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- 23.01.2008
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Der Schwarze See
Für N.
Dunkel lagen die Wasser vor mir - dieser See war anders als die schottischen Lochs, die groß waren, von wilder Schönheit und doch berechenbar. Als meine Augen in der Dunkelheit das Schild mit dem Zeichen für Badeverbot - international ohne ein einziges Wort - erblickten, es mehr erahnten, weil ich wusste, was darauf war, überkam mich doch die Angst. Was tat ich hier?
Ich dachte an Chris, während ich meinen Pullover auszog und meine Haut im Mondlicht schimmerte. Vielleicht war meine Reaktion überzogen gewesen und nur Trotz gegen sein Verhalten. Aber jetzt wollte ich nun einmal hier schwimmen. Er hätte ja mitkommen können, es hätte mir gut gefallen, in der leise vor sich hin schwappenden Dunkelheit seinen Körper zu ertasten...
Sollte er doch im Hotel bleiben, bis er schwarz wurde!
Wir hatten diesen kleinen See vor zwei Tagen entdeckt und da hatte ich schon darin schwimmen wollen. Und die Vorstellung, es bei Nacht zu tun, hatte mich noch mehr gereizt. Chris war schier entsetzt gewesen und hatte nicht schnell genug aus dem Wald weggekonnt. Vielleicht hatte er ja recht gehabt?
War es wirklich nur der Nachthimmel, sich scheinbar über mich allein spannend, der den See so schwarz färbte?
Nein. Keine Ausreden. Mit einem entschlossenen Ruck riss ich mir das letzte Kleidungsstück vom Leib.
Ich hatte vorgehabt, mich einfach ins Wasser zu stürzen, doch jetzt ging ich doch mit kleinen Schritten tiefer und tiefer in das Wasser, das sich seltsam substanzlos anfühlte.
Unsinn.
Nach etwa zwei Metern hatte ich mich vollkommen an die Kälte gewöhnt und das Wasser reichte mir bis an die Schultern.
Bevor ich losschwamm, wollte ich auch mein Gesicht mit dem erfrischenden Nass benetzen, formte die Hände zu einer muschelförmigen Schale, schöpfte ein wenig Wasser, wollte es mit erhobenen Armen über mich fließen lassen- und erschrak.
Klares Mondlicht fiel herab und zeigte deutlich, was ich weder sehen sollte noch wollte. Bei Tage hatte man bis auf den Grund sehen können und ich sollte durch das klare Wasser meine Hände sehen können. Doch das Wasser war schwarz. Schwarze Tropfen perlten von meiner hellen Haut, und unnatürlich langsam keimte Entsezten in mir auf. Was war das für eine Flüssigkeit?!
Einige Augenblicke war ich orientierungslos, dann schwamm ich mit kräftigen Schwimmzügen, die jedoch das Vergessen jeglichen Gelerntens offenbarten, los. Das Ufer, das mir gerade noch so nahe vorgekommen war, schien nicht näher zu kommen. Ich hatte das Gefühl, dass die schwarzen Schatten der hohen Bäume mich in meinem sinnlosen Unterfangen verhöhnten. Ich strampelte wie wild, doch der See verschlang mich!
Einen Moment lang schien die Panik Atem zu holen, denn mit erstaunlicher Klarheit erkannte ich, dass eine Schlingpflanze mich festhielt. Nicht nur das, ihr fester Griff um meinen Knöchel begann mich unerbittlich nach unten zu ziehen.
Jetzt nur nicht in Panik geraten. Ruhig bleiben, rief ich mir in Gedanken zu. Mit größtem Widerstreben - doch es musste sein!- hielt ich den Atem an und tauchte in die schwarzen Fluten, die über mir zusammenschlugen. Es hatte etwas Endgültiges.
Ich konnte nichts sehen, tastete nur nach meinem Fußgelenk, hatte nach einer Weile das Gefühl, die Oberfläche sei weiter weg als zuvor, streckte meinen Körper durch, brauchte Luft - es kam kein Oben!
