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Der Stoff, aus dem Glück gemacht wird
Das Glück von Generationen lag in ihrer Hand - falls die Legende wahr war. Doch jetzt, wo das Schmuckstück zum ersten mal aus der Nähe sah schien es nicht mehr zu sein als ein unscheinbarer Haufen Steine. Wo war die Magie? Als Kind hatte Sie an den langen Abenden vor dem Feuer immer wieder die Geschichte der Steine zu hören wollen. Jeder der 64 Steine war von einer Erstgeborenen des Hauses Amirell am Tag ihrer Hochzeit ausgesucht worden. Jeder Stein Stand für eine glückliche Ehe. Ihre Mutter, ihre Großmutter und all die Frauen vor ihnen hatten mit der Hilfe des Halsbandes trotz der schweren Last des Falkentrons ungewöhnlich glückliche Ehen geführt. Das Halsband soll ihnen dabei geholfen haben, soll ihnen die gesammelte Weisheit und Liebe all der Trägerinnen gebracht haben. Als ob Steine Liebe bringen könnten. Schüchtern streichelte Cathereen über das schwere Halsband. Hatte sie das Recht, die geheimnisvollen Steine so anzuzweifeln? Es viel ihr schwer zu glauben, dass sie, Cathereen von Amirell, jetzt die Nächste in der langen Reihe der Frauen sein würde, die das Halsband besitzen. In wenigen Augenblicken würde sie es zum ersten Mal tragen. Damit vor den Priester treten und zur Frau werden. Das Schmuckstück lag ihr schwer in der Hand, fast unnatürlich schwer. War das Einbildung, oder spürte sie die Geister der Ahnen? Behutsam polierte Cathereen mit ihrem Ärmel den jüngsten Stein in der Fassung. Die Wahl ihres Steins war ihr leicht gefallen. Ein Smaragd mit brennendem grünem Feuer. Die Farbe der Hoffnung. Und Hoffnung war, was sie mehr als alles andere nötig hatte.
Sie hatte früh gelernt, was die Ehe bedeutet. Als Frau von Stand durfte man sich dabei keine großen Gefühle erwarten. Politik, Macht und Sicherheit waren Grund genug für ein junges Mädchen, vor den Altar zu treten. Cathereen verstand diese Gründe, ihre hohe Stellung hatte eben auch einen hohen Preis. Sie hatte nie gewagt, auf die große Liebe zu hoffen. Vielleicht hatte sie deshalb die Legende des Halsbandes so gern gehört. Es war tröstlich zu wissen, dass es da draußen eine Macht gab, mit deren Hilfe sie doch ein wenig auf Liebe hoffen durfte. Angeblich konnte die Magie des Halsbandes einen Mann liebevoll und treu machen. „Es macht den wildesten Wolf zum Lamm“ hatte ihre Mutter es beschrieben. Mit diesem Gedanken hatte Sie sich damals Mut gemacht, als sie den ihres Vaters betrat, bereit sich in seine Pläne über ihre Hochzeit zu fügen. Tapfer war sie auf fast alles gefasst gewesen, nur nicht auf Walter. Er hatte ihr Herz im Sturm erobert, als er ein wenig arrogant und voller Selbstbewusstsein die Brautgaben präsentiert hatte und ihrem Vater sein Schwert anbot. Keine Spur von dem furchtsamen Respekt, den die Männer sonst ihrem Vater gegenüber hatten. Und obwohl sie so wie es der Anstand verlangte nicht direkt in seine Augen gesehen hatte, aus dem Augenwinkel hatte sie während der steifen Zeremonie immer wieder ein Lächeln von ihm bemerkte. Wie ein kleines Geheimnis, eine Verschwörung zwischen ihnen beiden. Am Abend nach der rituellen Verkündung der Verlobung hatte Walter ganz gegen jedes Protokoll eine weiße Orchidee vor die Tür ihrer Kammer gelegt. Selbstverständlich hatte Cathereen die Türe nicht geöffnet – aber sie war sich sicher, Walther hatte gewusst, dass sie nur wenige Handbreit entfernt von ihm stand. Sie hatte jede seiner Bewegungen durch den kleinen Spalt im Holz der Türe beobachtete. Sein Lächeln am nächsten Morgen vom anderen Ende der Tafel war schon fast unverschämt direkt – aber auch so unglaublich faszinierend. Walter war für sie eine wunderbare Mischung aus Mann und kleinem Jungen. Eine Mischung die auch die Jüngeren der Hofdamen schnell zu bemerken schienen. Doch Walter schien nur Augen für sie zu haben.
