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Der Schweinesommer
„Was ist das?“
„Das ist eine Futterkiste.“
„Es sieht aus wie ein Sarg.“
„Das ist eine Futterkiste. Die werden so geliefert.“ Endlich fiel der Deckel polternd zu Boden. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Das ist eine große Kiste.“ Sie schielte durch ihren Pony zu ihm empor. „Ja. Wir haben viele Schweine, die brauchen viel zu fressen.“ Er strich über ihren blonden Schopf und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Sie ließ sich zurücksinken und stütze sich mit den Ellenbogen am Boden ab. Viele Schweine brauchen viel Fressen. Und wenn er sagte, dass das eine Futterkiste war, dann war es eine. Sie lächelte und versank wieder in ihre dumpfe Versonnenheit. Von draußen drangen die Geräusche der hungrigen Schweine herein.
Er bemerkte die Veränderung in ihrem Gesicht mit Erleichterung. Er wollte sie nicht in unnötige Aufregung versetzen, doch seit seiner Ankunft war ihm ihr Blick mit leichten Misstrauen gefolgt. Unfähig zu begreifen, doch sehr wohl in der Lage seine Anspannung zu spüren. Das Windspiel an der Verandatür klang leise in einer der seltenen Brisen, die dieser Tage die Trockenheit durchbrachen.
Er ließ den Körper schwer auf den Boden fallen.
„Aua“ kommentierte sie den dumpfen Aufschlag.
„Ach was“ er lächelte ihr freundlich zu. „Das tut dem nicht mehr weh.“ „Nein.“ Sie lachte vergnügt. „Aber vielleicht dem Boden.“ Ihre nackten Füße patschen ein paar Mal auf die Holzdielen. „Nee, dem auch nicht. Du trampelst ja den ganzen Tag auf ihm herum.“ Er zwinkerte ihr zu und sie quietschte in gespielter Empörung. Sie wollte sich auf ihn stürzen, doch seine kräftigen Hände stoppten ihren spielerischen Angriff.
„Jetzt ist nicht die Zeit zum Toben.“ Seine blauen Augen suchten die ihren und blickten sie ernst an. „Wir spielen, wenn ich die Schweine gefüttert habe.“
Der Ausdruck der Verwirrung verschwand von ihrem Gesicht und machte wieder dem üblichen Lächeln Platz. Er muss erst die Schweine füttern. Wir spielen, wenn er die Schweine gefüttert hat.
Sie schaute zu, wie er sich neben den Körper kniete und das große Messer zur Hand nahm.
„Darf ich dir helfen?“ Sein Arm schoss vor und traf sie an der Brust als sie im Begriff war, sich zu ihm herüber zubeugen. „Bleib weg!“ Die Worte klangen harscher, als er beabsichtigt hatte. „Bleib weg.“ wiederholte er ruhiger und mit einem kleinen Lächeln. „Du tust dir noch weh.“ Sie rappelte sich hoch, blieb aber in einigem Abstand sitzen. Sie konnte sich keinen Reim auf sein Verhalten machen, aber er würde schon Recht haben. Er passte auf sie auf und hatte eigentlich immer Recht.
Für einige Zeit herrschte Stille, unterbrochen nur von den Geräuschen der brechenden Gelenke, wenn er das Messer zwischen sie schob und so die Gliedmaßen Stück für Stück vom Körper trennte. „Das Messer nimmst du sonst, um Fleisch zu schneiden.“
„Das hier ist Fleisch.“
„Schweine fressen Fleisch?“
„Schweine fressen, was man ihnen gibt.“ Unwirsch zerrte er an einigen Stofffetzen, die feucht geworden an dem Körper klebten. Es war anstrengend ihn zu zerlegen und die Hitze trug ihr übriges dazu bei. Noch wenn du tot bist, machst du nur Probleme. Er wischte sich die Hände an seinem Shirt ab. Große Schweiflecken hatten sich an Rücken und Brust gebildet. ein gnädiger Luftzug drang herein und brachte abermals das Windspiel zum Klingen. Kühlte seine erhitzte Haut und auch seine Gedanken. Er machte sich wieder an die Arbeit. Hunde bellten.
