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Thema des Monats Der Tempel des Fünften Clearings

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10.04.2006
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Der Tempel des Fünften Clearings

Ekstase. Das war es, was Kai Wiese gesucht hatte. Und hier, beim Tanzen mit den anderen Nackten im Tempel des Fünften Clearings, hatte er es gefunden. So glaubte er.

Er war zum Tempel gefahren, einer abgelegenen, ehemaligen LPG in Ostdeutschland, um sich das Fünfte Clearing einmal anzusehen.
Das war der Name einer Gruppe, die er im Internet entdeckt hatte. Angeblich öffneten sie einem Tore zum eigenen Unterbewusstsein und veränderten das Leben für immer. Nichts sei danach mehr so, wie es war. Das hatte Kai neugierig gemacht, denn er war auf spiritueller Suche und hatte sich schon einige Psychogruppen angesehen: Scientology, Hare Krishna, TM, Bhagwan. Davor hatte er verschiedene Drogen ausprobiert: Hasch, Acid, H, Koks, Magic Mushrooms und Angel Dust. Aber nichts hatte ihn auf Dauer befriedigt, alles ließ ihn mit einem Gefühl der Leere zurück.
Hier jedoch… hier schien es anders zu laufen. Nach seiner Ankunft hatte sich ein Mitglied der Gruppe – Kai vermied das Wort Sekte - ausgiebig Zeit für ihn genommen, ihn gefragt, was er sich wünsche, und ihm dann erklärt, wie das Fünfte Clearing funktioniere. Durch eine Art Tanz- und Atemtherapie versuchten sie, einen von inneren Zwängen und Ängsten jeder Art zu befreien, um dann in weiteren Stufen der Erleuchtung ( was eigentlich nur weitere Therapiestufen waren ) zur vollkommenen inneren und äußeren Freiheit zu führen. Ziel war das Fünfte Clearing, ein Zustand, bei dem das Individuum absolut Free wurde.

Stroboskoplichter, ohrenbetäubender Meditationssound, süßlicher Geruch von Räucherstäbchen und Unmengen von Tee aus Thermoskannen brachten die Aspiranten in Stimmung. Der Tee hatte Kai nicht geschmeckt, daher hatte er nur eine halbe Tasse getrunken. Aber sonst fand er das Aufnahmeverfahren recht angenehm.
Die Leute tanzten ausgelassen. Allmählich lud sich die Stimmung auf; die Musik wurde schneller, aufpeitschender. Mehrere Leute rissen sich die Kleider vom Körper, und tanzten wilder.
Auch Kai tanzte. Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper. Ekstase.
Geil.
Die Brüste der Frauen hüpften beim Tanz. Er konnte nicht anders, als hinzusehen. Die Bewegung weiblicher Körper wirkte hypnotisch auf ihn. Bald waren fast alle der Tänzer vollkommen nackt. Kai dachte an Sex. Das hier, das Tanzen, war fast so gut. Vielleicht nicht ganz. Aber so, wie es hier abging, würde er hier auch Sex haben. Irgendwann, bald. Er hatte so ein Gefühl, dass er genau da war, wo er sein sollte. Er bekam eine Mörder-Erektion. Er hoffte, dass es niemand sonst bemerkte.
Ein paar schwarz gekleidete Leute aus der Gruppe traten auf das bühnenartige Podest, das an einer Seite der Halle aufgebaut war. Einer stellte sich vor den Mikrofonständer und rief: „Befreit euch! Lasst euch gehen! Tretet ein in den inneren Kreis!“ Jemand stellte die Musik noch lauter. Allmählich wurde sie hektischer, aufpeitschender. Die tanzende Menge war wie ein einziger Körper. Ein riesiges Ganzes, ein Organismus, ein wildes, geiles Tier, und er war ein Teil davon. Kai war berauscht. Er hatte die Augen geschlossen wie die meisten der anderen auch.
Da spürte er etwas an seinem Fuß. Er sah nach unten – eine Frau lag ihm zu Füßen. Sie zuckte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Gesicht drückte etwas aus, das überhaupt nicht zu Kais ekstatischen Hochgefühlen passte: Entsetzen. Überall in der Halle sah er nun Menschen, die in Anfällen von konvulsivischen Zuckungen auf dem Boden lagen. Nur noch Wenige tanzten und traten dabei auf die Leiber unter ihnen. Schreie und Stöhnen mischten sich in die Musik, die sich mittlerweile verändert hatte: harte Industrialklänge wummerten durch die Halle. Ein Schwindelgefühl erfasste Kai und zwang ihn, sich zu setzen, neben die Frau, aus deren Mund mittlerweile weißer Schaum gequollen war. Entsetzt wandte er sich ab und sah sich blinzelnd um. Schwarze Gestalten gingen umher und machten sich an den Liegenden zu schaffen. Kai bekam Angst. Er wollte aufstehen und wegrennen.
Mein Auto… wenn ich es zu meinem Auto schaffe, kann ich weg.
Aber er war nackt.
Wo sind meine Sachen?
Er konnte sich nicht erinnern.
Irgendwo...
Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.
Der Tee. Da war etwas im Tee. Drogen.
Er hatte nur eine halbe Tasse getrunken.
Aber die anderen…