Aber viel mehr als die Hofdamen fürchtete sie Walter’s Reisen ins Grenzland. Ihr Vater hatte die Dienste des geschickten jungen Mannes nur zu gern in Anspruch genommen. Die großen Kämpfe mit den Barbaren waren vorbei, doch die zahllosen Reibungspunkte im täglichen Zusammenleben ließen immer wieder Streit aufkommen. Kleine Funken, die geschickter Klärung und eines schnellen Urteils bedurften um nicht zu das alte Feuer des Hasses wieder aufflackern zu lassen. Cathereen hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, schon Tage vor der angekündigten Rückkehr Walther’s bis spät in die Nacht voller Sorge auf ein erstes Zeichen den Horizont zu beobachten und das Turmfenster kaum aus den Augen zu lassen. Selbst die Mahlzeiten hatte sie sich angewöhnt so oft wie möglich auf ihrem Zimmer einzunehmen, um nur ja nicht das erste Zeichen seiner Rückkehr zu verpassen. Mit jeder Minute des bangen Wartens quälten sie ihre Sorgen um Walter immer mehr.
Die Einsätze der Männer im Grenzland der Barbaren waren in letzter Zeit kaum noch gefährlich. Das Land war friedlich geworden, die Annehmlichkeiten des Wohlstandes hatten den wilden Geist der Eroberten nach und nach besänftigt. Doch Cathreen fürchtete viel Schlimmeres als einen Angriff durch die wilden Männer des Nordens. Es waren die Nordfrauen, die sie weit mehr sorgten. Cathreen wusste, dass sie von sagenhafter Schönheit waren. Schön, zügellos und voller Leidenschaft. Sie hatte die Männer in der großen Halle bei ihren Berichten von den Nordreisen mehr als einmal die Vorzüge dieser Frauen anpreisen hören. Dabei hatte Sie natürlich mit roten Ohren vorgegeben ganz in ihre Mahlzeit vertieft zu sein und die Anspielungen und Zweideutigkeiten nicht zu verstehen. Und um ehrlich zu sein hatte sie auch einige davon nicht verstanden. Beunruhigende Anspielungen über Dinge, die wohl weit außerhalb des Codex der Ehrenfrauen waren. Sie war eine Gefangene dieser Regeln und der Traditionen des Anstands. Während Walter den schamlosen Angeboten dieser Frauen ausgesetzt war konnte sie nichts tun als den Horizont beobachten. Und hoffen, dass er zu ihr zurückkehren würde.
Natürlich war sie stolz und glücklich, dass er sie zu seiner Braut machen wollte. Aber sie war zu klug, um eine Ehe für trügerische Sicherheit zu halten. Immer wieder kehrten Männer von den Nordreisen nicht zurück. Über ihren Tod berichteten ihre Kameraden nur kurz und unwillig, fast halbherzig. Doch Abends, wenn viel Wein geflossen war und der Anstand es den Frauen längst geboten hatte, sich zurück zu ziehen hatte Cathreen die Männer belauscht. Tief verborgen in den Schatten der weiten Festhalle hörte sie die derben Trinkliedern der Männer über ihre gefallenen Kameraden. Diese Lieder handelten von allem anderen als dem Tod, es waren Glückwünsche und derbe Scherze über Männer, die den Reizen der wilden Nordfrauen verfallen waren. Und sich für ein zügelloses Leben im Norden entschieden hatten. Die Geschichten von ihrem tragischen Tod wurden allein zum Trost der daheim gebliebenen Frauen erzählt.
Cathreen betrauerte wie alle anderen Frauen die Ehebrecher als heldenhafte Gefallene. Aber im Stillen vermutete sie, dass sie nicht die einzige unter den Frauen war, die um die Wahrheit wusste. In den Augen vieler Witwen war mehr Wut als Trauer zu lesen. Das konnte Sie nur zu gut verstehen. Die Schande, das wissende Lächeln in den Augen der anderen Damen des Hofes musste schwer zu ertragen sein.
Entschlossen versuchte sie den Gedanken zu verdrängen. Ihr Walter war anders. Er würde sie wirklich lieben. Er würde wieder kommen von seinen Nordreisen. Wenn da nur nicht diese leise Stimme in ihren Kopf wäre, die sie immer wieder an die Lieder in der Halle nach Mitternacht erinnerte. Vielleicht war es nur der Alkohol, der den Männer die Texte einflüsterte? Doch da war diese Begeisterung und die Gier, mit der Mancher von ihnen über die Nordfrauen gesungen hatte. Je öfter sie diese Lieder in ihrem Kopf nochmals hörte wurde die Angst und Sorge um ihren Liebsten schlimmer.
