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Der Schattenmusiker

Beitritt
22.11.2005
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Der Schattenmusiker

Da man das Instrument nicht kannte, hat man es flüchtig und plump „Schattenorgel“ getauft. Diese Betitelung ist nicht angebracht, falsch und dumm, denn viele berichten, er habe es in die Hüfte gestemmt, mit einer Art Violinenbogen gestreichelt, geschlagen, gezupft, und das ganze Ding gebogen wie einen Fuchsschwanz, und wie ein solcher soll es auch den Klang geändert haben. Richtige körperliche Arbeit sei es gewesen, die Schattenorgel zu bedienen, die er manchmal auch blies und regelrecht zusammendrückte wie einen Dudelsack. Ich denke, die Menschen haben es Schattenorgel genannt, da er, zum einen, im Schatten des Kölner Doms spielte. Zum anderen, aufgrund der Tonintensität, die so kräftig und klar gewesen sein soll, wie man es nur von einer Orgel kennt. Geld wollte er nicht; er hatte keinen Hut oder offenen Koffer für Kleingeld, ging auch nicht herum und sammelte, was er auch nicht gemacht haben konnte, denn er soll niemals aufgehört haben zu spielen. Wenn es dunkel wurde, machte er Schluss; die Nachtkälte war für dieses hochfeine Instrument wohl ähnlich schädlich wie die Sonne. Und so kreisten tagtäglich mehrere Menschen, kommend und gehend, mit dem Musiker um den Dom. Daher munkeln viele auch, die Domverwaltung habe ihn beiseite schaffen lassen. Aber darauf will ich hier nicht weiter eingehen.
Wichtig ist zu erfahren, dass er sein Spiel unterbrach, sobald sich ihm jemand weniger als zehn Fuß näherte. Es wurde sich entschuldigt und zurückgegangen, und er setzte neu an, begann sein Werk erneut; somit wurde die Person, die zu nah an den Meister herangetreten war, gescholten. Man kann allerdings auch nicht von einem Werk sprechen, da kein Anfang und kein Ende, so erzählt man sich, keine deutlichen Noten oder Rhythmen erkannt werden konnten. Die Menschen wurden neugieriger und neugieriger, und bald versuchte man, sich dem Instrument tückisch zu nähern, also seitlich heranzuschleichen, und so war das Spiel durch ständige Unterbrechungen gekennzeichnet. Sie riefen und schrieen und rückten bald gemeinsam immer näher, bis der Musiker das Instrument nahm und auf den Boden zerklingen ließ, wobei einige Narren eine Wolfsquinte vernommen haben wollen. Als die Menge vor Entrüstung inne hielt, musste er unbemerkt das Weite gesucht haben und ward niemals wieder gesehen. Bis heute versucht man, das Instrument zu rekonstruieren, den einzelnen, zerbrochenen Teilen einen Sinn zu geben. Viele Wissenschaftler hatten es schon so zusammengeflickt, wie sie es für korrekt hielten, doch noch nie hat sich ein Ton gelöst. Und das wird sich wohl auch nicht ändern.

 

Hi lea

Tolle Kritik.

Du hast Recht, ja. Hage jetzt Werk statt Sinfonie geschrieben. Einverstanden? Es war so gedacht, dass er mit einem Instrument eine ganze Sinfonie spielen konnte, es sich also nach mehreren Instrumenten anhört.
Aber da es zu Verwirrungen zu kommen scheint ...

liebenGruß

 

Hallo Aris,

Da man das Instrument nicht kannte, hat man es flüchtig und plump „Schattenorgel“ getauft.
Ich weiß nicht... Kann man etwas "flüchtig" irgendwie nennen? Zumindest wenn man das "und plump" weg lässt, klingt es komisch.
"hatte man es..." oder "nannte man es" hielte ich über dies für günstiger.

Ich denke, die Menschen haben es Schattenorgel genannt, da er, zum einen, im Schatten des Kölner Doms spielte.
An der Stelle im Satz, so als Einschub, klingt es unschön. "Ich denke, die Menschen haben es zum einen..." Obwohl mir die Formulierung hier generell missfällt.

was er auch nicht gemacht haben konnte, denn er soll niemals aufgehört haben zu spielen.
Vielleicht "wozu er auch keine Möglichkeit gehabt hätte..."? Denn "gekonnt" hätte er ja schon.