Sollte ich wegen eines dummen Streites mit Chris hier elendig ertrinken? Wegen meines Trotzes? Was würde er sagen, wenn er mich nie wieder fand? Nur meine ertrunkene Leiche?
Luft, Luft!
Bitte!
Erbarmen!
Bitte!
War die Schwärze um mich herum schon der Tod?
Oder immer noch das schwarze Wasser?
Meine Lungen brannten.
Ich flehte, dass es enden möge.
In meinen Ohren sauste Überdruck.
Ich wollte einatmen,
Auch wenn es das Ende wäre.
Bitte…!
„Hallo“, sagte eine tiefe Stimme. „Du bist wach.“ Ich wunderte mich, wo ich war und was ich hier tat. Ich konnte mich an fürchterliche Albträume von schwarzem Wasser erinnern. Ich wollte meine Augen nicht öffnen, mir war immer noch so kalt...
Ich spürte an der Wärme, dass sich jemand über mich beugte. Eine seidige Haarsträhne wuschte über mein Gesicht. Ich öffnete die Augen. Ich hätte es vielleicht besser gelassen.
Ich blickte direkt in die grünsten Augen, die ich je gesehen hatte. Von dunklen Wimpern umkränzt sahen sie fast aus wie geschminkt. Der Mann, der sich über mich beugte, hatte lange schwarze Haare, ein gutaussehendes Gesicht. Vielmehr wäre es gutaussehend gewesen, wenn es nicht so blass gewesen wäre, dass es fast ein wenig grünlich wirkte.
Der Mann zog sich zurück, seine Nähe - obwohl er mich nicht berührte - und sein Geruch - obwohl er nicht unangenehm war, im Gegenteil - hatten mich fast erdrückt. Jetzt strich er zart mit der Handinnenseite über meine Wange. „Das Fieber ist fort.“, sagte er und anders als Krankenschwestern und Ärzte im Krankenhaus schien es ihn ehrlich zu freuen.
Fieber? Ich versuchte mich aufzurichten, wurde jedoch sofort mit Kopfschmerz bestraft. Immer noch fehlte mir die Erinnerung daran, was geschehen war. Und wo war ich? Und wer war dieser Mann?
„Du hast sicher einige Fragen“, sagte er, nachdem er eine Weile außerhalb meines Gesichtsfeldes Geräusche verursacht hatte. „Zuallererst - mein Name ist Liagoneo. Ich habe dich am Grund des Sees gefunden.“
Am Grund des Sees?
Und mit einem Schlag kam die Erinnerung zurück. Ich war in einem See mit schwarzem Wasser ertrunken! Dennoch - am Grund? Die Strömung hätte mich nach oben treiben sollen. Und wo zur Hölle befand ich mich?
Ich versuchte, etwas zu sagen, doch es ging nicht.
„Versuch es nicht.“, sagte er nur.
Vielleicht war dieser... verdammt, ich konnte mich nicht an seinen Namen erinnern! Vielleicht war dieser Mann ein Engel, nach dem Durchdringen seines grünen Blickes in meine Gedanken zu schließen?
Trotz seiner Worte versuchte ich noch einmal zu sprechen.
Mein Mund öffnete und schloss sich, doch kein Laut drang über meine Lippen. Ich war froh, dass er mir den Rücken zuwandte. Millimeter für Millimeter richtete ich mich auf. Und sah mich um. Sah nichts wirklich Ungewöhnliches. Der Raum war nicht besonders groß. Er war vielleicht ein wenig... mittelalterlich eingerichtet. Die Wände bestanden aus nacktem Sandstein, vielleicht eine der vielen Burgen Schottlands?
Die samtenen Vorhänge waren zugezogen, ich konnte nicht erkennen, ob es Tag oder Nacht war, geschweige denn, etwas von meinem Aufenthaltsort ausmachen.
Dann verließ er den Raum. „Ich bringe dir etwas zu essen.“, hatte er versprochen. „Du musst hungrig sein.“
Ich versuchte, meine wirren Gedanken zu ordnen, doch mir blieb keine Zeit dazu, als schon wieder die Tür aufging. Erwartungsvoll drehte ich den Kopf.