Abrupt trat Stille ein, als jemand die Musik abstellte. Das Echo der Schmerzensschreie verharrte in Kais Kopf. Die Menschen stöhnten nicht mehr, sondern lagen da wie Tote. Eine der schwarzen Gestalten kam schließlich zu der Frau, die neben Kai lag. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Typ ihren Arm hochriss und ihr eine Spritze in den Körper jagte. Kai biss sich auf die Lippe. Der Geschmack von Eisen verbreitete sich in seinem Mund. Der schwarze Mann… er kommt. Er bringt mich um, er bringt mich …

„Walter, kommst du mal?“, rief jemand. Der Kerl mit der Spritze sah hoch. „Was ist? Ich bin hier noch nicht fertig.“
„Komm mal. Hast du mit Sergej telefoniert?“
Der Typ stand auf und ging zu den anderen hinüber. Sie unterhielten sich lautstark, so dass Kai das meiste mitbekam.
„Was ist jetzt, hast du mit ihm geredet?“
„Klar doch. Er kommt heut Nacht.“
„Die Autos müssen weg. So schnell wie möglich.“
„Ich sag doch, er kommt heut Nacht. Früher geht’s nicht, sagt er. Gibt Probleme mit dem Zoll. Muss wohl noch mehr springen lassen.“
„Hat er genug Geld?“
„Denk schon.“
„So wie das letzte Mal? Dieser dämliche Russe. Irgendwas geht immer daneben, wenn der liebe Sergej sagt, dass alles okay ist. Will er die Weiber eigentlich auch gleich mitnehmen?“
„Ja, hat er jedenfalls gesagt.“
„Aber ich sag dir… er kriegt nur, was er cash bezahlt.“

Kai kam allmählich wieder zur Besinnung, wahrscheinlich, weil er nicht viel von dem Tee getrunken hatte – möglicherweise aber auch, weil er in einem Zustand von Panik war. Was ging hier vor? Ging es um Autos? Frauen? Er wagte kaum zu atmen, als er hörte, wie die Typen sich entfernten – ihre Stimmen wurden leiser, bis er sie nicht mehr hören konnte. Vorsichtig sah er sich um. Außer den Betäubten, die am Boden lagen, war niemand zu sehen. Er setzte sich auf. Ihm war schlecht und sein Kopf brummte, als sei er eine Woche auf Sauftour gewesen. Er kroch in eine Ecke, wo ein Tisch stand. Darunter lag ein Haufen Klamotten, in den er kroch, um sich zu verbergen. Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Verdammte Scheiße. Wie konnte er bloß von hier verschwinden? Er erinnerte sich, dass er keinen anderen Ausgang in der Halle gesehen hatte als den, durch welchen man die Menschen hinausgetragen hatte. Da hörte er wieder die Stimmen der Mistkerle.

