Was ist neu

Der Sprung

Mitglied
Beitritt
14.07.2009
Beiträge
5
Zuletzt bearbeitet:

Der Sprung

Wäre doch heute nur übermorgen, dann hätte ein Freitag der Dreizehnte dem Ganzen hier vielleicht sogar einen mystischen Hauch verliehen, aber wie ein guter Freund von mir immer zu sagen pflegte, schert sich das Schicksal einen Dreck drum, was du erwartest.

Abgesehen von einigen wenigen Schicksalsereignissen unbedeutender Natur, die mir in meinem Leben widerfahren waren, hatte ich eigentlich nie etwas vorzuweisen, mit dem ich in einer gemütlichen Kneipenrunde hätte selbst für die Dauer einer Zigarette was erzählen können, was irgendeinen Passivraucher wirklich interessiert hätte.
Irgendwann glaubte ich auch nicht, dass das Schicksal irgendwelche Pläne ausgerechnet für mich, den es bislang so komplett vernachlässigte, schmiedete.
Aber das Schicksal hätte seinen Namen nicht verdient, wenn es nicht genau das täte.

Das stimmt, was die Leute sagen. Ich hatte ja keine Ahnung, wie wahr das ist. Man sagt doch immer, dass wenn einem die letzte Stunde oder Sekunde schlägt, sich das ganze Leben nochmal vor dem geistigen Auge im Zeitraffer abspielt.
Von einigen wenigen Schönheitskorrekturen mal abgesehen, muss ich sagen, dass das ziemlich zutreffend beschrieben wurde. Wie zutreffend das ist, verblüfft sogar mich.

Vermutlich hatte ich davon in einer dieser nachmittäglichen Fernsehreportagen erfahren, wo die Opfer irgendwelcher schweren Verkehrsunfällen oder Verbrechen von ihrem Kampf mit dem Sensenmann berichteten, den sie ja offensichtlich überlebt hatten.
So faszinierend die Vorstellung auch auf mich wirkte, hatte ich immer meine Zweifel, ob die Geschichten auch stimmen. Wie kann es überhaupt möglich sein, dass so viele Erlebnisse binnen so kurzer Zeit wieder erlebt werden können. Ich hatte einfach ein logisches Problem damit und konnte es einfach nicht glauben.

Jetzt, gerade in diesem Augenblick kann ich das allerdings sehr gut erkennen. Es ist einfach eine Frage der Perspektive. Man muss nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein, denke ich.
Hier bin ich nun. Im freien Fall und wenn ich mich nicht irre, befinde ich mich in diesem Augenblick irgendwo auf der Höhe der 24ten oder 23ten Etage und nehme doch alles ganz deutlich wahr.
Die Tatsache, dass ich mein ganzes Leben binnen eines kurzen Moments vorgeführt bekommen habe, hat dieses Mal ausnahmsweise nichts damit zu tun, dass es in meinem Leben nicht viel zu erleben gab. Um ehrlich zu sein, habe ich mich ein Großteil des letzten Augenblicks ziemlich gelangweilt. Ich denke, dass das, was in diesen Trailern abgespielt wird einfach eine Zusammenfassung des vorhandenen Filmmaterials ist. Wenn man was Spannendes findet, dann wird eben das gezeigt und wenn nicht, dann halt das, was man so findet, wie in meinem Fall.

Auch einer dieser Gerüchte vermute ich mal. Denn irgendwann hatte ich gehört, und wenn ich mich recht erinnere, war es sogar mein Vater, der es mir erzählte, dass nämlich der angenehmste aller Selbstmord-Varianten wohl der Sprung aus einem möglichst hohen Gebäude oder Brücke sei, denn vor lauter Panik und Aufregung würde das Herz wohl deutlich vor dem Aufprall zum Stillstand kommen. Dadurch würde der Selbstmörder quasi schon tot auf den Boden aufschlagen und folglich natürlich keinerlei Schmerz verspüren.

Im Gegensatz zu der zweifelhaften Aussage, das ganze Leben spiele sich nochmal ab, war diese Darstellung wiederum ganz akzeptabel und löste keinerlei Skepsis in mir aus.

Doch auch hier muss ich feststellen, dass der von meinem Vater so glaubhaft begründeter Zustand wohl auch eher eine Frage der Perspektive ist, denn im Augenblick verspüre ich nicht die leiseste Empfindung von Panik, ganz im Gegenteil, ich würde sogar behaupten, dass mein Herz ganz ruhig und regelmäßig schlägt.

