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Der Schlag

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18.08.2006
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Der Schlag

Es war schon wieder helllichter Tag, als er aufwachte.
Auf seine Gehirnwindungen schienen tausende Hämmer im unregelmäßigen Takt und mit einem enormen Druck einzuballern. Seine Beine fühlten sich an, als ob er einen Marathon-Lauf hinter sich gebracht hätte.
Es glich einem enormen Kraftakt seine Augen auch nur einen Spaltbreit zu öffnen. Doch ein Sonnenstrahl aus dem nicht verschlossenen Fenster zwang Ihn ohne Gnade dazu. Mit stumpfen Blick erfasste er die Zimmerdecke, die bedenklich zu schwanken schien und zudem voll von schwarzen kleinen Punkten war, die wild hin und her tanzten.
Der Würgereiz kam in schnellen Schritten. Unweigerlich schloss er die Augen, um sich mit heftigen Schluckbewegungen gegen diesen Angriff seines Körpers zu wehren und um wieder Ordnung in das wirre Durcheinander zu bringen. Schließlich, nach nicht enden wollenden Minuten, ebbte der Würgereiz endlich ab und er konnte etwas durchatmen.
Als er die Augen wieder öffnete waren die schwarzen Punkte verschwunden und die Decke wieder an Ihrem angestammten Platz.

Dann schob er die Bettdecke beiseite und stützte sich mit angewinkelten Unterarmen ab. Angewidert betrachtete er das Szenario. Er hatte alles noch so an, wie er die Wohnung gestern Abend verlassen hatte. Sogar seine Schuhe, die jetzt total dreckverkrustet waren, wackelten lustlos an den Füßen. Das Bettlaken war konsequenterweise schmutzig und voll mit Sand. Auch ein paar tote Buchenblätter tummelten sich darauf. Sein Kissen hatte es am schlimmsten erwischt. Total zerknautscht und mit dicken, roten Flecken übersäht lag es vor Ihm. Woher kamen nur diese Flecken? Er brauchte die Frage nicht auszuformulieren um zu wissen, wie die Antwort lauten könnte. Als seine Hand über sein Gesicht fuhr, zuckte er vor Schmerzen zusammen.
In dem Moment, wo er das halb geronnene Blut an seinen Fingern sah, musste er auch schon zur Toilette rennen, um nicht noch mehr Schmutz in die Wohnung zu tragen.

Nachdem er sich übergeben hatte zog er an der altmodischen Toilettenreißleine. Dann ging er mit zitternden Beinen zum Waschbecken, wo er sich ausgiebig die Hände wusch. Im Spiegel direkt über dem Waschbecken starrte Ihn ein allzu bekanntes, aber sehr lädiertes Gesicht an. Eine Platzwunde zog sich quer über seine Stirn. Das Blut darauf war teilweise verkrustet, der Riss nicht allzu groß. Jedoch reichte er aus um dieses unerträgliche Pochen im Kopf zu verursachen.

Nachdem er sich geduscht und die Wunde versorgt hatte setzte er sich an den alten Küchentisch um einen heißen Kaffee zu trinken. Während er so dasaß und nebenbei eine Zigarette rauchte fragte er sich, wie es eigentlich so weit hatte kommen können. Er ist doch sonst so vorsichtig. Und eigentlich ist er doch ein vernünftiger Mensch, der mit sich und seiner Welt bestens klarkommt. Niemals hat er sich irgendetwas zu Schaden kommen lassen. Das wäre ja auch vollkommener Quatsch, war er doch gefestigt in seinem Leben. Sein Job bei einer großen Import-/Exportfirma war interessant, das Gehalt gut. Er war anerkannt sowohl in der Firma als auch bei seinen Freunden. Er galt immer als zuverlässig und rechtschaffend. Sicherlich hatte er auch das ein oder andere Laster. Aber es war keines, welches Ihn hätte kompromittieren können. Und doch hatte Ihn sein Laster genau dahin geführt wo er jetzt war.

An Wochenenden trank er gerne Bier in einsamen Kneipen. Nicht, dass er sich regelmäßig bis ins Koma soff. Vielmehr zog Ihn die Tatsache an, dass er hier sein konnte, ohne seine Identität preiszugeben, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Er war „Irgendjemand“, eine Randfigur ohne Wunsch nach Publikum.
War er in der Firma ein höchst kommunikativer Mensch, permanent und gerne im Gespräch mit Kollegen und Externen, so konnte und wollte er hier der ruhige, still beobachtende Besucher sein, der mit einem oder mehreren Weizen den Abend ohne ein Wort zu verlieren verbrachte. Die temporäre Stummheit tat Ihm gut, machte Ihn ruhig und offen für die Informationen anderer.