„Die Weiber auf eine Seite, die Kerle auf die andere. Ich sortier sie nachher noch genauer. Deckt sie zu, damit sie sich nicht erkälten, die Armen.“ Der Kerl lachte. Die anderen Schweine stimmten in sein Lachen ein. Sie trugen die reglosen Gestalten hinaus, eine nach der anderen. Als sie fertig waren, wurde das Licht ausgemacht.
Keiner hatte Kais Fehlen bemerkt. Ein Schluchzen kroch in ihm hoch. Aber er unterdrückte es, so gut es ging.
Was für eine Farce. Dies war ein Tempel des Horrors. Er musste weg von hier. Nur wie? Er war nackt und brauchte seine Klamotten. Inzwischen erinnerte er sich wieder: sie lagen hier irgendwo zwischen all den anderen Kleidungsstücken und in seiner Jacke steckte der Schlüssel seines Autos. Wahrscheinlich würden die Kerle bald zurückkehren. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Er kam unter dem Tisch hervor, durchwühlte die Haufen, zu denen man die Klamotten zusammengelegt hatte. Nach einer Weile hatte er alles zusammen: Hose, Pulli, Unterwäsche, Socken, Schuhe und Jacke. Seinen Schlüssel. Er zog sich an und schlich zur Tür. Er horchte daran. Kein Laut. Langsam öffnete er sie und spähte hinaus. Eine einzelne Glühbirne beleuchtete einen Gang. Sie schwankte im Luftzug, den er verursacht hatte und ließ Schatten über spinnwebenbedeckte Ziegelwände wandern, die im Licht der Glühbirne noch trister wirkten. Durch diesen Gang war er in die Halle gekommen - dies war der Ausgang. Auf beiden Seiten des Korridors waren weitere Türen, von denen er nicht wusste, wohin sie führten. Er betrat den Korridor und schlich sich voran. Jederzeit konnte sich eine der Türen öffnen und er wäre geliefert, doch dies war der einzige Weg.
Etwa nach halbem Weg durch den Gang näherte er sich einer Stahltür auf der linken Seite, deren blauer Lack von Rost überwuchert war. Ein kaum noch lesbares Schild war an ihr angebracht: Schlachtraum. Zutritt für Unbefugte verboten. Durch das Türblatt drangen Geräusche: Gelächter, panische Schreie, ein Geräusch, das sich anhörte wie eine Motorsäge, die einmal, zweimal aufheulte, ein tierisches Knurren, wie von einem riesigen Hund. Eine Kakophonie des Grauens. Er sah nicht, was dahinter vor sich ging, aber er hörte es. Er spürte, wie ihm heiß und kalt wurde. Was würde er sehen, wenn die Tür sich öffnete? Was? Da bemerkte er eine Bewegung am Boden. Ein Rinnsal kam unter der Tür durch. Im Kunstlicht wirkte es fast grau, aber Kai war sich sicher, dass es hellrot war. Blut. Da erst hastete er weiter. Seine Phantasie ging mit ihm durch und zeigte ihm Bilder – einen Folterkeller wie aus einem Horrorfilm: an Fleischerhaken aufgehängte Körper. Abgetrennte Gliedmaßen. Eingeweide. Schwarzvermummte Folterer. Und Pfützen von hellrotem Blut. Fontänen von Blut.
Er rannte bis zum Ausgang, der unverschlossen war.
Erst, als er im Freien stand, atmete er wieder tief ein. Es war mittlerweile dunkel und der Vollmond war aufgegangen. Alles schien ruhig und verlassen. Kai schlich weiter zum Parkplatz, wo er sein Auto abgestellt hatte. Dort standen die Autos der Besucher und darunter auch sein eigenes. Er hielt seinen Schlüssel umklammert, bewegte sich gebückt auf den heckenumsäumten Fußwegen auf die Autos zu und hoffte, dies sei das Ende des Alptraums. Er spürte seinen eigenen Herzschlag pochen, seine Hände zitterten. Nur noch wenige Meter trennten ihn von seinem Fahrzeug, da sah er im Dunkeln einen roten Lichtpunkt aufglühen. Kai ging in die Hocke, starrte hin. Da stand ein Kerl zwischen den Autos und rauchte. Kai zog sich langsam zurück und verließ den Parkplatz. Aus sicherer Entfernung sah er zurück. Der Kerl patrouillierte um die Autos. Kai sah auch sein Auto. Aber er konnte es nicht erreichen.
Er wartete eine Weile, doch der Mistkerl rührte sich nicht von der Stelle. Da entschloss sich Kai, zu Fuß zu flüchten. Niemand hatte ihn gesehen, seit er auf der Flucht war. Sie schienen auch keines ihrer Opfer zu vermissen. Er konnte also entkommen, es war möglich. Er musste die nächste Stadt, das nächste Haus erreichen. Er musste es versuchen. Er wollte nicht an einem Fleischerhaken enden. Durch eine Motorsäge. Oder … Schlimmeres.