Abgesehen davon, darf man natürlich nicht vergessen, dass das erstgenannte Erlebnis ja nur von Überlebenden berichtet werden konnte, während für die, von meinem Vater dargebrachte These ja keine glaubwürdigen Zeugen geben könnte. Denn selbst wenn diese nicht durch die Herzattacke hinübergingen, dann auf jeden Fall durch den Aufschlag und demzufolge hätten sie später wohl kaum davon berichten können.

Es ist schon seltsam, wie sehr man doch dazu neigt, ohne einen plausiblen Grund die eine Geschichte zu glauben und die andere nicht.

Ich muss gestehen, dass ich noch nie zuvor in einer solche Situation gesteckt habe. Daher kann ich auch keinerlei Spekulationen zu dem weiteren Verlauf des Prozesses des Absturzes anstellen. Physikalisch betrachtet, müsste ich wohl der Schwerkraft folgend in den kommenden Augenblicken aufprallen, und wie es dann weitergeht, werde ich wohl eher nicht berichten können. Doch gerade habe ich das Gefühl, dass ich Zeit habe. Viel mehr sogar, als ich zu haben glaubte, als ich mich vor Augenblicken entschied zu springen.

Aber ich komme wieder von der eigentlichen Geschichte ab. Ich habe es auch nur deswegen dazwischen geschoben, weil mir das augenblicklich bewusst geworden ist und ich erst einmal meine Empfindungen und Eindrücke ausdrücken wollte, bevor ich sie dann möglicherweise später noch vergesse.

Also gut. Der elfte März also. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich hatte mir so einiges ausgedacht, oder besser gesagt ausgemalt, wie mein Leben sich entwickeln sollte.
Ich kann so ziemlich mit allem bieten, was man sich für sein Leben ausmalt. Auch wenn man überzeugt ist, dass all das nie eintreten wird, hängt man doch an den Träumen und Vorstellungen und will sie nicht aufgeben, bis man sie zumindest zu Ende geträumt hat.
Durch gewisse Umstände, auf die ich noch später näher eingehen werde, hatte ich dieses eine Mal das Gefühl, dass das keiner dieser Träume war, den ich ausgeträumt wie ein gelesenes Buch ins überfüllte Regal meiner unerfüllten Träume stellte, bis sie verstaubten.

Es ist soweit.

 

Hej Dardon,

herzlich willkommen auf kg.de!

Für mich ergibt sich beim Lesen ein großes Problem: Wenn Du eine Geschichte über jemanden schreibst, der gerade aus dem weiß-ich-wievielten Stock springt, dann müsste entweder etwas von diesem Fall zu spüren sein, ein großes Sausen, die Luft, die an den Ohren vorbei rauscht, flatternde Hosenbeine und Hemdsärmel, irgendetwas (oder auch das Gegenteil: eine große Stille, vermutlich sehr viel schwerer zu beschrieben und zu vermitteln) oder ich frage mich als Leser, warum derjenige denn unbedingt fallen muss.

Dafür, dass der Erzähler von sich selber sagt, dass er nichts nennenswertes über sich berichten kann - und das tut er ja auch nicht - und trotz vieler Ungereimtheiten hat mich die Geschichte irgendwie unterhalten. Es liegt wohl an solchen Überlegungen,

Es ist schon seltsam, wie sehr man doch dazu neigt, ohne einen plausiblen Grund die eine Geschichte zu glauben und die andere nicht.

die in Bezug zur Geschichte etwas absurd klingen, aber allen äußeren Umständen zum Trotz ihrer Schlichtheit wegen wirken.

Wie es zum Sprung kommt, erfährt man nicht. Damit nimmst Du dem Leser eine Möglichkeit der Anteilnahme.

Abgesehen von einigen wenigen Schicksalsereignissen unbedeutender Natur, die mir in meinem Leben widerfahren waren, hatte ich eigentlich nie etwas vorzuweisen, mit dem ich in einer gemütlichen Kneipenrunde hätte selbst für die Dauer einer Zigarette was erzählen können, was irgendeinen Passivraucher wirklich interessiert hätte.
Das alles klingt unschön, angefangen mit widerfahren waren über "was erzählen" bis zu den vielen "hätte". Vielleicht kannst Du dieses Monstrum etwas vereinfachen.