Als er Sie das erste mal sah, wusste er schon, dass hier etwas vor sich ging, was mit seinem bisherigen Leben nicht vereinbar war und möglicherweise nicht gut Enden würde. Sie war schön. Nicht hübsch, sondern schön. Ein Gesamtkunstwerk.
Sie war eine der Frauen, die sich nicht attraktiv anziehen mussten und nicht schminken mussten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es reichte Ihre natürliche Erscheinung aus, um die Männer rasend zu machen. Vermutlich konnte sie in einem großen Raum mit tausenden von Menschen sitzen, ihre bloße Ausstrahlung hätte genügt, um sie nach kurzer Zeit ausfindig zu machen.
Sie hatte blondes Haar, dass ein zartes, aber gleichzeitig selbstbewusstes Gesicht umrahmte. Ihre schlanken Augenbrauen schwangen sich kunstvoll über die meeresblauen Augen, die groß, aufmerksam und offen die Welt um sich herum betrachteten. Winzige Silberohrringe steckten in Ihren Ohrläppchen und unterstrichen Ihr edles Erscheinungsbild. Selbst der blindeste Mann hätte bemerkt welche erotische Faszination von Ihren weiteren Körperformen ausging. Sie waren nicht übertrieben. Vielmehr rundeten sie Ihre natürliche Schönheit und Eleganz perfekt ab.
Ihre Kleidung war sinnlich und wild zugleich. Sie trug ein leichtes, ärmelloses Oberteil, dass sich irgendwie an sie schmiegte aber gleichzeitig weit genug war um Ihre Bewegungen fließend und unbeengt erscheinen zu lassen. Ihre schlanken Beine steckten in enganliegenden Jeans, die verziert wurde durch einen alten ledernen Gürtel mit einer großen silbernen Gürtelschnalle. Wenn man die Schnalle genauer betrachtete, so konnte man einen nach Nordmannart gestalteten Drachen erkennen, der dabei war einer großen Schlange den Garaus zu machen.

Er wandte sich gerade seinem zweiten Bier zu, als sie die Kneipe betrat. Die Pinte war an diesem Abend brechend voll. Alle Tische waren besetzt und selbst der nichtbetischte Zwischenraum wurde von wohlgelaunten jungen Menschen bevölkert. Eigentlich nicht gerade die Atmosphäre, die er sich so sehnlichst erhofft hatte. Aber er war erst spät gekommen und die wenigen Ausweichalternativen waren auch restlos überlaufen. Also, beschloss er die Massen zu ignorieren und sich den Abend so schön wie möglich bei ein paar Bierchen zu gestalten. Trinken, beobachten und nichts sagen.
Er sah sie erst, als sie direkt neben Ihm, an der langen Biertheke stand. Sie wartete auf den Barkeeper. Der sonst so ignorante und gleichsam unfreundliche Hüter des flüssigen Wahnsinns war schnell zur Stelle um Ihre Bestellung aufzunehmen. Während sie auf Ihr Hefeweizen wartete schaute sie sich interessiert im Raum um. Ihr hübsches Köpfchen bewegte sich dabei langsam, ganz langsam von einer Ecke der Kneipe zur anderen, als ob sie jedes noch so kleine Detail menschlicher Schaffenskraft aufsaugen wollte.
Und plötzlich lag Ihr Blick auch auf seinem Gesicht. Er hatte es erst gar nicht bemerkt, so fasziniert betrachtete er sie. Und normalerweise hätte er sofort seinen Blick abgewandt. Zu peinlich war es Ihm meist, ertappt worden zu sein. Aber irgendwie schien es Ihm in dieser Situation keinerlei Probleme zu bereiten Ihren Blick sehr ernst zu begegnen. So, als ob es was ganz Normales wäre eine wunderschöne Frau anzustarren. Keiner von beiden sprach ein Wort.

„Hey, hier ist dein Weizen. Macht 3 Euro. Kannst auch in Naturalien bezahlen, Schätzchen!“ Sie entwand dem schmierigen Kneipier das Bierglas, bedachte Ihn mit einem finsteren Blick und wand sich der von Ihrer Geldbörse ausgebeulten Hosentasche zu.
Er wusste nicht was Ihn dazu trieb, aber irgendwie musste er dieser unsäglichen Situation entgegentreten. Wütend donnerte er einen 5-Euro-Schein auf die Theke und schob Ihn den widerliche Kneipier zu. „Der Rest ist für sie, aber nur, wenn sie sich auf der Stelle bei der Dame entschuldigen!“
Verduzt betrachtete der so Gescholtene den Schein, die Dame und den edlen Spender, grummelte etwas, dass wie eine Entschuldigung klang und verschwand schleunigst mit dem Geld.

