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Der Steinkreis
Der Steinkreis
"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Liebes."
Mum nahm mich fest in den Arm, Dad stand gerührt daneben.
Er hielt mir die Geburtstagstorte entgegen, auf der achtzehn Kerzen brannten.
"Auspusten und wünsch dir was!"
Ich konzentrierte mich auf meinen größten Wunsch: Herauszufinden, wer ich war und woher ich kam. Meine Eltern hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß ich ein Findelkind war und sie mich als Säugling adoptiert hatten. Sie leugneten aber standhaft, irgend etwas über meine Herkunft zu wissen, doch ich hatte da so meine Zweifel.
Je älter ich wurde, um so sicherer war ich, daß ich anders war als die Menschen meiner Umgebung. Schon rein äußerlich unterschied ich mich: mein Gesicht war sehr schmal, meine Wangenknochen sehr hoch und ausgeprägt. Ich hatte mandelförmige dunkle Augen, langes glattes Haar, das ich meist hinter meine spitzzulaufenden Ohren klemmte. Meine Haut war dunkler als die der Anderen.
Mein Körperbau war grazil und ungewöhnlich groß für ein Mädchen.
Als meine Freundinnen anfingen, nur noch Diskos und Jungen im Kopf zu haben, zog es mich immer öfter in den Wald: Die Bäume waren meine Freunde, die Tiere meine Beschützer.....
"Komm, schau dir deine Geschenke an." Mums Stimme riß mich aus meinen Gedanken. Mein Blick wurde von einem braunen Umschlag zwischen den Päckchen auf dem Tisch angezogen.
"Was ist das?" Ich drehte ihn in den Händen, kein Absender.
"Das ist ein Brief von deinem leiblichen Großvater," sagte Dad bedrückt. "Er will dich heute noch sehen."
Die Schrift war schön geschwungen, doch den Inhalt verstand ich nicht:
Seid gegrüßt,
wir, Felerian und Aliandra von Loren, fordern Euch auf, unsere Enkelin Samaa, die Ihr Cathleen nennt, am Tage ihres achtzehnten Geburtstages zum Steinkreis zu bringen. Wir haben beschlossen, sie zu uns und ihre weitere Erziehung selbst in die Hand zu nehmen. Wir danken Euch für Eure Hilfsbereitschaft und die Liebe die Ihr Samaa geschenkt habt.
Ich schaute meine Eltern fragend an, doch sie konnten jetzt nicht sprechen. Beide schauten mich unendlich traurig an, sie weinten still vor sich hin.
Auf der Fahrt zum Steinkreis in die Highlands hatte Dad sich soweit gefaßt, daß er mir die Geschichte erzählen konnte:
"Heute vor achtzehn Jahren machten deine Mutter und ich einen Ausflug. Der Steinkreis ist Tausende von Jahren alt und liegt versteckt auf einem Plateau in den Highlands, ringsum ist nur Wald. Es ist ein geheimnisvoller Ort, selten verirrt sich ein jemand dorthin. Auch damals sahen wir keine Menschenseele, bis plötzlich ein großgewachsener Mann mit einem Bündel in der Hand vor uns stand. Ich hätte schwören können, er war aus einem der Steine getreten.
Er war ganz in grünes Leder gekleidet, hatte langes braunes Haar, mandelförmige Augen und spitzzulaufende Ohren, seine Haut war dunkel.."
"Aber er sah ja aus wie ich!" Entfuhr es mir.
"Ja, du wurdest ihm mit jedem Tag ähnlicher, Kind. Er schlug die Lederdecke, die um sein Bündel gewickelt war zurück und wir sahen dich zum ersten Mal.
Mit den Worten:
"Ich bin Felerian von Loren und dies ist meine Enkelin Samaa. Bitte kümmert Euch um sie." Drückte er mir das Bündel in die Hand und verschwand so geräuschlos, wie er gekommen war. Danach haben wir nie wieder etwas von ihm gehört. Bis gestern."
Dad schwieg, Mum schluchzte leise. Ich selbst wußte nicht was ich denken und fühlen sollte, ich war hin- und hergerissen: Endlich sollte ich meine richtige
Familie kennenlernen und erfahren, wer ich wirklich war. Aber der Preis war hoch: Ich würde die Menschen verlieren, die ich am meisten liebte.
Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Wir hingen unseren Gedanken nach und hatten auch keinen Blick für die großartige Landschaft der Highlands. Endlich hielt Dad an und wir machten uns auf den Weg. Ein schmaler Pfad wand sich um den Berg und mündete schließlich oben auf einem Plateau. Der Anblick war atemberaubend: Zwölf große Steine standen im Kreis um einen gewaltigen dreizehnten. Das ganze war nicht so groß wie Stonehenge, aber immer noch überwältigend.
Meine Eltern gingen zu dem großen mittleren Stein.
"Hier haben wir dich damals in Empfang genommen." Dad versuchte ein klägliches Lächeln. "Und hier müssen wir dich jetzt wieder abgeben."
WWarum habt ihr den Brief nicht einfach zerrissen und mir gar nichts gesagt?
Warum gebt ihr mich einfach so weg?"
Mum legte ihre Arme um mich und schaute mich fest an:
"Liebling, wir geben dich nicht einfach so weg. Wir haben die ganze Nacht überlegt, was das Beste für dich ist und meinen, daß du diese Entscheidung selbst treffen mußt. Du hast ein Recht darauf, deine richtige Familie kennenzulernen. Wenn es dir dort nicht gefällt, kannst du jederzeit zu uns zurück kommen. Diese Chance hätten wir dir genommen, wenn wir dir den Brief verschwiegen hätten."
"Deine Eltern haben richtig gehandelt, Samaa."
Der Mann schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein und stand nun vor dem großen Stein. Er sah genauso aus, wie Dad ihn beschrieben hatte, die Ähnlichkeit zwischen uns war verblüffend.
"Ich bin Felerian von Loren, dein Großvater." Er nahm meine Hand und sah mir in die Augen. "Du mußt keine Angst haben, niemand wird dir etwas tun. Ich möchte dir deine wahre Heimat zeigen, du sollst sehen, wie wir leben. Wenn du dich bei uns nicht wohlfühlst, kannst du jederzeit zurück in diese Welt, aber gib uns bitte eine Chance."
"Aber wer seid ihr und wo lebt ihr?" Ich war verwirrt und verstand nicht, wovon er eigentlich sprach.
Felerian seufzte und schaute meine Eltern an:
"Versprecht ihr, niemals über das alles zu anderen Menschen zu sprechen?"
"Wir haben nie jemanden über Cathleens Herkunft erzählt, nicht einmal ihr selbst, Ihr könnt uns vertrauen."
"Gut, also ich, Felerian, bin der König der Waldelfen. Vor ungefähr zwanzig Jahren begann in meinem Reich ein großer Krieg, die Dunkelelfen griffen uns an. Kurz vor der entscheidenden Schlacht brachte meine einzige Tochter ein Kind zur Welt, sie selbst starb bei der Geburt. Der Vater des Kindes war kurz zuvor in der Schlacht gefallen. Ich hatte also nur einen einzigen Nachkommen und die Dunkelelfen standen vor unserem Palast. Mir blieb nichts anderes übrig, als dieses Kind, ich nannte es Samaa, zu den Menschen, die vor Jahrhunderten unsere Verbündeten waren, in Sicherheit zu bringen. Deine Großmutter Aliandra war damals dagegen, mußte aber einsehen, daß es so das Beste war. Inzwischen ist der Friede in unser Reich zurückgekehrt und es wird Zeit, daß du zurückkehrst. Wir können dich jedoch nicht zwingen für immer dort zu bleiben. Aber deine Großmutter und ich werden alt und möchten dich gerne eine Zeitlang bei uns haben."
Felerian schaute mich bittend an, jetzt sah ich, daß er schon sehr alt sein mußte, seine Augen waren müde und weise. Ich erkannte etwas von mir selbst in ihm, er würde mich dorthin bringen, wo ich hingehörte.