Nagel auf einer Schiefertafel.
»Das … kannst du selbst tun. Es spielt keine Rolle.«
Als Casanova sprach, schwang Leidenschaft mit.
»Es ist wichtig, dass du es machst. Wichtig für uns. Zeig uns, dass es dir gut geht. Demonstriere, dass du es wert bist. Wenigstens du. Zeig uns, dass du dazu gelernt hast. Dass du es zu schätzen weißt … das alles hier. Die Liebe. Die ganze Liebe.«
Dond hockte sich hin. Augenblicklich fühlte der Sitz des Stuhls sich glitschig an, und er rutschte leicht nach vorn, eine Winzigkeit nur, gleitend in etwas, das in diesen Räumen unter der Erde als Liebe angesehen wurde.
»Was soll ich schreiben?«
»Das sagte ich bereits.«
»Wohin soll ich es schicken?«
»Das liegt bei dir.«
Donds Verstand erwachte.
Zehn Finger. Geschwollen. Aber er war Innendienstler. Er war schnell.
Dond klickte auf das blaue E.
Die Startseite war HERBSTLIEBE.com.
Es war Herbst, dachte Dond, ja.
»Die Seite verschwindet bald«, sagte Casanova. Es klang wehmütig.
Dond loggte sich bei Yahoo in sein Postfach ein. Es war an sich nur für privaten Kram bestimmt, aber er wollte nicht riskieren, die Männer mit dem Aufruf seines dienstlichen Postfachs zu verärgern.
Dond spähte aus verklebten Augen auf den Bildschirm. Er achtete nicht darauf, was es dort zu sehen gab, sondern auf die hellen Bereiche. Dort suchte er nach Reflexionen. Er sah den klobigen Schemen in der Tiefe des Raumes hinter ihm; er sah Casanovas Unterkörper in einer Tuchhose, die Gürtelschnalle von Hermes. Dond sah. Er starrte in einen Rückspiegel, der die Freiheit bringen konnte, nicht von dem was geschehen war, aber doch die räumliche Erlösung.
Wenn er geschickt war. Wenn er für eine Minute das alles vergaß, das Blut und das Stoßen und diese … er schluchzte kurz.
»Alles in Ordnung?«
»Ja«, hauchte Dond.
WILLKOMMEN BEI YAHOO.
Login.
JDond@yahoo.de
Dond tippte.

Liebe Leute,
alles okay bei mir.

Dond suchte die Tuchhose. Frontal hinter ihm.

Es geht mir prima. Bin nur nervlich angeschlagen. Ich benötige eine Auszeit.

Rascheln hinter ihm. Die Hose drehte sich, die Gürtelschnalle verschwand aus seinem Sichtfeld. Casanova hatte sich nach links gedreht, weg vom Monitor, wie Dond hoffte.

Er tippte, rasend schnell.

RPabst@polizei-nrw.de

Markieren!
Ausschneiden!
Verschwunden.
Dond hielt die Emailadresse seines Chefs in der Hinterhand wie ein Pokerblatt. Unsichtbar, aber da.
Dond, Taschenspieler.

Ich werde mich in einiger Zeit melden. Keine Sorge bis dahin. Ich muss zu mir selbst finden.

Dond hörte Casanovas Schritte auf dem Estrich. Er schien umher zu schlendern. Sein Atem klang entfernter als noch vor einer Minute.

CAFERENOIRKELLERHILFE!

Dond markierte den Text, klickte auf SCHRIFTFARBE, wählte Weiß. Unsichtbar. Sie würden die Mail unter die Lupe nehmen und den Hinweis finden. Er war besser als Gritz. Viel schneller. Pabst und die anderen würden es heraus finden. Vielleicht brauchten sie einen Tag oder zwei … guter Gott. Einen Tag oder zwei.
»Wird das eine Novelle?«
Casanova dicht neben ihm. Lächelnd.
»Nein. Ich bin fast fertig. Noch ein Wort für meine Frau.«
»Keine Tricks, hm?« Casanova, blendend gelaunt.
Der Kopf des Mannes verschwand, und Dond sah ihn im Glas des Monitors durch den Raum spazieren.

Ich liebe dich.

Jonas.

Zwei geschmeidige Bewegungen, zeitlich eine Sekunde versetzt, aber gleichauf in ihrer Eleganz.
Dond kopiert mit einem raschen Klick Pabsts Emailadresse ins CC-Feld, fährt blitzartig auf SENDEN.
Casanova schneidet Dond mit einer einzigen, silbrigen Geste die Kehle durch.
Das Blut bildet einen Fächer, eine vertikale, druckvolle Wand in Rot, klatscht und spritzt und pulsiert auf die Tastatur.
Donds Kopf schlägt auf das Tastenfeld.