„Vielen Dank!“, sagte sie und das Strahlen Ihrer Augen wurde durch ein dezentes Lächeln untermalt. Bevor er etwas erwidern konnte, strich sie mit Ihren Fingerspitzen leicht über seinen Handrücken und verschwand im Dunkel der Kneipe. Mit offenen Mund und vollkommen unfähig zu einer Reaktion schaute er Ihr hinterher und blieb wie versteinert auf seinem Barhocker sitzen.
Zwei Stunden später verließ er den Ort, ohne Sie ein einziges Mal wiedergesehen zu haben. Er trat aus der Kneipentür ins Freie, blickte in den Himmel und saugte geräuschvoll die kühle Nachtluft in sich ein. Dann streckte er sich und gähnte laut.

„Das war wirklich sehr reizend von Ihnen!“
Wie ein Blitz trafen Ihn die Worte als er die Stimme direkt hinter sich hörte. Sichtlich erschrocken ob der plötzlich sprechenden Dunkelheit drehte er sich um. Doch bevor er irgendjemanden ausmachen konnte, sah er auch schon das Glimmen einer Zigarette. Er folgte dem glühenden Wegweiser und erkannte Ihr Gesicht. Sie schien schon länger neben der Tür gestanden zu haben, denn sie schmiegte sich in das warme Fell Ihrer dicken Jacke, wobei sie ein wenig zitterte.

„Ich hasse Unhöflichkeit! Vor allem von so widerlichen Scheißkerlen!“, sagte er.
„Ja, da haben sie Recht! Das war die 5 Euro aber nicht wert! Was denken Sie wie häufig ich das schon gehört habe! Sind meist irgendwelche schmierigen Typen, die eh keine vernünftige Frau an Land ziehen würden!“
„Also, ganz nach dem Motto: wenn ich keine kriege, dann ist es auch egal wie höflich ich bin und wen ich anmache!“
„Ja genau! Hi, ich bin übrigens Laura!“ und sie hielt Ihm Ihre kalte Hand hin.
Er musste unweigerlich Grinsen. Dann ergriff er Ihre schlanken Finger. „Ich bin Leo!“ Er verbeugte sich theatralisch bei den Worten. „Laura und Leo. Wie einer dieser kitschigen Filmtitel von RTL.“ Und er guckte Sie mit einem filmreifen Augenaufschlag an.
Da bemerkte Leo das Sie fröstelte. „Oh Mann, hast Du kalte Finger. Warte, ich geb Dir meine Handschuhe .“ Er zerrte seine alten Fingerhandschuhe aus der Tasche und hielt sie Ihr hin.
„Nein Danke! Ist wirklich nicht nötig. Die werden schon wieder warm. Weißt Du, das ist die Sucht! Irgendwann werde ich oder alle meine Finger abgefroren sein, weil nur die Fingerspitzen von der warmen Zigarette profitieren!“
„Ich mach Dir einen Vorschlag,“ Erwiderte Leo, „Ich habe hier noch eine leckere Zigarette, die auf mich wartet. Ich wollte sie eigentlich auf dem Nachhausemarsch rauchen. Aber ich denke, dass es besser ist sie in Deiner Gegenwart zu rauchen. Ich möchte nämlich nicht, dass Deine Finger zu Eis werden. Also, wenn ich den einen Handschuh nehme für meine Zigarette, dann kannst Du doch den anderen Handschuh für Deine Zigarette nehmen.“
Mit einem kleinen Lächeln nahm sie den Handschuh und streifte Ihn rasch über.
Dann standen Sie sich schweigend gegenüber und rauchten genussvoll Ihre Zigaretten.

Nachdem Sie aufgeraucht und die Straße um zwei neue Zigarettenstummel bereichert hatten, betrachtete Laura Ihn eine Weile. Dann nickte sie kurz und richtete folgenschwere Worte an Leo: „Komm lass uns von hier verschwinden! Mein Auto steht gleich um die Ecke.“
„Hast Du viel getrunken?“ erwiderte er.
„Keine Angst. Nur das eine Bier! Habe auch vorher gut gegessen. Eine fettige Pizza. Salami, Pilze und extra Paprika. Ich mags gerne etwas pikanter, weißt Du!“
„Erstaunlich. Ich dachte Frauen achten eher darauf so wenig wie möglich zu essen und schon gar keine fettige Pizza.“
„Hey, soll das eine Beleidigung sein oder ein Kompliment? Aber ich nehme mal an, dass Letzteres zutrifft! Ein Kerl wie Du würde niemals eine Frau beleidigen!“, und bei diesen Worten grinste Sie wie ein kleiner Junge.
„Scheiße, so habe ich das gar nicht gemeint. Wollte ja nur sagen, dass man Dir ..., dass..., ach vergiss es! Lass uns lieber gehen!“
„Na, dann komm Casanova, bevor ich Dir einen Fehdehandschuh ins Gesicht schmeißen muss.“ Mit einem Seufzer zog Laura den Handschuh aus und übergab Ihn Leo.