Irgendwann glaubte ich auch nicht,
auch nicht mehr?

Aber das Schicksal hätte seinen Namen nicht verdient, wenn es nicht genau das täte.
Und sein/ihr Schicksal war es dann von einem Hochhaus zu springen?

Ich hatte einfach ein logisches Problem
Das hat wohl weniger mit Logik und mehr mit Vorstellungsvermögen zu tun.

Man muss nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein, denke ich.
Wenn man den Tod so sehen kann, Hut ab.

während für die, von meinem Vater dargebrachte These
Komma weg

und demzufolge hätten sie später wohl kaum davon berichten können.
Logisch.

Ich muss gestehen, dass ich noch nie zuvor in einer solche Situation gesteckt habe.
Das wirkt auf mich jetzt etwas unfreiwillig komisch.
Wahrscheinlich nicht.
Vielleicht in einem früheren Leben? :)

Aber ich komme wieder von der eigentlichen Geschichte ab.
Das kann ich mir in diesem Moment nur schwer vorstellen.

Ich kann so ziemlich mit allem bieten, was man sich für sein Leben ausmalt.
"Ich kann alles bieten" oder "ich kann mit allem"...hm, vielleicht "aufwarten"?

Auch wenn man überzeugt ist, dass all das
Was? Der Sprung? Der Film?

auf die ich noch später näher eingehen werde
Wann? Wenn er/sie unten angekommen ist?

ins überfüllte Regal meiner unerfüllten Träume stellte
Ist also dieser Tod eine Erfüllung?

Viele Grüße,
Ane

 

Hi Ane,

vielen Dank erstmal für deine Kommentare und Tipps. Ich werde alles dankend beherzigen.
Das war für mich irgendwie ein ziemlich schwieriges Thema.
Wenn ich mitbekomme, dass jemand Selbstmord begangen hat, habe ich extrem große Schwierigkeiten, es zu verstehen. Dazu liebe ich das Leben zu sehr :)

Selbstmord ist für mich unverständlich. Daher ist das, was ich geschrieben habe ein Versuch das Gefühl zu erzeugen, das in mir durch den Widerspruch zwischen meiner Wahrnehmung des Lebens und der eines Menschen, der sein Leben beendet, entsteht.

Ich habe daher mit Absicht auf Beschreibung und Begründung verzichtet. Bei dem Fall eines Selbstmörders ist die Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten für mich irrelevant. Ich habe das Motiv für den Selbstmord außer Acht gelassen, weil ich persönlich (und das betrifft nur mich) hierfür keinen Grund akzeptieren kann. Er geht mit den Umständen seines Todes um, als wäre es nichts Besonderes und für mich ist es schon was "Besonderes".

Ich kann diese Person nicht verstehen. Vieles was er denkt und beschreibt ist für mich unpassend. Er konzentriert sich auf Dinge, die für mich belanglos sind (zumindest in der Situation, in der er grad steckt) und was aus meiner Sicht das wichtigste ist, dass er offensichtlich die Zeit ganz anders wahrnimmt.
Also ein Versuch, die eigene Verwirrung zu erzeugen, ohne sie zu beschreiben.
...
Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Und ich lerne und lerne und ...und bin selbstverständlich dankbar, wenn ich auch in sprachlicher Hinsicht korrigiert werde.

Viele Grüße
Dardon

 

Hi CentaurusX3,

vielen Dank für deine Hinweise.

Ja du hast Recht. Sie hört sich etwas surrealistisch an. Das Empfinden der Zeit ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Bestandteil des Lebens.
Daher habe ich versucht, dass das Geschehen etwas in Widerspruch steht zu seiner Zeitwahrnehmung. Es ist richtig, dass ihm höchstens einige wenige Sekunden bleiben. Dennoch scheint ihm das nicht bewusst zu sein. Vielmehr scheit er es (ob mit oder ohne Absicht) zu ignorieren.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie er sich in diesen Augenblicken fühlt. Ich kann nicht einmal Vermutungen anstellen.
Wovon ich (fast) überzeugt bin, ist, dass er offensichtlich, mit der Zeit, die ihm im Leben bleiben würde nicht viel anfangen kann.

Was das die Sache mit dem "Freund" angeht, hast du sicher Recht ... noch ein Grund zu leben ... :-)


Viele Grüße

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom