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Der rote Seeigel

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22.02.2005
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Der rote Seeigel

* * *​

Seeigel sind keine Stachelschweine. Sie suchen keine Nähe. Das Einzige, was sie tun, ist am Grunde des Ozeans zu leben und dort zu verharren, bis sie eines Tages sterben und ein anderer Meeresbewohner sich ihre Hülle zur neuen Behausung macht.


Schuhwerk

Der kleine Pfad, der sich anfänglich sanft durch eine Wiese geschlängelt hat, verwandelt sich schnell in eine tückische Kombination aus verdorrten Disteln, Unebenheiten und scharfkantigen Kalksteinen.
»Können wir uns das nächste Mal nicht einen Sandstrand aussuchen? An der Atlantikküste zum Beispiel?«, stöhne ich. »Zwischen Bordeaux und Spanien soll es ganz schön sein.«
»Du weißt genau, dass man an Felsküsten besser schnorcheln kann. Das Wasser ist viel klarer, das habe ich dir doch erklärt.« Leonores leicht genervter Unterton ist nicht zu überhören. »Außerdem würdest du dich einfach beklagen, dass der Sand so heiß ist, wenn wir jetzt an einem Sandstrand wären.«
Ich seufze theatralisch und trample weiter. Ein paar tief hängende Äste versperren uns den Weg. Vorsichtig schiebe ich sie zur Seite und achte darauf, dass sie Leonore nicht ins Gesicht peitschen, als ich sie loslasse.
»Trekking-Sandalen sind einfach ein modisches No-go«, greife ich das Thema wieder auf. »Sowas von unsexy. Das würde überhaupt nicht zu meinem Outfit passen.«
»Wen kümmert das schon? Es sieht uns doch keiner hier.«
»Es geht nicht darum gesehen zu werden. Es geht um den Style. So oberflächlich es klingen mag, aber ich finde, jeder Mensch drückt bewusst oder unbewusst mit seiner Kleidung aus, was er ist, welche Welteinstellung er hat. Und ich will einfach nicht aussehen wie eine zurückgebliebene Ich-bin-so-Greenpeace-Ökofundamentalistin. Ich will Stil haben.«
»Wirst du dadurch ein anderer Mensch?«
»Nein, nicht unbedingt. Aber ich fühle mich besser, wenn ich gut angezogen bin. Es geht um Selbstbewusstsein und die damit verbundene Ausstrahlung.«
»Und im Grunde genommen doch um die Wirkung auf andere Menschen.«
»Ja, wenn du es unbedingt so sehen willst. Aber ich finde, es ist noch mehr. Es ist ... Stilhygiene. Damit du nicht an Augenkrebs erkrankst, wenn du in den Spiegel guckst.«
Leonore erwidert nichts. Sie lässt Themen gerne fallen, wenn sie keinen Bock darauf hat sie auszudiskutieren. Die Welt wird sich jedenfalls weiter drehen.

Ein leichter, warmer Wind weht vom Meer her, während wir einen lichten Pinienwald durchqueren. Die roten Stämme reichen nicht sehr hoch hinauf. Ich streife die Sandalen ab und weiche auf den Grasteppich aus, während Leonore weiter auf dem steinigen Weg geht. Einen Moment lang beneide ich sie fast um ihre Trekking-Sandalen.
Im starken Mittagslicht tanzen kleine Flecken auf dem Boden.
»Wusstest du, dass jeder Sonnenfleck am Waldboden im Prinzip kreisrund sein müsste?«, sagt Leonore.
»Was erzählst du wieder für einen Quatsch?«
»Nein, wirklich. Das habe ich mal gehört. Das ist wegen der Sonne, weißt du. Derselbe Effekt wie bei einer Lochkamera, wenn die Strahlen durch ein kleines Loch fallen, dann bilden die Lichtflecken die Sonne ab.«
»Nerd.«
»Fick dich.«
»Schon gut, ich glaub’s dir ja.«
»Wenn wir wieder zu Hause sind, google ich es, dann kann ich es dir beweisen.«
»Schön. Ein weiterer Beitrag in ‚Leonores unnützes Wissen’.«
»Wir sind schon ganze drei Tage hier und ich frage mich immer wieder: Wie habe ich eigentlich deine ständige Anwesenheit ausgehalten? Wieso hat mich dein bittersüßer Sarkasmus noch nicht umgebracht? Ist dies die Besonderheit einer Freundschaft?«
»Dass man sich auf den Keks geht und trotzdem Zeit miteinander verbringt?« Ich lache. »Völlig bescheuert, was?«
»Stimmt. Aber mir gefällt der Gedanke.«


Küste

Der Wald öffnet sich vor uns und gibt den Blick auf das Meer frei, das ein so unnatürlich natürliches Türkisblau hat, dass wir stehen bleiben und die Aussicht genießen. Das muss man sich erst einmal verdienen. Zwölf Stunden Zug fahren, vier Stunden Zeit totschlagen, zwei Stunden Bus fahren, eine halbe Stunde zu Fuß gehen, zehn Minuten am Straßenrand stehen und weitere fünfzehn Minuten Auto stoppen. Dann noch einmal eine Viertelstunde zu Fuß, aber ohne einen 20 Kilo schweren Rucksack auf den Schultern. Wir schielen über die Klippen und schauen hinunter. Man kann den Meeresgrund sehen. Kleine Kiesbuchten zwängen sich zwischen die felsigen Vorsprünge, die wie ausgestreckte Finger ins Meer hinaus ragen.
»Na, es hat sich doch gelohnt«, sagt Leonore. »Siehst du die kleinen schwarzen Punkte am Boden im Wasser? Das sind Seeigel.«
Der erste kleine Strand, zu dem uns der Weg führt, ist bereits von einer Familie besetzt. Wir werden fast von den spielenden Kindern über den Haufen gerannt und können uns gerade noch aus der Schusslinie retten. Wir steigen den Hang hinauf und wieder hinunter, zur nächsten Bucht. Dort räkeln sich ein paar Nudisten auf dem Kies.
»Wie eklig«, raune ich Leonore zu, als wir aus Hörweite sind. »Ich komme doch nicht den ganzen Weg hierher, um nackte Menschen zu sehen. Zum Glück haben wir noch keine Nacktwanderer gesehen, sowas soll’s ja auch geben. Ew.«
»Hör mit deinem Ew auf, das hast du von diesen amerikanischen Serien.«
»Na und? Ich benutze Anglizismen, wann ich will.«
»Das klingt aufgesetzt.«
»Das sagst du nur, weil ich besser Englisch kann und du nie Originalversion schauen möchtest.« Ok, das stimmt nicht ganz. Wenn wir einen Filmabend machen, sucht sich Leonore meistens einen französischen Film aus, dann bin nämlich ich diejenige, die darum betteln muss, dass wir wenigstens die Untertitel anlassen. Aber nur weil Leonore bilingue ist.

Schließlich finden wir ein freies Plätzchen für uns. Wäre ich ein Conquistador, würde ich jetzt eine Hellebarde mit einer Flagge oder so in den Boden rammen, aber wir haben nur Badetücher dabei – Platzeroberung hat im Laufe der Jahrhunderte andere Formen angenommen.
Wir legen uns in die Sonne. Der steinige Untergrund ist nicht gerade bequem und ich muss mich eine Weile hin- und herwälzen, bis ich eine komfortable Position gefunden habe.
»Kannst du mir den Rücken eincremen?«, fragt Leonore just in dem Moment, als ich es mir gemütlich gemacht habe. Das hätte ihr natürlich nicht früher in den Sinn kommen können.
»Klar. Wirf mal die Sonnencreme rüber.« Ich fange die Tube und drücke kräftig aus. Leonore hat im Gegensatz zu mir eine sehr empfindliche Haut. Nach jedem Versuch, sich selbst einzucremen, ist sie am Abend eine Collage aus Flecken unterschiedlicher Rotintensitäten.
»Ich mag es, wenn du mir den Rücken eincremst«, sagt sie.
»Danke. Wo soll ich den roten Teppich ausbreiten, oh Herrin?«
»Ich meine das im Ernst. Du machst es so ... gewissenhaft.«

Ich würde jetzt gerne in den Himmel schauen, die Wolken betrachten und Tiere und andere Figuren darin erkennen. Aber das Wetter ist zu schön, es ist nur strahlendes Blau zu sehen. Es weht nun kein Wind mehr, die Luft scheint mit der Hitze stehen geblieben zu sein.
»Ich mag den Geruch von Sonnencreme«, sagt Leonore. »Salzwasser und Sonnencreme. Und all diese Blüten! Ist dir auch aufgefallen, wie viele verschiedene Pflanzen hier blühen? Es riecht nach Sommer. Weißt du, was das heißt? Wir sind endlich fertig!«
Ich stimme ihr zu. »Ja, wir müssen nie wieder mit all diesen Idioten in die Schule und einen Klassenraum mit ihnen teilen. Wie ich diese Tussis und weltfremden Nerds gehasst habe. Und die selbsternannten Modegötter mit ihren ewig gleichen individuellen schwarzen Hornbrillen erst! Oh Mann, ich kann es kaum glauben, dass es wirklich vorbei ist.«
»So schlimm war es gar nicht, finde ich. ... Okay, es war schlimm. Aber das hat Schule so an sich. Und ein paar Leute waren doch ganz nett.«
»Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Weißt du, was ich am schlimmsten finde? Diese Provinzialität! Die meisten von unseren – Gott sei’s gelobt – Ex-Klassenkameraden werden auch nach dem Sommer noch zu Hause bleiben. Die Freiheit liegt vor ihren Füßen und das Einzige, was sie tun, ist sie mit den Füßen zu treten. Weil sie nicht aus ihrem Nest hinauswollen, denn ihre kleine Welt ist ja perfekt. Ich werde das nie verstehen. Die haben überhaupt keine Ambitionen. Wollen sie nicht die Welt sehen? Bin ich froh, endlich ausziehen und mein Studium in England beginnen zu können.«
»Wirst du nichts vermissen?«
»Vermissen? Dich vielleicht. Aber weißt du, wie toll das wird, ein total neues Leben zu beginnen? Tabula rasa. Alle haben die gleichen Chancen. Jeder fängt wieder bei Null an.«
»Nur weil du unter Null ...«
Ich verpasse Leonore einen unsanften Knuff. »Hey!«, ruft sie.
»Sag das nicht noch einmal!«, warne ich sie. Wir sehen uns an und versuchen eine ernste Miene aufzusetzen. Nach spätestens fünf Millisekunden gebe ich als Erste auf und wir brechen in Gelächter aus.
»Ach, was werde ich ohne dich machen, Leo.«


Unterwasserwelt

Als wir uns genug lange gesonnt haben, legen wir Taucherbrillen und Schnorchel an. Wir wollen nach Muscheln und Seeigelskeletten tauchen.
»Pass auf, dass du nicht auf einen Seeigel trittst«, sagt Leonore und schwimmt in schnellen, großen Zügen hinaus. Die Bewegungen sind erstaunlich kräftig für ein feingliedriges Mädchen wie sie, denke ich. Eigentlich ist sie kein Mädchen mehr, aber ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass wir – juristisch gesehen zumindest – diesen Sommer erwachsen geworden sind. Sie war immer die Kleinere von uns. Sowohl in der Höhe als auch in der Breite. Ich schaue auf meine Speckpolster und seufze. Im Wasser bewege ich mich nicht besonders elegant, aber Nilpferde leben schließlich auch im Wasser.
Ich warte noch einen Augenblick. Das Wasser hat noch nicht die kritische Linie unterhalb des Bauches erreicht. Eins, zwei, drei, sage ich mir.
Nein. Es ist zu kalt. Ich springe nicht hinein, ich brauche noch meine paar Minuten. Am Ufer stehend winke ich Leonore zu, doch ich glaube, sie sieht mich nicht mehr.