Der alte weiße Benz war gemütlich. Die roten mit Lammfell veredelten Ledersitze waren zwar etwas durchgesessen, aber trotzdem konnte man sich wunderbar in sie schmiegen. Auf der rechten Seite Ihres Lenkrads hatte Laura ein schwarzes Lederband befestigt, welches mit kleinen weißen und blauen Perlen verziert war. Jedes mal, wenn Sie das Steuer etwas stärker in die Kurve lenkte, erklang ein leises Klicken wenn die Perlen auf Ihre Beine trafen. Ein herrliches Geräusch. Im Hintergrund schnarrte der alte Dieselmotor leise vor sich hin und aus den Lautsprechern erklang ein Chanson nach dem anderen.

Leo fühlte sich wohlig eingelullt, auf dem direkten Weg in eine andere Welt. Er schloss die Augen und ließ alles auf sich wirken. Ihm fiel auf, dass Derartiges in seinem bisherigen Leben eher selten war. Er war immer sehr vorsichtig, ging niemals vorschnell ein Risiko geschweige denn eine Beziehung ein. Alles musste wohl durchdacht sein. Für Ihn stand in Liebesdingen immer im Vordergrund jemanden zu haben, dem er vertrauen konnte, jemanden der Ihn nicht verletzen würde. Und so bestritt er einen großen Teil seines Lebens alleine. Lediglich eine einzige Beziehung konnte er vorweisen. Marie hieß sie und er war schwer verliebt. Doch trotz aller Vorsicht und Prüfung Ihrer Beziehungstauglichkeit, ging Ihre Liaison schnell in die Brüche. Sie trat einen lukrativen Arbeitsplatz in einer anderen Stadt an und vergaß Ihn. Danach wurde er noch misstrauischer und mutierte zum suchenden Einzelgänger, der niemals mit dem zufrieden war, was Ihm von seiner eigenen Emotionalität anvertraut wurde.
Und jetzt saß er da. Neben dieser Frau, die er gar nicht kannte, nichts von Ihr oder Ihrem Leben wusste. Er hätte es wie immer machen sollen: Sie freundlich bis zum Auto begleiten, sich bei Ihr für die nette Unterhaltung bedanken und sich dann schleunigst auf den Weg nach Hause machen sollen.
Warum tat er es nicht? Sie hatte getrunken und irgendwie haftete der anziehende Geruch nach Gefahr an Ihr.
Möglicherweise erkannte er aber auch in Ihr die Chance die eigene Welt - und sei es nur für einen kurzen Moment - zu verlassen und in eine für Ihn vollkommen fremdartigen aber geheimnisvollen Situation einzutauchen. Oder war es ein anderer Grund? Selbst jetzt konnte er es nicht genau sagen!

„Hey, nicht schlafen. Ich will Dir meinen Lieblingsplatz im Ort zeigen.“ Ihre Stimme unterbrach seine Überlegungen.
„Gibt es das hier überhaupt?„Einen Lieblingsplatz?“, fragte er. „Ich bin zwar viel in der Stadt unterwegs, aber ich könnte nicht sagen, dass ich hier jemals einen Ort so schön fand, dass ich dort mehr als 5 Minuten verweilen würde! Na ja, Kneipen sind was anderes, aber das sind ja auch keine „Plätze“ im eigentlichen Sinne.“
„Hey, Mann. Mach Dich nicht lustig über mich.“, erwiderte Laura. „Hast Du überhaupt Augen im Kopf und ein Gefühl für Einzelheiten, die nicht nur Menschen, sondern sogar ganze Stadtviertel schön machen können. Sei nicht so oberflächlich. Versuch Dir lieber erst mal darüber klar zu werden, was Du für Dich als wahre Schönheit definieren würdest!“
,Dich! Ich würde Dich als Maßstab nehmen’ dachte Leo und grinste vor sich hin.

