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Der schwarze Engel

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02.09.2004
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Der schwarze Engel

Ich lernte den schwarzen Engel während einer Motorradtour mit meinem Kumpel Stefan kennen. Wir hatten beschlossen, die Junihitze mit Fahrtwind zu vertreiben und fuhren schwitzend unsere Lieblingsstrecke ab. Nach einer Stunde erreichten wir einen Parkplatz, der bei den Motorradfahrern der Gegend sehr beliebt war.
Beim Einbiegen sah ich in einer Ecke einen Schatten, der dort nicht hätte sein dürfen, weil die Sonne ungehindert herunter brannte. Mittendrin stand der schwarze Engel und leuchtete. Stefan lenkte sein Motorrad genau dort hin. "So eine Überraschung, da steht Sandra, die neue Kommilitonin, von der ich Dir erzählt habe, die mit dem kaputten Auspuff", rief er mir dumpf durch seinen Helm zu. Sandra stand neben einem schwarzen Motorrad, trug eine schwarze Lederjacke und Hose, doch das erklärte den Schatten natürlich nicht. Ebenso wenig waren die um ihren Kopf wehenden roten Haare eine Erklärung für das Leuchten, das von ihr ausging und das mich schon zu diesem Zeitpunkt so tief berührte.
Stefan stieg neben ihr ab und begrüßte sie. Sie war der Grund für den kalten Schatten über dem Platz und sie wird immer der Grund für die Wärme in meinem Herzen sein. Genau dort hinein lächelte sie, als ich meinen Helm abnahm, und da wusste ich, dass ich als Einziger den Schatten um sie herum und die Wärme im Inneren ihres Herzens wahrnahm. Ich musste ihr die Bürde des Schattens nehmen, damit sie ungehindert ihre funkelnde Farbenpracht entfalten könnte, die ich nur erahnen konnte, die aber dennoch mein Herz zum Glühen brachte. Sie entfachte Stärke in mir, Poesie und Musik. Der schwarze Engel hatte meine Seele gefangen, und ich wusste, es war gut. "Das ist Peter, der sich mal um Deinen klappernden Auspuff kümmern könnte", sagte Stefan.
Als sich unsere Hände zur Begrüßung reichten, sprangen kleine Blitze über, die nur ich sehen konnte. Nein, sie auch. Sie sah, was ich gesehen hatte.
"Schöne Karre hast Du", sagte ich, meinte jedoch ihr Lächeln.
"Ich weiß", antwortete sie, meinte jedoch die Blitze zwischen uns. Wir brauchten keine Worte - dachte ich damals. Jetzt weiß ich, dass sie nur sehr selten ausdrücken konnte, was in ihr vorging.

Zwei Tage später haben wir uns wieder getroffen, ich zeigte ihr einen einsamen Waldparkplatz, von dem ein kurzer Fußweg zu einer kleinen Lichtung hoch über dem Flusstal führte. Die - wie ich fand - romantische Aussicht interessierte Sandra nicht, sie nahm die Realität anders wahr. In ihrem Schatten fröstelte ich, doch als wir uns mitten auf die Wiese setzten und ich näher an sie heran rückte, entstand durch die Berührung wieder einen Blitz, der mein Frösteln mit einer in dieser Intensität nie gespürten Wärme vertrieb. Motorräder waren keine Sekunde lang mehr der Inhalt unserer Gespräche. Wir erzählten uns unser Leben. Und wir verstanden das Leben des anderen. Wir waren füreinander geschaffen, unsere Seelen glichen sich und waren im Einklang, ich spürte mehr Nähe als je zuvor, und ich wusste, sie spürt das gleiche.
Sandra ließ sich nie fallen, sondern zweifelte ständig, auch an unserer Beziehung. Ich spürte ihre Liebe mehr als dass wir sie gelebt haben. Ich spürte aber auch, dass sie das wusste und mich brauchte. So wurde der Schatten im Lauf der gemeinsamen Monate ein Teil unserer Realität. Wir haben jedoch zu selten darüber gesprochen. Ich brauchte zu lange, um die wahren Ursachen des Schattens zu ergründen. Ehemals war sie ein weißer Engel gewesen, dann war sie tief gefallen, viel zu tief, und ich wusste nicht warum.