Im Gegensatz zu Leonore mag ich das offene Wasser nicht. Ich werde immer von einer höllischen Panik erfasst, sobald ich den Boden nicht mehr sehe. Als ich noch klein war, hat mir mein Vater einmal ein Bild aus unserer lokalen Zeitung gezeigt, wo ein Fischer stolz seinen Fang, einen 1,43 Meter großen Hecht, präsentierte. Den restlichen Sommer setzte ich keinen Fuß mehr in den Fluss. Natürlich ist es lächerlich, dass ich mich jetzt noch fürchte. Aber nicht der Hecht, sondern die Erinnerung an die nicht greifbare Angst und das Gefühl, ausgeliefert zu sein, ist es, die jedes Mal dieses unangenehme Loch in meinem Magen verursacht, sobald ich mich mehr als 20 Meter vom Ufer entfernt befinde. Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um den Fluss vor der Stadt, den Pazifik oder wie hier um die Adria handelt.
Ich gebe mir einen Schubs und tauche ins Wasser. Die Kälte schnürt mir einen Moment lang den Brustkorb zu, dann geht es, als sich mein Atem wieder beruhigt hat. Ich paddle hinaus. Fischschwärme blitzen silbern auf, wenn ich ihnen zu nahe komme, Seetang wiegt sich im Takt der Wellen, Seegurken wälzen sich träge auf dem Meeresgrund und ab und zu erblicke ich einen Seestern, der sich an einem Stein festgekrallt hat. Eigentlich gar nicht so übel, die Schnorcheloptik. Das Meer steckt voller Leben, und ich bin jedes Mal wieder überrascht, dass es so ist. Von oben ist es nur eine ganze Menge Wasser, eine große, unendliche Masse.


Seeigel – I

Ich bin längst wieder am Strand und trocken, als Leonore von ihrem Schnorchelgang zurückkommt.
»Bist du nicht völlig unterkühlt, Leo?«, frage ich.
Sie wickelt sich ins Badetuch. »Ein wenig. Aber du kennst mich ja. Ich liebe das Meer. Eines Tages wirst du mich noch rausholen müssen.«
Ich schüttle nur den Kopf. »Ich mag Schnorcheln ja auch. Ich verstehe nur nicht, was du daran findest, im offenen Wasser herumzutreiben. In den Uferbereichen sieht man viel mehr. Seegurken zum Beispiel. Oder was Schöneres, Seesterne und Fische. Da draußen hingegen, da ist nichts.«
»Doch. Die Einsamkeit«, fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu. »Findest du das nicht faszinierend?«
Ich ziehe die Sonnenbrille leicht hinunter und sehe sie schräg an. Sie zuckt mit den Schultern und packt die Seeigel aus, die sie gesammelt und sich in den Bikini gesteckt hat. Ich muss immer lachen, wenn sie mit solchen Beulen im Badekleid aus dem Wasser kommt, aber sie ist der Meinung, dass es praktisch sei, wenn man die Hände frei hat. Wir breiten unsere Beute auf meinem Badetuch aus.
»Kein gutes Muschelgebiet. Aber dafür das ultimative Seeigelterrain. Zwei kleine schwarze, ein großer schwarzer, zwei violette ... und ein kleiner roter!«, resümiere ich. »Da sind sogar noch Stacheln dran. Frisch verstorben, der Gute.«
»Restat in pacem.«
»Amen.«
Leonore dreht sich auf den Bauch. Ich lehne mich ebenfalls zurück in die Sonne und lasse meine Gedanken schweifen, bis ich eindöse.

Als ich die Augen aufschlage, sehe ich Leonore, wie sie den roten Seeigel betrachtet. Neben ihr liegt unser Reisejournal offen da, den Stift in den Spalt geklemmt, wie immer, wenn sie etwas geschrieben hat.
»Weißt du noch gestern Abend, die beiden Alt-Hippies?«, beginnt sie.
»Ach, unsere Zeltnachbarn?« Ich grinse. »Die Alte war ja so was von hacke. Und er komplett stoned.«
»Schrecklich, als sie dann auch noch angefangen haben zu singen.«
»Aber Gitarre spielen, das konnte er. Und die Geschichte, die sie erzählt haben, war auch nett«, fahre ich fort. »Die mit den Stachelschweinen. Ein schönes Gleichnis. Wie die Viecher Nähe und Wärme suchen, sich aber stechen, wenn sie einander zu nahe kommen. Und dann wieder weggehen. Und kalt haben. Und sich wieder nähern. Und sich stechen. Von wem war das nochmal? Nietzsche? Schopenhauer?«
»Hab’s auch vergessen.«
Ich schaue zum Notizbuch. »Hast du etwas geschrieben?« Natürlich hat sie etwas geschrieben, aber ich frage trotzdem meistens. Sie zögert kurz und nickt dann. Leonore ist manchmal etwas zurückhaltend, wenn es ums Schreiben geht, auch jetzt noch, obwohl wir schon seit Jahren die Tradition führen, ein Reisetagebuch mitzunehmen, wenn wir zusammen in die Ferien fahren. Leonore durfte früher mit, wenn ich mit meinen Eltern ans Meer fuhr. Unsere Mütter kannten sich vom Chor, also war die ganze Sache mit der Verantwortung und so kein Problem. Es war klar, dass wir das Logbuch, wie wir es nennen, vor meinen Eltern geheim hielten. Leonore hatte den Begriff aus einer Seeräubergeschichte, oder einem alten Jules-Verne-Roman, ich weiß es nicht mehr so genau. Nachdem meine Mutter den Reißverschluss zum Zelt zugezogen hatte, warteten wir erst eine Weile und knipsten dann die Taschenlampen an. Leonore hielt unsere Erlebnisse schriftlich fest, während ich eher eine Vorliebe dafür hatte, Seeungeheuer und hinterhältige Piratenkapitäne mit Augenbinden zu zeichnen. Auch heute noch ist meistens sie für den Text, ich für die Illustrationen verantwortlich. Manchmal schreibe ich auch, wenn sie etwas vergessen hat, aber eigentlich ist das nicht so mein Ding. Ich mag mich nicht mit Formulierungen abquälen. Wörter muss ich suchen, aber die Bilder kommen von selbst.
»Zeig her«, sage ich und greife nach dem Logbuch.

Menschen sind wie Seeigel. Sie sitzen an ihrem Ort und wenn man ihnen zu nahe kommt, sticht man sich an ihren Stacheln.

Wenn Seeigel sterben, fallen die Stacheln ab, und übrig bleibt ein fragiles Gehäuse. Wo die Stacheln waren, sind nur noch kleine, runde Löcher. Aber sie haben ein Muster, eine Geometrie. Ein Zentrum und Meridiane. Ihr Aufbau scheint plötzlich klar zu werden. Man kann sich ein solches Seeigelskelett auf das Regal oder die Bettkommode stellen, doch sie bleiben leer. Passiert dasselbe mit Menschen, wenn sie sterben?

»Hm ... Flüssig geschrieben. Verstehe ich aber nicht ganz. Ein bisschen wirr, irgendwie.«
»Gedanken halt. Ich finde, mit Seeigeln kann man die Menschheit erklären.«
»Wie denn?«
»Zum Beispiel so: Da unten liegen tausende von Seeigeln herum. Man kann sie nicht von einander unterscheiden. Ganze Kolonien leben dort. Und doch ist jeder von diesen anders, ein Individuum. Hat eine andere Größe, eine andere Farbe, eine andere Anzahl Stacheln. Das sehen wir aber nur, wenn wir uns einen herauspicken.«
»Und dann?«
»Und dann stellt man fest, dass man sich doch nicht so sicher ist, ob es tatsächlich ein anderer ist. Ich meine, wenn du mir jetzt zwei zeigen würdest. Nach einer Weile vielleicht. Ich frage mich, ob es nicht auch so mit Freunden ist. Überall wo man hinkommt und neue Leute kennen lernt, sie haben doch alle dasselbe Muster, wie Seeigelskelette. Und dann gibt es die schwarzen, die violetten, die grünen, und manchmal einen roten. Aber was macht es aus, dass wir nun einfach diesen einen grünen oder roten mögen?«
»Weiß nicht. Zufall? ...« Ich überlege. »Wenn du am ersten Schultag nicht durch Zettelziehschicksal meine Banknachbarin geworden wärst, hätte ich dich vielleicht gar nicht beachtet. Dann hätte ich meinen Sandkastenfreund nicht aufgegeben und wäre jetzt vielleicht auch so ein versiffter Absturz wie er.«
»Du glaubst also, dass ich nur ein Seeigel bin, den die Meeresströmung neben dich verschlagen hat?«
»Im Prinzip schon. Warum eigentlich nicht? Okay, jetzt nicht einer von den schwarzen oder grünen, aber einer von den selteneren roten?«
Sie sagt nichts. Ich versuche, meine Gedanken noch einmal zu ordnen, aber sie steht schon auf und packt ihren Schnorchel. »Passt du auf unsere Sachen auf? Ich muss mich ein wenig abkühlen gehen.«
»Hey, Leonore, das war nicht so gemeint«, rufe ich ihr nach.
Sie tut so, als höre sie mich nicht.
Ich bin nicht immer sehr sensibel, das muss ich zugeben. Meine Klappe entwickelt oft ein unkontrolliertes Eigenleben, aber meistens schäme ich mich einen Augenblick später für das, was ich gerade gesagt habe. Leonore sollte mich eigentlich gut genug kennen, um das zu wissen. Ich rede mir ein, dass Leonore überreagiert hat – was auch so ist –, aber ein bisschen plagt mich das schlechte Gewissen schon. Dann drehe ich mich um, nehme das Logbuch noch einmal zur Hand und blättere ein bisschen.

