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Der Stein

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29.10.2006
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Der Stein

Der Stein

Wie zuckende Blitze schossen mir wieder und wieder die Bilder aus dem Frühjahr durch den Kopf und die Last dieses grausamen Schicksals lag auf meinen Schultern, begann unwiederuflich, mich zu erdrücken und zu zerquetschen.

Langsam öffnete sich die Tür und Schwester Doris erschien.

Gebrochen kauerte ich an dem vergitterten Fenster und betrachtete mit einer vollkommenen Gleichgültigkeit den schneebedeckten Innenhof, auf dem die glücklicheren ohne jegliche Zwänge ihrem Treiben nachgingen. Doch ich sah sie nicht wirklich. Jeden Tag seit neun Monaten versuchte ich, die Bilder aus meinem Gedächtnis zu verdrängen, sie auf immer zu verbannen. Es sollte mir nie wieder gelingen.

Vor meinem inneren Auge zog wieder die gleiche, gespenstische Szene vorüber, die mich in ihrem Bann gefangen hielt und die es nicht mehr zuließ, mich als Mensch zu fühlen. Nie wieder konnte ich diese regnerische Nacht vergessen, die in mir ein blankes Entsetzen hervor rief. Mit den Augen eines Unbeteiligten erkenne ich heute durch einen grauen Schleier, wie ich durchnässt auf diesem Koloss von einem Mann saß. Verkrampft hielt ich den kürbisgroßen Felsbrocken zwischen meinen Händen und ich zögerte nur kurz, bevor ich mit dem Stein in einem fieberhaften Wahn immer wieder auf das Gesicht meines Gegenübers einschlug. Ich hörte nicht auf, bis diese Bestie regungslos unter mir lag und aus seinem einstigen Antlitz nur noch ein blutverschmierter Klumpen zurückblieb, der entthront auf seinem Körper hing.

Das Klappern des Medikamentenwagens riss mich aus meinen Gedanken und die Schwester betrat schweigend mein Zimmer, ich sah sie mit meinen blutunterlaufenden Augen an, hinter denen ich meine Tränen gefangen hielt, während sie den Wagen neben mir abstellte und sich mir zuwandt. Ich began zu stammeln:

„Bitte Schwester, lassen sie mich zu ihr. Ich hatte das Recht, Schwester, verstehen sie mich doch, ich hatte das Recht, mein Gott, Maria, lassen sie mich zu ihr gehen. Ich ertrage dieses Leid nicht mehr, bitte Schwester, ich bitte Sie, lassen Sie mich gehen.“

Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr verbergen, alles Flehen hatte keinen Sinn. Mit ihrer warmen, besänftigenden Stimme redete sie mir gut zu und versuchte mir mit einen Griff unter meinen Schultern beim Aufstehen behilflich zu sein. Ich hörte nicht, was sie sagte. Vollkommen leer stand ich neben ihr, mein starer Blick wanderte durch sie hindurch, verlor sich im Raum und fiel schließlich auf ihren Wagen, auf dem ich den funkelnden Generalschlüssel erblickte. Unachtsamkeit musste Schwester Doris dazu getrieben haben, ihn so offen dort liegen zu lassen. Es musste Schicksal gewesen sein, denn in dem Augenblick in dem mein Blick auf den Schlüssel fiel, gab ihr Pieper einen lauten Pfeifton von sich und sie wandte sich einen Augenblick von mir ab. Zeit genug, um geistesgegenwärtig meine zittrige, knochrige Hand dem Schlüssel entgegen zu strecken und ihn an mich zu nehmen. Schwester Doris konnte nur noch erkennen, wie ich mich in meiner Hose am Hintern kratze. Was sie allerdings nicht wissen konnte, war, das in diesem Augenblick der Schlüssel zwischen meine Pobacken wanderte und wohlbehütet von ihnen festgehalten wurde. Wiederstandslos lies ich mich ins Bett verfrachten und nahm die Medikamente zu mir, die mir die Schwester entgegen hielt. Sie bemerkte das Fehlen des Schlüssels nicht und verließ kurz darauf mein Zimmer, während ich in einen tiefen Schlaf viel.

