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Der Stau

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27.08.2007
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Der Stau

Es war heiß, unerträglich heiß an diesem Juliabend. Er hatte schon den ganzen Tag im Büro gelitten. Die Klimaanlage vermochte ihm kaum Erleichterung zu verschaffen. Sobald er drei Schritte auf der Strasse unternommen hatte, war er wieder schweißgebadet.

Er wusste nur zu genau, wie leicht man sich unter diesen Umständen eine Erkältung zuziehen konnte. Und jegliche Schwächung durfte er sich im Moment absolut nicht leisten. Eigentlich konnte er es sich nie leisten, krank zu sein, aber ganz sicher nicht heute. Heute war ihr Geburtstag. Nicht irgendeiner, nein ihr dreißigster. Seit Wochen hatte sie ihm in den Ohren gelegen, wie wichtig dieser Geburtstag für sie sei und warum sie unbedingt ein völlig überdimensioniertes Gartenfest geben musste, dass ihn einen halben Monatslohn kosten würde. Bei dem Gedanken an die diversen Rechnungen, die Partyservice, Band und der Feinkostladen in Kürze versenden würden seufzte er laut.

Elende Hitze. Er hatte sämtliche Fenster seines Wagens heruntergekurbelt doch der Fahrtwind, irritierte ihn mehr als das er Kühlung brachte.

Verdammt, was fahre ich auch noch immer so eine Schrottkiste. Wäre es nach ihm gegangen hätte er den schäbigen italienischen Kleinwagen längst gegen ein vernünftiges Gefährt eingetauscht. Die „Karre“ wie er sein Auto nur nannte, war ein Relikt aus seiner Studentenzeit. Aber seine Frau hatte darauf bestanden, statt eines schnittigen Sportwagens einen Kombi zu kaufen. Das sei besser wegen der Kinder und so.

„Wegen der Kinder, das ich nicht lache“, schnaufte er. Ihre Tochter war gerade einmal 1 Jahr alt und sicherlich hätte sie keine Einwände gegen ein ordentliches Auto gehabt. Die Erinnerung an die fruchtlosen Diskussionen, ließ in ihm wieder Ärger aufwallen. Er hatte argumentiert, dass er in seiner Stellung an gewisse Statussymbole gebunden sei, wie wichtig es für seine Karriere sei, dass man ihn ernst nähme und dass es ihm peinlich sei seine „Karre“ jeden Tag möglichst weit hinten auf dem büroeigenem Parkplatz parken zu müssen und so weiter.
Vergeblich. Natürlich hatte sie ihm am Ende wieder ihren Willen aufgezwungen.

Er wurde in seinen Gedanken von unsäglichem Sprechgesang unterbrochen, der ihm aus dem Autoradio entgegenplärrte. Verdammte Wildenmusik! Fahrig fummelte er am Sendersuchknopf herum. Eines der Dinge die ihn schon immer maßlos geärgert hatten, war die Tatsache, dass sämtliche Radiosender unfähig zu sein schienen die Musik zu spielen, die er mochte. Immer wenn er ein schönes Lied fand konnte er davon ausgehen, das selbigem sofort idiotischer Lärm folgte.

Im Sekundentakt wechselte er die Sender, nur Werbung oder uninteressantes Gedudel. Da endlich. Die wohlbekannten Klänge von „Hotel California“ erreichten sein gereiztes Ohr und besänftigten ihn sogleich. Er sackte tiefer in den Sitz, begann den Takt mit dem linken Zeigefinger auf das Lenkrad zu klopfen und wartete auf den Refrain, um mit einstimmen zu können. Die Strophen kannte er nicht auswendig.