Als ich Mia vorhin gesagt habe, dass da draußen die Einsamkeit sei, dann meinte ich das so.
Unter Wasser befindet man sich in einer anderen Welt. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Schnorcheln liebe. Nur wenige Zentimeter trennen einen von der Oberwasserwelt, und doch gerät diese schnell ins Vergessen. Zeit und Entfernungen dehnen sich. Das ist so, weil das Wasser seinen eigenen Gesetzen folgt.
Beim Schnorcheln ist man ist allein. Nur das Ein- und Ausatmen. Langsam, bewusst. Den Rhythmus finden. Man schwebt über den Boden. Schwerelos. Im Nichts sein. Das Einzige, das einen daran erinnert, dass man existiert, ist der eigene Atem.
Im Weltall muss es auch so sein, stelle ich mir vor. Nur dass die Dunkelheit dort noch viel tiefer und undurchdringlicher ist und es keinen Schall gibt. Das Meer macht Geräusche, und man muss aufpassen, dass man nicht ertrinkt. Im Weltraum muss man sich nicht vor dem Ertrinken fürchten. Aber ich werde nie die Möglichkeit haben ins All zu fliegen.

Ich suche ein paar Farbstifte und zeichne eine kleine, rot-weiß karierte Mondrakete, wie die aus Tim und Struppi. Den Hintergrund mache ich dunkel, schwarz wie das All. Irgendwann bricht die Spitze ab und ich habe gerade keinen Bock, den Spitzer zu suchen, also lege ich das Logbuch wieder hin und schaue auf. Keine Spur von Leonore. Ich mache mir langsam Sorgen und stehe auf. Man verliert Schnorchler schnell aus dem Blick, die Küste ist sehr zerklüftet und Felsen versperren einem die Sicht. Ich beschließe, auf einen der Felsen zu klettern, die weiter ins Wasser hinaus ragen. Eine leichte Brise weht vom Meer herauf und lässt mich kurz frösteln. Während ich meinen Blick zum Horizont schweifen lasse, überkommt mich eine seltsame Melancholie. Ich fühle mich plötzlich sehr allein auf meinem kleinen Felsen. Ich glaube, es ist der Horizont. Zu Hause in der Schweiz sieht man praktisch nie den Horizont, weil stets malerische Berge oder zumindest weitläufige Hügelketten davor stehen. Meine Augen wissen nicht, wo sie hinschauen sollen, weil da nur eine Linie ist, die den Himmel vom Wasser trennt. Zum Glück sehe ich bald Leonores Schnorchel hinter ein paar Steinen auftauchen. Ich klettere wieder zurück.

»Leonore! Du blutest! Was ist passiert?«
»Wollte den Seeigeln ausweichen und bin gegen die Felsen geschrammt«, murrt sie, während ich nach Taschentüchern suche. Sie zittert. Nach dem zweiten Schnorchelgang friert sie immer.
»Deine Lippen sind ganz blau«, sage ich. »Geht’s?«
Sie tupft das Blut mit dem Taschentuch ab und nickt. »Wollen wir langsam zurück? Ich hab Hunger.«


Flanieren

Wir schlendern durch die Altstadt von Baska. Ein klassischer kroatischer Küstenort, der so aussieht, als hätte man ihn für ein Tourismusmagazin geschaffen. Die beiden Hippies haben uns mit dem Auto mitgenommen. Die Alte hat auf der Fahrt ein bisschen viel gequatscht, aber eigentlich sind beide ganz in Ordnung, wenn sie nüchtern sind. Sie haben uns am Ortseingang aussteigen lassen. Drei Stunden, haben wir gesagt. Die Stadt ist nicht besonders groß, da reichen drei Stunden, waren wir uns einig. Jetzt versuchen Leonore und ich also, der Mittagshitze zu entkommen. Wir haben einen kleinen Souvenirshop entdeckt und probieren Sonnenbrillen an. Ich liebe es, Sonnenbrillen auszuprobieren. Meistens kaufe ich keine, wo kämen wir da hin, aber sich Sonnenbrillen aufzusetzen ist viel praktischer als Kleider anzuprobieren. Man kann viel schneller seinen Look wechseln. 
Ich sehe eine große Hornbrille mit dunkelbraunen Gläsern und setze sie mir auf.
»Na, was meinst du, Leonore?«

»Steht dir. Du siehst gut aus. Wenn du die jetzt kaufst, werden dir da draußen auf der Straße bestimmt alle Männer nachgucken.«

»Ach, das tun die auch so«, scherze ich.

»Nein, ehrlich.«

»Hmm, lass mich sehen. Wo ist denn ein Spiegel?« Ich schaue mich um und werde neben dem Eingang fündig. Ich muss auf die Zehenspitzen stehen, um mich zu sehen.

»Oh, mein Gott, die geht gar nicht«, ist mein Urteil. »Also ich weiß nicht, was du findest, Leonore, aber die ist doch viel zu breit. Große Brillen sind cool, aber ich will nicht wie ein Rieseninsekt aussehen damit.«

»Ich war nie gut darin, Sonnenbrillen zu beurteilen.«

»Ach was.«

»Wollen wir ein Eis kaufen gehen? Da drüben ist eine Eisdiele.«

»Fabelhafte Idee.«


Mit den vollen Eisbechern setzen wir uns auf eine Bank im Schatten.

»Darf ich von deinem Pistazien-Eis probieren?«, frage ich Leonore.

»Klar. Aber nur, wenn ich von deinem Walnuss-Honig darf.«

»Erpresserin. Na gut.« Ich halte ihr mein Eis hin.
 »Wie haben noch eine halbe Stunde. Wollen wir People-Watching machen?«, schlage ich vor.

»Okay.«



Irgendwann kommen wir auf das Thema Samuel. Leonore mag ihn nicht so, glaube ich. Samuel ist ein Studienkollege meines Bruders Luigi. Man könnte sagen, dass ich ihn anhimmle, aber es ist alles ein bisschen komplizierter, weil ich in zwei Wochen nach England ziehen werde.

»Ich verstehe nicht, was du an Samuel findest. Der ist doch schon bald dreißig.«

»Bei Männern kann man immer ein paar Jahre abziehen.«

»Trotzdem. Wieso verknallst du dich immer in viel ältere Typen?«

»Wieso immer?«

»Na, damals, in der zweiten. Herr Ott ...«

»Ach, Ott. Was hast du gegen Ott?«

»Meine Güte, Mia, in Lehrer verliebt man sich nicht!«

»Nur weil er ein Lehrer ist? Ich finde reife Männer attraktiv. Wenn sie schöne Augen haben. Jungs in unserem Alter sind einfach nur halb so charmant.«

Sie schüttelt verständnislos den Kopf und sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht ganz deuten kann.

»Ich sollte ihn auf Facebook adden«, sage ich.

»Wen jetzt?«

»Na, den Ott, natürlich.«

»Was? Sag mal Mia, hat es dir jetzt komplett ins Hirn geschissen? Dir ist klar, dass er dann alles sehen kann? Deine Fotos? Meine Kommentare auf deiner Pinnwand?«

»Meinst du, ich soll noch mehr Bilder von mir im Bikini uploaden?«

Leonore starrt mich entgeistert an. Ich lache. »War nur ein Scherz, sorry. Bin manchmal ein bisschen geschmacklos, ja. Aber Samuel ist kein Lehrer. Er ist angehender Doktor in Meeresbiologie und Single. Und er scheint mich zu mögen, meint Lui. Wie kann ich da widerstehen?«

»Du bist doch bloß seinen blauen Augen und den ach so tollen Löckchen verfallen.«

»Obwohl ich sonst eher auf dunkeläugige Männer stehe, das will was heißen. Weißt du was, man könnte fast den Eindruck kriegen, dass du eifersüchtig bist.«

Sie sagt nichts und schaut weg.

»Ach, Mademoiselle lässt wieder einmal ein Thema fallen.« Ich möchte eigentlich gar nicht so schnippisch sein, aber meine Zunge ist wieder einmal schneller als mein Gehirn. »Nur weil du keinen hübschen Mann abkriegst!«

Leonore holt wortlos ihre Ferienlektüre hervor und beginnt zu lesen. Ich krame das Logbuch aus meiner Tasche und fange an, die Kirche am anderen Ende des Platzes zu skizzieren. Architektur hat eine gewisse Nüchternheit, die mir gerade willkommen ist.


Kurz bevor ich die letzten Kirchenfenster vollendet habe, tauchen die Hippies aus einer Seitengasse auf. Sie winken uns fröhlich zu und kaufen sich auch noch ein Eis, bevor wir zusammen zum Auto gehen und sie uns ausfragen, wie uns das Städtchen denn so gefallen hat.



Träume

Leonore und ich reden hin und wieder über Träume. Sie schreibt ihre Träume auf und erzählt mir manchmal davon, mehr, was sie dabei fühlt, oder vereinzelte Details, aber nie alles. Sie erinnert sich an weitaus mehr, als sie mir verrät und füllt mit ihrem kleinen schwarzen Füller Seite für Seite ihres linierten Notizbuches. Zu Hause hat sie eine ganze Schachtel davon, mit römischen Ziffern nummeriert und schön chronologisch geordnet.

Ich bin ja nicht so die Frühaufsteherin. Wenn ich morgens gähnend aus dem Zelt tappe, sitzt sie in der Regel bereits da und notiert sich ihre Träume mit besagtem Füllfederhalter, der so alt und abgenutzt aussieht, dass man meinen könnte, ihr Urgroßvater hätte schon damit geschrieben, was natürlich nicht möglich ist, denn Füller sind wie verhext, sind sie erst einmal eingeschrieben, arbeiten sie für keine andere Hand. Ich habe aus Neugierde versucht, mit dem Ding zu schreiben – es ist ein Kalligraphiefüller –, brachte aber keinen Tropfen Tinte heraus. Mittlerweile habe ich einen eigenen, aber den brauche ich zum Zeichnen.
Ab und zu reizt mich der Gedanke, einen Blick in ihre Traumwelten zu werfen. Ich weiß, dass es Leute gibt, die keine Skrupel haben Tagebücher anderer lesen, aber zu diesen gehöre ich nicht. Ich könnte es nicht. Ich will nicht wissen, was sie denken. Manche Türen müssen verschlossen bleiben, besonders die innersten. Oft wissen die Menschen selbst nicht, was sich dahinter verbirgt, als hätten sie die Schlüssel verloren. Es ist möglich, dass sie einen Blick durchs Schlüsselloch werfen und Teile erkennen. Sie können sich aber keinen Reim aus dem wenigen, was sie sehen, machen.