Sie fuhren auf einen Hügel am Stadtrand. Auf der Spitze des Hügels stand einsam ein Spielplatz mit mehreren Spielgeräten. Laura parkte Ihr Auto direkt neben dem Eingang. dann stiegen sie aus und betraten die Spielarena.
Als er an einer Schaukel vorbeiging fiel Leo auf, dass diese Ihre besten Jahre bereits hinter sich hatte. Der Sitz war von vielen kleinen Hintern abgeschubbert, das Stahlgestell von tausenden vollgesabberten kleinen Händen blankgerieben.
Im Vorbeigehen stupste er leicht den Schaukelsitz an. Als dieser sich zu bewegen begann, war kein verrostetes Quietschen zu hören, kein kreischendes Schnarren der Riemen. Ohne einen Laut hob sich der Sitz in den Nachthimmel und begann seinen kurzen schwungvollen Ritt. Und er, er wollte mitreiten. Auch in den Nachthimmel entfliehen, dem Mond ein Stück weit näher sein. Warum war er plötzlich nur so kitschig, so romantisch?
Sie zog Ihn lachend weiter. Zur Wippe. Auch ein altes Modell. Aus einem riesigen Baumstamm bestehend, auf dem problemlos eine ganze Kompanie Kinder Platz gefunden hätte. Wen hat dieser Baumstamm nicht schon alles getragen? Wie viele glückliche Kinder hatten schon sein altes Holzherz erwärmen müssen, Ihm Trost spenden müssen, bei den vielen Erschütterungen die er täglich ertragen musste! Bewundernswert! Und wir Menschen, wir beschweren uns über die wahnsinnig gefährlichen Erschütterungen eines Regentropfens! Unglaublich! Und Leo, Leo wollte sich setzten, den alten Baum bitten noch ein letztes mal die Qualen seiner und Lauras Last zu ertragen.
Aber sie zog Ihn weiter. Auf der obersten Stelle des Hügels stand, inmitten eines Sandkastens, ein Klettergerüst alter Bauart. Es strahlte den Glanz der Siebziger Jahre aus. Mehrere kleine Quadrate bildeten die Form eines Propellerflugzeuges nach! Aber, anstelle der beiden Propeller hing an jedem Flügel ein langes Kletterseil, welches bis an den sandigen Boden reichte. Damit sich die Kinder nicht mit Ihren kleinen Füßchen und Händchen verhedderten war in kurzen Abständen immer ein Brett in das Gerüst eingelassen, welche ein Durchfallen durch die Sprossen verhindern sollten. Ganz oben, im Cockpit, war im Mondschein ein Steuer und eine kleine Instrumententafel aus Holz zu erkennen. Leo konnte sich bildlich vorstellen wie die kleinen Jungen sich von diesem Ort fast schon magisch angezogen fühlen mussten: Ich will erster sein, will Pilot sein. Mein eigenes Flugzeug fliegen. Die anderen können von mir aus mitfliegen, aber ich will der Pilot sein. Also schnell nach oben, immer nur nach oben. Nicht zurück gucken und auf gar kein Fall auf das dumme Geschwätz von Vater oder Mutter hören. Was soll schon passieren, ich bin doch ein Pilot und wenn was passiert, dann fliege ich halt zum nächsten Krankenhaus!

Als Leo mit Ihr im Cockpit saß, wurde Ihm klar in welcher Umgebung er sich befand. Gleich unterhalb des Hügels waren im Dunkel heruntergekommene Hochhäuser, Mietskasernen, schäbige und wirklich gefährliche Hinterhöfe zu erkennen. Ghetto! Hierher fuhren sogar die Taxifahrer nur ungern. Und wenn, dann nur schwerbewaffnet!
Ein sternklarer Himmel beleuchtete das Szenario schaurigschön.