Der Tag war wie so oft eine einzige Katastrophe gewesen. Ein Freitag. Dazu noch ein langes Wochenende, das bedeutete ein nur notdürftig besetztes Büro und das hieß natürlich automatisch Mehrarbeit für diejenigen, die nicht rechtzeitig Urlaub genommen hatten. Er hatte heute kaum Kunden erreichen können und die Hitze schien alle Arbeitsprozesse zusätzlich zu verlangsamen. Dann hatte sie auch noch angerufen. Er solle ja nicht zu spät kommen, die ersten Gäste würden vermutlich schon gegen neun erscheinen. Ob er wohl noch Wegwerfaschenbecher besorgen könne, davon habe der Partyservice nicht genug mitgebracht.

Er hatte sich sehr beherrschen müssen, um sie am Telefon nicht anzuschreien, was sie sich eigentlich denke, was er den ganzen Tag mache und dass sie sich ihre
Scheißaschenbecher sonst wohin stecken könne. Mit knirschenden Zähnen hatte er ihr stattdessen erklärt, dass er dazu keine Gelegenheit mehr haben werde und das er froh sein könne um viertel vor neun überhaupt zu hause zu sein.

Ein Blick auf die Autouhr versicherte ihm, dass er noch gut in der Zeit lag. Es war jetzt kurz vor acht und in wenigen Kilometern kam auch schon die Ausfahrt, die er nehmen musste.

Vielleicht kann ich schon um halb neun da sein, spekulierte er.

Im letzten Augenblick sah er das Warnblicklicht des Fahrzeuges vor ihm aufblitzen. Er musste voll auf die Bremse treten und konnte von Glück sagen, dass niemand dicht hinter ihm fuhr. Sein Herz machte in solchen Situationen immer einen kleinen Hüpfer, aber seine Geistesgegenwart verließ ihn nie. Noch bevor er realisiert hatte, dass er auf ein Stauende zuhielt, hatte er schon sein eigenes Warnblinklicht eingeschaltet. Es kostete ihn nur wenige Sekunden und er hatte sich in die Situation eingefunden.
Sie war nicht neu für ihn oder für irgendeinen regelmäßigen Autobenutzer. Ein Stau, Freitagabend um acht Uhr. Sofort wallte der Zorn in ihm hoch.

Nein nein nein, das ist jetzt nicht wahr, warum zur Hölle ist jetzt hier ein Stau. Der Berufsverkehr müsste doch eigentlich schon lange durch sein.

Er seufzte zum wiederholten Mal. Es half nichts. Wahrscheinlich nur eine Baustelle. Er hatte fünfzehn Minuten Polster länger sollte das hier nicht dauern. Die Autobahn war an dieser Stelle zweispurig und er fuhr, oder besser stand auf der linken Spur. Natürlich war zwei Fahrzeuge vor ihm ein großer Lastwagen, der die Sicht auf alles, was weiter vorne lag, völlig blockierte. Auf diese Weise konnte er nicht einschätzen wie lange der Stau sein könnte. Schicksalsergeben suchte er den Verkehrssender im Autoradio. Immer fünf Minuten nach jeder vollen Stunde kamen bekanntlich die Staumeldungen, vielleicht würden die ihm Klarheit verschaffen.

Er lauschte den Nachrichten und hörte eigentlich nicht zu. Es ging jetzt nur noch schrittweise voran. Bei den Fahrern in den benachbarten Fahrzeugen schienen die Nerven auch reichlich blank zu liegen. Neben ihm zuckelte ein alter Audi, sein Chauffeur ebenfalls nicht mehr jung und vor allem unglaublich fett. Der muss schwitzen wie ein Schwein, mutmaßte er und wischte sich selber die Tropfen von der Stirn.

Verdammt warum habe ich hier drinnen auch keine Klimaanlage. Der spärliche Kühlungseffekt der offenen Fenster war bei einem Tempo von fünfzehn Stundenkilometern gleich null. Im Gegenteil alles, was zu ihm durch die Öffnungen drang waren Autoabgase. Er wägte ab, ob er die Fenster ganz schließen sollte aber er befürchtete dann völlig in seinem heißen Wagen zu verenden.