Nach ein paar Stunden Schlaf, in denen ich weder träumte, noch an meine Tat denken musste, erwachte ich schweißgebadet. Die Uhr an meiner Wand deutete mir genug Zeit, um meinen Plan auszuführen. Langsam richtete ich mich auf, nahm den Schlüssel aus meinem Hintern und schlich an meine Tür, lauschte, versuchte herauszufinden, wo sich die Nachtschwester befand. Als ich eine Ewigkeit nichts hören konnte, drückte ich langsam die Türklinke nach unten, die ein leises Knarren von sich gab. Behutsam streckte ich meinen Kopf aus der Tür und sah in den dunklen Flur hinein. Ich konnte nichts erkennen und trat leisen Schrittes auf den Flur hinaus. Ich wandte mich nach links und schlich die zehn Meter bis zu der großen Glastür, die Nachts gewöhnlich abgeschlossen war, doch der Schlüssel ebnete mir meinen Weg Richtung Freiheit. Leise ging ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, blieb aber auf dem Treppenansatz stehen, um mich noch einmal zu vergewissern, das mich auch niemand bemerkt hatte. Ich musste nur noch den langen Flur entlangschleichen, an dessen Ende sich die Umrisse der schweren, braunen Tür abzeichneten. Ich bemerkte nicht mehr, wie ich immer schneller einen Fuß vor den anderen setzte, aufgeregt umklammerte meine Hand den Schlüssel, bereit, auch diese letzte Hürde zu überwinden. Keuchend ereichte ich die Tür, automatisch ging meine Hand Richung Schloss. Ich betrat den Raum und ging zielstrebig auf das kleine weiße Schränkchen auf der gegenüberliegenden Seite, öffnete es und entnahm mit einer unglaublichen Vorfreude meine Fahrkarte, die mich zu Maria führte.

Zurück in meinen Zimmer, ich saß an meinem Fenster und betrachte zum letzten Mal den Innenhof, den ich während meiner Zeit hier nur einmal betreten hatte, während der Mond still seine fahle Fackel hielt. Immer müder, immer weiter! Tief in mir konnte ich spüren, wie die Bilder langsam verschwanden, eine Last wurde von mir genommen. Anfangs versuchte ich dagegen anzukämpfen, doch irgendwann wurde es zu mächtig. Ich schloss meine Augen und spürte die Leere, die in meinem Körper herschte. Das letzte was ich sah, bevor ich in einem tiefen Schlaf fiel, aus dem ich nicht mehr aufwachen sollte, war der Stein, wie er friedfertig an meinen Füßen ruhte. Seit dem ich ein kleiner Junge war, lag dieser Stein zwischen den Wurzeln einer mächtigen Eiche. Ich fühlte nichts, meine Hände griffen nach ihm und ohne auch nur eine Sekunde lang nachzudenken, ging ich in Richtung des Mannes, der sich immer noch auf dem nackten, leblosen Körper meiner Frau bewegte.

 

Hallo pynchon

Erstmal herzlich willkommen im Forum:) .
Schöne Geschichte, hat mich irgendwie deprimiert. Dein Schreibstil ist zwar nicht der flüssigste, lässt sich jedoch gut lesen.

Fehler gibts nicht viele:

begann unwiederuflich, mich zu erdrücken und zu zerquetschen
häufiger Rechtschreibfehler: unwiderruflich

Vollkommen leer stand ich neben ihr, mein starer Blick wanderte durch sie hindurch, verlor sich im Raum und fiel schließlich
hier muss stehen: starrer

Sie bemerkte das Fehlen des Schlüssels nicht und verließ kurz darauf mein Zimmer, während ich in einen tiefen Schlaf viel
viel mit "f"

Dein Prot befindet sich in einer Psychatrie und begeht Selbstmord, da er die Bilder seines Mordes(mit einem Stein) nicht mehr verdrängen kann ...
Auf den Inhalt will ich jetzt nicht weiter eingehen, will aber nicht heißen, dass es nicht lohnt

Also schöne Geschichte und sauberer Stil. Weiter so :thumbsup:

MfG Andre

 