Entsprechend tief war unser Fall ein Jahr später. Sie hatte so viel selbst konstruierte Schuld aufgehört und ein derart kompliziertes Gerüst aus Skepsis konstruiert, dass sie daran zerbrechen musste. Meine Hilfe war zu kraftlos oder kam zu spät - oder beides. Ich konnte ihre Zweifel, hinter denen sich weitere Zweifel verbargen, nicht durchdringen. Sie brauchte eine stärkere Ablenkung als eine Beziehung, die für sie eine zu kleine Herausforderung war. Der Teufelskreis begann.
Später, als Sandra in der Entzugsanstalt dahinsiechte, berührte ich oft ein Foto von ihr, der gewohnte Blitz entstand. Noch immer liebte ich sie, noch immer war sie in meinen Augen ein Engel. Sie zwinkerte mir zu und der Schatten über dem Foto wurde etwas heller. Ich schickte ihr alle Energie, die ich hatte. Doch das reichte nicht, ich habe ihr nie das Fliegen beibringen können, habe den Schatten zu wenig aufgehellt.
Denn es gibt keine Engel und keine schwarzen Schatten. Ich konnte ihr nie Energie schicken, ich konnte nichts tun, was ihr wirklich auf Dauer geholfen hatte. Sandra hat ihren letzten Trip nicht überlebt.

Der Sommer ist seit einer Woche zurückgekehrt. Seit Sandras Tod liegt eine drückende Luft über der Stadt. Kein Wind weht, selbst die morgendliche Brise vom Fluss hoch über den Marktplatz genau in mein Zimmer bleibt aus. Das muss ihre Seele sein. Sie trug soviel Wärme in sich, dass es für die ganze Welt gereicht hätte. Doch sie konnte diese Liebe nie in eine Richtung lenken, weil sie nicht wusste, wie stark sie ist. Das wusste nur ich, und ich hatte ihr das nie begreiflich machen können, ich habe mehr in ihr gesehen als sie selbst. Sie hatte sich immer für kalt gehalten. Welche Fehleinschätzung!
Ach, wie ich sie vermisste. Sie hätte in solchen selbstkritischen Phasen immer noch ein paar Fragen mehr gewusst, sie hätte der Kompliziertheit noch ein Problem hinzugefügt, sie hätte an jeder Hoffnung noch etwas auszusetzen gehabt. Meine Melancholie ist so unvollständig ohne sie. Ich habe das Interesse an weißen Engeln verloren, die nie den Schatten gesehen haben. Ich konnte nie wieder weiß werden.
Was war der Unterschied zwischen uns gewesen? Warum hatte ich das Leben überlebt und würde es auch weiterhin überleben? Sie hatte immer die gleichen Fragen gestellt wie ich. Für mich habe ich entweder Antworten gefunden oder gelernt, mit den Fragen zu leben. Nie hatte ich es jedoch geschafft, ihr diesen meinen Weg zu vermitteln.
Seit unserem Fall sitze ich nachts am Fenster und versuche, die Antworten in mir zu finden, nach denen ich lebte. Wieso lebe ich noch, aber sie nicht? Sie nahm das Leben zu ernst und sich selbst nicht ernst genug. Ich habe nicht geschafft, sie zu retten, ich habe sie nicht ernst genug genommen. Jetzt war ich ein schwarzer Engel.

 

Hallo Dream Theater,

du hast hier ein sehr trauriges Thema aufgegriffen. Den Verlust eines geliebten Menschen, dem man nicht zu Helfen vermochte. Die Trauer hast du sehr schön eingefangen.

Weniger gefallen hat mir der Beginn - die erste Begegnung mit Sandra und der Beginn der Beziehung. Diese Schilderungen sind mir ein wenig zu kitschig, sorry. Mir gefällt es besser, wenn man große Gefühle anders ausdrückt, als mit Sätzen wie:

Ich musste ihr die Bürde des Schattens nehmen, damit sie ungehindert ihre funkelnde Farbenpracht entfalten könnte, die ich nur erahnen konnte, die aber dennoch mein Herz zum Glühen brachte

Außerdem hätte ich Sandra besser beschrieben und nicht nur gesagt, dass sie ein Engel mit Schatten ist. Ich hätte Sandra in bestimmten Situationen gezeigt, so dass sich der Leser selbst ein Bild machen kann, wie toll sie ist. Das ist dir jetzt nicht gelungen.

LG
Bella

 

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