Doch es war nicht der Schöne. Es war eine nicht minder schöne Frau, dennoch erinnerte nichts an ihr an einen Engel. Sie wirkte äußerst normal.
Auch sie musterte mich mit unverhohlener Neugier. „Du bist also Liagoneos Findelkind.“, sagte sie, ein spöttischer Unterton verletzte mich. Auch das Wort ‚Findelkind’ schien mir nicht meiner würdig.
„Dann sieh mal zu, dass er sich gut um dich kümmert, hmm?“ Auch dieser anzügliche Unterton gefiel mir nicht. Sie stellte das Tablett schwungvoll und schmerzhaft auf mir ab. „Ich bin übrigens Brianna.“
Sie schien sich selbst gern reden zu hören, die Brianna. Schließlich hatte ich ja noch kein Wort gesagt, und sie hatte mich auch noch nicht nach meinem Namen gefragt.
Sie ging, und ich nahm mir vor, nicht mehr meinen Retter, den schönen Engel Liagoneo anzuhimmeln, denn erstens war ich mit Chris zusammen, zweitens - und das war enttäuschender - war sie offenbar mit Liagoneo liiert. Ihre Feindseligkeiten waren sicher nur Eifersucht gewesen und in Wirklichkeit war sie sehr nett.
Chris! Wie lange war ich hier? Sicherlich würde er sich Sorgen machen... Ich musste zu ihm, es ging mir doch gut und er wusste es nicht...
In einer zu hastigen Bewegung hatte ich das Tablett vom Bett gefegt und kurz darauf war Liagoneo mit erschrockenem Gesicht ob des Lärms hereingestürzt und fand mich an der Bettkante sitzend, doch Schwindel drückte mich nieder.
„Was ist los?“, fragte er, und der Ausdruck in seinen Augen war so besorgt, dass es mich beschämte. Konnte ein Mensch wirklich so offen sein? Sollte ich ihm misstrauen? Konnte ich es?
Er hockte sich nieder, eine Hand neben mir auf der Bettkante, um die Scherben aufzusammeln, doch stattdessen sah er mich besorgt an. Ich hätte in seinen grünen Augen versinken können. Ich war noch zu sehr außer mir, um ihm in zusammenhängenden Sätzen mein Problem mitteilen zu können.
„Ich... Chris... wie lange bin ich schon hier? Wo bin ich? Er... macht sich Sorgen... muss zu ihm.“ In Liagoneos Augen mischte sich eine solche Trauer, dass ich am liebsten sein Gesicht, das immer noch zu mir aufsah, in beide Hände genommen, es zu mir gezogen und ihn geküsst hätte. Er schwieg lange. Seine Stimme wirkte tiefer als er endlich sprach.
„Du hast drei Tage und Nächte um dein Leben gekämpft, bevor du eben erwacht bist.“ Irgendetwas an seiner Stimme sagte mir, dass das noch längst nicht alles gewesen war. Erneut trat eine Pause ein. Am liebsten hätte ich ihn angeschrieen, weil ich die Anspannung nicht mehr aushielt. Es lag in der Luft.
„Und du kannst nicht mehr zurück. Du kannst zu niemandem zurück.“
„Was?!“
Wieder schwieg Liagoneo, viel zu lange. Es fiel ihm augenscheinlich schwer, es in Worte zu fassen.
Indes überschlugen sich in meinem Kopf die Gedanken. Was sollte das? Wollte er mich für sich behalten? Warum? Als Sklavin? Als Lustsklavin? Er konnte doch nicht so sein...
Schließlich sprach er, stockend und tief: „Für die Welt, aus der du kommst, bist du tot. Sie haben deinen Leichnam am Rande dieses Sees gefunden.“ Ich starrte ihn an. Er fügte sehr leise hinzu: „Und beinah hättest du den Übergang in diese Welt auch nicht überlebt.“
„Nein...“
Ich war nicht überzeugt davon, dass es so war, und ich traute Liagoneo nicht mehr. Der Schönling konnte mir sonst etwas erzählen, ich würde es selbst versuchen. Es musste einen Weg geben.