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3

Dond richtet sich auf, sprudelnd. Sackt zurück nach vorn. Die Buchstaben sehen riesig aus, aber unscharf, verschwommen.
poippppp


6573 övg54qä1 Ä 3


hgfhgfhgdzklhföööööööööööööä

äö

Dond, Ermittler.
Dond, verblutet.


»Dieser Teil gefällt mir immer am besten«, sagte Schweinekopf.
Er onanierte.
Casanova nickte andächtig. Er hielt das DSL-Kabel in der Hand, ließ es fallen und legte das Messer auf den Tapeziertisch.
»Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache«, sagte Casanova. »Holmes. Natürlich. Ich hoffe, der Läufer vergräbt diesen gräßlichen Kaufhausanzug. Seltsam: sie sehen immer nur die Fassade. Den Anzug, die Frisur. Öde Menschen, schlechte Beobachter ... Obwohl - das mit der kopierten Adresse war gut. Der war besser als der andere. Harter, enger Hund.«
Casanova legte die Stirn in Falten. Dann lächelte er. »Diese Stricher lernen dazu. Ich bin begeistert.«
Er ging zu Schweinemaske und griff ihm in den Schritt.
»Hellauf begeistert.«

 
Zuletzt bearbeitet:

Verdammt.Ist die lang. Sorry
Nowat: Mit der Story stimmt was nicht. Ich bin ja eigentlich einer von den ganz Coolen, weswegen ich mir nicht erklären kann, warum zum Schinder ich die unbedingt sofort reinsetzten musste, bevor mir der Haken auffällt. Wenns einen gibt. Aber ich glaub doch. Keine Ahnung. Jedenfalls ist das hier n Ding, wo mich eure Meinung und Kritik so brennend interessiert, dass ich mich direkt mal eincreme. Also, Stilisten, Logiker ...Autoren: Zu den Waffen.
Vielen Dank im Voraus.

 

Mensch, Jack!

Das ist doch langweilig! Dass ich unter jede verdammte Geschichte von dir schreiben muss, dass sie mir gefallen hat! :D

Am Anfang kommt die Geschichte relativ lange ohne Horror aus, das ist mehr so, als würde man einen guten "Tatort" gucken. Hat aber trotzdem Spaß gemacht. Und das Ende ist dann um so heftiger. Verdammt fies, aber irgendwie auch witzig, wie der "Code" entsteht (der Titel mit der Referenz an Dan Brown ist sowieso toll! :)).
Also, gerne gelesen, aber da du nach Haken gefragt hast, habe ich meine fiesen Kritikertentakel ausgefahren und hab die ganze Geschichte nach Schwächen durchsucht.

1.: Das mit der Tastatur. Ich finde die Idee zwar cool, aber ich weiß nicht, ob das technisch realistisch ist. Mir ist auch schon mal eine größere Menge Flüssigkeit auf meine Tastatur geraten (Nicht dass jetzt einer was falsches denkt: Kaffee!), und da ist nichts passiert, außer dass ich Angst hatte, sie geht kaputt. Klar, das ist dann richtig viel Blut, aber ich weiß trotzdem nicht, ob da wirklich die Tasten reagieren ... vielleicht bei einem Laptop? Oder vielleicht reagiert die Tastatur erst, wenn der Kopf des Opfers drauf fällt?

Noch eine Sache: Es ist ja ein ganz schöner Aufwand, jemanden als das jeweilige Opfer zu verkleiden, um die Polizei abzulenken. Haben die immer ein Maskenbildnerstudio parat für den Fall, dass sich ein Opfer als verdeckter Ermittler herausstellt?

Den Rest mach ich mal als Liste mit Zitaten:

An Tagen wie diesen war ihre Kompetenz der Tropfen auf dem heißen Stein, und daneben stand Dond wie ein öffentlich zugänglicher Wasserspender, sinnlos herum sprudelnd.

Ich weiß nicht, mir kommt das Bild ein bisschen schief vor. Wenn ich es richtig verstehe, schätzt der Chef Frau Steffens Kompetenz deutlich höher als die von Dond. Und der "Tropfen auf dem heißen Stein" ist ja ein Bild für etwas, das nicht ausreicht und mehr oder weniger wirkungslos verpufft.