Sein Gedankengang riss jäh ab, als aus dem Radio der bekannte unangenehme Jingle ertönte, der den Beginn der Verkehrsübersicht einläutet. Eine monotone Männerstimme verlas einige Staumeldungen, immer eingeleitet durch die exakte Autobahnbezeichnung. Auf diese Weise konnte er die ersten Meldungen ignorieren, da die Autobahn auf der er sich befand noch ziemlich neu und daher mit einer hohen Nummer versehen war.

Eigentlich praktisch, doch jetzt halt, das ist meine Autobahn, fuhr es ihm durch den Kopf und er stellte den Ton lauter.

„… kam es zu einem schweren Unfall, als ein Lastwagen aus bisher ungeklärten Gründen mit einem PKW zusammenstieß, unbestätigten Berichten zufolge soll es Schwerverletzte oder sogar Tote geben. Die Einsatzkräfte sind bemüht den Verkehr umzulenken, es ist aber mit erheblichen Verzögerungen zu rechnen. Wir empfehlen Ihnen daher folgende Umleitung…“

„Scheiße“, entfuhr es ihm laut, der für ihn irrelevanten Umleitungsempfehlung schenkte er keinerlei Beachtung mehr.

„Scheiße Verflucht, Nein, nein nein“, schrie beinahe außer sich. Die Fahrer der angrenzenden Wagen starrten ihn bereits mit gering schätzendem Erstaunen an. Dann fing er sich wieder, er war oft genug auf der Strasse unterwegs, um sich über die Tragweite dieser Nachricht keine Illusionen zu machen.

Das konnte Stunden dauern, er würde zu spät zum Geburtstagsfest seiner Frau erscheinen, dazu noch stinkend und völlig verschwitzt und mit Verständnis brauchte er auch nicht zu rechnen. Resigniert zog er sich die Sonnenbrille von der Nase und rieb sich mit der rechten Hand über Augen und Nasenwurzel. Oh Mann…

Das Hupen hinter ihm ließ ihn aufschrecken. Ein rascher Blick in den Rückspiegel zeigte ihm einen vielleicht zwanzigjährigen Halbstarken in einem vermutlich getunten Golf GTI der wütend unverschämte Gesten machte. Dann erst verstand er und Verschimpfungen brummelnd fuhr er an. Während seiner kurzen Auszeit hatte sich der Verkehr vielleicht 20 Meter weiter bewegt. Kein Grund für so ein Theater, ärgerte er sich.

Als der erste Zorn verflogen war begann er wieder klar zu denken. Was konnte er tun? Ausweichroute? Kam für ihn nicht mehr in Frage zwischen seinem jetzigen Standort und seiner Zielausfahrt ergaben sich keine Alternativen mehr. Auf die Seitenspur drängeln und versuchen so die Ausfahrt zu erreichen? Eine schlechte Idee, der Unfall war laut Verkehrsnachrichten noch vor seiner Ausfahrt, dementsprechend würde die Polizei ihn sehen, anhalten und sicher verwarnen. An so einem Pechtag sollte er das Risiko nicht eingehen. Davon abgesehen befand er sich noch immer auf der linken Spur und momentan glaubte er kaum, dass ihn jemand rechts einscheren lassen würde. Es half nichts, er musste sie anrufen und ihr bescheid geben. Er fummelte sein Mobiltelefon aus der Innentasche des Jacketts, welches neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Per Kurzwahl rief er seinen eigenen Festnetzanschluss an. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal, dann ging jemand ran. Eine Frauenstimme, aber nicht die seiner Frau, sondern die der Putzfrau.

„Ja guten Abend Frau Bergmann ich bin’s. Hören Sie ist meine Frau in der Nähe?“

Schweigend lauschte er ihrer Antwort.

„Nein nicht? Die ist noch einkaufen, ach so ja die Aschenbecher, jaja ich weiß.“

„Hmmm, äh sagen Sie ihr doch bitte, dass ich gerade furchtbar im Stau stecke und mich vermutlich verspäten werde.“


„Hören Sie ich WEISS wie spät es ist, aber hier ist ein Laster verunglückt und mein Auto kann leider nicht fliegen!“

Mittlerweile hatte er größte Mühe seine Putzfrau nicht ebenfalls laut anzuschreien, der zwecklose Versuch, seine Situation zu erklären reizte ihn nur noch mehr.

„Jaja ich versuchs jetzt bei ihr auf dem Handy, ja ist gut, ja sagen Sie ihr das, hören Sie, ich muss jetzt Schluss machen, der Verkehr“, log er, bemüht die Nervensäge am anderen Ende der Leitung zum Schweigen zu bringen.

Am besten gleich für immer, dachte er grimmig als er sein Telefon vom Ohr nahm und die Mobilnummer seiner Frau anwählte. Er ließ es klingeln doch dieses Mal nahm niemand nach drei Freizeichen ab. Sie nahm gar nicht ab.

„Oh Verdammt, warum hast Du eigentlich ein Scheißhandy wenn Du es nie mitnimmst“, zischte er.

Dann ertönte die Mailboxansage seiner Frau:

„Leider kann ich Ihren Anruf im Moment nicht persönlich entgegen nehmen“ Frustriert sagte er den Rest der Ansage auswendig auf, ihm waren überlange Anrufbeantwortersprüche schon immer ein Gräuel gewesen. „…ich rufe Sie dann gerne zurück“ äffte er ihre hohe Stimme nach.

Endlich der erlösende Signalton:

„Du hör mal Schatz, ich bin’s, ich bin noch auf der Autobahn und steh in einem Riesenstau. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich hier noch festsitze. Rechne bitte damit, dass ich zu spät komme.“

Er konnte sich den Wutausbruch seiner Frau lebhaft vorstellen, wenn sie das hören würde. Aber was sollte er denn machen, er hatte sich das auch nicht ausgesucht.

Es war mittlerweile viertel nach acht. Ungefähr jetzt würde seine Frau nach hause kommen, dann würde Frau Bergmann hysterisch auf sie einreden, beide würden sich furchtbar über ihn aufregen und dann würde sie ihn anrufen um ihn anzuschreien. Verstohlen blickte er auf das Mobiltelefon das unschuldig neben ihm lag. Sekündlich rechnete er damit, dass es läuten würde und er spielte sogar kurz mit dem Gedanken es auszuschalten um ihren Schimpftiraden zu entgehen.

Doch einstweilen blieb er verschont. Das verbesserte seine Laune allerdings keineswegs. Im Gegenteil jetzt wo er etwas zur Ruhe gekommen war begann er erneut mit seinem unglücklichen Geschick zu hadern.

Warum ich, warum immer ich. Immer passiert mir so was. Warum muss dieser Scheiß-PKW auch den verdammten Laster schneiden.

Obwohl ihm eigentlich die exakten Informationen fehlten, konnte er sich genau vorstellen was passiert war:
Ein Lkw auf der linken Spur; irgend so ein hirnloser Jugendlicher, in der Art wie der hinter ihm, dem das nicht schnell genug ging, wollte dann bestimmt rechts überholen. Der Laster hat ihn im Winkel nicht gesehen und – Wumms.

Und ich steck hier in der Scheiße.

Das Schicksal war wirklich verdammt ungerecht. Wie er diesen Vollidioten hasste, der ihm das eingebrockt hatte. Ja das war ein gutes Gefühl, das erste seit Stunden. Er begann den imaginären Raser richtiggehend zu hassen und trotz seines ganzen Ärgers stieg langsam Schadenfreude in ihm auf.
Das passiert dir recht Du Rotzlöffel, Du wirst zukünftig keine Strassen mehr unsicher machen.

Bei diesem Gedanken umspielte ein Grinsen seine Lippen. Doch dieses kurze Hochgefühl hielt nicht lange an. Die Uhr tickte unerbittlich und es ging immer noch nur im Schneckentempo voran. Obwohl es bald halb neun sein würde, hatte die Hitze kaum abgenommen.