Als er das Gelände verließ, betrat er ein Maisfeld, das sich bis an den Horizont auszubreiten schien. Die Pflanzen raschelten im Nachtwind. Das Mondlicht warf den Schatten der Stauden auf den ausgedörrten Boden, der von der Sonne steinhart gebrannt war. Wie ein Netz bedeckten die Schatten die Erde. Noch einmal sah Kai sich um. Es war niemand zu sehen, aber ihm schien, als stehe eine Rauchwolke über dem Tempel des fünften Clearings. In der Luft hing ein eigenartiger Geruch. Süßlich. Wie der Duft von Schweinebraten. Sein Magen verkrampfte sich und er erbrach sich auf die Stauden. Dann rannte er los. Die scharfen Blätter der Maispflanzen schnitten ihm ins Gesicht. Es war ihm gleichgültig, er verdrängte alles außer dem einen Gedanken: Weg. Bald bekam er Seitenstechen, aber er wusste, daran würde er nicht sterben. Er rannte weiter, rannte bis seine Lungen brannten wie Feuer, bis seine Beine sich anfühlten wie Bleiklumpen und er ein Pochen in seinen Schläfen spürte. Doch selbst dann rannte er weiter. Immerzu dachte er an die blaue Stahltür im Tempel und an das, was sich dahinter abspielte.

Er verlor jegliches Zeitgefühl. So wusste er nicht, wie lange oder wie weit er schon gelaufen war, als ihm ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf schoss. Er betastete seine Tasche, in der er seinen Schlüsselbund spürte. Diese perversen Schweine würden merken, dass ihnen für sein Auto die Schlüssel fehlten. Also würden sie wissen, dass einer entkommen war. Wie viel Zeit blieb ihm noch? Nicht viel. Dieser Sergej sollte noch in dieser Nacht kommen. Sie würden nach ihm suchen. Sicher würden sie das. Er wagte nicht, sich vorzustellen, was sie mit ihm machen würden.
Er musste weiter. Auf einmal stieg ihm ein Geruch in die Nase. Er kannte ihn; Erinnerungen aus seiner Kindheit stiegen in ihm hoch: Ein Wald. Eine Lichtung. Ein totes Reh. Verwesung. Gestank.
Wieder würgte Kai, aber sein Magen war leer. Als der Brechreiz abgeklungen war, stolperte er weiter. Plötzlich trat er ins Leere und fiel. Da war irgendein Loch und er stürzte hinein. Ein Gestank strömte ihm entgegen, der ihm den Atem raubte. Er landete weich, etwas raschelte unter ihm. Im Licht des Mondes sah er, dass er auf länglichen Bündeln aus Plastikfolie gelandet war. Aus einem reckte sich ihm eine dunkelgraue Hand entgegen, an der der Ringfinger fehlte. Er war mit einem sauberen Schnitt entfernt worden. In Panik sprang Kai auf und versuchte, hochzuklettern. Dabei trampelte er auf den Bündeln herum. Sie fühlten sich weich an unter seinen Füssen und mit jedem Tritt, den er machte, strömte mehr von diesem entsetzlichen Gestank zu ihm hoch. Schließlich schaffte er es und bekam eine Wurzel zu fassen, die am Rand der Grube aus dem Boden ragte. An ihr zog er sich hoch.
Er wischte sich das Gesicht ab. Seine Hand stank. Er roch an seiner Jacke. Sie auch. Allem entströmte dieser Geruch und der Brechreiz wurde übermächtig. Er ließ sich auf alle Viere fallen und würgte bittere Galle hoch. Krämpfe kneteten seine Eingeweide. Oh Gott, lass es vorbei sein! Schließlich verebbte das Würgen und er erhob sich matt. Da hörte er weit in der Ferne Stimmen. Rufe, Hundegebell. Er sah zurück. Taschenlampenlichter ragten wie Finger in die dunstige Nachtluft und zuckten hin und her. Sie kamen. Sie suchten.
Kai taumelte weiter, hetzte weiter, keuchte, hustete, der Schleim tropfte ihm von den Lippen, und der gallige Geschmack seiner Kotze vermischte sich mit dem scheußlichen Gestank, der seinen Kleidern entströmte. Werde ich jemals wieder schlafen können? Oder…
Er bemerkte, wie sie näher kamen. War er so langsam? Er fühlte sich nicht fit, er war ausgelaugt und schwach. Seine Beine zitterten. Sie waren vermutlich ausgeruht.
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen. Im Pflanzendickicht des Mais glänzte etwas. Es bewegte sich. Ein Augenpaar. Aus derselben Richtung erklang ein Knurren, und das Geräusch war tief und voll.
Ein riesiges Vieh. Das musste es sein. Eine Bestie aus der Hölle. An diesem Ort konnte es gar nichts anderes sein. Unvermittelt sprang es ihn an. Der Schmerz in seinem Oberarm raubte ihm fast den Verstand, als sich ein kräftiges Gebiss in seinen Bizeps bohrte. Das Knurren war jetzt ganz nah an seinem Ohr und aus dem Maul des Angreifers strömte ihm der gleiche Geruch entgegen, dem er gerade begegnet war.
Da hörte Kai Maisblätter rascheln, und wie sich Schritte näherten. Gestalten brachen durch den Mais. Jemand rief: „Erich, aus! Is ja gut jetze!“ Sofort ließ der Hund seinen Arm los. Im Schein einer Taschenlampe erblickte Kai für einen Moment einen riesigen schwarzen Hund. Er sah aus wie eine Kreuzung aus Rottweiler, Bernhardiner und Dogge. Sein Schädel war übersät mit Narben, ebenso sein Körper. Das Vieh musste mindestens sechzig Kilo wiegen und bestand nur aus Muskeln. Blutiger Schaum tropfte ihm aus dem Maul.
Kai spürte einen Schlag am Hinterkopf und verlor das Bewusstsein.