„Weißt Du Leo, ich habe hier einmal gewohnt! Meine Eltern wohnen immer noch hier. Irgendwie haben sie immer von einem Häuschen im Grünen geträumt, aber beide waren häufiger arbeitslos als in Lohn und Brot. Sie haben zwar immer alles versucht, aber mehr als gelegentliche Arbeiten in abgewrackten Arbeitsstellen waren nicht drin. Sie haben sich irgendwann aufgegeben, sind einfach auf der Strecke geblieben! Mutter verzweifelte und wurde depressiv. Also konnte nur noch mein Vater arbeiten gehen, wann immer er eine Möglichkeit hierzu bekam und wann immer es seine Rückenschmerzen zuließen. Weißt Du, er hatte bereits als junger Kerl einen schweren Arbeitsunfall und war seitdem nur noch eingeschränkt arbeitsfähig. Aber glaub mir, ich habe trotzdem wirklich liebe Eltern! Sie haben mich nie geschlagen, haben mir immer geholfen, wenn ich Hilfe brauchte. Sie wollten wohl, dass ich in eine bessere Welt ausbreche! Ich sollte unbedingt das Abitur machen, kannst Du Dir das vorstellen? Ein Abiturient ist wie ein Alien in dieser Gegend. Aber ich habe es trotzdem gemacht. Ich wollte halt einen anderen Weg gehen.
Weißt Du, immer wenn meinen Eltern mal wieder ganz übel zugespielt wurde, dann gingen sie mit mir als kleines Kind zu diesem Spielplatz. Sie sagten mir dann, dass wir jetzt einen kurzen Urlaub machen würden und ich müsse sie zu den vielen schönen Zielen auf dieser Welt fliegen. Bei den ersten beiden Malen kletterte mein Vater noch mit mir in das Cockpit, wo er mir haargenau erklärte, was ich zu tun hätte und welche Instrumente ich als Pilotin bräuchte um sie auch sicher nach Mauritius, Ägypten, Spanien oder Berlin zu fliegen. Bevor ich jedoch fliegen durfte musste ich den Pilotentest machen. Ich sollte es schaffen vom Cockpit aus mindestens 2 Meter weit zu spucken. Dann ging mein Vater nach unten und maß mit zwei Schritten die Entfernung ab. Die Metermarken wurden mit großen Ästen markiert. Mein vierter Versuch war gleich erfolgreich. Vater und Mutter gratulierten mir und erklärten, dass ich jetzt Pilotin wäre und dass sie jetzt immer mit mir fliegen würden.
Das war eine schöne Zeit. Später dann, als meine Eltern keine Kraft mehr zum Fliegen hatten, kam ich hier her, um Antworten auf die ganzen Ungerechtigkeiten meines Lebens zu finden. Na, du weißt schon: warum mag der Kerl nicht mich, sondern meine Freundin und so ein ähnlicher Mist.
Na ja, aber letztendlich hatte ich an diesem Ort immer das Gefühl, dass ich über allem stehen kann, stärker sein kann als alle und fliehen kann, wohin und wann immer es mir passt.
Ja, und das habe ich nicht vergessen. Das Flugzeug gab mir Mut und immer wenn ich jetzt hierher komme, dann weiß ich zwar, dass das Leben dadurch zwar kein Stück besser werden wird, es aber für ein winzigen Moment leichter zu ertragen ist.

Nach der Schule bekam ich ein Stipendium an einer Uni. Ich zog weg und begann Medizin zu studieren.
Und dann, in den ersten Semesterferien lernte ich bei dem Besuch meiner Eltern einen Typ kennen. Ich hätte auf meine Mutter hören sollen, die mich immer vor Ihm gewarnt hatte. Er sei ein Tunichtgut, ein gewalttätiger Saufbold und Junkie, der noch nicht mal dazu in der Lage sei, seinen eigenen Verstand zu finden, da er Ihn längst weggesoffen oder weggespritzt hatte. Mitch hieß er. Mann, war ich blöd und verliebt. Ich bekam wenig später ein Kind von Ihm und musste das Studium abbrechen. Weißt Du, ich meine nicht, dass ein Kind schlecht ist, es war nur der falsche Zeitpunkt. Als ich Ihm gesagt habe, dass ich ein Kind bekomme, verließ er mich sofort. Aber, er war sogar zu faul wegzulaufen. Er blieb hier, nahm sich irgendein ahnungsloses Mädel und, da er bis zum heutigen Tage arbeitslos ist, habe ich auch nie einen Penny von Ihm gesehen!“

„Na Du Schlampe, erzählst Du wieder Horrormärchen über mich? Oh, hat der böse Mitch Dir nichts bezahlt, war der gute Papa nicht da um Dir zu helfen! Fuck! Schlampe! Soll der böse Mitch Dir mal Deinen arroganten Schädel einschlagen? Ja, das wär doch schön, dann hau ich Deinen Scheißschädel, bis Du nicht mehr atmen kannst! Ja, das mach ich. Was guckst Du denn so blöd, Du Arschloch?“

Wie in einem schlechten Traum stand er plötzlich da, vom Mondlicht beschienen und mit ausgebreiteten Armen. Mitten im Sandkasten des Klettergerüstes: Mitch. Der Ex von Laura. Ein wahres Ungeheuer. Groß, breit und muskulös. Sein bulldoggenhafter Kopf mit raspelkurzem Haarschnitt quoll aus einer abgefetzten schwarzen Jacke hervor, unter der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck the world“ zu erkennen war. Seine Augen hatten den stumpfen Glanz eines Menschen mit Volldröhnung. Vermutlich Kokain oder irgendeine andere Droge. Furchteinflößend war aber nicht, dass ein zugedröhnter Junkie wüste Drohungen ausstieß, sondern vielmehr, dass dieser Kerl einen riesigen Baseballschläger in der rechten Hand hielt und zweifelsohne seine Ex-Freundin und alles was sich Ihm in den Weg stellen würde, gnadenlos niedermachen würde. Ein unberechenbarer, höchst gefährlicher Gegner. Und dieses Wesen nannte Leo ein Arschloch. Scheiße! Leo zwängte sich aus dem Cockpit und sprang auf einen der Flügel des Flugzeugs um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Als er Mitchs hasserfüllten Blick auf sich spürte, machte er sich vor Angst fast in die Hosen.