Und so kreisten tagtäglich mehrere Menschen, kommend und gehend, mit dem Musiker um den Dom.
Worauf bezieht sich das "so"? Warum tun Sie es denn? Und wie können Sie "kommend und gehend" "kreisen"?

schon bald sich ihm jemand weniger als zehn Fuß näherte.
sobald

bis der Musiker das Instrument nahm und auf den Boden zerklingen ließ,
Auf den Boden zerklingen? Merkwürdige Formulierung...

den einzelnen, zerbrochen Teilen einen Sinn zu geben.
zerbrochenen


Die Geschichte gefiel mir leider nicht besonders. Zum einen fehlt vielen Sätzen noch der Feinschliff - einiges habe ich oben aufgelistet, häufig klingen Sätze einfach nicht gut. Bei der Kürze der Geschichte würde es sich lohnen, die Sätze einzeln durch zu gehen und sie sich einmal auf der Zunge zergehen zu lassen, sie noch einmal zu betrachten und ästhetisch nachzuwürzen.
Die Handlung selbst scheint mir denkbar unspektakulär; es scheint halt eine dieser "Da-ward-ihr-wohl-zu-gierig"-Moral-Geschichten zu sein. Obwohl die Idee mit dem Musiker gar nicht mal schlecht ist. Allein, so unausgearbeitet und simpel wie sie hier dargeboten wird, vermag sie nicht zu begeistern. Wie sieht der Musiker aus? Kann man den Klang ein wenig genauer beschreiben? Wo sind die Szenen? Wo ist die Athmosphäre?
Der Erzähler schildert alles, als kenne er selbst die Geschichte nur von jemand anderem. Warum war er nicht selbst da, um uns das Ganze frisch aus erster Hand schildern zu können?
Ach ja, ein kleiner Logikfehler:

Daher munkeln viele auch, die Domverwaltung habe ihn beiseite schaffen lassen. Aber darauf will ich hier nicht weiter eingehen.
Wie kommt man auf diese Theorie? Später schilderst du schließlich ein anderes Ende. Und überhaupt: Um den Dom ist doch auch sonst allerhand los...

Nein, du hast hier einfach zu wenig aus der Grundidee gemacht - sprachlich wie inhaltlich.


Gruß,
Abdul

 
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Hi Abdul

Schade, dass es dir nicht so mundet, aber danke für die Hinweise, ich denke drüber nach, auch wenn mich deine Ratschläge in Richtung Wohlklang noch nicht so ganz überzeugen.
zerklingen ist eine merkwürdige Formulierung, aber absichtlich, und ich denke, sie kann gefallen.

Der Erzähler schildert alles, als kenne er selbst die Geschichte nur von jemand anderem.

Das ist die Grundidee der Geschichte, ja. Das ist der gewählte Stil.

"Da-ward-ihr-wohl-zu-gierig"-Moral-Geschichten zu sein.

Ja, warum nicht? Es ist jedenfalls eine Parabel, die, wenn auch nicht weit, über diese flüchtige und plumpe Essenz hinüberragt.

Und so kreisten tagtäglich mehrere Menschen, kommend und gehend, mit dem Musiker um den Dom.
Worauf bezieht sich das "so"? Warum tun Sie es denn? Und wie können Sie "kommend und gehend" "kreisen"?
Das so hat einen eindeutigen Bezug zur Geschichte, da es einfach die Folge aus dem bisher Erzähltem ist. Und eben dieses Bild von Leuten, die kommen und gehen, aber trotzdem immer so viele da sind, dass ständig ein Pulk von Leuten mit ihm um den Dom wandert, ist wichtig. Und vorstellbar.

Ich hab hier versucht einen fiktiven Mythos zu erschaffen. Und so wie bei vielen Mythen gibt es verschiedene Vermutungen. Daher die Vermutung mit der Domverwaltung.