Er hatte bald, ohne noch etwas auf mein ‚Nein’ zu sagen, mit gesenktem Kopf den Raum verlassen und mir wieder ein schlechtes Gewissen gemacht, weil er wirkte, als würde ich ihm die Schuld daran geben.
Er war auch bis zum Abendessen nicht wieder aufgetaucht. Dass es das Abendessen war, merkte ich daran, dass er mir, als er betreten schweigend das Tablett abholte, „Gute Nacht“ wünschte, das einzige, was er seit seiner Offenbarung gesagt hatte. Es war mir gerade recht so. Ich hatte mich in meiner Einsamkeit wunderbar in Zorn und Verzweiflung gesteigert und wäre am liebsten sofort losgelaufen. Angst jedoch fesselte mich noch eine ganze Weile ans Bett. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich wusste immer noch nicht, wie viel Zeit vergangen sein mochte, aber ich sagte mir, jetzt oder nie.
Als ich aufstand, fiel mir das schwere Leinennachthemd auf die Knöchel. Ich hatte noch gar nicht wirklich daran gedacht, dass ich ja nackt in dem See gewesen war.
Wer mich wohl gefunden, gewaschen und angezogen hatte? Mit klopfendem Herzen dachte ich, dass es Liagoneo gewesen sein könnte...
Auf bloßen Füßen über den kalten Boden schleichend, tapste ich zur Tür. Im düsteren Flur war es still. Rechts konnte ich eine Treppe erahnen, die nach unten führte. Da ich keine Treppe nach oben sehen konnte, ging ich davon aus, dass ich nach unten musste, wenn ich nach draußen wollte. Was, wenn ich mich hier verlief? Hier oder in der Gegend da draußen?
Aber schließlich hatte mir niemand verboten, hinauszugehen.
Ich hatte noch einmal Glück: Direkt neben der Treppe - nach drei Stockwerken abwärts - befand sich eine Tür, die stark an eine Haustür erinnerte. Sie ging sehr schwer auf, doch sie war nicht verschlossen. Mit enormem Kraftaufwand gelang es mir, sie soweit in die Eingangshalle zu ziehen, dass ein Spalt entstand, durch den ich gehen konnte.
Vorsichtig sah ich hinaus. Draußen konnte ich nur Schwärze entdecken. Nichts anderes!
Dennoch nahm ich nach dem ersten Schreck all meinen Mut zusammen und - einmal tief durchatmen - trat hinaus.
Zumindest versuchte ich es. Es war, als wäre ich vor eine Mauer gelaufen. Meine Zehen taten so weh, dass ich beinah aufgeschrieen hätte.
Mehrmals noch, eine kleine Ewigkeit lang, kämpfte ich gegen das Unausweichliche an, bevor ich verzweifelt gen Boden sank. Ich war also gefangen.
Doch war es wirklich Liagoneo, der mich gefangen hielt? Er musste doch hier genauso eingeschlossen sein wie ich...
Schließlich ließ ich meinen Kopf auf die Knie sinken und erlaubte der Finsternis, über mir zusammenzuschlagen wie eine Flutwelle. Ich schlug mit der Faust gegen die rau verputzte Wand, bis die Haut aufgeschürft war,
Lange Zeit saß ich so da, und ich hätte es noch länger getan, wenn nicht mein Hintern von dem kalten Boden und meine Schultern von der Zugluft eiskalt gewesen wären.
Ein letzter Versuch..., dachte ich müde und verzweifelt. Dennoch, das Ergebnis blieb dasselbe. Niedergeschlagen und mit Füßen wie aus Blei begann ich die Stufen wieder empor zu steigen.
Als ich, mich kaum noch auf den Beinen halten könnend, endlich in dem Flur angekommen war, in dem mein Zimmer lag, schreckte mich ein Geräusch aus meinen Gedanken. Ich hatte eine Kerze brennen lassen und die Tür einen Spalt breit aufgelassen, um zurückzufinden. Nun war auch auf der rechten Seite ein sehr schmaler Spalt zu sehen, durch den Licht und Geräusche drangen. Obwohl die Geräusche eigentlich einer solchen Natur waren, dass man sich nicht nähern sollte, sondern das Geschehen mit dem Mantel des Schweigens und des Vergessens bedecken wollte, in meiner Situation musste ich es einfach wissen.
