Der Türke und das Biest
Ich hatte mich mal in eine Mitarbeiterin einer namhaften Hamburger Speditionsgesellschaft verguckt. Naja, sagen wir in diesem Falle lieber: verhört.
Das trifft es besser. Denn eine ungemein sympathische Stimme hatte sie. Vielleicht war dies das einzig nette an ihr, wie sich im Nachhinein herausstellte.
Doch von vorne:
In meinem Unternehmen war ich Hauptansprechpartner in Sachen Gefahrengut. Im Rahmen dieser Tätigkeit kam ich desöfteren mit der besagten Dame in telefonischem Kontakt. Und es war immer recht nett, wie man so sagt.
Zunächst ging es natürlich immer strikt ums Business: “Hallo Frau Pawlow. An einem Ihrer Container fehlen zwei Gefahrgutaufkleber. Das müssen wir dringend nachbessern. Sonst gibt es Ärger mit der Wasserschutzpolizei, das wissen sie ja.” Oder…”Hallo Frau Pawlow. Ihr Container ist noch nicht in Kiel eingetroffen. Bis wann können wir mit ihm in etwa rechnen?”
Langsam aber sicher ging es, von meiner Seite gesteuert, ins vertraulichere Terrain:
“Na, Frau Pawlow! Wie geht’s? Wie ist das Wetter in Hamburg?” Mutig Mutig … ich weiß! Ich hatte wohl echt Glück, dass sie bei der Frage nach ihrem Wohlbefinden nicht umgehend den Hörer auf die Gabel geknallt hat. Es dauerte ein paar Monate, ihr wisst ja: ich bin schüchtern und warte auf den ersten Schritt von anderer Seite, bis die Gespräche noch privater wurden.
“Ich bin nächste Woche nicht da. Da hab ich 2 Monate Urlaub!” “So lange?”, fragte ich leicht bedrückt, denn ich wußte nicht, wie ich diese halbe Ewigkeit überbrücken sollte. “Ja, ich mache einen Sprachkurs in Costa Rica!” Diese Information bot nun jede Menge Gesprächsstoff. Wir telefonierten das erste Mal eine Viertelstunde über dies und jenes was nicht mit der Arbeit zu tun hatte, also off-topic wie es im Neudeutsch so schön heißt. In diesem Telefonat fing sie mich dann unerwarteter Weise an zu duzen. Ich war unsicher: War ihr das “Du” nur so rausgerutscht? Da ich für Klarheiten bin, begann ich beim Du oder Sie ein wenig rumzudrucksen. Sie half mir indem sie sagte: “Wir können uns ja auch duzen. Ich bin Svetlana.” Dann hatten wir das also auch vom Tisch. So kann man auch für klare Verhältnisse sorgen.
Nach diesem Telefonat wurden meine Kollegen, diejenigen männlicher Natur, leicht eifersüchtig, denn sie mochten meine neue Duzfreundin (schreckliches Wort) auch sehr gerne. Ein Azubi, Jorge, er wirkte immer wie Mr. Wichtig, super arrogant, was uns schon sein angestrengtes Räuspern vermittelte, versuchte das zu überspielen: “Ach, mit Svetlana verstehe ich mich auch sehr gut… is schon ne süße Maus…räusper.” Er behauptete auch, sie schon mal kennen gelernt zu haben, was ich ihm aber nie abkaufte. Er telefonierte ein anderes Mal mit ihr und fing auch leicht private Gespräche an. Etwas eifersüchtig wurde ich zugegebenermaßen, und als er das merkte, mußte er mich herablassend Belachen.
Very nice and respectful like always, Jorge…räusper! The girls love you.
Das Schlimmste erlebte ich jedoch von meinem türkischen Arbeitskollegen Kemal. Als er merkte, dass ich einen Schlag bei Svetlana hatte, fing er an seine südländische Masche auf sie anzuwenden.
Diese ist höchst simpel strukturiert, wenn man weiß, welcher Gedankengang hinter jedem seiner Anmachen steckt.
Nämlich folgender: “Ich bin ein geiler Macker und bin mir dessen auch bewusst, und zeig es jeder Ische ob sie will oder nicht, denn is ja scheiß egal, weil ich so geil bin und das weiß…”
Dieser Masche sollte Svetlana also nun auch zum Opfer fallen.
Er rief sie jetzt öfter an, fing an mit Small Talk wie “Wie ist das Wetter?”, brauchte aber nicht wie ich ein knappes Jahr bis zum Du, sondern schaffte dies in, sagen wir mal, HÖCHSTENS 10 Telefonaten.
Und dann wurde es privater: Anknüpfend an Dingen, die sie mir erzählt hatte, wie Sprachkurs in Costa Rica, wurde er zutraulicher.
Seine Sätze begannen immer mit: “Weißt du, ich bin so ein Mensch…” und “Weißt du….ich bin ehrlich… “ Jede anspruchsvolle Frau sollte bei solchen Sprüchen eigentlich längst abgeschaltet haben, nicht so Svetlana. Sie glaubte natürlich an das Gute in Kemal, denn, wenn er sagt, er sei so ehrlich, dann ist das natürlich so… Ehrliche Menschen können ja auch nur das sagen, und nicht: “Weißt du, ich bin ein Lügner.” Denn das wäre ja eine Lüge, und das können ehrliche Menschen ja nicht. Logisch, oder?