Viel Zeit für Angst blieb Ihm aber nicht, denn Mitch begann nun wie wild das Gerüst mit dem Schläger zu bearbeiten, was Laura zu verzweifelten Schreien trieb: „Mitch! Mitch! Hör auf Mitch! Hör auf Mitch! Bitte!“
„Das hättest Du wohl gerne, was. Schlampe“, und mit einem großen Satz sprang das Ungeheuer auf das Klettergerüst. Auf halber Strecke zum Cockpit verfehlte er eine Sprosse und rutschte ab. Um den Sturz abzufangen ließ er intuitiv den Schläger los, der mit einem lauten „Klong“ im Dunkeln verschwand. Plötzlich blinkte etwas in seiner Hand. Und Leo stellte entsetzt fest, das nun ein Messer den Baseballschläger ersetzte.
Dann ging alles sehr schnell! Mit zwei raschen Kletterbewegungen erreichte Mitch das Cockpit, in dem Laura, panisch um Hilfe schreiend, immer noch wie angewurzelt saß.

„Ey Du Arschloch, das ist mein Cockpit, mein Flugzeug und meine Frau. Verpiss Dich!“ Warum Leo diesen lebensmüden Satz gesagt hatte konnte er im Nachhinein nicht sagen. Aber zweifelsohne genügte es, um das Ungeheuer von Laura abzulenken, welche gerade mit dem Messer traktiert werden sollte. Für einen Sekundenbruchteil stutzte Mitch. Dann grinste er boshaft und sprang mit wenigen Schritten zu seinem neuen Opfer, vor dem er sich wie ein Primat mit seiner vollen Größe aufbaute und Ihn anzischte: “Na Du Pimpf, wer ist hier jetzt der Pilot, häh!“.
Leo konnte Mitchs alkoholisierten Atem riechen und die Mordlust in seinen irren Augen sehen. Scheiße, jetzt kam die Angst wieder. Leos Lippen formten Worte. Er wollte etwas erwidern, Mitch entgegentreten. Sich nicht einfach so in sein Schicksal ergeben. Doch er war wie gelähmt. Dann sah er wie das Ungeheuer langsam und mit verzerrtem Lächeln seinen Arm hob um zum finalen Stoß anzusetzen. Leo schloss die Augen.

„Hey Mitch. Ich hab hier was für Dich!“ schrie es plötzlich grell neben Ihm und die zum rechten Zeitpunkt von der Panik erwachte Laura spuckte aus nächster Nähe in Mitchs Gesicht.
Der am Gesicht des Angreifers herunterperlende Schleim störte nicht nur den Angreifer in seinem Vorhaben, sondern führte auch dazu, dass Leos Überlebenswille wieder geweckt wurde und mit einem kraftvollen Satz sprang er gegen die schwachen Beine des durch den Spucke immer noch irritierten Junkies.
Sie verloren das Gleichgewicht und purzelten beide wie nasse Säcke vom Spielgerüst. Die Landung im Sandkasten war hart und Leo glaubte er würde keine Luft mehr bekommen. Aber er musste, denn schon stand Mitch mit dem Messer in der jetzt blutigen Hand wieder auf. Leo erkannte die sich rasch nähernde Gefahr und wollte wegrennen, kam aber nicht schnell genug auf die Beine. Dann sah er das Messer auf sein Gesicht zurasen. Als die Stirn getroffen wurde schrie er auf vor Schmerz. Mitch hatte ihn erwischt. In Panik stieß er den Angreifer von sich und rannte los, um sich vor einer weiteren Attacke unter dem Flugzeug zu verstecken. Dabei stolperte er über etwa Hartes und fiel lang hin. Da bemerkte er den Baseballschläger zwischen seinen Füßen. Er griff den Schläger, drückte sich wieder vom Boden ab und kam mit wackligen Knien zum Stehen.
Keine Sekunde zu früh. Mitch hatte Ihn mit keuchendem Atem bereits wieder erreicht.
„Jetzt bist Du dran Du Schwein“, schrie Mitch und stieß zu. Leo wich dem Messerstoß gerade noch aus und schlug den Baseballschläger blindlings in die Richtung des Angreifers, wobei er ausrutschte und in Rücklage geriet. Im Fallen konnte er noch sehen, das der Schlag direkt auf die Schläfe von Mitchs Kopf ging. Dann hörte er das Knacken! Und Mitch fiel tot um!