Bis eben hatte sie ruhig dagesessen, ihren zerstreuten Gedanken nachgehangen, die in ihrem Kopf umherflatterten und sich selten zu einem klaren Bild zusammenfügten. Doch seine plötzliche Bewegung lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. „Wo gehst du hin?“ „Ich hole die Axt.“ „Warum brauchst du die Axt um Schweinefutter zu machen?“ Der Blick in ihre arglosen Augen schmerzte ihn. Die Augen eines Kindes im Gesicht einer jungen Frau. „Das ist besonderes Futter.“ Er wollte sich zur Tür wenden, doch wieder hielt ihn ihre helle Stimme auf: „Warum gibst du ihnen besonderes Futter?“
„Damit...“ Sein Blick glitt auf den Rumpf, der auf den Boden in einer Lache von hellem Blut und Gewebewasser lag. „...die Schweine glücklich sind. Das Futter macht sie glücklich. Macht es dich nicht glücklich, wenn ich dir mal etwas Besonderes schenke?“ „Oh doch!“ Sie lachte, sprang auf die Füße und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Das mag ich besonders, wenn du mir etwas schenkst“ flüsterte sie mit dem Gesicht an seinen Hals gedrückt. Er musste lachen und legte seinerseits die Arme um ihren dünnen Körper. Zerbrechlich. Nein. Zerbrochen. Seine Augen wurden dunkel.
„Setz dich hin und warte auf mich.“ Er wandte sich ab und überquerte mir großen Schritten den in der Sommerhitze fast bewegungslos daliegenden Hof. Sie ließ sich auf die Holzbank fallen und trommelte einen kleinen Rhythmus auf die Tischplatte. Der Sommer gefiel ihr. Es roch so gut und sie konnte mit dem Hund auf den Wiesen spielen. Es war hell und warm ... wenn da nicht manchmal diese Schatten wären. Sie legten sich schwer auf ihre Brust und machten sie zitternd. So ein Schatten war gekommen, als er heute die Futterkiste von seinem Laster in das Haus getragen hatte. War der Schatten aus der Kiste gekommen? Oder von ihm, weil er so seltsam ruhig das Messer geschärft und kaum mit ihr gesprochen hatte?
Nein, nicht von ihm. Er verjagte doch die Schatten, er war es doch, der sie in den Arm nahm und es immer wieder hell machte.
Nachts, wenn die Träume sie holen wollten, kroch sie zum ihm ins Bett. Wenn sie sich an ihren Bruder schmiegte, war die Erinnerung an den Schmerz schon bald vergessen.
Auch seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit ab, als er die Axt von der Halterung an der Wand nahm und sich wieder zum Haus wandte. Die Schatten auf dem Boden waren wie abgezirkelt, die Sonne stand im Zenit, brannte unbarmherzig auf die rauen Pflastersteine. Seine Schritte wirbelten Staub auf, der flirrende Sinnestäuschungen in die Luft zeichnete. Schweiß kitzelte seinen Rücken hinunter. Er ließ ihn an die schwülen Sommer seiner Kindheit denken. Die heißen Nächte, in denen er in seinem Bett gesessen und nicht gewagt hatte, sich den in seine Augen rinnenden Schweiß abzuwischen. Der sich dort mit Tränen vermischte, auf die leichten, weißen Leinen tropfte.
Die Leinen, die kurze Zeit später – sobald die schweren Schritte aus ihrem Zimmer, an seiner Zimmertür vorbei gegangen und nur noch auf der Treppe zu hören waren - den zitternden Körper seiner Schwester bedeckten, die zu ihm kam, um nicht alleine träumen zu müssen.
Seine eigenen schweren Schritte ließen sie von dem Tisch aufschauen. „Da bist du wieder.“ Er erwiderte ihr Lächeln, das so schön wie leer war. „Bleib nun lieber da sitzen, es wird nicht mehr lange dauern.“
Die Muskeln an seinen Armen spannten das T-Shirt, als er die Axt über seinen Kopf schwang. Ein Auto, irgendwo auf der Landstraße, die an dem Hof vorbeiführte, ging quietschend in die Bremsen. Der Schlag war hart und präzise. Er legte die Axt beiseite. Das Windspiel sang eine kleine Melodie, während er den Kopf mit dem Fuß über die Dielen schob. „Bringst du mir den Korb?“ Gehorsam griff sie nach dem großen Weidenkorb unter der Esszimmerbank. Er drehte sich nicht zu ihr um, so trat sie an seine Seite und stellte den Korb ab. Sein Blick ging zum Boden, seine Hände umklammerten einander, dass seine Knöchel weiß wurden. Er schien mit sich zu ringen, gewann den Kampf gegen die Tränen, von denen er nicht sagen konnte, welches Gefühl sie in seine Augen gedrängt hatte. Keinen von ihnen würde dieser Körper da jemals mehr zum weinen bringen.