Als er wieder zu sich kam, lag er auf einem Bett mit weißen, sauberen Laken. Der Raum war hell und freundlich. Außer seinem standen noch drei weitere Betten darin, die aber nicht belegt waren. Auf dem Fensterbrett standen zwei Zimmerpflanzen, und vor dem Fenster hingen Figuren aus farbigem Glas: ein Flötenspieler und mehrere Kinder, die ihm folgten. Ihm stieg der Geruch von Desinfektionsmittel in die Nase, der ihm schließlich verriet, wo er war: Er lag in einem Krankenhaus.
Er wollte aufstehen, stellte aber fest, dass ihm sofort schwindlig wurde und blieb liegen. An seinem Oberarm fand er einen sauberen Verband.
Warum hatten ihn die Typen nicht beseitigt? Stattdessen hatten sie ihn ins Krankenhaus geschafft. Das passte überhaupt nicht ins Bild, das er mittlerweile vom Tempel hatte.
Da klopfte es. Wer war das? Sofort waren die Gefühle dieser Nacht wieder da: Angst und Schrecken. „Herein“, sagte er schließlich, und er hörte, wie seine Stimme zitterte.
Eine Krankenschwester betrat das Zimmer. „Wie geht es Ihnen denn heute, Herr Wiese?“ Sie lächelte freundlich.
„Es geht … Hören Sie, wie komm ich eigentlich hier her?“
Für einen Augenblick sah sie ihn mit Erstaunen an, dann lächelte sie wieder. „Das müssen schon Sie uns sagen. Man fand sie gestern Nacht vor dem Krankenhaus. In einem Zustand …“, sie rollte mit den Augen, „also wirklich … Sie sollten mit den Drogen aufhören. Was ist denn mit Ihrem Arm passiert? War das ein Hund?“
Kai nickte. „Ja, ich glaube schon.“

Am nächsten Tag entließ man ihn aus dem Krankenhaus. Auf eigene Verantwortung, wie es hieß, denn bei seiner Einlieferung hatte man in seinem Blut eine extrem hohe Konzentration von Halluzinogenen festgestellt.
In der Krankenhausverwaltung sagte man ihm, sein Auto stehe auf dem Parkplatz.
„Wie kommt es dahin?“, fragte Kai.
„Woher soll ich das wissen? Man hat einen Zettel bei Ihnen gefunden, zusammen mit Ihren Papieren. Darauf stand, Ihr Auto sei auf unserem Parkplatz. Mehr weiß ich leider auch nicht“, antwortete die Sekretärin in der Verwaltung.
„Wissen Sie etwas von den anderen?“ fragte Kai.
„Welchen anderen?“, entgegnete sie.
„Den anderen Leuten … aus dem Tempel.“
„Tempel? Davon weiß ich nichts.“
Kai nickte und ging.
Niemand wusste etwas über die anderen. Auch über den Tempel wusste niemand etwas, zumindest gab es keiner zu.
Aber vielleicht hatte er sich ja wirklich alles nur eingebildet.
Er unternahm einen letzten Versuch und ging zur Polizei. Nachdem der Beamte mit dem Krankenhaus telefoniert hatte, wies man ihm höflich, aber bestimmt die Tür.