Hallo pynchon,

ich sehe, dass dies deine erste Geschichte bei kg.de ist. Deshalb ein herzliches Willkommen an dieser Stelle.
Ja, die Geschichte gefällt mir sehr gut. Du baust sehr gut die Spannung auf, die sich bis zum Ende hält.
Allerdings ist eine Sache nicht ganz klar. Du schreibst in der Vergangenheit. Das heißt, der Ich-Erzähler berichtet über etwas, dass bereits geschehen ist. Am Ende nimmt er sich das Leben. Ich meine, wie soll jetzt noch etwas erzählen? Er ist tot. Es sei denn, es war ein fehlgeschlagener Suizidversuch. Aber dann würde ich den Prot bei einem Psychologen auf die Couch legen und ihm die Geschichte erzählen lassen. Oder, was ich besser finden würde, der Prot erzählt die Geschichte in der Gegenwart. Dann geht es auf. Zudem erhöht das Erzählen in der Gegenwart die Spannung noch weiter, weil der Leser noch näher am Geschehen ist.
Ansonsten eine sehr schöne Geschichte. Hat etwas melancholisches. Ich mag Melacholie. ;)

Ciao MiK

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Andre.s

Vielen Dank für das Lob und die Fehlerkorrektur!

@ Mik

Guter Hinweis mit den Zeiten, habe viel herumgewerkelt, es in verschiedene Zeiten gebracht, sogar mehr als eine auf mal und dies sollte nun die erste Fassung sein. Hab mich ein wenig schwer getan damit. Ich denke ich werd mal ausprobieren, wie es sich in der Gegenwart so macht und vielen Dank fürs Lob

 

Hi Pynchon,

und auch von mir ein herzliches Willkommen bei kg.de

Nie wieder konnte ich diese regnerische Nacht vergessen, die in mir ein blankes Entsetzen hervor rief
hervorrief (glaub ich zumindest)

hinter denen ich meine Tränen gefangen hielt, während sie den Wagen neben mir abstellte und sich mir zuwandt
zuwandte

war, das in diesem Augenblick der Schlüssel zwischen meine Pobacken
war, dass ...

Ich betrat den Raum und ging zielstrebig auf das kleine weiße Schränkchen auf der gegenüberliegenden Seite, öffnete es und entnahm mit einer unglaublichen Vorfreude meine Fahrkarte
Wo hat er denn jetzt die Fahrkarte her? Kapier ich net ...

Zur Geschichte,

ehrlich gesagt versteh ich das Ende nicht so richtig. Bis dahin wars eigentlich ganz gut, aber dann wirds mir zu schwammig. Am Anfang baust du schön Spannung auf, in dem du den Mord vorne weg nimmst. Da will man natürlich wissen, warum er den Mann umgebracht hatte.

Hab gerade gelesn das MIK etwas von Suizid geschrieben hat, was mich ziemlich verwirrt hat. Der Typ lebt doch am Ende noch, oder?

Für mich liest sich die Geschichte so: Der Prot sitzt in der Psychatrie, flieht, ermordet seine Frau und deren Liebhaber um anschließend wieder dort hin zurück gebracht werden. Liege ich da richtig?

Das Ende hat mich ein wenig gestört, da ich mich gefragt habe, warum er schon zuvor in der Psychatrie sitzt, da kommt es mir so vor, als erzählst du nur die halbe Geschichte ...

Insgesamt eine solide Geschichte.

lg neukerchemer

 

Hallo Neukerchemer,

vielen Dank erstmal für die Antwort und die Fehlerkorrektur.

Zur Geschichte:
Ich finde auch, dass der Anfang gelungener ist als der Schluss. Vielleicht lag es daran, dass ich endlich fertig werden wollte, um mich neuen zu widmen. Dies sollte ein erster Versuch sein, eine Bestandsaufnahme quasi,

Freut mich, dass sich bei dir Spannung aufgebaut hat, zum Sinn:

Der Prot sitzt in der Psychatrie, denkt an seinen Mord zurück, klaut den Schlüssel und schleicht nicht in die Freiheit, sondern zu einem Medikamentenschränkchen "kleine, weiße Schräncken" und entnimmt sich Medikamente "...meine Fahrkarte"für seinen Suizid. , ich denke, die Formulierung war etwas unglücklich, werd das mal überdenken.