Die Schweißflecke unter seinen Armen reichten mittlerweile fast bis zur Hüfte. Fahrig nestelte er an seinem Krawattenknoten und öffnete die ersten beiden Knöpfe seines Hemdes. Sein Rücken klebte regelrecht an der Sitzlehne und die Kunststofffläche an der Wagentür hatte sich derartig aufgeheizt, dass er seinen linken Arm nicht länger auf ihr ablegen konnte. Der Sauerstoffgehalt wurde durch die stinkenden Abgase zunehmend schlechter und die Luft flimmerte vor seinen Augen, da wo die Pestilenz aus dem Auspuff des Wagens vor ihm trat. Das trockene Gefühl in seiner Kehle wurde zur Qual, er hatte unglaublichen Durst.

Halt; hatte er nicht noch eine kleine Flasche Cola im Handschuhfach? Er segnete seine eigene Vergesslichkeit, die ihm jetzt diese willkommene Überraschung präsentierte. Sofort begann er sein Handschuhfach zu durchwühlen. Achtlos ließ er diverse Papiere in den Beifahrerfußraum fallen. Da tatsächlich. Erleichtert zog er eine kleine Flasche hervor. Die Temperatur der klebrigen Flüssigkeit musste kurz vor dem Siedepunkt stehen, doch das war ihm egal. Hauptsache er hatte etwas zu trinken. Um nicht wieder den Missmut der Wagen hinter ihm auf sich zu ziehen klemmte er das Lenkrad zwischen die Knie und fuhr freihändig weiter.

Im ersten Gang bei dem geringen Tempo ist das wohl verantwortbar. Er hatte gerade die Flasche geöffnet und gierig an seinen Mund gesetzt als er aus dem Augenwinkel sah, wie ein weißer Kleinbus plötzlich auf seine Spur scherte. Mit einem lauten Fluch riss er das Lenkrad nach links und verhinderte so in letzter Sekunde ein Zusammenstoßen. Er hatte die Flasche zwar noch auf den Beifahrersitz stellen können, allerdings nicht ausreichend stabil. Die ruckartige Bewegung des Fahrzeuges brachte die noch offene Flasche zum Umkippen und ihr Inhalt ergoss sich über das Mobiltelefon und das Jackett. Bei dem Anblick traten ihm Tränen des Zorns in die Augen. Frustriert hupte er und verfluchte den Fahrer vor ihm. Der erwiderte seine obszönen Gesten und fluchte ebenfalls. Nun stimmten auch die Wagen vor und hinter ihnen in das Hupkonzert ein.
Eine wüste Kakophonie von Misslauten dröhnte über die Autobahn. Vor allem das tiefe Schiffshornartige Hupen der Lastwagen machte den Lärm unerträglich. Ihm wurde klar, dass die anderen Autofahrer ähnlich litten wie er.

Und alles nur, weil irgend so ein Arschloch besonders schnell sein wollte, resignierte er zähneknirschend und der Groll gegen den unbekannten Unfallverursacher schwoll wieder in ihm wieder an. Seine Hände verkrampften ihren Griff um das Lenkrad, bis seine Knöchel weiß waren und die Sehnen an seinen Unterarmen hervortraten. Er atmete schwerer und lockerte seinen Würgegriff erst, als seine Finger zu schmerzen begannen.
Die Anspannung wich aus seinem Körper und er fühlte sich etwas erleichtert.
Missmutig fügte er sich in die Unabänderlichkeit seines Schicksals.

Währenddessen zogen die Minuten dahin und die Blechlawine wälzte sich weiter langsam aber stetig über den dampfenden Asphalt. Endlich spürte er ein Absinken der Temperatur obwohl die Dämmerung noch weit entfernt war.

Ein Blick auf die Uhr: Kurz nach neun. Seine just gewonnene Sicherheit drohte wieder zu verfliegen bei dem Gedanken, dass die ersten Gäste seiner Frau gerade durch seinen Garten flanierten und sicher nach ihm fragen würden. Doch bevor er darüber weiter grübeln konnte wurde seine Aufmerksamkeit durch ein blaues Flackern irgendwo vor ihm abgelenkt.
Seine erste Vermutung bestätigte sich rasch, das Flackern stammte von dem Blaulicht diverser Feuerwehr- und Polizeifahrzeuge.