Blasse, leicht grünliche Haut schimmerte auf bronzefarbener. Ein kleiner runder Männerhintern zwischen strammen, hochaufgerichteten Schenkeln. Wohliges Stöhnen. Liagoneos langes Haar verdeckte sowohl sein als auch Briannas Gesicht. Mir war schlecht. Ich wandte mich ab.
Ich fühlte mich von aller Welt verlassen. Ich hatte Liagoneo verzeihen wollen und ich hatte dringend etwas wie einen Freund gebraucht.
Inzwischen war ich schon einige Tage in dem seltsamen Schloss, in dem ständig Nacht zu sein schien. Liagoneo und Brianna waren die einzigen Bewohner und ich zog mich so weit wie ich konnte von ihnen zurück. Ich fühlte mich verraten und betrogen von Liagoneo und noch ärger verhöhnt von Brianna als sie es zuvor getan hatte.
Liagoneo versuchte, mein Schweigen zu brechen und war so süß besorgt um mich, dass es mir fast wieder leid tat, doch die Verletzung war einfach stärker. Und, oh ja, ich gefiel mir darin, mutterseelenallein auf der Welt zu sein.
Am Anfang hatte ich ihn mehrmals angeschrieen, dass ich weg wollte und er mich freilassen müsse. Ich sagte, dass mein Freund nach mir suchen und nicht lockerlassen würde. Doch das sagte ich eher um ihn eifersüchtig zu machen, so sinnlos das auch sein mochte und so halbherzig mein Versuch auch war. Ob Chris überhaupt um mich trauern würde? Wir waren nicht so lange zusammen und wenn ich absolut ehrlich zu mir gewesen wäre, dann hätte ich mir längst eingestehen müssen, dass es eher eine Spaß- und Langeweileaffäre gewesen war. Oder dachte ich das jetzt nur wegen Liagoneo?
Vielleicht hatte er ja Recht, und ich konnte wirklich nicht zurück.
Während Liagoneo weiterhin so freundlich war, dass es fast wehtat, war Brianna ganz eifersüchtige Hausherrin. Sie tat wirklich ihr Bestes, meine Seele tiefer und tiefer in das dornenübersäte Feld der Einsamkeit zu treiben. Sobald Liagoneo nicht dabei war, wurde sie richtiggehend fies. Sie spottete und höhnte.
Mein Körper genas, doch meine Seele driftete immer mehr aus der Reichweite der Menschen, die um mich waren. Und wenn Liagoneo recht hatte, mochten sie die einzigen Wesen sein, die ich noch hatte. Ich hörte kaum zu, wenn sie etwas sagten, ich wollte mich nur noch in mich selbst und meinen hausgemachten Kummer zurückziehen.
Es mochten so drei Tage vergangen sein, seit ich in dieses Haus gespült worden war, und in der Nacht lag ich wieder wach, des Denkens und des Verzweifeltseins müde, mit leerem Kopf and die Decke starrend, wo die sterbende Glut des Feuers Lichtmuster zeichnete. Ich rollte mich ein, wollte schlafen und konnte nicht. Es war, als läge ein Stein in meiner Brust.
Da schallten die klagenden Töne eines Klaviers zu mir herauf. Ich liebte Klaviermusik und ehe ich nachdenken konnte, war ich auf den Beinen und folgte den Tönen; die einzelnen Töne, die sich tief in mir wanden und sich schließlich zu einer einzigen Melodie mit all der Trauer und dem Schmerz in mir verwoben.
Ich fand Liagoneo in einem großen Raum ein Stockwerk tiefer. Er saß mit dem Rücken zu mir an einem großen schwarzglänzenden Flügel, so unendlich tief in seine Melodie versunken, dass sein Oberkörper sich hin und her wiegte, während er spielte. Und die Töne gingen mir tiefer und tiefer, vermochten trotz ihres eigenen Schmerzes zu trösten, meine Seele zu streicheln und... es war als spiele er für mich allein. Ich wollte mich am liebsten an seinen Rücken schmiegen.
Schmerzlich empfand ich das Ende der Melodie, auch wenn seine Stimme, die ‚Guten Abend’ sagte, obwohl es nach der letzten Mahlzeit zu schließen schon weit nach Mitternacht sein musste, mit ihrem Klang eine neue Lawine in mir auslöste.
„Du... du hast wunderschön gespielt... “, stammelte ich. „Ich wollte... ich meine... ich wollte dich nicht...“
Liagoneo unterbrach mich mit einer Geste und bedeutete mir, mich neben ihn auf den Klavierhocker zu setzen.
„Ich kann doch gar nicht...“
„Setz dich doch einfach. Ich möchte nur mit dir reden.“
Es war nicht viel Platz auf dem Hocker, und so saßen wir ziemlich nah, näher als mir lieb war.
„Nun“, begann Liagoneo mit tiefer Stimme. Plötzlich fürchtete ich, dass er mich auf mein Seelenleben der letzten Tage ansprechen würde und ich nicht wüsste was ich sagen sollte. Ohne es zu wollen, legte ich mir eine böse Antwort zurecht.
„Ich habe dir wohl einiges vorenthalten.“, fuhr Liagoneo fort. Aha? Wirklich? Er räusperte sich. War er etwa verlegen? Was kam jetzt? „Ich weiß, dass du es mir nicht geglaubt hast, weil ich die Haustür offen gefunden habe. Aber wir befinden uns wirklich in einer Parallelwelt zu der, aus der du stammst. Brianna ist auch... wie du, aber ich... nun, falls du einen Beweis brauchst...“
Er hob die Hand, die bisher ruhig auf den Tasten des Pianos gelegen hatte, ohne einen Ton anzuschlagen, und spreizte die Finger. Kleine Schwimmhäute befanden sich dazwischen.
„Dir wird sicher schon aufgefallen sein, dass sich der Farbton meiner Haut ein wenig von deinem unterscheidet, und dass... Wie auch immer, ich bin der Wasserkönig“ Er seufzte tief, als wäre das eine schwere Bürde. „Deshalb konntest du auch nicht hinaustreten, du kannst es nicht ohne mich, denn dort draußen ist der Schwarze See. In manchen Nächten ist der in deiner Welt zu sehen, und dort gilt er als verzaubert und verflucht, weil dort schon seit Jahrhunderten in Vollmondnächten Frauen verschwinden... Du brauchst dich meiner nicht zu fürchten.“, sagte er zart und strich über die Gänsehaut an meinen bloßen Oberarmen. Wieder war er so lieb, dass es einem fast das Herz zerriss, weil man selbst nie so lieb sein konnte. „Ich entführe niemanden, und locke nicht. Ich kann die Kräfte des Sees nicht steuern.“
Er sprach noch viel, die meiste Zeit hörte ich zu, in seinen Armen. Er sprach von der Welt um ihn her, von seinem Leben, er verriet mir die Geheimnisse seiner Welt. Und verzaubert lauschte ich.
Irgendwann sagte er: „Es ist nun aber schon reichlich spät geworden.“ Ohne seinen Arm war mir reichlich kalt und ich schauderte. Sofort war der warme Arm wieder da und der Zauber wie ungebrochen. Er strich mit der anderen Hand sein glänzendes schwarzes Haar aus dem Gesicht, dann schlug er ein paar Tasten auf dem Klavier an, wie um der Stille keine Chance zu geben. Dabei war auch sein Schweigen schön. Ich konnte dann seinen Arm um mich herum viel intensiver spüren, in seinen Fingerspitzen schien elektrische Energie zu liegen. Ich sah ihm in die Augen und wollte etwas sagen, und scheinbar hatte er denselben Gedanken gehabt. Plötzlich waren sich unsere Gesichter sehr nah. Ich sah die wohlgeformte Fülle seiner Unterlippe, deren Haut glatt wie Seide glänzte. Ich sah, wie ein Muskel sich darin spannte und dann berührten sie meine. Lange liebkosten seine Lippen meine, bevor zaghaft unsere Zungen ins Spiel kamen...
Der Kuss endete und ich löste mich langsam. „Liagoneo“, sagte ich mit heiserer Stimme. „du bist ein Schuft.“
„Was habe ich falsch gemacht? Habe ich... war ich zu vorschnell?“ Er sah mir direkt in die Augen und ihr intensives Grün schien sich in mich hineinzubrennen.
„Brianna.“, sagte ich vorwurfsvoll. „Ich habe euch gesehen.“
„Brianna.“, wiederholte er mit trauerschwarzer Stimme und seufzte. Dann schwieg er lange, wie es offenbar seine Art war, anscheinend der Versuch, unangenehmen Wahrheiten aus dem Weg zu gehen.
Seine Hand verblieb, wo sie war, an meiner Taille, die Fingerspitzen kraulend auf dem Nachthemd. Er war und blieb ein elender Lump, dennoch konnte ich mich nicht dagegen wehren, genoss wider Willen.
„Brianna“, sagte er schließlich noch einmal. „Wir waren ein Paar, aber jetzt habe ich mich nun mal in dich verliebt. Ich kann nur noch an dich denken, vom ersten Moment an, und ich weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll.“
„Das glaubst du ja selbst nicht!“
„Komm her“, hauchte er. „Ich beweise es dir“ Jeder Widerstand war zwecklos, und so versank ich erneut in seinem Kuss, noch länger, noch tiefer, noch intensiver...
„So ist das also, Liagoneo.“, sagte eine kalte Stimme.
Brianna stand in der Tür. Ihr Gesicht trug einen Ausdruck als würde sie eine Waffe auf uns richten, doch das hatte sie gar nicht nötig. So traf es mich vollkommen warnungslos, als sie im Sekundenbruchteil einen Feuerball beschwor und nach uns warf.
Liagoneo zog mich in einer fließenden Bewegung vom Klavierhocker und mit sich unter den Flügel. Ich witterte Verrat und Betrug, ich fragte mich, was die beiden für ein Spiel mit mir spielten und sah in Liagoneos Gesicht. Doch er war genauso überrascht und schockiert wie ich. Konnte ich ihm vertrauen?
Einen Atemzug später stand das Instrument über uns in lodernden, grellen Flammen.
Mein Körper war immer noch wie gelähmt und wieder war es Liagoneo, der schneller reagierte. Er zog mich unter dem Flügel hervor und stellte sich mit seinem großen Körper vor mich. Er hob die Hände, es wirkte wie eine Friedensgeste, doch ein Strahl heißen Wassers brach aus jeder hervor und löschte sowohl das Klavier als dass er auch Brianna traf, die nun zwar lächerlich, aber nicht verletzt aussah.
„Was soll das, Brianna?“, rief er über den Raum hinweg.
„DU GEHÖRST MIR ALLEIN!“, schrie sie.
Liagoneo schüttelte ruhig den Kopf. „Ich gehöre niemandem.“
Brianna lachte. „Wer mit einem Sukkubus schläft, ist sein Eigentum, solange der es will, Liagoneo. Und ich will dich noch. Komm her!“
„Nein!“
Wieder bewunderte ich Liagoneos Reaktionsschnelle. Auf seinem Gesicht hatte sich doch genauso viel Überraschung gezeigt, wie ich gefühlt hatte. War Brianna wirklich ein Dämon? Wer mit den Händen Feuer werfen konnte...
Wieder schleuderte sie eine Flammenkugel. Liagoneo schubste mich zu Boden und wich ihr selbst aus. Mit wasserspeienden Händen ging er auf sie zu. Plötzlich war jedoch ein Schwert in seiner Hand. Es schimmerte blau wie Wasser und war lang und schlank.