Er konnte sich ab dem Zeitpunkt nicht mehr an alles erinnern, war wie in Trance.
Er sah Laura, wie sie seine verletzte Stirn prüfte und Ihm sagte, dass es sich dabei um keine Schnittwunde handele, die genäht werden müsse.
Als nächstes sah er, wie sie an der toten Hand von Mitch nach einem Puls suchte.
Danach betrachtete Sie Leo liebevoll und sprach zu ihm mit einer sehr zarten Stimme. Er versuchte nicht hinzuhören. Denn das bedeutete ja zu erfahren, was er nicht hören wollte:
‚Bitte Laura, sag nichts. Lass mich einfach nur aufwachen und alles ist so wie es immer war’ ging es durch seinen Kopf.
„...niemals vergessen, was Du für mich getan hast!...“
‚Aber was habe ich verdammt noch mal für Dich getan, nicht weiter reden Laura.’
„...bin alleinstehende Ex-Freundin mit Kind. Ich habe es getan, hörst Du. Gib mir den Schläger. Mir glaubt die Polizei!...“
‚Nein bitte Laura, nicht reden, nimm einfach nur meine Hand und dann gehen wir nach Hause, schlafen und morgen ist ein schöner Tag und nichts ist passiert.’ dachte er. Doch sie hörte nicht auf sein stummes Flehen.
Und er durfte und konnte jetzt nicht mehr weghören.
„...war Notwehr. Du kannst nichts dafür! Er ist tot und er hatte es auch verdient!“
Leo begann zu weinen und Laura umarmte Ihn. Sie gab Ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte Ihm, dass er keine Angst mehr zu haben brauche und er gehen solle, da sie jetzt alles regeln würde. Sie käme schon klar.

Dann konnte er sich nur noch daran erinnern, dass er rannte. Er lief wie ein Besessener ohne Unterlass. Machte kein Halt. Rannte, als ob die Polizei bereits hinter Ihm her wäre.
Ja. Und jetzt saß er da an seinem Küchentisch und rauchte eine Zigarette nach der anderen, während er sich Gedanken darüber macht, wo er in der letzten Nacht wohl lang gelaufen war und wie lange er hierfür gebraucht haben könnte. Er fand keine Antwort auf diese Fragen. Es war aber auch nicht mehr wichtig für Ihn.
Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an einer halbausgetrunkenen Whiskyflasche hängen, die auf seinem Küchentisch neben dem mittlerweile sehr vollen Aschenbecher stand.
„Tja, da stammen meine Kopfschmerzen und die fehlende Erinnerung wohl nicht nur von der Wunde.“ Er schmunzelte über seinen eigenen Scherz, setzte die Flasche zu einem beherzten Schluck an und trank begierig. Dann ging er zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei.

 

Tja Mister Palm,

was soll man also zu deinem Erstlingswerk sagen? Eine kurze gute Nacht Kritik. Habe mich bis zum Ende durchgekämpft, wobei mir irgendwo so übel wurde, wie dem Protagonisten zu Anfang ... ich glaube, es war bei der Szene, wo Mitch am Spielplatz auftaucht.

Das ganze Opus geht ja eigentlich ganz nett los. Sieht man von einigen Längen zu Beginn ab, deinen machohaften Schilderungen der natürlich blonden (grrrr!) Schönheit, so geht alles in Ordnung, bis dein Held die Kneipe verlässt. Ab diesem Moment gleitet die Handlung ins Unrealistische ab und die rührselige Geschichte von der edlen Seele aus dem Ghetto mit den Prolo Eltern, die sich doch durchbeisst zu akademischen Höhen ist an sich schon schwer verdaulich genug.

Dass sie mit einem Widerling noch ein Kind in die Welt setzt ist dann definitiv zuviel des Guten.

Aber so richtig in Form kommst du, als dieses Ekel auftaucht, der alkoholisierte Junkie, der natürlich nachts den Lieblingsspielplatz seiner Ex überprüfen muss, vorsichtshalber ausgerüstet mit riesigem Baseballschläger.

Ich spare mir eine Analyse des weiteren Geschehens ...

Für deine weiteren Beiträge in dieser Community kann ich dir nur den Tipp geben: Arbeite an deinen Charakteren. Wenn Geschichte schon den Anspruch auf Realitätsnähe erheben (warum hast du das Werk unter Gesellschaft gepostet?????) dann gib dir bitte etwas mehr Mühe mit einer realistischen Anlage der Personen.

Als Hausaufgabe könntest du mit einer 5-seitigen Analyse des Begriffs Klischee anfangen ;-).

Nichts für ungut, Kopf hoch, hier kriegt jeder sein Fett ab,


N

 

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