Er hatte die Unfallstelle fast erreicht. Der Verkehr wurde nun auf die rechte Spur umgelenkt und er musste sich zwischen zwei andere Fahrzeuge quetschen. Aber es schien so, als hätten sich die anderen Fahrer auch beruhigt und wären beinahe so etwas wie eine solidarische Leidensgemeinschaft geworden. Das Umsortieren ging ohne Hupen und Fluchen von statten, sogar die wenigen LKW, die auf der linken Spur gehangen hatten, konnten anstandslos einscheren.

Erleichtert atmete er aus. Unterm Strich war es ja gar nicht so schlimm gewesen. Gut er war zu spät, aber das Gros der Gäste würde sicher nicht vor zehn kommen. Bis dahin konnte er mit etwas Glück frisch geduscht und umgezogen sein. Er lächelte über seinen Jähzornsanfall, der ihm nun doch etwas albern erschien.
Es ist halt einiges zusammen gekommen, verzieh er sich selbst seine Unbeherrschtheit.

Mittlerweile konnte er die Unfallstelle genauer ausmachen. Ein großer schwarzer Lastwagen blockierte die linke Spur. Die Leitplanke war völlig zerfetzt. Ebenso wie der PKW, dem sie alle dieses Elend zu verdanken hatten. Der Wagen war zwar ein Totalschaden aber er konnte zu seinem Erstaunen doch noch feststellen, dass es wohl kein Sportwagen oder hochgetunter Flitzer gewesen war, wie er es sich eigentlich ausgemalt hatte.

Inzwischen war er fast neben dem Unfallwagen. Er runzelte die Stirn und betrachtete ihn genauer.
Dann fiel sein Blick auf einen Leichenwagen der bisher von den anderen Einsatzfahrzeugen vor seiner Sicht abgeschirmt gewesen war. Er konnte gerade noch sehen, wie der Sarg mit der Leiche seiner Frau im Inneren des Wagens verschwand.

 

Tag, noch einmal.
Diese Geschichte hat mir bedeutend besser gefallen als deine andere.
Allerdings hätte ich doch etwas zu bekritteln: Wo es der anderen Story an Details mangelt, herrscht hier eine Überfülle. Klar: So ein Stau lädt nicht gerade zu Actionsequenzen ein, aber gleich den Wagen steckt auch der Text fest und tritt fast auf der Stelle.
Kurzum: Da passiert einfach nichts, die Situation ist statisch. Wenn ich mich mal in die Rolle des Autors versetze, hätte ich die Story wahrscheinlich gestrafft und für Abwechslung gesorgt, indem der Protagonist zum Beispiel die anderen Autofahrer beobachtet, Zeuge eines Streits wird, was ihn wiederum an seine eigene Ehe erinnert, etc.
Der Schluss kommt einigermaßen überraschend, ohne jedoch eine frische Pointe ins Spiel zu bringen - das wäre aber auch zuviel verlangt.
Ein kleines Problem hätte ich mit dem Schlusssatz:

Er konnte gerade noch sehen, wie der Sarg mit der Leiche seiner Frau im Inneren des Wagens verschwand.

Nachdem der Sarg mit Sicherheit geschlossen sein würde, könnte er unmöglich sehen, wer darin liegt. Das heißt, der Erzähler nimmt eine zukünftige Perspektive ein, was sich für mich ein bisschen merkwürdig liest. Tatsächlich würde der Mann von der Polizei oder sonst jemandem von dem Unfall erfahren.