Tempel? Hier gibt`s so was nicht. Auf der alten LPG? Die steht seit Jahren leer. Wird nur von Junkies benutzt, sagte der Polizist.
So, wie Sie einer sind, Herr Wiese, dachte der Polizist wahrscheinlich, sprach es jedoch nicht aus. Sein Gesicht verriet es Kai trotzdem.

Restlos entmutigt beschloss er schließlich, nach Hause zu fahren. Wahrscheinlich hatte er zu viele Drogen konsumiert, zuviel meditiert, zu viele Psychos getroffen. Sicher hatte er Wirklichkeit und drogenvernebelte Phantasien vermengt und so was wie einen Horrortrip gehabt. Er hatte keinerlei Beweise, dass es nicht so war.

Zwei Stunden später war er auf der Autobahn. Er wollte nur noch nach Hause, diesen ganzen Horror vergessen.
Nach einer Weile verspürte er das Bedürfnis nach einer Toilette, und fuhr bei der nächsten Raststätte runter.
Als er das Gebäude verließ und zu seinem Auto zurückgehen wollte, fuhr ein Autotransporter auf den Parkplatz. Kai ließ ihn vorbei und las dabei die Aufschrift auf dem Führerhaus: Sergejs Auto Im- u. Export. Russland, Deutschland, Ukraine.
Kai fühlte einen Bleiklumpen in seinen Eingeweiden und musste sich zwingen, langsam und unauffällig zu seinem Auto zu gehen. Er stieg ein und beobachtete den LKW. Zwei Typen stiegen aus, und gingen in die Raststätte. Nichts Auffälliges war an ihnen.

Es gab also wirklich einen Sergej, der mit Autos handelte. Aber was bewies das? Gar nichts. Andererseits, wenn …
Kai musste immer an die anderen denken. Wenn es stimmte …

Er fuhr los. Nicht nach Hause.
Zurück.
Zum Tempel.

Gegen ein Uhr Mittags kam er an. Alles schien auf den ersten Blick unverändert. Die Gebäude wirkten genauso schäbig und heruntergekommen wie beim ersten Mal.
Kai stellte sein Auto auf dem Parkplatz ab. Seines war das einzige Auto. Er stieg aus und ging zur Halle, wo er sich angemeldet hatte und wo alles passiert war. Als er die Halle betrat, sah er zuerst überhaupt nichts, so dunkel war es drinnen. Aber als sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, sah er vor sich den Gang mit der blau lackierten Tür. Alles war ruhig. Er zwang sich dazu, weiter zu gehen. Nichts geschah und er erreichte die Halle.
Sie war komplett leer geräumt. Alle Transparente, Poster und Plakate waren entfernt, die Einrichtung war verschwunden und Müll lag herum. Alles schien, als sei das Gebäude seit Jahren verlassen. Die Lampen waren zerschlagen und Graffitis bedeckten die Wände, die vor wenigen Tagen noch weiß gewesen waren. Er sah sich genau um, doch er fand nicht ein einziges Anzeichen dafür, dass hier vor wenigen Tagen eine Versammlung stattgefunden hatte.
Hatte sie stattgefunden?
Er verließ die Halle. Diesmal ging er nicht an der blauen Tür vorbei, sondern blieb vor ihr stehen. Er erinnerte sich noch genau daran, wie er einige Tage zuvor an derselben Stelle gestanden und furchtbare Dinge gehört hatte … oder scheinbar gehört hatte? Er zögerte, legte die Hand dann doch auf den Türgriff und drückte ihn nach unten. Was hatte er nur erwartet? Eine Folterkammer? Zerstückelte Leichen? Gestalten in Masken, die sich an wehrlosen Frauen vergingen? Nichts von alledem fand er vor. Es war ein schäbiger Raum, der vielleicht einmal als Schlachtraum gedient haben mochte, aber allem Anschein nach war dies schon Jahre her. Spinnweben und Staub bedeckten alles in diesem Raum in dicken Schichten.
„Alles Quatsch!“, sagte er halblaut vor sich hin und schmiss die Tür zu. Er ging wieder nach draußen und sog gierig die frische Luft ein. Er war erleichtert. Nichts war real gewesen. Blödsinn, alles Blödsinn. Aber er war doch hierher gefahren … er war auch einige Tage zuvor hier gewesen, woher hätte er den Ort denn sonst kennen sollen? Alles in seinem Kopf ging wirr durcheinander. Was war real, was nicht? Die Grube im Maisacker, wenn es die nicht gibt, dann …
Er rannte in den Mais hinein, und je weiter er in das Feld vordrang, desto mehr erinnerte er sich an Einzelheiten seiner Flucht. Den Mond, das Rascheln der Maispflanzen, den vertrockneten, steinharten Boden.
Er war hier gerannt in jener Nacht. Dessen war er sich sicher.
Schließlich erreichte er die Stelle, wo sich die Grube befinden musste.
Sie war nicht da.
Doch sie war da gewesen.
Dunkle Erde voller Traktorspuren bedeckte die Stelle. Der Geruch von Erde und Dieselabgas hing in der Luft. Die Traktorspur führte von dieser Stelle mitten durch das Feld.
Er folgte ihr durch die Maispflanzen. Es ging kein Lüftchen, nur er raschelte an den Blättern der mannshohen Stauden. Schließlich erreichte die Spur den Rand des Ackers. Eine Landstraße bildete die Grenze und verschluckte die Traktorspur. Ein paar Meter noch sah man Bröckchen von Erde auf dem Asphalt, dann nichts mehr.
Kai folgte der Straße – es war die, die zum Tempel führte.
Als er dort ankam, setzte er sich auf die Motorhaube seines Golfs und rieb sich über die kurzen blonden Haare. Er fühlte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog und ein Schluchzen seine Kehle zittern ließ. Tränen rannen ihm über die Wangen. Er sah sich noch einmal um, sah die alte Maschinenhalle, sah die zerborstenen Fenster und die verrosteten Tore. Er rutschte von der Haube und trat mit dem Fuß gegen ein Vorderrad seines Autos. „Aaaaaah!“, schrie er wie ein Wahnsinniger. „Es ist nicht … wahr, nicht wahr, nicht wahr“, murmelte er vor sich hin wie ein Mantra, als er einstieg und losfuhr.

