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Der Störenfried

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01.09.2005
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Der Störenfried

Herr und Frau Lenger saßen mit dem Mann von der Entsorgungsgesellschaft im Wohnzimmer und tranken Kaffee. Eigentlich hatten sie noch Kekse auftischen wollen, aber bei näherer Betrachtung schien es den beiden schließlich albern, einen Kammerjäger derart zu hofieren. Die Lengers betrachteten den Mann in seinem Papieroverall und beide bezweifelten sie, dass die Situation ihm ähnlich nahe ging wie ihnen. Wie auch? Es war sein tägliches Geschäft und er war gegenüber seinem Tun abgestumpft wie Ärzte, Polizisten, Feuerwehrleute und andere, die beruflich mit dem Tod zu tun hatten.

Das braune Haar, das dem Mann von der Entsorgungsgesellschaft nur noch über den Ohren und am Hinterkopf wuchs wie ein Lorbeerkranz, war schulterlang und er trug es zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er war so groß, dass er sich beim Eintreten hatte ducken müssen, um sich nicht den Kopf am Türrahmen zu stoßen.

Außerdem war er dürr wie das Verderben, das er verkaufte. Seine blassen Augen lagen tief in den Höhlen, seine unreine Haut spannte sich straff über seinen Wangenknochen wie bei einem Schrumpfkopf. Er leckte sich die Lippen fast eine Minute lang, nachdem er einen Schluck Kaffee genommen und die Tasse zurück auf den gläsernen Wohnzimmertisch gestellt hatte. Sein Blick traf nicht einmal den der Lengers. Er starrte durch sie hindurch und klopfte mit seinen Fingern leise einen Rhythmus auf seinen Knien. Seine dünnen Arme, um die der Papieroverall schlotterte und knisterte, schienen lang genug, dass er sich damit im aufrechten Stand die Fußrücken hätte kratzen können.

„Ist der Preis dann o.k. so?“, fragte er. Die Lengers schraken aus ihrer Hypnose auf, in die sie das Knietrommeln ihres Gastes versetzt hatte.

„Natürlich“, sagte Herr Lenger. „Das war schon alles mit ihrer Firma abgeklärt, Herr …“

„Nennen sie mich ruhig Hans. Gut. Das wäre für mich dann eigentlich die letzte offene Frage gewesen. Wie steht’s bei Ihnen?“

Die Lengers sahen sich an. „Wir sind eigentlich-“

„Werden Sie es schmerzlos machen?“, fiel Frau Lenger ihrem Mann ins Wort.

„Schatz, bitte“, sagte Herr Lenger und ließ seinen Tonfall autoritär und genervt gleichzeitig um eine Oktave in die Tiefe sinken. „Das hatten wir doch alles schon.“

„Die Frage ist natürlich durchaus berechtigt“, sagte Hans. „Die meisten Kunden, wenn sie sich ihrer Störenfriede auch entledigen wollen, erkundigen sich nach den Methoden und danach, ob Schmerzen involviert sind. Das ist völlig normal. So sehr man den Nervtötern auch einen qualvollen Tod wünscht, wenn sie einen nachts wach halten oder man hilflos zusehen muss, wie sie langsam Haus und Garten auseinander nehmen, die meisten Kunden stellen plötzlich fest, dass sie ihr Problem zwar loswerden wollen, aber doch bitte kurz und schmerzfrei. Human. In England gab es die Vierteilung genau so lange, bis bei einer öffentlichen Hinrichtung dieser Art die Anwesenden reihenweise in Ohnmacht fielen. Danach hieß es Rübe ab und fertig.“

Hans lachte, mit geschlossenem Mund und kurzen, heftigen Luftstößen durch die Nase, die Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen. Seine vorderen Schneidezähne kamen dabei zum Vorschein, so dass er aussah wie eine Ratte.

Herr Lenger lachte mit und nickte. Am besorgten Gesichtsausdruck seiner Frau änderte sich nichts.

„Wie machen sie es?“, fragte sie. Herr Lenger kniff ihr ermahnend in den Oberschenkel. Hans nahm einen Schluck Kaffee. Er schlürfte ihn wie ein Greis seine heiße Suppe.

„Nehmen sie Gift?“, hakte Frau Lenger nach.

Hans lächelte und schüttelte den Kopf.

„Ich erdrossele sie“, sagte er.

„Was?“ Frau Lenger sprang von der Couch auf.