Was mir noch aufgefallen ist: Der Dialog mit der Haushälterin wird wie in Filmen geführt. Der Protagonist wiederholt für den Zuschauer, was der Gesprächspartner soeben gesagt hat, also: "Was sagst du? Er ist noch nicht zu Hause? Ja, okay, ich rufe dann Doktor Stefan Frank an. Ja, seine Nummer habe ich im Adressbuch."
Ich hätte da keine Hemmungen, den Dialog in seiner Gänze aufzuschreiben.

Fazit: Recht ordentlich, aber ein bisschen zu ausführlich geraten.


Noch ein paar Anmerkungen:

„Hören Sie ich WEISS wie spät es ist, aber hier ist ein Laster verunglückt und mein Auto kann leider nicht fliegen!“

Nach "Sie" ein Komma oder Doppelpunkt. Meiner Ansicht nach ist es auch nicht nötig, das "weiß" groß zu schreiben.

Ungefähr jetzt würde seine Frau nach hause kommen

"Hause" groß.

Die Schweißflecke unter seinen Armen

Da fehlt ein "n".

Das passiert dir recht Du Rotzlöffel, Du wirst zukünftig keine Strassen mehr unsicher machen.

Im Prosatext wird "du" klein geschrieben.

und der Groll gegen den unbekannten Unfallverursacher schwoll wieder in ihm wieder an.

Wider das wieder. ;)

 

Hi Rainer,

diese Geschichte schlummerte vier Jahre bei mir auf der Festplatte bis ich mit kg.de endlich eine Möglichkeit gefunden habe, etwas mit ihr anzufangen. Ich habe sie zwar massiv überarbeitet aber würde ich sie heute neu schreiben, sähe sie mit Sicherheit deutlich anders (kürzer) aus.
Trotzdem habe ich mich bewusst für den zähen und spannungsarmen Handlungsverlauf entschieden. Der soll den Leser möglichst selber in die Stimmung versetzen, die man in einem Stau entwickelt. Das ist natürlich in sofern problematisch, als dass der Leser schnell keine Lust mehr hat, weswegen ich ihn sprachlich so an die Geschichte fesseln muss, dass er ihr trotzdem weiter folgt.

Einige Kürzungen im Mittelteil täten der Story dennoch gut - da stimme ich Dir zu. Was die Einbindung alternativer Ereignisse (Beobachtung von Streit usw.) angeht, bin ich skeptisch. Das schiene mir zu aufgesetzt - zu sehr Action um ihrer selbst willen. Ein Stau ist einfach nervenzerfetztend langweilig.


Der Schluss kommt einigermaßen überraschend, ohne jedoch eine frische Pointe ins Spiel zu bringen - das wäre aber auch zuviel verlangt.
Ein kleines Problem hätte ich mit dem Schlusssatz:

Nachdem der Sarg mit Sicherheit geschlossen sein würde, könnte er unmöglich sehen, wer darin liegt. Das heißt, der Erzähler nimmt eine zukünftige Perspektive ein, was sich für mich ein bisschen merkwürdig liest. Tatsächlich würde der Mann von der Polizei oder sonst jemandem von dem Unfall erfahren.


Tja der Schluß. Natürlich ist gerade so eine Geschichte auf Gedeih und Verderb auf einen packenden Schlußtwist angewiesen. Ich fand die Idee ganz pfiffig - auch wenn es nicht an the sixth sense rankommt ;-) Aber das ist ja das alte Leid, wo gibt es noch wirklich einen Hammertwist, den so noch nie einer benutzt hat. So gesehen ist eine brilliante Pointe vielleicht wirklich zu viel verlangt - aber wenn es wenigstens eine ordentliche nicht völlig vorhersehbare Wendung ist, bin ich schon zufrieden.
Der Perspektivwechsel ist auch nicht glücklich (und nein es war kein Schneewittchensarg) - da muss ich mir noch was überlegen. Ursprünglich war die Passage auch wesentlich länger aber ich wollte den Twist auf so wenige Wörter wie möglich eindampfen (kurz und knackig).