Nicht wahr, nicht wahr, nicht wahr …

Einen Kilometer vom Tempel entfernt versperrte ihm ein Traktor den Weg. Kai sah mehrere Männer davor stehen. Mit quietschenden Reifen blieb er stehen – in sicherem Abstand. Er öffnete die Autotür nur halb und lehnte sich nur ein Stück hinaus.
Einer der Typen trat vor. Er war etwa Mitte Vierzig, hatte eine Stirnglatze, sehr kurzes graues Haar, und trug einen feinen Anzug. Auf seiner Nase saß eine altmodische Hornbrille mit dicken Gläsern.
„Guten Tag. So lernen wir uns also kennen. Wenn ich mich kurz vorstellen darf: Dr. Heinz Schabowski. Ich dachte mir schon, dass Sie keine Ruhe geben werden …“
„Sie Mistschweine … es ist alles wahr … oder etwa nicht?“, schrie Kai.
Dieser Doktor lächelte. „Sehen Sie … Herr Wiese, hätten Sie sich von Acker gemacht, wäre alles in Ordnung gewesen … Wer glaubt schon einem wie Ihnen, einem Drogenkonsumenten … jemand, der an Ufos glaubt und Reinkarnation und all diesen Scheiß, wer sollte Ihnen glauben, häh? Aber der Herr Wiese muss natürlich weiter rumschnüffeln. Es reicht ihm nicht, dass er davon gekommen ist, denkt wohl, er ist was Besonderes …“ Schabowskis Stimme klang in Kais Ohren wie Glassplitter, die über einen Spiegel kratzen. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Aber er ist nichts Besonderes, der Herr Wiese. Er ist ein Nichts, ein Niemand. Ein kleiner Wixer, der in der Scheiße von anderen Leuten rumrühren muss, weil er selbst nichts gebacken kriegt. Ist es nicht so? Die Typen, die zu unseren Meetings kamen, die waren alle so. Schlaffis, die gern mal wieder gefickt hätten … aber keinen hochkriegten.“ Schabowski sah sich zu seinen beiden Leuten um und nickte ihnen zu.
Kai sah, dass sie ihren Hund dabei hatten.
Der Doktor wandte sich wieder in Kais Richtung. „Tja. Pech gehabt. Wir, das heißt ich, Erich und meine Leute hier, wir machen dich jetzt fertig. Du wolltest es ja nicht anders. Wir lassen dich verschwinden … wie die anderen kleinen Arschlöcher.“
„Das werden Sie nicht!“, schrie Kai. Er zog den Kopf ins Wageninnere, schlug die Tür zu und fuhr los. Die Reifen quietschten. Der Geruch verbrannten Gummis stieg ihm in die Nase. Auf Schabowskis Gesicht zeigte sich Erstaunen. Keiner der drei bewegte sich. Offenbar hatte er sie so überrascht, dass sie unfähig waren, zu reagieren. Lediglich Erich, der Hund, verkroch sich unter den Traktor.
Und dann krachte sein Golf in die Kerle. Die Front des Autos traf Schabowski als ersten und schleuderte ihn von der Straße. Die anderen beiden wurden zwischen Auto und Traktor eingeklemmt. Blut spritzte auf die Windschutzscheibe.
Kai setzte seinen Wagen zurück. Einer der Vorderreifen schrammte am Blech des Kotflügels und erzeugte ein schabendes Geräusch. Der Hund jaulte, war aber unverletzt.
Kai lehnte sich aus der Seitenscheibe. Die beiden Typen waren zu Boden gesackt und rührten sich nicht mehr. Die Motorhaube des Traktors war blutverschmiert.
„Du kleine Mistratte … du hast mich erwischt … du hast mich tatsächlich erwischt.“ Schabowski kroch auf die Straße. Seine Brille war zerbrochen, eines der Gläser fehlte ganz, das andere hatte einen Sprung. Langsam stand er auf. Er blutete aus Schürfwunden an den Händen und aus einer tiefen Platzwunde an der Stirn. Er starrte durch die Autoscheibe. „Du Drecksack … das war dein Todesurteil … ich habe Freunde, die machen …“
Kai gab noch einmal Gas. Schabowski prallte auf die Motorhaube, rollte über die Scheibe und über das Autodach, und fiel hinten auf die Straße.
Kai fuhr weiter. Er sah noch einmal in den Rückspiegel. Schabowski rührte sich nicht.