Doch in wenigen Minuten würde Sie Walter sehen. Ihn sehen und seine Frau werden. Das war nicht die rechte Zeit für solche trüben Gedanken. Entschlossen legte Cathreen das funkelnde Halsband um und probte ein glückliches Lächeln im Spiegel. Walter würde anders sein. Das würde er. Grün war die Farbe der Hoffnung.
Die Stimme ihrer Mutter, die hinter der Tür des Brautgemachs ihren Namen rief, riss sie aus den trüben Gedanken. Schnell öffnete Cathereen die kunstvoll geschnitzte Holztüre und war dankbar für die Umarmung ihrer Mutter. So geborgen, so weit weg von allen Sorgen. Für einen Augenblick fühlte sich Cathereen weit jünger als ihre sechzehn Jahre. Wie gern wäre sie wieder ein kleines Mädchen. Weit weg von zu vielen Ängsten und zu viel Wissen.
„Meine Kleine, es ist wichtig, dass du mir nun gut zuhörst.“
Cathereen war erstaunt über den Ton in der Stimme ihrer Mutter. Gespannt blickte Sie in das ernste Gesicht, das ihrem Eigenen so sehr ähnelte.
„Das Halsband, das du trägst ist nur ein Symbol. Die funkelnden Juwelen stehen für die glücklichen Tage deiner Ehe. Aber mein Kind, du weißt – nicht alle Tage können Tage des Glücks sein. Die wahre Magie liegt in diesem Kästchen. Dieses Kästchen wird dir beistehen an den Tage, an denen dir das Glück weit weg scheinen wird.“
Behutsam stellte ihre Mutter eine kleine schwarze Schatulle auf Cathereens Schminktisch. Glänzend poliertes Holz, das sein Alter nicht verbergen konnte. Der Deckel war mit Einlegearbeiten aus schimmernden Perlmutt in geheimnisvollen Zeichen verziert. Kein Schloss oder Spalt gab Hinweis, wie das Kästchen zu öffnen war.
„Diese Kästchen enthält ein Mittel, das in jedem Mann eine unwiderstehliche Sehnsucht erweckt. Schon eine Messerspitze des Pulvers genügt. Es ist ebenso geschmacklos wie wirkungsvoll. Kein Man wird es jemals bemerken. Doch wer davon kostet kann nicht anders, als immer wieder danach zu verlangen. Wieder und wieder. Mische deinem Walter regelmäßig ein wenig davon in seine Mahlzeiten. Seine Instinkte werden ihn so immer wieder zurück zu den Mahlzeiten mit dir führen. Es wird ihm zwar verborgen bleiben, was ihn so unwiderstehlich zu dir zieht, doch je länger er von dir entfernt ist, um so stärker wird sein Verlangen nach der Rückkehr zu dir sein.“
Sprachlos starrte Cathereen das dunkle Kästchen an und beobachtete, wie ihre Mutter die Symbole am Deckel berührte. Mit einem sanften Klicken hob sich der Deckel und gab den Blick in sein Innerstes frei. Weißes Pulver und ein winziger, silberner Löffel. Cathereen war verwirrt. Wütend. Entrüstet. Sie würde ablehnen ihrem Geliebten so etwas anzutun. Wie konnte ihr ihre eigene Mutter raten, ihrem Walter diese Zeug ins Essen zu mischen? Aber da war auch wieder dieses leise, nagende Gefühl der Angst und Unsicherheit.
„Ist das Mittel denn schädlich? Kann Walter etwas geschehen, wenn er es nimmt? Was ist, wenn ich ihm zu viel gebe? Ich will meinen Mann doch nicht vergiften!“
Die Antwort ihrer Mutter war so voll Liebe und beruhigend. Wie konnte Sie solche Worte sprechen und dabei so herzlich und leicht klingen? Es klang alles so harmlos. Das Pulver würde keine Nebenwirkungen haben. Er würde nur eine starke Sehnsucht fühlen, würde immer wieder zu ihr zurück kehren.
Cathereen saß noch lange nachdem ihre Mutter sie verlassen hatte vor dem dunklen Kästchen. Erst als die Brautmädchen nach ihr riefen packte sie die kleine Truhe und verstaute sie entschlossen in der Schublade ihres Schminktisches. Sie gab es ungern zu. Schon gar nicht am Tag ihrer Hochzeit. Aber das Wissen um dieses Kästchen gab ihr Sicherheit. Und war ein wenig Sicherheit nicht nur fair, nach so vielen bangen Stunden, in denen sie jeden Punkt am Horizont beobachtet hatte?