Dann verschwand ein weiterer Mann.
Dieser hatte keine Angehörigen, aber Nachbarn, und um dem Verwesen einer Leiche in einer Mietwohnung vorzubeugen, öffnete die Polizei die Wohnungstür. Sie trafen niemanden an. Dafür lief der Computer, ein neues, schnelles Modell. Ein Chatfenster war geöffnet.
Das Ganze nannte sich HERBSTLIEBE, und die Liste der Eingeloggten sprach Bände: Redford1932, Giselle66, GrandDame-einsam.

Das kommt mir ein wenig so vor, als würde der Deus ex machina die Ermittler auf die richtige Spur bringen. Der Mann hat sich doch sicher auch mit den
Verbrechern verabredet und ist außer Haus verschwunden, oder? Wieso lässt der seinen Computer laufen, zufällig auch noch mit dieser Website? Dass wirkt irgendwie so "Scream"-mäßig - "während er noch chattete, war der Killer schon im Haus ..." :shy: Der Computer kann doch ruhig aus sein, so weit ich weiß, kriegt man auch so raus, auf welchen Websites jemand besonders häufig unterwegs ist (wenn ich mal verschwinde, wird kg.de in ernsten Verdacht geraten :D).

Sie gab einen falschen, nicht allzu alltägliche Daten ein, nannte als Geburtsjahr 1944 und wählte einen Usernamen.

falsche, nicht allzu alltägliche Daten

Dond und Steffen sahen sich an. Dond sprach es zuerst aus.
»Scheiße.«
»Warum?« fragte Gritz.

Das fragt Pabst. Oder vielleicht der namenlose junge Mann. Aber Gritz ist ja der, der weg ist.

Dass er gefangen gehalten wurde, galt intern als schlaffe Annahme.

Das würde ich für eine durch nichts gestützte Annahme halten, wenn er doch - und das glauben sie ja - am Präsidium vorbeigerannt ist.

Er sah aus, als hätte er in seinen Klamotten geschlafen, eine Sprite in Griffnähe auf dem Instrument stehen und spielte das Thema von LOVESTORY.

da fehlt noch was. "hatte eine Sprite auf dem Instrument stehen"

Donds Gastgeber wendete den Kopf, als sähe er den Raum zum ersten Mal, betrachtete kurz die anderen sechs Tische, alle unbesetzt, wie überhaupt das ganze Cafe menschenleer war, und sagte: »Bedaure.«
»Macht nichts. Danke.«

Es ist ja eigentlich schon ziemlich wichtig, dass ihn seine Kollegen sehen können. Vielleicht sollte er da länger drauf beharren, einen Tisch in der Mitte zu kriegen, z.B. nachfragen, ob die Tische alle reserviert sind oder so.

»Hab ihn nicht gekriegt. Irre schnell unterwegs. Wird versuchen, ihn zuhause abzufangen. Ich frag mich, was ihm solche Angst machte.«

Werd

Dond, der in der dieses Spiel digitalen Realität begonnen hatte, war nun eine Figur auf diesem schwarzen Mensch-wehre-dich-nicht-Brett, und jede seiner Bewegungen, sofern sie exotisch und anregend war, wurde digital erfasst und der Ewigkeit überantwortet.

in oder mit der digitalen Realität

Das ist alles, was ich gefunden habe.

Grüße von Perdita

 

Hallo.

Du bist ein ordentlicher Handwerker. Bekannte Szenen neu und klug kombiniert mit einer eigenen, ungewöhnlichen Idee. Es war alles dabei: "8mm", ein wenig "Pulp Fiction" und die altbekannten Stereotypen aus unzähligen US- und deutschen (US-inspirierten) Krimiserien, aber als ich die Geschichte gelesen hatte dachte ich Folgendes:

Die kann nicht zu Ende gewesen sein. Dein Ende ist ein Unding. Es ist zu plump. So arbeitet die Polizei (in Deutschland) auch nicht. Es gibt hier keine Einzelgänger ala Nick Nolte. Das ist mir zu konstruiert. Deine ganzen Charaktere sind es. Du hast keine Geschichte geschrieben sondern einen Film.Vom Ende her betrachtet ist auch die umfangreiche Vorstellung der Steffen völlig unwichtig, während Dost zu kurz kommt. Wer ist eigentlich Dein Protagonist? Die Geschichte könnte sehr gut und richtig spannend werden, wenn sie nicht so von den üblichen Klischees dominiert wäre. Wenn Du selbst schreibst ist es gut, wenn Du kopierst nicht.