Die Geschichte ist hier die Vermutung des Lesers, der nicht mehr als die Vermutung eines vermeintlichen Erzählers, eines Forschers, erhält, absichtlich erhält, den der Autor lässt absichtlich Leerstellen an den Stellen, die er für richtig erachtet.

lieben Gruß

 

Hallo Aris, hallo Abdul,
mir gefällt die Geschichte sehr gut. Sie ist kurz und fein formuliert. Es ähnelt einer historischen Darstellung, wie sie vor 150 Jahren hätte entstehen können, durch einen damaligen Forscher. Und wäre es nicht im Genre 'Seltsam', hätte ich das fast geglaubt.

Kann man etwas "flüchtig" irgendwie nennen?
Kann man. Es erweckt den Eindruck von Unwichtigkeit, Lästigkeit, aber es muss halt irgendwie genannt werden. Also flüchtig (=beiläufig).

An der Stelle im Satz, so als Einschub, klingt es unschön.
Nur nach heutigen Maßstäben. Damals wurde derart formuliert.

Auf den Boden zerklingen? Merkwürdige Formulierung...
Ein schönes Wortspiel: zerschellen+klingen.

Nein, du hast hier einfach zu wenig aus der Grundidee gemacht - sprachlich wie inhaltlich.
Diese Meinung kann ich garnicht teilen. Ich denke, dass die Geschichte wohl formuliert wurde.

Gruß,
Fayalit

 

Hallo Fayalit,

da hast du aber eine alte Geschichte hergekramt. Freut mich natürlich. Es ist auch eine der wenigen alten Geschichten von mir, die ich jetzt immer noch mag.

Schön, dass sie dir auch gefällt. Du scheinst zu verstehen, dass hier von einem Mythos erzählt werden soll, den ich mir natürlich ausgedacht habe.

AbdulAlhazred hab ich als Kritiker und Autor immer geschätzt. Ich weiß nicht, ob er noch hier aktiv ist. Wäre schade, wenn nicht. Ich bin deiner Meinung, dass seine Kritik hier nicht so richtig war, aber er hat mir bei anderen Punkten sehr geholfen.

also vielen Dank und besten Gruß

 

he Aris, freut mich, dass die geschichte wieder ans licht geriet. mir gefällt der stil, in dem der mythos geschildert wird. durch die recht genaue beschreibung und die bisweilen einfließende meinung des erzählers wirkt er sehr reell, wie ein kurzer essay eines mittelalterlichen gelehrten oder so. mich erinnerte die kurze erzählung borges stil, der von phantastischen geschehnissen herrlich nüchtern berichtet.
ich glaube auch er beginnt häufiger mit einer behauptung, die er gleich im nächsten satz widerlegt, so wie hier:

Da man das Instrument nicht kannte, hat man es flüchtig und plump „Schattenorgel“ getauft. Diese Betitelung ist nicht angebracht, falsch und dumm,
wobei mir hier wieder auffällt, was ich schon mal unter der ovidischen Ratte anmerkte, mir ists hier ein bisschen viel mit dem dreier, es wirkt, als wolltest du unbedingt drei voll machen. aber das ist ne kleinigkeit, durch behauptung und gegenbehauptung beginnt der text sehr dynamisch.
der satz wirkt wie ne kleinigkeit:
Aber darauf will ich hier nicht weiter eingehen.
aber ich finde den schick, der gibt der geschichte noch mal was. die geschichte ist erstaunlich verdichtet und dabei doch angenehm leicht lesbar! gerne gelesen.
grüße

 

Hallo Kubus,

freut mich auch, dass die Geschichte noch Anerkennung bekommt.

die Dreierbande ist in der Tat eine Art Marotte von mir. Ich finde immer, es klingt gut, generell dreier zu haben. Aber wenn es gezwungen wirkt, ist es natürlich schlecht. Ich dachte, wenn man durchgehend in Dreierhythmik schreibt, temperiert das die Lesegeschwindigkeit. Das ist vielleicht auch so, aber manchmal scheint es dann wohl gemacht auszusehen. Ich werd besser drauf achten.

danke

 

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