Im Trubel der Hochzeitsfeierlichkeiten waren die Gedanken an das kleine Kästchen und seinen verführerischen Inhalt bald vergessen. Aber als Cathereen später an der Seite ihres Mannes an der Tafel saß und die Gaben der Gäste mit immer wieder gleichen Floskeln entgegen nehmen musste, da hatten ihr Gedanken wieder Zeit zu dem Pulver und seinem Zauber zurück zu kehren. Wie lange das Pulver wohl reichen würde? Wenn es so harmlos war, dann würde es Walter doch nur helfen ein guter Ehemann zu sein. Und genau das hatte er ihr doch eben versprochen mit aller Kraft zu wollen. Sie musste ihre Mutter fragen, ob sie das Pulver auch bei ihrem Vater verwendet hatte. Wenn sie die beiden am anderen Ende der Tafel so beobachtete, da war so viel Liebe und Glück. Wie lange war der Hochzeitstag der beiden schon her? Immer noch so viel Begeisterung und Leidenschaft für einander ...
Dieser Gedanke lies Cathereen keine Ruhe und sie nutze bald den Vorwand eines verrutschten Haarbands um sich mit ihrer Mutter für ein paar Augenblicke in den Ankleideraum zurück zu ziehen.
Während die sanften Hände der Mutter ihre Haar ordneten probierte Cathereen ihre Frage wieder und wieder in Gedanken. Sie konnte ihre Mutter doch nicht so einfach zur Rede stellen, ob sie das weiße Pulver selbst benutzt hatte. Doch während Cathereen noch nach den richtigen Worten suchte schien ihre Mutter ihre Gedanken erraten zu haben.
„Mädchen, du hast mich und deinen Vater den ganzen Abend kaum aus den Augen gelassen. Ich denke, ich weiß welche Frage du mir versuchst zu stellen. Ja, auch ich habe am Tag meiner Hochzeit von meiner Mutter diese Truhe bekommen. Und das Pulver zu verwenden war der beste Rat, den meine Mutter mir geben konnte.“
„Wie kann denn so eine kleine Truhe ein ganzes Leben lang reichen? Das Pulver müsste doch längst verbraucht sein?“
„Mach dir darüber keine Sorgen, mein Kind. Genau wie ich dir das Geheimnis des Pulvers in deine Hände gelegt habe – genau so hat auch die Kräuterfrau vor den Toren unserer Stadt dieses Wissen von einer Generation zur Nächsten weiter gegeben. Suche sie auf, wann immer das Pulver zur Neige geht. Sie wissen, wie sie es herstellen können. Und du wirst merken, dass dir die Hilfe und der Rat dieser Frauen noch oft helfen wird.“
Die Gäste waren verwundert, dass die Braut und ihre Mutter der Tafel so lange fern blieben. Der Vater Walters machte sich schließlich auf die Suche nach den Beiden. Unsicher blieb er vor der Kammer der Braut stehen und hörte die gedämpften Stimmen. Als Mann durfte er diese Gemächer selbstverständlich nicht alleine betreten. Das wäre zu unschicklich gewesen. Weit und breit war aber auch keine der Dienerinnen zu sehen. Behutsam und ein wenig unsicher klopfte er an die Türe. Doch die beiden Frauen waren so in das Gespräch vertieft, dass sie sein Klopfen überhört haben mussten. Sollte er einfach die Türe öffnen und ihre Namen rufen? Unentschlossen blieb er vor der Türe stehen und war bald gebannt von den Worten, die leise zu ihm drangen. Worte von Gift und Pulver, Magie die seinen Sohn beherrschen sollte. Voll Wut und Entsetzen vergaß er die Regeln des Anstandes und wollte die Türe aufreißen. Doch noch bevor seine Hand die Schnalle erreicht hatte öffnete sich die Türe. Vor ihm stand die Mutter der Braut kam ihm zuvor und sie erkannte in seinem von Wut verzerrten Gesicht, dass er das Gespräch belauscht hatte. Schnell trat sie in den Gang und schloss eilig die Tür zum Brautgemach hinter sich. Sie zog ihn mit sich ein paar Schritte weg in den dunklen Gang. Etwas bestimmtes, würdevolles in ihren Bewegungen lies ihn ihr folgen. Doch die Wut kochte in ihm, nur mühsam im Zaum gehalten von den Geboten des Anstandes. Nach nur wenigen Schritten packte mit einer harten Bewegung die alte Frau an der Schulter und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
„Giftmischerin! Was willst du und deine Brut meinem Sohn antun? Ihn vergiften?“
Die Frau versuchte, seinem Blick auszuweichen. Niemals durfte ein Mann einer Frau, die nicht seine rechtmäßige Ehefrau war, so direkt ins Gesicht sehen. Doch sein Zorn und die Sorge um seinen Sohn lies ihn alle Traditionen vergessen. Drohend hob er die Faust zum Schlag.