Gruß Felix

 

Hi Jack,

mir ging es ähnlich wie meinem Vorposter. Die Story finde ich toll, spannend erzählt und gut zu lesen. Aber ein bisschen sind mir die Charaktere zu stereotyp geraten. Es liest sich wirklich wie ein Script für einen Film, die Eigenschaften der Figuren sind schon vorgegeben, aber nicht richtig definiert, und damit wirken sie auf mich sehr beliebig. Die Geschichte ist schon lang, aber sie könnte ruhig noch ein bisschen länger werden finde ich.
Und das hier:

Donds Kopf schlägt auf das Tastenfeld.

56645jujzrullkjkljklö


Hdhfjhkdjgdlkjbkjhkjhkjkhjkj7i8774ä64ö$
$+öä
Ztr.hü ü uötuü6p765
3

Das ist sehr cool, aber: Hast du das mal ausprobiert? Ich äh, mal zufällig :shy: und dabei kommt nicht so eine Buchstabenvielfalt heraus. Also höchstens mal vbbbhcx. Das wars. :Pfeif: Ich glaub hier entsteht grad ein sehr falsches Bild von mir. Na wie auch immer. Gelesen hab ich die Geschichte auf jeden Fall gern und am Stück, und das will was heißen bei der Länge.

Liebe Grüße,
strudel

 

Hallo, Felix-Florian.
Ich halte mich auch für einen ordentlichen Handwerker. Ernsthaft. Gefällt mir, die Einschätzung.
Ich find die Polizisten jetzt nicht sonderlich stereotyp, hatte aber schon Personal wie das aus >die Wache< vor Augen. Das Ende mag ich, und jeder, der die 600 Seiten gelesen hat, sollte es auch mögen, denn irgendwann muss auch mal Schluss sein. Ich finde übrigens, die einzige klischeetriefende Figur ist Schweinemaskenmann. Aber voll. Den Schluß hingegen find ich selbst ziemlich hübsch. Aber einen Punkt triffst du, und da strömt mir auch gleich das Blut aus den Augen, leider, leider: Ich kenn jemanden bei der Kripo in Dortmund, und den hab ich angerufen, und er fragte mich, was für eine Scheiß-Kryptographie-Abteilung das sein soll? Solche Sachen würde theoretisch Interpol machen, aber es sei noch nie vorgekommen. Äh ... Schade das. Aber dafür ist die Geschichte da. Diesmal. Diese. Sonderermittler gibts allerdings sehr wohl, wenn auch nicht gerade im Stil Nick Noltes; sie sind meist zu zweit und machen nebulöse Dinge. Ich kenne wen, der muss mit seinem Kollegen in einer Bochumer Lagerhalle konfeszierte Rechner nach illegalem Zeug durchforsten. Sonst erstmal nix.


Ich schau mal. Ich schau mal. Irgendwas muss da verändert werden. Danke dir!

 
Zuletzt bearbeitet:

m jnb m jmnbnmj ,vb

Test.
Einmal Kopf nach unten. Flache Alutastatur. Ich bin guter Hoffnung.

mit zusätzlichen Strömen von Blut kann ich das gerade nicht ausprobieren.
Eine Bitte an euch: Welcher Protagonist soll wegfallen?

Jennifer raus?
Eine zwingendere Begründung dafür, warum zum Schinder sie augenblicklich an Casanova geraten, rein?
Das teste ich.


Ergänzung: Nennt einen beliebigen, bizarren Charakter. Ich will doch nur spielen. Der kommt rein.

 

Der Bi-Ba-Butzemann hat mir schon ganz gut gefallen!

Hi Jack!

Spontan war es bei mir so, dass überhaupt nichts geändert werden sollte. Hat mir gut gefallen, so wie es war.
Auch den Kritikpunkt von apfelstrudel nicht nachvollziehen (oder nur bedingt), dass wir hier von Klischees reden. Ich würde eher sagen, eine Spielart.

Komischerweise hatte ich eine halbe Seite oder so eine geheime Geheimabteilung des Geheimdienstes vor Augen, die sich damit beschäftigt. Na ja, vielleicht hat der Name Jonas Dond auch was damit zu tun. Also, Jack, Junge! Welcher Teufel hat dich geritten, so einen Namen zu nehmen? Lenkt ab, finde ich.

Pabst als Name will uns doch auch was sagen, nicht wahr? Freudlose Gasse fällt mir da ein und die Geheimnisse einer Seele. Oder ist das tatsächlich nicht beabsichtigt?