Was mir noch aufgefallen ist: Der Dialog mit der Haushälterin wird wie in Filmen geführt. Der Protagonist wiederholt für den Zuschauer, was der Gesprächspartner soeben gesagt hat, also: "Was sagst du? Er ist noch nicht zu Hause? Ja, okay, ich rufe dann Doktor Stefan Frank an. Ja, seine Nummer habe ich im Adressbuch."
Ich hätte da keine Hemmungen, den Dialog in seiner Gänze aufzuschreiben.

Erwischt - das ist typisch ein der vier Jahre alten Passagen. Vermutlich wollte ich mich nur auf den Prot konzentrieren und keine weiteren Personen direkt einführen. Die Stelle sollte aber zu kitten sein.

An die weiteren Hinweise zur Rechtschreibung werde ich mich mal ransetzen. Auch hier meinem bisher treuestem Leser vielen Dank für die konstruktive Kritik.

Gruß,

MC

 

Hallo, MC!
Gerade hatte der Server einen Hänger und meine (ellenlangen) Kommentare blieben auf der Strecke. Tja...
Ich möchte deshalb nur kurz was anmerken: Das Problem mit der "Pointe" kenne ich selber. Inzwischen habe ich ja auch schon die eine oder andere Geschichte geschrieben, aber ich denke nicht, dass bei irgendeiner die Pointe wirklich umwerfend neu ist, so überhaupt eine vorhanden (oder beabsichtigt) ist.
So, und nun schauen wir mal, was die anderen dazu meinen! Ich bin ja hier nur der offizielle Hofnarr Seiner Majestät.

 

Hi Mohammed,

vieles, was mir beim Lesen der Geschichte aufgefallen ist, hat mein Vorredner, der Hofnarr, bereits erwähnt ;) , daher muss ich es nicht nochmal in aller Ausführlichkeit aufführen. Auch mir war die Geschichte, so gut sie geschrieben ist, zu detaillverliebt und zu statisch. Den Vorschlag von Rainer, etwas mehr "Action" reinzubringen, indem der Protagonist an dem Leben seiner MitimStausteher beobachtet, ist gar nicht mal so verkehrt.

Zum Schluss. Zum einen war mir ziemlich schnell klar, dass die Frau des Protagonisten das Opfer des Verkehrsunfalls sein würde (du hast mir etwas zu deutlich darauf hingewiesen, dass es Tote gegeben hatte und wie sonst soll die Story enden?). Zum anderen hat mich die ganze Zeit etwas beschäftigt, etwas gestört - und ich wusste nicht, was. Dank Rainer weiß ich es nun. Der Sarg war bestimmt geschlossen, so dass der Prot gar nicht sehen konnte, dass es sich um seine Frau handelt, die dort drin liegt. Vorschlag: Lass ihn nach Hause fahren, dort seine Frau suchen und dann lass zwei Polizisten kommen, die ihm mitteilen, dass seine Frau bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. Mehr müssen die beiden gar nicht sagen, lass sie auf keinen Fall erwähnen, dass der Unfall da und dort passiert ist oder dass ein LKW im Spiel war - das kannst Du alles weglassen; der Leser reimt sich den Rest schon selbst zusammen.

Soweit die Anmerkungen von Hofnarr Numero Zwo

Ach ja: Herzlich Willkommen auf KG.de

 

Hallo George,

auch Dir danke fürs Lesen und Kommentieren (gilt auch für Happy Birthday). Eure Vorschläge lasse ich mir noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen - gerade das alternative Ende könnte funktionieren, müsste man ausprobieren.

Ich will die Geschichte jedenfalls nicht sterben lassen (im Gegensatz zu Happy Birthday), weil ich sie nach wie vor mag und weil mich Eure Kritik darin bestätigt, dass sie zwar handwerklich noch nicht ausgereift, grundsätzlich aber tauglich ist. Sie soll jetzt mal ein bisschen ausruhen und dann gehts ihr mit neuem Elan an den Kragen!

Ach ja und Danke für die Willkommensgrüße - ich hatte schon Angst die kämen nicht mehr ;-)

Gruß,
MC

 

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