Diese Nacht habe ich jedenfalls von Seeigeln geträumt. Ich kann mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, es war ein merkwürdiger Traum und vielleicht bringe ich jetzt die Reihenfolge durcheinander.

Ich glaube zuerst, dass ich im Weltall bin. Es ist dunkel und still, und mitten in dieser Dunkelheit und Stille schwebe ich. Aber ich sehe keine Sterne, im All muss man Sterne sehen, also weiß ich, dass ich an einem anderen Ort bin. Dann fällt es mir ein: Ich bin im Meer. Es ist entweder Nacht, oder ich befinde mich ganz tief unter der Wasseroberfläche, so tief, dass kein Sonnenstrahl hierher dringen kann. Aber ich brauche keine Tauchausrüstung, denn es ist ein Traum und ich muss nicht atmen können. Ich bin auch nicht tot, ich bin einfach nur im Wasser und treibe dahin. Eine Strömung zieht mich in weiten Spiralen immer weiter hinunter. Erst merke ich nicht, dass es langsam hell wird. Es ist, als legte sich ein Schleier über etwas, nur umgekehrt, denn jetzt kann ich den Meeresboden erkennen. Ein bläulicher Schimmer liegt über den Felsen, die mit Seeigeln übersät sind. Ich sehe eine andere Gestalt auftauchen und weiß, dass es Leonore ist, auch wenn sie nicht so aussieht. Das Wasser um sie herum zittert und lässt ihre Umrisse unklar werden. Ein bisschen wie das Flimmern heißer Luft über Asphaltstraßen im Sommer. Sie ruft mir etwas zu, aber ich kann nichts hören, weil es immer noch still ist, ich kann nur die Bewegungen ihrer Lippen erahnen. All ihre Bewegungen erscheinen mir langsamer als sonst, verzerrt, als liefe ihre Zeit anders als meine. Sie deutet auf einen Seeigel. Ich verstehe ihre Geste am Anfang nicht. Dann denke ich, dass sie will, dass ich ihn für sie hole. Ich tauche an den Grund und nehme den Seeigel in die Hand. Ich steche mich dabei nicht, im Gegenteil, die Stacheln fallen plötzlich ab und ich halte das nackte Gehäuse in den Händen. Es ist ein roter Seeigel. Ich schwimme zu Leonore und biete ihr den Seeigel an. Sie schaut mich regungslos an. Ich mache eine Bewegung mit der Hand. Da, nimm, du wolltest ihn doch! Aber Leonore zögert. Ich will ihr den Seeigel in die Hand drücken, aber bei der Berührung mit ihrer Hand lasse ich ihn fallen.

Und wir sehen nach, wie er langsam zurück in die Tiefe sinkt.

Es ist immer noch still.



Als ich die Augen aufschlage, haftet der Nachgeschmack des Traums noch in meiner Erinnerung. Es geht einen Moment, bis ich mich vom Schwebezustand zwischen Schlaf und Wachsein loslösen kann. Ich wälze mich um. Leonores Schlafsack ist leer, und von draußen dringt der wohltuende Duft von frischem Kaffee ins Zelt. Gegen einige Gleichgewichtsstörungen kämpfend krieche ich hinaus.
»Guten Morgen, Schlafmütze! Eine Dosis Koffein gefällig?«, fragt mich Leonore mit einem breiten Lächeln. Ich hasse Leute, denen morgens der Arsch aus der Sonne scheint, aber ich nehme den Kaffee trotzdem dankbar an. Eines Tages werde ich herausfinden, was der Trick dabei ist, beim Aufstehen frisch auszusehen.

Nachdenklich schaue ich auf Leonores Notizbuch, das neben dem Kocher liegt. Der Füller ist dazwischen geklemmt.


Sternschnuppen

Es ist bereits unser letzter Tag. Ich wollte schon immer wissen, weshalb die Zeit in den Ferien nicht stehen bleiben kann, aber ich habe noch keine Antwort gefunden. Ich glaube jedoch, dass es damit zu tun hat, dass die gute Zeit, die man verbringt, erst in der Erinnerung wirklich schön wird, wenn man sich an das Glücksgefühl zurückbesinnt und davon zehrt. Das hält uns aufrecht.

Es ist bereits unser letzter Tag. Wir haben uns nach dem Abendessen am Kiosk eine Flasche Wein gekauft und sind damit ans Meer. In der Dämmerung nehmen wir den Weg zu unserem Plätzchen.

»Glaubst du, wir haben einen guten Wein erwischt?«, frage ich Leonore, während ich den Korken herausziehe. 
»Mal sehen. Die Etikette sieht nicht besonders vielversprechend aus.«

»Wir hatten uns aber auf einen kroatischen geeinigt.«

»Ja, das war auch kein Vorwurf.«

Wenn es um Wein geht, kennen meine italienischen Wurzeln keinen Kompromiss. Leonore bevorzugt französische Weine, aber nur, weil sie keine Ahnung hat und immer noch nicht einsehen will, dass italienische besser sind. Wenigstens mögen wir beide Roten.

»Hach, nicht besonders stilvoll, aus der Flasche zu trinken. Aber gut. Bei dem Wein kommt es auch nicht darauf an. Wie viel hat er schon wieder gekostet?«, frage ich. Der Korken geht mit einem geräuschvollen »Plopp« heraus. Leonore lächelt verschmitzt.

»Ich hab da was«, sagt sie. Sie dreht sich um und greift zu ihrer Tasche, aus der sie zwei Plastikweingläser hervorzaubert, solche von der Sorte, wie man sie auf Parties hat. »Nicht viel stilvoller, aber immerhin, wir können jetzt zusammen anstoßen. Das klingende Kristallglas müssen wir uns einfach dazu vorstellen.«

»Du bist einfach großartig, Leonore.« Ich schenke ein. »Und worauf stoßen wir an?«

»Auf den letzten Abend.«

»Auf uns.«

»Auf dich, den großartigsten Menschen, den ich kenne. Santé!«

»Auf dich und deine unermessliche Geduld mit mir. Alla Salute!«

Sie kichert, obwohl wir noch gar nichts getrunken haben. Na ja, das Bier vom Abendessen zählt nicht.


Wir liegen im Gras und schauen in den Himmel. Unter uns plätschern die Wellen sanft gegen die Felsen, eher ein leises Klatschen als eine richtige Brandung. Das Meer ist fast so ruhig wie ein See.

»Im August sind die Chancen besonders groß Sternschnuppen zu sehen«, sagt Leonore.

»Was würdest du dir wünschen, wenn du eine siehst?«, frage ich sie.

»Das darf man nicht sagen, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung.«

»Wir haben noch keine gesehen, also kannst du es mir verraten.«

»Will ich aber nicht.«

»Na gut, so brennend interessiert es mich auch gar nicht.«

Wir schweigen wieder.



»Eine Sternschnuppe!«, ruft Leonore. »Hast du sie auch gesehen?«

Ich reibe meine Augen. »Verpasst. Bin wohl für einen Moment eingenickt. Aber jetzt darfst du dir wirklich etwas wünschen, und ich werde nicht danach fragen.«

»Schon gemacht«, lächelt sie.

Ich will auch eine Sternschnuppe sehen und starre in den Himmel. Natürlich sieht man keine, wenn man verzweifelt danach sucht. Ich überlege mir, was ich mir wünschen könnte. Als Kind wollte ich immer, dass ich dann noch mehr Wünsche frei hätte. Kinder sind eben schlau, aber ich habe im Moment gar keinen Wunsch. Das Leben ist eigentlich schön, so wie es ist.

Über das Weltall ist mehr bekannt als über das Meer. Die Leute schauen in den Himmel und fragen sich, was dahinter ist, in den Bereichen, deren Licht uns hier unten nicht erreicht. Das sind Entfernungen, die in Lichtjahren gemessen werden, für mich eine unvorstellbare Zahl. Das Meer hingegen ist direkt vor uns, wenn ich jetzt möchte, könnte ich meine Füße hineinhalten, während ich weiterschreibe. Der Ozean ist greifbar nah, wir können hineinspringen und uns darin befinden, aber trotzdem wissen wir nichts darüber. Die Tiefsee beginnt in 800 Metern Tiefe. Ich habe einmal gelesen, dass unter 62 Prozent der Erdoberfläche Tiefsee liegt. Das ist ganz schön viel, aber warum sind diese 62 Prozent immer noch nahezu unerforscht? Wollen wir nicht wissen, was vor unseren Augen liegt?


Cliffhanger

Ein paar Wolken verdecken den Mond, als wir uns auf den Rückweg machen. Ich hätte mir doch Zeit nehmen sollen, die Taschenlampe zu suchen, denke ich, als wir den Pfad an den Klippen entlanggehen. Immer wieder führt der Weg gefährlich knapp am Abgrund vorbei. Bei Tag ist mir das gar nicht aufgefallen, aber jetzt scheint alles größer und bedrohlicher zu sein. Vielleicht liegt das auch am Wein. Der Fall wäre zwar nicht so tief, sechs, sieben Meter, das ist weniger als ein Sprung vom Zehnmeter-Turm, und den überlebt man ja auch, aber das Problem ist das seichte Wasser und der felsige Untergrund.
Gerade als ich das denke, muss ich natürlich ausrutschen, mit meinen Schuhen ohne Profil. Kieselsteine kullern über den Abhang und ich mit auf den Abgrund zu.
In diesem Augenblick läuft nicht mein ganzes Leben vorbei, nein, das passiert vielleicht, wenn man stirbt, mein Gedanke ist jedenfalls »Fuck Sandalen!« und dann »Fuck! Unmöglich, die wieder rauszuholen!«.

Leonore schreit auf. Meine Hände krallen sich an Grasbüscheln und Steinen fest, aber meine Füße hängen in der Leere. Leonore ist so geistesgegenwärtig und packt meine Hand. Vorsichtig zieht sie mich hoch. Dank ihrer Hilfe schaffe ich es wieder auf sicheres Gelände.

Mein Herz hämmert gegen die Brust, gefühlte 190 bpm. Mein Atem hat sich noch nicht beruhigt, als ich sage: »Oh mein Gott Leonore du hast mein Leben gerettet wie kann ich dir nur danken oh mein Gott!« Dann hole ich Luft. »Ich schulde dir mein Leben! Verstehst du das? Wow. Das ist voll crazy.«

Sie bringt kein einziges Wort hervor. Ich rede weiter. »Das war der absolute Cliffhanger. Hätte nie gedacht, dass ich dieses Wort jemals so wörtlich erleben werde, haha.« Mein Versuch zu lachen geht ordentlich in die Hose.