Ich persönlich finde Dond etwas blass. Nichts besonders kantiges an ihm, keine Sachen, an denen man sich festhalten könnte. Pabst ist mir da besser vor Augen.
Und Steffen, tja, sie und Dond - da hast du wohl eine Chance vertan - hättest du wohl gut charakterisieren können, indem du zeigst, wie sie wirklich auf Donds Frau reagieren. Das ist mir zu schnell abgehakt. Was ist Dond? Ist er der Duckmäuser vor dem Herrn und kuscht vor seiner Frau, oder markiert er den harten Bullen, wie Nick Nolte:D ? Und Steffen? Mit ein, zwei Sätzen hättest du wohl andeuten können, dass sie sich als Konkurrenz betrachtet oder eben nicht und Donds Ehe nicht gefährden will oder so.

Das Fortschreiten der Handlung war spannend. Klar, du nutzt konsequent die Möglichkeiten des Voyeurismus. Wenn du den Chat-Verkehr minutös beschreibst, hängt man atemlos vor dem Rechner.

Allerdings klappt es mir zu schnell mit Casanova. Gleich der erste bringt Erfolg, das ist unglaubwürdig.

Guck mal über diesen Satz:

Der Gedanke, in Hause Dond die Abende zu vergingen, behagte Jennifer Steffen ebenso wenig.

Dunkel ist seiner Rede Sinn!:D

Was mir gut gefallen hat, ist die Ernsthaftigkeit, mit der du an die Story rangehst. Das habe ich bei dir nicht mehr seit der Vampir-Story aus Wismar gelesen. Ausgezeichnet. Wenn du dann kurzzeitig daraus ausbrichst:

»Body and Soul?«
Von mir aus auch ICH BIN DER BI-BA-BUTZEMANN,

dann unterstreicht es nur den Ernst der Lage.

Die zentrale Szene im Keller erinnert mich stark an Pulp Fiction, Bruce Willis und Ving Rhames im Folterkeller mit dem Gimp.

Die Schlusspointe hat mir ziemlich gut gefallen und hat mich auch einigermaßen schockiert. Habe mich in dem Moment überhaupt gar nicht gefragt, ob das physikalisch möglich wäre.

Ich kann eigentlich nicht sehen, dass etwas größer geändert werden sollte, außer natürlich den Hauptfokus auf Dond zu legen, um dem Leser eben die Möglichkeit zu geben, mit ihm mitzuleiden.

Sollte mir noch etwas einfallen, melde ich mich.

Schöne Grüße von dieser Seite!

 

Auch den Kritikpunkt von apfelstrudel nicht nachvollziehen (oder nur bedingt), dass wir hier von Klischees reden.
Hey, das hab ich überhaupt nicht gesagt.

 

Hey, das hab ich überhaupt nicht gesagt.

:lol:
Entschuldige, du Süßspeise, du.:D Hast dich dazwischengedrängt. Felix-Florian war's!

 

Ich kann nicht wirklich konstruktive Kritiken schreiben.
Also versuche ich es mal mit einer überschwenglichen Lobhudelei! ;)

Toll! Toll! Ich hab mich super unterhalten gefühlt.
Spannung ohne Ende, ein wenig Brutalität und eine coole Schlusspointe.
Super! Ein ganz großes Kompliment!

 
Zuletzt bearbeitet:

soho...vielen dank, Leute.

Hannibal:
et is wie in alten Zeiten. Ich danke dir. Sehr konstruktiv; Wärme flutet mein Herz. Wie du siehst, hält die Kollegin sich nun zurück. Achso- Pabst sagt nix. Ich les die Namen einfach von der Telefonliste, die in meinem Büro liegt. Hier gibts n Dond, hier gibts n Pabst:-)

Stiff:
Ey - wo ist der Haken? Eine knappe, freundliche Rezi? Geil. Danke dir. Ich seh dich trotzdem immer im Dr.Tod-Design gewandet vor dem Rechner sitzen und was reinhacken. Tipp für alle - mal rasch auf Stiffs Site gehen und schauen.

Zaffback:
Ho! Das tut gut. Man sacht das immer so, aber es stimmt. Vielen Dank.

 

Was, sag nicht, G.W. Pabst wohnt bei dir um die Ecke?!

:susp:

aber der ist doch schon lange tot!


Ich möchte, mit deiner gütigen Erlaubnis, die Aufmerksamkeit noch mal auf die letzte Szene, auf die entscheidende Szene lenken. Die, in der Dond das...unglaubliche erfahren muss. Nicht wenige Autoren würden dabei mit Beschreibungen arbeiten.
Sehr schön, wie du mit indirekten Bildern arbeitest, so verbreitet man Schrecken!

Danke, setzen!

 

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