Simpler Frauentrugschluß, der für wirklich ehrliche Jungs, die es nicht nötig haben diesen Fakt zu erwähnen, sondern einfach Taten sprechen lassen, schlimmer als 10 Magentritte und ebenso viele Faustschläge im Gesicht sind.
Kemal zeigte Svetlana also telefonisch, was für ein toller Mensch er doch ist. Sie sprachen alsbald über ihre Beziehungsprobleme, ihr Freund sei doch ein Arsch und irgendwie krank.
Ich war zum Teil sehr sauer auf Kemal, weil er sich in meine neue Bekanntschaft einmischte und meinte mir den Kontakt einfach wegnehmen zu müssen. Arsch!!
Andererseits war ich ihm dankbar, denn ich merkte durch seine Erzählungen ganz schnell, dass das nicht die Frau meiner Träume sein kann, und so war ich doch froh, dass er mir die Augen geöffnet hat, bevor ich eventuell etwas mit ihr angefangen hätte (wenn sie überhaupt etwas von netten Jungs möchte).
Als dann endlich das langersehnte Foto (wonach das ganze Büro schon seit Wochen gierte) per Email bei Kemal ankam, war die Enttäuschung groß.
Es war ein schlecht gemachtes Passbild aus dem Fotofix Automaten, wahrscheinlich am Hamburger Hauptbahnhof in der Mittagspause geschossen, nachdem der Gedanke kam: “Huch, deinen Ausweis mußt du ja unbedingt verlängern!”
Die Reaktionen beim Betrachten des Bildes war bei mir und den meisten meiner Kollegen wie folgt: “Was? Das soll Svetlana Pawlow sein? So hätte ich sie mir aber nicht vorgestellt.”
Tja, das soll nicht diskriminierend sein: Aber die Frau Pawlow mit der netten Stimme und sympathischen Art sah gar nicht so nett aus, wie gedacht:
Übergroße Rehaugen, blasses Gesicht, wahrscheinlich unreine Haut, zugedeckt mit etwa 1 cm Schminke. Ne Schönheit war sie nicht.. Auch nicht hässlich, aber eben nichts besonderes. So würde ich es mal definieren. Einfach gesagt, sie war “So… naja.. halt.”
Die Begeisterung hielt sich also in Grenzen und gerade Jorge, der sich die ganze Zeit als Pawlow-Lover bekannt hatte, fing mit als erster an, über sie abzulästern.
Der gearschte war jedoch Kemal, denn er hatte sie nun “an der Backe”. Sie wollte sich mit ihm treffen. Er ließ sich darauf ein, weil man ja immer noch “gucken” kann. Vielleicht dachte er ja auch, dass sie gut fürs Bett ist.
Es kam jedenfalls der große Tag, da verabredeten sich Kemal und Svetlana für einen Besuch in unserer Firma mit anschließender Fahrt nach Hamburg.
Jetzt könntet ihr natürlich sagen: “Mann, bist du bescheuert”, wenn ich euch erzähle, daß ich sie an dem Tag, an dem ich nichtmals arbeiten mußte, noch extra vom Bahnhof abholte um sie zu ihrem Möchtegern-Lover zu fahren. Tja, das könntet ihr sagen und ich wäre euch nicht böse.
Aber von meiner Seite aus, steckte noch mehr dahinter: Ich wollte Svetlana einfach aus Neugierde heraus, weil wir zuvor nett telefoniert hatten, doch nochmal kennenlernen, auch wenn sie für mich so gut wie abgehakt war. Und das war der wahre Grund: Ich wollte sie sehen um ganz zu vergessen, damit ich nicht sauer bin oder traurig ihr hinterher weine, sondern den Blick für Neues offen halte. Andere Mütter haben nämlich auch hübsche oder, wie in diesem Fall, noch hübschere Töchter.
So wartete ich am Bahnhof auf sie und schon der erste Kontakt war ziemlich indifferent: Als ich sie aufgrund ihres “nett gemachten” Passfotos erkannte und: “Du bist Svetlana, ne?”, fragte, bejahte sie. Mehr nicht. Kein “Nett dich kennen zu lernen, Martin” oder ähnliches. Denn Martin war eh bereits abgehakt, da zu schüchtern, ein Langweiler halt. Zweiter fataler Frauentrugschluß… ich könnt kotzen!
Auf dem Weg zur Firma plauderten wir ein wenig… ich machte den Fehler mich noch für sie ein bißchen zu interessieren, was sie wiederum nicht interessierte. Sie wirkte auch irgendwie leicht merkwürdig, ganz anders als vorgestellt. Ziemlich passiv und desinteressiert…das merkte man dann auch im Büro.
Die erste Begegnung zwischen Kemal und ihr verlief genau wie bereits geahnt. Kemal mußte mal eben schnell als er Svetlana erblickte von normal auf “Show-Macker” umstellen. Der objektive Betrachter bemerkte seine gespielte Art schnell. Svetlana aber nicht, denn sie interessierte sich für ihn und war auf dem Besten weg ihm zu verfallen.