Und dann bricht Leonore in Schluchzen aus. »Mia, oh, Mia ...«
Ich bin jetzt definitiv überfordert. Erst hänge ich über dem Abgrund, werde heldenhaft gerettet, dann fließen plötzlich Tränen und nun setzt mein Denken aus.

»Es ist nicht passiert. Ich lebe noch, du lebst noch, die Sandalen sind am Arsch, aber Hauptsache uns geht es gut. Leonore, hörst du mich?«

Ich lege meine Hände auf ihre Schultern und schaue ihr in die Augen. Es ist zu dunkel, um wirklich etwas erkennen zu können, aber erst jetzt sehe ich sie, plötzlich, wirklich, meine ich. Man sagt ja nicht umsonst, dass die Augen die Fenster zur Seele sind. Jedenfalls stehen diese Fenster speerangelweit offen. Die Erkenntnis überkommt mich einer kalten Wucht. Mir wird mit einem Male alles klar. Du Idiotin, schreit mich eine innere Stimme an. Du hast es die ganze Zeit nicht gesehen.

Ich nehme sie in die Arme und versuche sie zu beruhigen. In diesen Dingen war ich schon immer sehr ungeschickt.

»Oh Mia, einen Augenblick lang dachte ich, das war’s. Mia, ...« Der Rest geht in einem erstickten Schluchzen unter. Sie war schon immer näher am Wasser gebaut als ich, aber das hier ist etwas anderes. Ich weiß nicht genau, was ich jetzt tue, ich bin mir nicht sicher, ob ich es tun soll, aber ich tue es. Ich wische Leonore die Tränen aus dem Gesicht. Ihre Wangen sind ganz heiß. Und dann küsse ich sie. Nicht so, wie ich einen Mann küssen würde. Kein langer, leidenschaftlicher, wilder Kuss. Nur ganz sanft, so dass sich unsere Lippen kaum berühren. Wie ein Lufthauch, der dem Flügelschlag eines Schmetterlings folgt.

Das ist alles.

Ihre Augen glänzen immer noch feucht, aber sie wirkt nicht mehr so verloren. »Danke, Mia«, sagt sie leise. In diesem Moment verstehen wir uns. Wir müssen nichts sagen. Sie weiß, dass ich es weiß, und wir beide wissen, dass ich ihr nicht das geben kann, was sie sich wünscht.

Wir sitzen eine Weile da, sie immer noch in meinen Armen. Ich mag im Moment gar nichts denken. Mein Gehirn denkt zwar, es ist ja gar nicht möglich, nicht zu denken, wenn man genau das will – das ist wie, wenn ich sage, versuche dir jetzt nicht einen rosaroten Elefanten vorzustellen – aber es sind ungeordnete Fetzen. Ich kann keinen dieser Gedanken fassen, sie sind wie Wind, ich werde von ihnen erfasst, wenn ich sie jedoch fangen will, gleiten sie durch meine Hände.
»Wie lange schon, Leonore?«, frage ich.

Sie zögert, stammelt etwas, bricht ab und sucht nach Worten. »Ich weiß es nicht genau. Es ist einfach passiert. Solche Dinge passieren doch einfach, oder? Ohne dass man es will.« Sie schaut weg, in die Sterne hinauf, als suche sie dort etwas. »Ich habe es am Anfang nicht erkannt ... wollte es mir nicht eingestehen. Es ist ... ich konnte es dir nicht sagen. Ich wollte, aber wie?« Sie senkt den Kopf. »Ach Mia, ich wollte nicht ...«

Wollen? Wer will schon wollen wollen?

Es ist so viel einfacher, die Gefühle einer Person nicht zu erwidern, wenn man sie hasst. Aber ich habe so fürchterliche Angst Leonore zu verlieren.


»Lass uns aufstehen«, sage ich schließlich. »Ich denke, wir brauchen beide ein bisschen Schlaf. Morgen wartet ein langer Tag auf uns.«

Sie nickt.



»Leo, bist du noch wach?«, frage ich leise.

»Ja.«

»Ich ... Was heute passiert ist. Es tut mir leid, dass ich die ganze Zeit nicht ...«
»Es ist okay. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.«

»Nein, ich will mir Gedanken machen. Was aus uns wird, verstehst du? Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll. Das ist alles zu viel im Moment«, will ich sagen. Aber was herauskommt, ist nur: »Wirklich?«



»Leo?«

»Ja?«

»Du bist mir wichtig. Was immer auch passiert. Das musst du wissen.«

»Danke.«



Heimfahrt

Ich habe einmal gelesen, dass man Stacheln von Seeigeln nur sehr schwer wieder herausziehen kann. Sie haben Widerhaken, wie bei einem Fischerhaken. Es passiert oft, dass sie abbrechen beim Versuch sie zu entfernen. Das muss schmerzhaft sein, und wenn sie tief in der Haut stecken bleiben, sollte man besser zum Arzt.

Der nächste Morgen ist grausam. Erst einmal merken wir, dass wir verschlafen haben, zwei Stunden zu lange. Wir wollten eigentlich noch gemütlich frühstücken, aber jetzt brechen wir das Zelt in aller Eile ab. Meine Sachen kommen ungeordnet in den Rucksack, ich muss ziemlich quetschen und mich ein paar Mal darauf setzen, bevor ich ihn oben zuzurren kann. Kein Kaffee, keine Croissants. Gerade rechtzeitig erwischen wir den Bus – es ist wichtig, ihn zu erwischen, denn er fährt nur zweimal am Tag.
In dem ganzen Stress habe ich keine Zeit, in Ruhe mit Leonore zu reden. Als wir dann im Zug sitzen, schweigen wir, als wäre nichts passiert. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass wir über etwas nicht reden können. Oder war das schon die längste Zeit so und ich habe es nicht gemerkt? Mein Ipod hat noch genug Akku, es wird für die restliche Fahrt reichen. Aber wir können nicht die ganze Zeit still dasitzen, jede mit ihren Kopfhörern. Leonore löst Sudoku. Ich überlege mir, was ich sagen könnte, wie es wichtig genug klingen würde, aber jetzt im Zug ist es sowieso völlig unpassend, mit all den anderen Leuten im Abteil. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.

Die Landschaft zieht an uns vorbei. Erst Maisfelder, dann Laubwälder, Berge, grüne Schluchten, wieder Felder, Felder, Berge, Täler, verlassene Bahnwärterhäuschen, ein bisschen Industrie, Fichtenwälder, Felder, Dörfer, Städte und noch einmal Felder, immer so fort. Irgendwann hält der Zug. Endstation. Zu Hause. Benommen steigen wir aus. Meine Füße weigern sich, heimischen Boden zu betreten. Wieso sind Ferien immer so kurz? Ich möchte am liebsten ewig im Meer treiben und Fische anschauen, ohne mich mit dem Jetzt auseinandersetzen zu müssen.

»Ich gebe dir noch deine Seeigel«, sagt Leonore. Sie öffnet den Rucksack und holte das Tuch hervor, in das wir die Skelette eingewickelt haben.

»Sehen wir uns noch?«, fragt sie. »Bevor du fliegst?«

»Wenn du mich an den Flughafen begleitest. Aber davor wird es eng. Ich muss noch so viel erledigen. Ansonsten spätestens wenn du mich in London besuchen kommst.«

»London wird auf alle Fälle die erste Station meiner Weltreise sein, wenn alles klappt mit dem Job und ich dann das Geld habe. Und wenn, komme ich trotzdem.«

Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Zum ersten Mal ist mir bewusst, dass ich sie für mindestens ein halbes Jahr nicht mehr sehen werde.

»Vergiss mich nicht da oben«, sagt sie.

»Was denkst du, Leonore? Niemals!« Ich umarme sie. »Niemals.« Wir schweigen, ein paar Sekunden nur, aber Sekunden können verdammt lange sein.

»Du riechst nach Mia-Shampoo«, flüstert sie mir zu.

»Hmm, wird wohl Zeit für einen Markenwechsel.«

Gott, ist das peinlich, aber ich muss jetzt loslassen, sonst brauche ich ein Taschentuch, und die liegen irgendwo in den Tiefen meines Rucksacks.

»Installier endlich Skype und richte einen Account ein«, sage ich ihr.

»Muss das sein?«

»Ja, das muss es. Ich werde auf dieser verrückten Insel nicht ohne deinen Ratschlag überleben können.«

»Meinst du zum Beispiel, was den Kauf von Sonnenbrillen betrifft?«

»Argh, du weißt schon, was ich meine.«

»Klaro.«

»Also ... na, wir müssen auf alle Fälle quatschen. Lange Gespräche führen.«

Sie nickt nur. Irgendwie ... ich kann es nicht sagen, aber sie wirkt sehr gelöst. Ihr Gesicht strahlt eine Zuversicht aus, die mir neu ist.

»Du wirst das packen, Mia.«

»Ich hoffe es. Immerhin ist es das erste Mal, dass ich alleine wohin gehe. Ich glaube, ich war noch nie länger als einen Monat von zu Hause weg. Aber ja, du hast Recht, das wird schon irgendwie gehen.«

Es gibt diese Situationen, so wie am Telefon, wenn man ein Gespräch nicht beenden kann. Wenn jeder noch etwas sagt, aber die Pausen dazwischen allmählich zu lange werden. Mein Bus, der gerade ankommt, bietet sich an, einen Schnitt zu machen.

»Also, ich muss los. Mach’s gut, Leo.«

»Du auch, Mia.«

»Danke. Und ich hoffe, dass dein Wunsch in Erfüllung geht, Sternschnuppenseherin.«

Sie lächelt und weicht meinem Blick aus.


Seeigel – II


Ich habe keine Schwester. Nur einen älteren Bruder, Luigi, aber der ist schon seit längerer Zeit ausgezogen. Ich denke, Leonore ist für mich nicht nur eine Freundin, sondern auch eine Art Schwester gewesen. Meine kleine Leonore. Auch wenn wir fast gleich alt sind. Nach dem Ereignis, das ich im Stillen »Cliffhanger« nenne, weiß ich nicht, wie es mit uns weitergehen wird. Ich weiß nicht, ob ich je dazu in der Lage sein werde, gleich mit ihr umzugehen, jetzt wo ich weiß, dass sie Gefühle für mich hat. Sollte ich das überhaupt? Ich weiß nicht einmal, wie stark diese Gefühle sind, ich weiß nur, dass es mir Angst macht. Ein bisschen ist es wie im Meer, wenn man den Boden nicht mehr sieht. Es ist keine unmittelbare Bedrohung, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Bin ich nur zu irrational?