Er kann die Gedanken an seinen Mord nicht mehr ertragen, und will zurück zu seiner Frau, die, wie man am letzten Satz erkennen sollte, Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, mit dem Stein hat er den Vergewaltiger erschlagen.

Zu deiner Interpretation der Geschichte: ich denke sie ist sehr interessant und hilfreich. MIK hatte den Tip, es ins Präsens zu setzen um die Spannung zu steigern, vielleicht lass ich was von deiner Interpretation mit einfließen, und versuche, es etwas klarer zu formulieren.

Vielen Dank für die "solide Geschichte"

Gruß pynchon

 

Ich nochmal

Er kann die Gedanken an seinen Mord nicht mehr ertragen, und will zurück zu seiner Frau, die, wie man am letzten Satz erkennen sollte, Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, mit dem Stein hat er den Vergewaltiger erschlagen.

Ich denke, diesen Aspekt, der ja eigentlich der Kern deiner Geschichte ist, hast du versäumt klarer herauszuarbeiten. Für mich war nich zwangsläufig klar, dass der Mann den er getötet hat der Vergewaltiger seiner Frau war. Das rückt den Prot in ein ganz Neues Bild. Auch der Selbstmord geht für mich nicht klar hervor. Da wäre vllt auch noch eine Andeutung von nöten.

Das Problem, dass man einfach fertig werden will kenne ich. Gerade, wenn du das merkst solltest du dir erst recht mehr Zeit nehmen, sonst wir eine eigentilch gute Geschichte nur mittelmäßig, was bei dir auch ein bißchen das Problem war. Also mach dich nochmal ran, es steckt ja Potenzial drinnen.

lg neukerchemer

 

hi pynchon

komisch, ich fand das ende zwar nicht orginell, aber genauso gut wie den rest deiner geschichte.
du hast echt einen fatalen fehler gemacht.
deine geschichte erklärt: für mich war es klar, dass er selbstmord begangen hat< tiefer schlaf, aus dem er nie wieder aufwachen wird. (ich denke nicht, dass er dornröschen spielen möchte)
<fahkarte zu maria, seiner freundin(wie von dir erklärt, seine frau; fahrkarte ist wirklich unglücklich ausgedrückt, jedenfalls bis dahin)
dann kommt der teil, wo er den mann tötet, der auf das

ging ich in Richtung des Mannes, der sich immer noch auf dem nackten, leblosen Körper meiner Frau bewegte
da wird doch zumindest klar, dass seine frau ihn nicht betrogen hat, sondern ermordet worden ist und nun vergewaltigt wird.

ich fand die geschichte gut, war zwar nicht der knaller, aber ich habs gern gelesen.
was komisch ist, ist dass er in der psychiatrie ist. sollte er nicht im gefängnis sitzen. denn sowas nennt man doch auch 'selbstjustiz' oder irre ich mich.
was ist daran so psychisch, er bringt den mörder seiner frau um. mit einem stein, der kürbisgroß ist, jahrelang ihm als treuer freund unter einer eiche lag.
oder hast du ihn in eine psychiatrie gesteckt, weil er die tat leugnet. ähm, wer tut das nicht? ;)
vllt habe ich ja diesmal unaufmerksam gelesen.

ach ja, und herzlich willkommen. :) und viel spaß hier.

cu J:baddevil:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi JoBlack,

schön,dass du die Geschicht "gern gelesen" hast, das motiviert einen doch, nur das mit dem fatalen Fehler habe ich noch nicht richtig verstanden, vielleicht klärst du mich auf??

schön, das der Sinn der hinter der Geschichte steckt, bei dir angekommen ist, aber werde mal nach einer besseren Umschreibung für die Medikamente suchen.

Jetzt, wo du es sagst, was macht er eigentlich in der Psychatrie, sehr gute Frage. Er war schon drin, bevor ich den Rest der Geschichte in meinem Kopf hatte, lohnt sich, da noch kurz drauf einzugehen.

Vielen Dank für die Kritik und fürs Lob

Gruß Pynchon

 

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