Wir zeigten ihr unser Büro, den Hafen und erklärten ihr unseren Büroalltag. Das nahm sie alles mit unverhohlener Reaktion getreu der Devise: Is mir doch egal!“ auf.
Sie täuschte nichts vor, so ehrlich war sie. Wahrscheinlich dachte sie nur: “Wann bin ich hier aus dem Büro und weg vom Langweiler Martin, der so kindlich wirkt, und wann kann ich mit Kemal endlich Salsa tanzen und mich danach von dem tollen Hecht durchficken lassen?”
Sie mußte nicht lange warten, dann konnten sie nach Hamburg durchstarten, wo sich vielleicht all ihre Tagträume erfüllen sollten.
Als ich mich mit einem anderen Kollegen im Büro unterhielt, blickte sie öfter zu mir hinüber. Vielleicht dachte sie kurzzeitig: “Oh, doch ganz sympathisch. Aber eben zu schüchtern.”
Viele Gedanken daran verschwendete ich jedoch nicht, denn, nachdem ich sie und ihre komische Art kennengelernt hatte, wollte ich sie eh nicht mal mehr mit der Beißzange anfassen.
Auch ihr Äußeres wirkte sehr ungepflegt, was Lena, eine russische Kollegin, bestätigte: “Tote Haare, zu viel Schminke, maskiertes Gesicht, Haare auf der Jacke, sehr ungepflegt und als Frau wenig attraktiv.”
Selbst “geile Macker” wie Kemal nahmen eigentlich Abstand von so einer Frau.
Doch der hatte es ja nicht anders gewollt. Sie fuhren nach Hamburg, wo sie stolz das Haus ihrer Eltern zeigte und Kemal die ganze Zeit mit Sachen nervte, die für ihn sehr belanglos waren. Kemal wandte Plan B seiner Masche an.
Hintergründigiger Gedankengang: “Wie ziehe mich als geiler Macker aus der Affaire, wenn mir die Ische zu nervig wird…!?”
Und so ging er auf Toilette, und rief seine Schwester an. Folgenden Dialogfetzen muß man sich nun vorstellen: “Hör mal, du, mein Schwesterherz.. Du mußt mir helfen…blabla… ruf gleich an…ein Notfall… Vater geht’s nicht gut….blabla.”
Schwesterherz hält zur Familie und hilft:
Als Svetlana ihrem willigen Hengst, wie sie denkt, ihre Lieblings Merengue Scheibe vorspielt und ihn dabei fasziniert anstarrt, klingelt rein zufällig Kemals Handy!
“Was? Oh scheiße… mann… du, ich bin grad in Hamburg, aber ich komme so schnell es geht.”
“Das war meine Schwester”, erklärt er der desillusionierten Svetlana: “Meinem Vater geht’s gar nicht gut… er hat Herzprobleme…vielleicht muß er ins Krankenhaus. Sorry, Svetlana, aber ich muß los… wir machen ein andermal was zusammen, klar??”
Svetlana ist zutiefst traurig, aber respektiert natürlich, dass Kemal schnell nach Hause muß. Schade… aber es gibt ja ein nächstes Mal… hat Kemal versprochen. “Der soll mich doch nur einmal wild durchrammeln, dann weiß er, was er an mir hat.”
Aber die Kemal “ich komme mit vorgespielten Sachen zum Erfolg und ziehe mich mit ebensolchen aus der Schlinge”-Masche bedeutete das Anfang vom Ende der Beziehung zwischen Svetlana und ihm.
Sie rief oft in der Firma an und auch privat…stundenlange Telefonate… Seele auskotzen zur Schlafenszeit inklusive. Der “geile Macker” war selbst schuld, hatte er doch gesagt: “Du kannst dich immer bei mir melden!”.
Jetzt nervte sie ihn. Nette Rache, wie ich fand.
Sie rief ihn eines Tages im Büro an und flehte: “Laß uns zur Ice World gehen! Bitte!!!! Bitte!!! Bitte!!” Doch Kemal zeigte, dass er kein Bock hatte. Endlich war er mal wirklich ehrlich.
Die Frauen im Büro kicherten: “Eine Frau darf nicht betteln! Wie peinlich, wie schlecht!”
Kemal schaffte es schließlich, von der Frau Abstand zu gewinnen. Irgendwann merkte sie dann vielleicht doch endlich, dass er nicht der richtige für sie ist. Vielleicht ist sie aber auch heute noch traurig darüber, dass sie nicht an ihn rangekommen ist.
Ich blieb weiter single, war aber nicht gekränkt, sondern fühlte mich als strahlender Sieger. Schließlich hab ich mich schon lange nicht über eine reale Komödie so göttlich amüsiert.
Manchmal denke ich, es wird Zeit mal wieder einen Macho als Arbeitskollegen und eine sympathisch klingende Telefonpartnerin, auf die alle stehen zu haben.
Was wohl dieses mal passieren würde? Das wäre jedenfalls mal wieder ne Abwechslung im sonst grauen Büroalltag.