„Schatz, nun lass den Mann doch erstmal ausreden“, sagte Herr Lenger.

„Danke.“ Hans nickte Herrn Lenger zu. „Aber mehr hatte ich eigentlich auch gar nicht zu sagen.“

„Erdrosseln.“ Frau Lenger setzte sich wieder hin und schüttelte den Kopf. „Das ist barbarisch. Gibt es keine anderen Methoden?“

„Ich habe auch einen kleinen Käfig, mit dem ich sie lebend hier rausschaffen könnte“, sagte Hans und zuckte die Schultern. „Das könnte sogar billiger werden. Wir würden den von ihnen zu zahlenden Preis selbstverständlich mit der Weitervermittlungsgebühr verrechnen.“

„Weitervermittlung?“, fragte Herr Lenger.

„Es gibt Interessenten, vornehmlich im südostasiatischen Raum aber auch von Seiten der Wissenschaft-“

„Großer Gott!“, rief Frau Lenger aus.

„Schatz, wir sollten das vielleicht nicht gleich diskussionslos vom Tisch fegen“, sagte Herr Lenger. „Die Kostenfrage-“

„So schlimm ist es nicht!“, schrie Frau Lenger. Ihre Stimme brach jetzt und die ersten Tränen hinterließen glänzende Spuren auf ihren Wangen. Herr Lenger legte den Arm um seine Frau und küsste ihre Schläfe.

„Der Krach“, schluchzte sie. „Es ist der Krach, der mich wahnsinnig macht.“

„Ich weiß“, flüsterte Herr Lenger.

Hans musterte die Gesichter seiner Kunden. Jetzt, wo sie ihn nicht mehr anstarrten, war es ihm möglich, in ihre Augen zu sehen.

Er sah denselben halb ausgegorenen Wunsch wie bei fast allen anderen. Den Unwillen zu töten, um die eigene Lebensqualität zu erhöhen. Darum gab es Wurstfabriken und das Militär. Alle wollten Kotelett, aber keiner wollte der Sau den Hals durchschneiden. Alle hatten sie Ratten im Schuppen, alle wollte sie sie loswerden. Aber doch, um Gottes Willen, human!

Hans spürte Ekel im Angesicht so viel undarwinistischer Naturfeindlichkeit. Als er aufstand, vergrub Frau Lenger ihr Gesicht in der Brust ihres Mannes, während ihr Schluchzen heftiger wurde und zu einem Weinkrampf anschwoll. Herr Lenger sah Hans an, als würde er ihn um Rat fragen wollen.

„Die Kosten“, sagte er. Seine Augen waren ausdruckslos wie die einer Puppe. „Die verdammten Kosten.“

„Natürlich“, sagte Hans und tätschelte behutsam Herrn Lengers Schulter. Aus seiner Tasche holte er einen Draht, dessen Enden jeweils um zwei dicke Hölzer gewickelt waren. Er ballte seine langen, dürren Finger zu Fäusten um diese Hölzer und zog den Draht straff. Es gab ein Geräusch, als würde eine Gitarrensaite zerreißen. Herr Lenger zuckte zusammen.

„Also“, sagte der Mann von der Entsorgungsgesellschaft. „Wo ist ihre Tochter jetzt?“

 

Hallo Proof,

sauber geschrieben, ein schöner fieser Happen.
Allerdings war mir auch gleich zu Beginn klar, dass es hier wohl nicht um Ratten gehen wird. Ich ahbe die ganze Zeit auf Nachbarn getippü. DIe Tochter ... nu ja, wird sind ja hier in Horror ;)
Falsch finde ich aber die Erwähnung des kleinen Käfigs. Das ist schon ein bisschen Verrat am Leser. Wie soll in einen kleinen Käfig ein Mensch rein. Diese Fährte sollte raus.

Ansonsten gern gelesen
grüßlichst
weltenläufer

 

Guten,

Marvin:

Welche Eltern akzeptieren bitteschön solch eine grausame Mord-Methode, wenn es ja eben doch deutlich humaner gehen würde?

Good Point. Bringt mich auf die Idee zu einer etwas anderen Pointe, die dann vielleicht auch weniger vorhersehbar ist.

weltenläufer:

Falsch finde ich aber die Erwähnung des kleinen Käfigs.

Ebenfalls bedenkenswert!

Vielen Dank und viele Grüße:

Proof

 

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