Auch Brianna hatte eine Waffe heraufbeschworen. Ihre Klinge glimmte rot wie Glut und war sehr groß, sodass man kaum glauben konnte, dass eine scheinbar so zierliche Frau es hochheben konnte. Doch sie hielt es in beiden Händen und hielt es hoch über dem Kopf. Sie ließ es auf Liagoneo niedersausen. Ich hielt den Atem an. Er wich aus. Aus der gleichen Bewegung heraus drehte er sich und stach seine Waffe schräg nach oben. Brianna sprang hoch in die Luft. Kaum auf den Füßen, stach sie erneut nach ihm. Liagoneo wich ihr wieder aus und war mit einem Satz rückwärts auf dem brennenden Flügel. Von dort oben stieß er nach Brianna. Sie landete auf dem Rücken, doch ehe er bei ihr sein konnte, war sie wieder auf den Füßen.
Jetzt standen beide Kämpfer breitbeinig voreinander und die Hiebe zwischen ihnen fielen so atemberaubend schnell, das mein Auge ihnen nicht folgen konnte. Alles was ich sah, war rotes und blaues Funken, beinahe als wäre der Raum in das Licht farbiger Blitze getaucht. Lautes Klirren und Krachen folgte dem ungleichen Paar, wohin auch immer sie in atemberaubender Akrobatik auswichen und sprangen.
Liagoneo schlug sich tapfer gegen ihre immer rascher aufeinander folgenden Schläge, doch plötzlich hatte er sein Schwert verloren und fiel zu Boden. Ich hatte gar nicht gesehen, wie schnell es geschehen war.
Brianna setzte sich rittlings auf ihn. Sie zerriss sein Hemd und ihre Finger strichen beinah zart über seine Brust. Doch sie hinterließen Brandwunden. Liagoneos Gesicht verzog sich schmerzlich, und der ließ zischend die Luft aus.
„Das ist erst der Anfang, Liagoneo, du wolltest mich nicht mehr, und dafür wirst du sterben. Genieß es...“ Und ihre Hand wanderte langsam abwärts, eine rot-weiße Spur aus Brandblasen hinter sich her ziehend. Liagoneo zitterte vor Angst.
Mich hingegen schien Brianna, oder wie auch immer sie wirklich hieß, vollkommen vergessen zu haben. Langsam erhob ich mich und immer im toten Winkel der Dämonin bleibend schlich ich näher. Dann war ich bei dem Schwert, das mein Wassermann fallen gelassen hatte. Heikel, es aufzuheben, doch in diesem Moment schrie Liagoneo gellend auf. Hatte Briannas Hand etwa schon ihr Ziel erreicht?
Ich sah, dass sie sich vorgebeugt hatte und ihn auf den Schultern und am Hals küsste.
Ich hatte die Gelegenheit genutzt und das Schwert aufgehoben. Es glühte heiß von den Berührungen mit dem Höllenschwert, doch ich ignorierte die Schmerzen in meiner Hand. Ohne nachzudenken, und ohne zu wissen, woher ich die Kraft nahm, stellte ich mich breitbeinig hin, nahm den Griff in beide Hände und durchbohrte ich die Dämonin. Zunächst fürchtete ich, die Spitze hätte auch das Herz Liagoneos erreicht. Erschüttert über mein Tun und voller Angst, allein hier zu enden, wartete ich mit angehaltenem Atem. Doch dann regte sich etwas unter der leblosen Dämonin. „Das hast du gut gemacht“, flüsterte er atemlos, während er sich hervorkämpfte. Er holte zwei, dreimal tief Luft, dann drehte er seine frühere, verräterische Geliebte auf den Rücken und hielt seine Hände über sie. Wieder kam Wasser heraus, diesmal nicht als Fontäne, sondern als sanfter Regen. . Doch es war kein normales Wasser, denn die Haut der Dämonin zischte und bald war nur noch in Häufchen feuchter Asche von ihr übrig.
Liagoneo zog mich dicht an sich. Jetzt, nachdem alles vorbei war, zitterte ich. Ich fror und drückte mich enger an seinen warmen Körper.
„Ohne dich hätte ich es nie geschafft“, flüsterte er. „Du warst die Kraft, die ich brauchte und ein Geschenk des Himmels.“
Und wir küssten uns, vorsichtig ob der frischen Wunden, bis der Morgen im ewig dunklen Tal des Sees graute.