Zu Hause angekommen, stelle ich meinen Rucksack in den Gang. Meine Eltern sind noch nicht da, und ich habe eigentlich keinen Bock, die dreckige Wäsche auszupacken. Das kann warten.
Ich stelle den roten Seeigel auf mein Bücherregal. Er riecht ein bisschen nach Meer.

* * *​

 

Salü Sirwen

Die Geschichte hat mir gut gefallen. So richtig Ferien, richtige beste Freundinnen, der Sommer, die Luft, das Meer... die Aufbrauchstimmung aber die Erinnerungen... das ist alles super rübergekommen!
Ich habe sogar die Küstenlandschaft erkannt, lange bevor du erwähnst dass das ganze in Kroatien spielt!

Zwischendurch habe ich mich mal gefragt, worauf du hinaus willst, als du von einem Detail zum nächsten kommst, da fehlte mir ein bisschen der rote Faden. Aber zwei Sätze später kam dann schon wieder das Seeigelthema hervor :-)

Hingegen den allerletzten Abschnitt, "Seeigel - II" könnte meiner Meinung nach wegfallen. Ich finde den Abschnitt davor als Abschluss schöner.

Ich fand es auch schön, dass zu Beginn eine Weile recht unklar bleibt, was für Geschlechter da unterwegs sind. Also wie sag ich das jetze, ich hatte zwar schon von Anfang an das Gefühl, dass die "Ich-Person" eine Sie ist, aber irgendwie habe ich auch shcon bald mal das Gefühl gehabt, ob zwischen den zwei nicht mehr läuft. Und ich glaube das wäre weniger herausgekommen, wenn es ganz offensichtlich klar wäre, dass die "Ich-Person" wirklich eine Sie ist, weil ich da weniger schnell auf die Idee kommen würde, dass es sich um Verliebte handeln könnte.
Ich bin mir auch nicht sicher, vielleicht könnte man aus diesem Stachel von der einseitigen Liebe noch mehr machen. Hier in dieser Geschichte find ichs aber so schön fein und würde mir nicht mehr davon wünschen.

Liebe Grüsse,
Siiba Bulunji

 

Hallo Siiba Bulunji,

Danke für's Lesen der Geschichte! Ich hatte schon Angst, dass sie vielleicht ein bisschen zu lang geraten ist. Ausserdem betrete ich mit dieser Geschichte Neuland (habe früher hauptsächlich Fantasy geschrieben), also wusste ich überhaupt nicht, wie sie auf den Leser wirken wird ... freut mich jedenfalls sehr, dass du sie gerne gelesen hast!

Mir fällt gerade auf, dass beim vielen Ändern ein "Mia" ganz am Anfang rausgeflogen ist. Ich wollte eigentlich vom ersten Abschnitt an klar stellen, dass es sich um eine weibliche Ich-Erzählerin handelt, damit man weniger schnell drauf kommt und ein bisschen wie sie im Unklaren bleibt. Jetzt weiss ich nicht, ob ich das noch ändern soll ... hmm, ich denke schon, die Geschichte war so geplant. :)

Und ja, der letzte Abschnitt ... mit dem habe ich mich echt schwer getan. Ich glaube, ich werde ihn streichen, aber ich treffe die Entscheidung erst später, wenn ich wieder ein bisschen Abstand vom Text gewonnen habe.

Liebe Grüsse,
sirwen

P.S.: Wo in Kroatien bist du denn gewesen? :D

 
Zuletzt bearbeitet:

Moi Sirwen,

bin bisher nur zum Drüberlesen gekommen, und wollte eh nochmal in Ruhe lesen & kommentieren, Deine Erzählstimme, Witz, Zwischenszenen und Stimmung gefällt mir nämlich sehr gut (setze ich dann hierein).

Du sagst bereits im zweiten Absatz, Perspektive Erzählerin: "Und ich will einfach nicht aussehen wie eine zurückgebliebene Ich-bin-so-Greenpeace-Ökofundamentalistin". Das finde ich früh genug, bevor Du lange nachdenkst, wo Du den Namen unterbringst.

Ich würde nur aus der Tatsache, daß es sich um zwei Frauen handelt, keine Sekunde ausschließen, daß es nicht um Liebe gehen könnte; ich finde, das sind recht typische Beziehungsdialoge.

Das nur vorweg. ;)
Herzlichst, Katla

 

Bin gespannt wie du dich entscheidest über den letzten Abschnitt. Lass dir Zeit.

und auch ein P.S.:
In Baska, eigentlich auf ganz Krk, war ich nie. Aber in Cervar/Porec, Pula, mit dem Bus runter nach Zadar, und Zagreb selber. Aber Steinküste und ein so lebendiges Meer mit Seeigeln und Seegurken... das kann einfach nur Kroatien sein :-D Ich habe abgesehen von Kroatien bisher noch nie so ein lebendiges Meer erlebt. Wir haben immer versucht die kleinen Tintenfische zu finden.

 

Hallo ihr beiden,

@Katla:

Danke für den Hinweis!

Ich würde nur aus der Tatsache, daß es sich um zwei Frauen handelt, keine Sekunde ausschließen, daß es nicht um Liebe gehen könnte; ich finde, das sind recht typische Beziehungsdialoge.
Mir ging es in dieser Geschichte tatsächlich darum, die Grenzen von Beziehungen auszuloten, und ich weiss nicht, ob mir das gelungen ist, aber ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg, wenn du meinst, dass es Beziehungsdialoge sind.

Würde mich jedenfalls sehr freuen, noch mehr von dir zu hören. :)

@Siiba Bulunji:

Ich werde den letzten Abschnitt doch behalten, aber noch einmal komplett überarbeiten oder sogar eine andere Szene daraus machen, aber ich kann die Geschichte nicht mit dem vorletzten Absatz aufhören lassen, weil sie sonst in eine andere Richtung gehen würde, als ich es beabsichtigt habe. Aber ja, der Schluss sollte stärker sein, da muss ich auf alle Fälle nochmal ran.

P.S.: Warst du denn schon einmal in Mexiko? :P ... Aber ja, die kroatische Küste ist unglaublich, da muss ich auf jeden Fall wieder hin! Und wenn es nur darum gehen würde, Inspiration für neue Geschichten zu bekommen ...

 

Hallo Sirwen!

Die Geschichte ist gut geschrieben und angenehm zu lesen. Das Beste daran sind sicher die meist lebensnahen Dialoge.

Trotzdem bin ich nicht begeistert. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zunächst einmal das Leitmotiv des roten Seeigels, das für vieles zu stehen scheint: Zunächst einmal für Leonore, die für Mia ein roter Seeigel ist, schon ein besonderer unter den Seeigeln, aber kein einzigartiger. Leonore liebt Mia, Mia liebt Leo nicht, oder eben nur freundschaftlich. Ich kann aber das Leitmotiv, wie es eingangs eingeführt wird, nicht wirklich auf die Geschichte beziehen. Wer von den beiden sollte das sein, der keine Nähe sucht? Oder meint diese Einführung die Einsamkeit des Menschen an sich? Mir erscheint dieses Leitmotiv etwas zu wenig mit der Geschichte und ihrem Konflikt verbunden zu sein. Und so wirkt dieser rote Seeigel nur wie ein Dekor, das die Geschichte schmücken soll.

Auf der anderen Seite ist mir alles etwas zu offensichtlich. Eine enge Freundschaft wird dargestellt, die zu zerbrechen droht, weil eine der beiden mehr empfindet als nur Freundschaft. Und das war´s schon. Es ist etwas zu glatt. Wie ist das zum Beispiel zwischen den beiden, wenn die zusammen in einem Zelt schlafen? Kann sich Leo so zurückhalten, dass es da nie etwas gibt? Keine begehrlichen Blicke, keine „zufälligen“ Berührungen in der Enge des Zeltes? Die Unterwasserwelt scheint irgendwie das Unterbewusstsein zu symbolisieren, das Tragische der Geschichte wird dahin abgeschoben und auf diese Weise ästhetisiert und wird nicht wirklich spürbar. Der Konflikt wird nur kurz sichtbar und verschwindet sofort wieder. Es ist so geschrieben, wie es im wirklichen Leben sein würde, ein eigenartiger Vorwurf, ich weiß. ;) Aber wozu dann eine Geschichte darüber schreiben, wenn keine Akzente gesetzt werden, der Konflikt nicht wirklich „bearbeitet“ wird? Es ist eine grundsätzliche Frage, die mich hier beschäftigt: Kann etwas literarisch interessant sein, wenn etwas derart „real“ dargestellt wird?

Ich denke, Leonore ist für mich nicht nur eine Freundin, sondern auch eine Art Schwester gewesen. Meine kleine Leonore. Auch wenn wir fast gleich alt sind. Nach dem Ereignis, das ich im Stillen »Cliffhanger« nenne, weiß ich nicht, wie es mit uns weiter gehen wird. Ich weiß nicht, ob ich je dazu in der Lage sein werde, gleich mit ihr umzugehen, jetzt wo ich weiß, dass sie Gefühle für mich hat. Sollte ich das überhaupt? Ich weiß nicht einmal, wie stark diese Gefühle sind, ich weiß nur, dass es mir Angst macht. Ein bisschen ist es wie im Meer, wenn man den Boden nicht mehr sieht. Es ist keine unmittelbare Bedrohung, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Bin ich nur zu irrational?