„Rede, Weib! Womit willst du meinen Sohn vergiften? Ist es etwa schon geschehen?“
Die Stimme der alten Frau zitterte. „Nicht so laut, man wird uns noch hören. Das Pulver, das ich meiner Tochter gegeben habe wird deinem Sohn nicht schaden. Ich schwör’s euch bei meinem Leben.“
„Was ist das Leben einer Hexe schon wert. Dein Schwur bedeutet mir nichts. Sprich, was willst du meinem Sohn antun?“
Sie wand sich in seinem harten Griff, hätte am liebsten um Hilfe gerufen. Aber sie musste leise sein. Alles hing davon ab, dass ihre Tochter nichts bemerkte.
„Ich will weder eurem noch meinem Kind schaden. Das Pulver ist harmloser Staub, deinem Walter wird kein Leid geschehen. Ganz im Gegenteil. Ich will doch nur, dass die beiden glücklich werden.“
„Glück kann man nicht durch Gift erzwingen. Hexenwerk, kein echtes Gefühl. Ich werde das nicht zulassen.“
„Es ist nichts außer echtes Gefühl, das die beiden verbinden wird. Diese Pulver hat gar keine Wirkung, es ist harmloser Staub. Ganz ohne Wirkung auf deinen geliebten Sohn. Aber es wird doch die Welt der beiden anders aussehen lassen. Mein Kind wird deinen Sohn lieben können ohne in ihren Ängsten gefangen zu sein. Sie wird an die Wirkung des Pulvers glauben und dadurch ganz ohne Sorgen auf die Liebe deines Sohnes vertrauen können. Und damit kann sie ganz offen für deinen Jungen sein. Ohne den Schleier der Angst und des Misstrauens, ohne von Zweifeln und Eifersucht geplagt zu sein. Ihre Liebe wird wachsen können, auch in diesen wilden Zeiten. Und eines Tages, wenn sie beide im Vertrauen zu einander wirklich gefestigt sind, dann wird die Kräuterfrau sie um die wahre Wirkung des Pulvers aufklären.“
„Nutzloser Staub? Alles Einbildung?“
„Genau das. Und doch so viel mehr. Es wird ihr helfen, zu lieben ohne zu drängen. Mit dieser Sicherheit wird ihr Herz frei sein von den Zweifeln und Ängsten, die so viele junge Lieben vergiften. Aber ihr müsst jetzt leise sein, sie darf uns nicht hören!“
Mit nachdenklicher Miene senkte der große Mann vor ihr seine Stimme. „Eines ist wahr, ich hab euren Mann immer beneidet um das Lächeln, mit dem er auf unseren gemeinsamen Reisen von euch erzählt hatte. Er scheint heute noch beeindruckt zu sein von der Sanftmut und der Gewissheit, mit der ihr ihn liebt. Nie ein Zweifel, ein nörgelndes Wort – auch wenn manche Reise viel länger dauerte als geplant. Deshalb fiel es ihm immer leicht, allen Versuchungen zu widerstehen und gerne zu euch zurück zu kehren.“
„Wollt ihre denn nicht auch eurem Sohn so eine Liebe gönnen? Ihr könnt mir Vertrauen. Wir geben dieses Kästchen und den Glauben an seine Wirkung seit Generationen von der Mutter zur Tochter weiter. Es hat seine Wirkung nie verfehlt.“
Dieter von Agenn stand regungslos vor der alten Frau. Nach einigen Momenten des Nachdenkens bot er der Mutter seiner Schwiegertochter den Arm und geleitet sie wortlos zurück in Richtung Festsaal. Als sie das bunte Treiben erreicht hatten hielt er einen Augenblick inne und flüsterte nur für sie hörbar: “Ich beneide meinen Sohn um dieses Lächeln, dass ich da im Gesicht eures Mannes sehe, wenn ihr den Saal betretet. Ich hoffe, eure Tochter wird weise genug sein, diese Tradition fort zu führen und weiter zu geben.„