Noch während dieser Gedanke seinen Kopf durchzog, ließ ihn ein erstickter Schrei herumfahrenden. Sie stand neben den Schädel. Ihre Augen, so blau wie die seinen, in schrecklichem Wiedererkennen aufgerissen. „Das ist...“ „Nein, nein. Schau mich an.“ Mit gezwungener Ruhe drehte er sie an den Schultern zu sich herum. „Ich kenne...“ „Das ist Schweinefutter. Schau her, siehst du nicht die Kiste?“ Sie wandte ihren Blick von dem abgetrennten Kopf zu ihm. „Kein Sarg..?“ „Kein Sarg. Eine besonders große Kiste für besonderes Schweinefutter.“ Die Sekunde, in der sich die Splitter ihres Bewusstseins aus den Tiefen der Verdrängung zu einer Erinnerung zusammengefügt hatten, war vorüber. Was blieb war der Schatten, der den azurblauen Himmel mit alptraumhaftem Schwarz überzog. „Du kleine Närrin.“ Seine Küsse brachten Halt. „Wovor erschreckst du dich? Vor einer Holzkiste. Vor totem Fleisch.“ Sie legte den Kopf an seine Brust. Seine Stärke war nicht bedrohlich. „Das ist vorbei. Nun ist es vorbei.“ Sein Atem kitzelte in ihrem Ohr und ließ die dunkle Schwere lichter werden. Sie löste sich aus seiner Umarmung. „Gehen wir jetzt die Schweine füttern?“ fragte sie, den Blick unbestimmt auf den Hof gerichtet. „Ich möchte dann mit dir spazieren gehen. Auf die Wiesen. Gehen wir? Dann ist Zeit zum Toben. Gehen wir sie füttern? Es wird schon dunkel.“ „Es wird nicht dunkel. Schau doch, die Sonne scheint. Es ist noch nicht Abend.“ Ruckartig drehte sie den Kopf und schaute ihn an. Er konnte den zersetzenden Kampf unter der hauchdünnen Oberfläche ihrer Gedanken erkennen. Sie lachte, es klang wie zerspringendes Glas.
„Oh ja, es ist doch Tag.“ Sie wirbelte um die eigene Achse und blieb mit dem Rücken zu ihm stehen. „Es ist so hell. Ich werde am Gatter auf dich warten?“ Fragend blickte sie über die Schulter. „Ja warte dort. Es wird nicht mehr lange dauern.“
Ohne von ihr unterbrochen zu werden, kam er schnell voran. Es war nicht mehr viel zu tun, das Fleisch türmte sich bald in dem Weidenkorb. Seine Arme schmerzten, als er schließlich die letzten Knochen auf dem Fleisch gerissen und in eine Kiste gestapelt hatte. Den Hunden werden sie noch schmecken. Morgen würde er ein wenig Holz zu verbrennen haben – und einen hässlichen Schädel mit dazu. Ein Lächeln, das erste ehrliche an diesem Tag, umspielte seine Lippen, als er diesen vorerst in einen Sack einwickelte und zurück in den Sarg legte.
Er hievte den Korb über den Zaun und sie lachte vergnügt als die Schweine sich auf ihre Mahlzeit stürzten. „Sie sehen nun schon viel glücklicher aus, findest du nicht?“ „Ja. Es ist die richtige Zeit, um glücklich zu sein.“ Sie schlang die Arme um ihn und legte ihre Stirn an seine. „Ich bin es auch. Was machen wir morgen?“ „Morgen machen wir ein Feuer. Und dann...“ Er betrachtete versonnen den wolkenlose Himmel. „...besuchen wir Mutter. Und füttern die Schweine noch mal.“