Und hier wird der Konflikt noch einmal kommentiert, aber dadurch wird er auch für die Geschichte endgültig „tot“ gemacht, weil er nur diese offensichtlichen, banalen Gedanken mit sich bringt. Für die Ich-Erzählerin ist er damit eingeordnet, ihr Verhältnis zu Leo wird sich dadurch vielleicht ändern, sie selbst aber nicht, sie bleibt letztlich als Person unberührt, sie stellt nichts in Frage, was sie selbst betrifft.


eine tückische Kombination aus verdörrten Disteln
verdorrten
würdest du dich einfach beklagen, der Sand so heiß ist
dass der Sand ...
Ich ziehe die Sandalen ab
streife die Sandalen ab
Ist dies die besondere Eigenschaft von befreundeten Menschen?«
besser: Ist das die Besonderheit einer Freundschaft?
das ein so unnatürlich natürliches türkisblau hat
groß: Türkisblau
und weitere fünfzehn Minuten autostoppen
Auto stoppen
Ich benutze Anglizismen wann ich will
Komma: Anglizismen, wann ...
fragt Leonore just in den Moment,
in dem Moment
Wirf Mal die Sonnencreme rüber
klein: mal
sich selber einzucremen
selbst
mit ihren ewig gleichen individuellen schwarzen Hornbrillen erst
Komma: gleichen, individuellen, schwarzen - klingt aber nicht gut
was ich am Schlimmsten finde
klein. am schlimmsten
das einzige, was sie tun
groß: Einzige
Weil sie nicht aus ihrem Nest hinaus wollen
zusammen: hinauswollen
gebe ich als erste auf
groß: Erste
legen wir die Taucherbrillen und Schnorchel an
beides ohne Artikel oder beides mit: legen wir Tauberbrillen und Schnorchel an
Sie war immer die kleinere von uns
groß: Kleinere
dieses unangenehme Loch in meinen Magen verursacht
meinem
Die Kälte schnürt mir einen Moment lang den Brustkorb zu, dann geht es, als sich mein Atem wieder beruhigt hat
ungelenker Satz
von ihrem Schnorchelgang zurück kommt
zusammen: zurückkommt
Ich ziehe die Sonnenbrille leicht herunter
hinunter - aber auch kein schöner Satz
die sie gesammelt hat und sich in den Bikini gesteckt hat
erstes "hat" streichen
Frisch verstorben, der gute
groß: Gute
Und dann wieder weg gehen.
zusammen: weggehen
alten Jules Verne Roman
mit Bindestrichen: Jules-Verne-Roman
Nachdem meine Mutter den Reisverschluss
Reißverschluss
Man schwebt über den Boden.
dem Boden
Aber ich werde nie die Möglichkeit haben ins All zu fliegen
Komma: haben, ins …
eine kleine rot-weiß karierte Mondrakete
Komma: kleine, rot-weiß …
Ich beschließe, auf einen der Felsen, die weiter ins Wasser hinaus ragen zu klettern
zusammen und Komma: ins Wasser hinausragen, zu klettern, aber besser ohne die Sperrung: auf einen der Felsen zu klettern, die weiter ins Wasser hinausragen.
aber sich Sonnenbrillen aufsetzen ist viel praktischer als Kleider anzuprobieren
aufzusetzen
Oh mein Gott
Komma: Oh, mein Gott
Sag mal Mia
Komma: Sag mal, Mia, …
als das sie mir verrät
„das“ streichen, ohnehin falsch geschrieben
Manche Türen müssen verschlossen bleiben, besonders die Innersten
klein: innersten
dass sie einen Blick ins Schlüsselloch werfen
durchs Schlüsselloch
Sie können sich aber keinen Reim aus dem Wenigen
klein: wenigen
Es ist wie, wenn sich ein
Komma falsch gesetzt: Es ist, wie wenn … aber besser wäre: Es ist, als legte sich ein Schleier über alles
Ich will ich ihr den Seeigel in die Hand drücken
„ich“ zuviel
Es geht einen Moment, bis ich mich vom Schwebezustand zwischen Schlaf und Wachsein loslösen kann
Es dauert einen Moment
aus der sie zwei Plastikweingläser hervor zaubert
zusammen: hervorzaubert
Die Leute schauen in den Himmel und fragen sich, das dahinter ist
was dahinter …
als wir den Pfad an den Klippen entlang gehen.
zusammen: entlanggehen
Oh mein Gott Leonore du hast mein Leben gerettet wie kann ich dir nur danken oh mein Gott
Absicht so ohne Komma?
Aber ich habe so fürchterliche Angst Leonore zu verlieren
Komma: Angst, Leonore …
Aber was heraus kommt
zusammen: herauskommt
richte einen Account ein« sage ich ihr
Komma: ein“, sage ich
wie es mit uns weiter gehen wird
zusammen: weitergehen

Gruß
Andrea

 

Liebe Andrea,

Erst einmal danke für deinen ausführlichen Kommentar und die Fehlerliste.

Oder meint diese Einführung die Einsamkeit des Menschen an sich? Mir erscheint dieses Leitmotiv etwas zu wenig mit der Geschichte und ihrem Konflikt verbunden zu sein.

Es sollte eigentlich die Einsamkeit der Menschen allgemein ansprechen, aber du hast Recht, von der Gewichtung her geht es in der Geschichte verloren. Ursprünglich wollte ich diesen Punkt stärker herausarbeiten, aber Geschichten gehen immer so schnell ihren eigenen Weg, diese bösen Biester ...

Es ist so geschrieben, wie es im wirklichen Leben sein würde, ein eigenartiger Vorwurf, ich weiß. Aber wozu dann eine Geschichte darüber schreiben, wenn keine Akzente gesetzt werden, der Konflikt nicht wirklich „bearbeitet“ wird? Es ist eine grundsätzliche Frage, die mich hier beschäftigt: Kann etwas literarisch interessant sein, wenn etwas derart „real“ dargestellt wird?

Wie gesagt, ich habe früher viel Fantasy geschrieben und viel fabuliert ... aber irgendwann wollte ich das nicht mehr (oder zumindest nicht ausschliesslich). Dieser Text ist der Versuch des Entwurfs einer Realität, einer Geschichte, die sich tatsächlich hätte abspielen können. Du stellst berechtigt die Frage, ob es dann noch interessant bleibt, wenn der Konflikt nicht bearbeitet wird. Ich muss zugeben, dass ich dir diese Frage nicht beantworten kann, das hängt wohl auch sehr vom persönlichen Geschmack ab.
Ich selber mag gerne Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind. Im wirklichen Leben passieren ständig Geschichten, aber man muss sie sehen und herauspicken. Vielleicht kann ich dir meine Haltung Anhand des Mediums Fotografie erklären (natürlich gibt es auch da unterschiedliche Positionen): Im Gegensatz zu anderen bildenden Künsten sind fotografierte Dinge meistens ja schon vorhanden, aber der Fotograf muss das Motiv sehen und ablichten, er muss Entscheidungen bezüglich Format, Perspektive, Brennweite etc. treffen.
Das ist mein Zugang. Aber wenn du eine völlig andere Haltung hast, los! Die würde mich auch interessieren.

Die Unterwasserwelt scheint irgendwie das Unterbewusstsein zu symbolisieren, das Tragische der Geschichte wird dahin abgeschoben und auf diese Weise ästhetisiert und wird nicht wirklich spürbar.

Findest du wirklich, dass das Tragische nur darin abgeschoben wird? Ja, ich neige zu Ästhetisierungen, was auch zu einem gewissen Grad mit meinem Beruf zu tun hat, aber ich glaube nicht, dass es dadurch weniger tragisch wird. Es war jedenfalls nicht meine Intention, vielmehr wollte ich zeigen, dass die beiden zwar viel miteinander teilen und sich doch sehr fremd sind, irgendwie, und dass sie nicht offen kommunizieren können. Die Unterwasserwelt ist also eher eine Art Ventil für die Unausgesprochenen Dinge.

Wie ist das zum Beispiel zwischen den beiden, wenn die zusammen in einem Zelt schlafen? Kann sich Leo so zurückhalten, dass es da nie etwas gibt? Keine begehrlichen Blicke, keine „zufälligen“ Berührungen in der Enge des Zeltes?
Ähm, guter Punkt. Habe ich mir gar nicht überlegt. Das kommt auf meine Überarbeitungsliste.

Und hier wird der Konflikt noch einmal kommentiert, aber dadurch wird er auch für die Geschichte endgültig „tot“ gemacht, weil er nur diese offensichtlichen, banalen Gedanken mit sich bringt. Für die Ich-Erzählerin ist er damit eingeordnet, ihr Verhältnis zu Leo wird sich dadurch vielleicht ändern, sie selbst aber nicht, sie bleibt letztlich als Person unberührt, sie stellt nichts in Frage, was sie selbst betrifft.

Mit dem Schluss bin ich mittlerweile überhaupt nicht mehr zufrieden, und die Fragen, die du stellst, sind gut. Ich werde noch einmal eine Weile brüten und eine Lösung finden. Mangelnde Handlung und Konflikte sind Probleme, die mich schon immer bei meinen Geschichten geplagt haben ... ich arbeite daran! :)

Allgemein würde mich interessieren, ob du in meinem Text nur eine Liebesgeschichte heraus gelesen hast? Als ich angefangen habe, die Geschichte zu schreiben, wollte ich nicht primär eine Liebesgeschichte daraus machen. Mir ging es auch darum, zwei Mädchen zu zeigen, die an diesem Punkt stehen, wo sich die Wege vielleicht trennen werden, oder vielleicht auch nicht. Zwei Teenager, die eigentlich schon erwachsen wirken wollen, sich in ihrer Rolle aber noch nicht so sicher sind etc. ... Wenn es aber nicht so deutlich wird, werde ich das auch noch überarbeiten.

Nochmals herzlichen Dank für deine Anregungen, hat mir auf alle Fälle etwas gebracht!

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Hey Sirwen!

Das ist ein schöner Text, und irgendwo da ist auch eine Geschichte. Mir hat der Text besser gefallen als die Geschichte. Die zwei Mädchen konnte ich mir gut vorstellen, was vor allem an Mias Kommentaren zu Leo lag, aber auch an den Dialogen. Ich mochte die zwei.

Allerdings hab ich mir Leo eher fester vorgestellt und Mia feingliedrig. In deinem Text kam es aber anders raus ... keine Ahnung, woher mein Eindruck also kam. Vielleicht von der Stilversessenheit Mias ... mit den Sandalan und so.

Wie auch immer.

Hinweise auf die Gefühle von Leo hab ich entdeckt, aber mir waren die nicht stark genug. Und ich hab den Eindruck, dass der Text eine wunderschöne Bilderschau ist, aber die Geschichte selber ist zu schwach um diese Fülle alleine zu tragen. Daher fand ich viele Passagen langatmig und auch wenn ich sie gelesen habe, irgendwann war nicht mehr viel Neues da.

Und das ist schade, irgendwie. Man könnte den Text gut um die Hälfte kürzen, finde ich ... und er würde besser funktionieren. Bei der Länge, die er hat, würde er einen fetteren roten Faden gut vertragen. Etwas, das die Spannung hält. Und den Leser bei der Stange.

Wenn ich in ner Allee jeden einzelnen Baum beschreibe, dann kann ich Bäume noch so gern haben - irgendwann wirds fad.

Die Freundschaft ist mir zu tief. Zu sicher. Da ist keine Bedrohung, da ist nicht viel in Gefahr. Obwohl Mia ja nach England geht ... aber spürbar war das für mich nicht.

Ich hätte mir gewünscht, viel stärker zu spüren, dass Leo Mia noch was sagen will, aber sich nicht traut. Dann könnte man in den einzelnen Szenen zeigen, wie sie scheitert ... es aber dann doch rausbringt. Dann Umarmung, Schluss. Und dann die Kinderzimmerszene da am Ende, mit dem wunderschönen Schlusssatz, den du da hast.

Das Problem ist halt, dass das in der Perspektive nicht auftauchen kann. Oder ... zumindest würde es schwer werden. Weil ja Mia das alles da erzählt. Und ... was sie nicht weiß, kann sie nicht erzählen. Und alles in die dritte Person zu setzen ... naja. :o) Weiß nicht, obs das dann wäre.

Und diese ganze Scheidewegsache ... das ist schon da, aber ... hmmm ... ich spüre es nicht stark genug. Mir war das zu seicht.

Übrigens hast du ein paar Absätze drin, so ab "Flanieren", die sind unformatiert. Das liest sich so extrem zäääh.

Bis bald! :)

yours

 

Hallo yours!

Danke sehr für deinen ausführlichen Kommentar!

Ich hatte auch schön befürchtet, dass es zu wenig Handlung ist, aber insgeheim gehofft, dass das nicht so tragisch ist mit den Momentaufnahmen und Stimmungsbildern. Hat scheinbar nicht funktioniert. Das ist mein erster Versuch, mehr auf Charakter aufzubauen, doch ich verstehe gut, was du meinst. Wenn ich an Ostern etwas Luft habe, setze ich mich noch einmal an den Text und überarbeite ihn gründlich. Ach, ich sehe schon, das Straffen wird eine schmerzhafte Angelegenheit werden ...

Allerdings hab ich mir Leo eher fester vorgestellt und Mia feingliedrig. In deinem Text kam es aber anders raus ... keine Ahnung, woher mein Eindruck also kam. Vielleicht von der Stilversessenheit Mias ... mit den Sandalan und so.
Ich habe mir vorgestellt, dass Mia eben deshalt so stilversessen ist, weil sie nicht die perfekte (na, was heisst das schon ... halt nicht modelmässige) Figur hat.

Das Problem ist halt, dass das in der Perspektive nicht auftauchen kann. Oder ... zumindest würde es schwer werden. Weil ja Mia das alles da erzählt. Und ... was sie nicht weiß, kann sie nicht erzählen. Und alles in die dritte Person zu setzen ... naja. :o) Weiß nicht, obs das dann wäre.
Das habe ich mir als Ziel gesetzt – die Geschichte aus der Sicht des anderen zu erzählen. Mir ist auch bewusst, dass genau dies die Schwierigkeit ist, Leos Gefühle zu zeigen. (Das Mantra "show don't tell" hat sich tief eingebrannt ... irgendwie klappt es noch nicht so wie gewünscht.)

Ich hätte mir gewünscht, viel stärker zu spüren, dass Leo Mia noch was sagen will, aber sich nicht traut. Dann könnte man in den einzelnen Szenen zeigen, wie sie scheitert ... es aber dann doch rausbringt. Dann Umarmung, Schluss. Und dann die Kinderzimmerszene da am Ende, mit dem wunderschönen Schlusssatz, den du da hast.
Findest du es grundsätzlich ok, dass die Geschichte an dieser aufhört? Ich werde jedenfalls daran werkeln, dass mehr Spannung aufkommt, weiss aber noch nicht wie ... falls hier irgendwer einen konkreten Tipp oder eine Anregnung hat, wäre ich froh. Auch wenn es nur ein Beispiel ist, das ich dann doch nicht verwende.

Was ich nicht beabsichtige, ist eine total abgründige Geschichte daraus zu machen. Es sollte nicht todtraurig und übertragisch sein, sondern nur die Tragik und Schwere der kleinen Verluste haben, die aber trotzdem sehr schmerzhaft sein können.

Übrigens hast du ein paar Absätze drin, so ab "Flanieren", die sind unformatiert. Das liest sich so extrem zäääh.
Mist. Ist mir beim Copypasten der letzten Überarbeitung durchgerutscht. Danke für den Hinweis!

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Hallo sirwen,

erst mal Glückwunsch, dass du mal wieder was geschrieben hast - genieß das Gefühl! :)

Was ich an der Geschichte mag, ist gerade diese "Bildershow", die Lebendigkeit und die Nähe zu den beiden Protagonistinnen, die du herstellst. Ich denke auch, dass du vielleicht den Konflikt (Leos Gefühle) stärker andeuten könntest; für mich war es nämlich zuerst einfach die Geschichte zweier Freundinnen, die sehr verschieden sind und vor der Frage stehen, ob ihre Freundschaft abseits der alten Routine bestehen wird.

Ansonsten habe ich wenig zu mäkeln; auf Textkram habe ich nicht geachtet, und auch, wenn die Geschichte recht lang ist, hat mir dieser kurze Sommerausflug nach Kroatien sehr gut getan. Gerne gelesen!

Liebe Grüße,
ciao

Malinche

 

Phola Malinche!

Jetzt schreib mir doch bitte mal einen Totalverriss! :D ... Ähm, also hat mich ehrlich gefreut, dass du den Text gerne gelesen hast, trotz Jetlag und Rottweilerbein.

... für mich war es nämlich zuerst einfach die Geschichte zweier Freundinnen, die sehr verschieden sind und vor der Frage stehen, ob ihre Freundschaft abseits der alten Routine bestehen wird.
Schön, dass du das so herausgelesen hast. Wie schon zuvor einmal angerissen, ursprünglich war gar nicht geplant, dass da noch eine Liebesgeschichte ist, die ich habe zugegeben aus Handlungs- und Konfliktarmut eingebaut *hüstel*. Na ja, jetzt ist sie drin, und ich setze mich nun an die Überarbeitung. Die letzten zwei Tage waren zu sonnig dafür. ;)

Danke für's Lesen und hasta la vista,
sirwencita

 

Hallo illu!

Ebenfalls schön, von dir zu hören! Freut mich auch sehr, dass du die Geschichte magst, obwohl sie noch nicht an allen Ecken rund ist (ich drücke mich immer noch vor der Überarbeitung ...).

Ich ziehe meinen Hut davor, nicht zuletzt, weil ich das niemals schaffen würde.
*rotwerd* Ich hatte lange Zeit grossen Respekt vor Dialogen, und ich glaube, dieses Mal hat eine ausführliche Vorbereitung und Charakterisierung der beiden Figuren viel dazu beigetragen, dass ich diese Stellen relativ locker und schnell runtertippen konnte. :)

Was mich da eher gestört hat, war der Traum, der als zweite "zweite" Ebene eingeführt wird. Da wird es dann ein wenig zuviel des Guten.
Hmm ja, da hast du Recht. Ein wenig ist es ein Fremdkörper im Aufbau des Textes. Werde ich mir durch den Kopf gehen lassen.

Ich mag Geschichten, so auch diese, denen man anmerkt, dass sie aus einem Bemühen entstanden sind, etwas festzuhalten (was nicht heißt, dass sie autobiografisch sein müssen).
Danke! Das freut mich wirklich sehr, dass du das so herausgespürt hast. Tatsächlich ist dieser Text auf eine Art ein Gefäss für Gedanken, die sich in den letzten Jahren (und damit während der Schreibblockade) gesammelt haben.

Aber nicht das Ins-Regal-Stellen des Seeigels streichen! Meine eigenen staubigen Reiseerfahrungen haben mich gelehrt, dass das Nachhausekommen und Wiederalleinsein noch Teil der Reise ist. Würde den Absatz nicht streichen.
Keine Angst, das bleibt drin, aber den Teil davor finde ich so im Nachhinein doch sehr platt. Mal sehen, ob ich einen direkten Übergang machen kann ...

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Hey sirwen!

Hatte schon länger vor, diese Geschichte hier zu kommentieren, bin leider nie dazu gekommen.

Die Geschichte ist sehr angenehm zu lesen, also vom Stil her, sehr ruhig und angenehm halt. ;)
Teilweise auch mit schönen Bildern, die im Kopf hängen bleiben, besonders die Beschreibungen der (toten) Seeigel.

Die Prot. finde ich gut dargestellt, ihre Stimmungsschwankungen nachvollziehbar, teilweise aber auch nervig. Da denke ich mir: Komm jetzt zu Sache, wobei das natürlich nicht so einfach ist: der besten Freundin gestehen, dass man auf sie steht.

Mein Kritikpunkt: Ich finde, die Geschichte ist falsch proportioniert. Du hälst dich zu lange mit Beschreibungen und mit dem Aufbau der Atmosphäre auf, dass die Dramatik ganz auf der Strecke bleibt, so liest sich die Geschichte über längere Strecken hin wie ein Reisetagebuch ohne aufregende Ereignisse.
Wäre schön, wenn der Konflikt irgendwo in der Mitte der Geschichte statt finden würde, damit er auch ausgetragen wird.
Andeutungen am Anfang wären aber auch nicht schlecht, damit man eben mehr auf die Beziehung achtet, wobei man hat eh nix anderes als auf die zwei zu achten.
Trotzdem fand ich es komisch, dass obwohl die Geschichte aus der Sicht von Mia geschrieben ist, man keinen gedanklichen Hinweis von ihr bekommt.

Fazit: Super geschrieben, wäre nur schön, wenn sie auch ne super Handlung hätte. :P


JoBlack

 

Hallo Jo,

Oh, hätte nicht damit gerechnet, dass diese Geschichte jemals noch ausgegraben und kommentiert wird. Habe mich jedenfalls über deine Kritik gefreut, das gibt mir den Ansporn, mich noch einmal richtig dranzusetzen. Ich habe in den letzten Wochen wieder etwas Abstand gewinnen können und mir in letzter Zeit überlegt, wie ich die Überarbeitung angehen soll. Ja, mehr Handlung, natürlich. (Handlung? Handlung? Hilfe!) Das mit dem Konflikt früher ansetzen ist ein guter Punkt.

Mittlerweile bin ich zum Schluss gekommen, dass ich meine ursprünglichen Absichten wohl über den Haufen werfen muss und mich stärker auf den Konflikt konzentrieren sollte. Insgeheim bin ich aber immer noch der Überzeugung, dass die erste Fassung so handlungsarm sein muss und bleiben wird, weil der Konflikt eigentlich gar nicht das war, was ich erzählen wollte. Ja, ich werde einfach an einer zweiten, leserfreundlicheren Version mit bisschen Action (so ein bisschen nach dem Motto Sex&Crime) arbeiten. Als Schreibübung quasi.

Trotzdem fand ich es komisch, dass obwohl die Geschichte aus der Sicht von Mia geschrieben ist, man keinen gedanklichen Hinweis von ihr bekommt.
Mia soll so doof sein, es soll von ihr auch kein konkreter Hinweis kommen, ich hoffe aber, dass der Leser in der überarbeiteten Version (wenn es dann soweit ist) früher als sie merken soll, worum es geht. Das wäre dann meine Auffassung von "show don't tell".

Ich stehe also offen zur Handlungsarmut, nehme aber deine Kritik zu Herzen, ich versteh euch armen Leser ja auch. :D

Danke und liebe Grüsse,
sirwen

 

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