Diesmal musste man ihm glauben. Er hatte Beweise. Sie klebten überall an seinem Auto.

 

Hallo,
ich dachte, wenn ich schon das Thema vorschlage, muss ich auch was schreiben. Zuerst fiel mir nichts ein, aber dann kam mir das Bild dieses orgiastischen Anfangs. Und so eins zum anderen. Viel Spass damit.
grüsse
Spalatus

 
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Hallo spalatus,

deine Geschichte ist recht routiniert geschrieben, relativ viele Adjektive, aber das muss nichts schlechtes sein. Die Anfangssituation ist sehr schön gemacht, du steigst auch schnell ein und lässt die Handlung zügig voranschreiten, einzig ab dem Zeitpunkt, an dem Kai sich befreien kann, zieht es sich dann ein bisschen. Die Erschöpfung, die Desorientierung, die Angst - das sind Gefühle, die nur dosiert auftauchen sollten, weil sie über einen längeren Zeitraum ihre Zugkraft verlieren. Da wäre weniger vielleicht mehr.
Die Pointe mit den Menschenhändler-Werwölfen (oder was immer es ist) braucht es eigentlich gar nicht, ich fände die Idee von ein paar kranken Sadisten und Menschenhändler, die leichtgläubige Wohlstands-Sinnsuche-Heinis betäuben und misshandeln, sehr viel gruseliger.
Dass du uns dann, nach der langen Beschreibung von Kais Flucht um die letzlich aufregende Jagd betrügst, ist nicht sehr nett. Ich hätte da lieber den Mittelteil gekürzt und das Ende weiter ausgebaut - und vielleicht auch durchgängig aus Kais Perspektive erzählt.
So wirkt es ein wenig, als ginge dem Text zum Ende die Luft aus, was aber auch daran liegt, dass der Anfang - das Tanzen, das Umkippen, das Gefangenwerden - sehr gut beschrieben ist. Das ist auch ein sehr dankbares, gutes Szenario. In Ekstase sind Menschen verletzlich, das kann jeder Leser nachvollziehen, das hat mir sehr gut gefallen, ab da lässt es leider - für meinen Geschmack - etwas nach.

Aber trotzdem eine solide Geschichte.

Details:

Mördererektion
Mörder-Erektion; so liest es sich ganz schräg durch das „erere“

Die tanzende Menge war wie ein einziger Körper, dachte Kai.
Natürlich denkt er das. Es ist nicht notwendig, das „dachte Kai“ noch mal anzuführen, es ist deutlich, dass wir in seinen Gedanken sind.

eine Frau lag ihm zu Füssen.
Füßen, oder? Füssen ist eine Stadt im Allgäu

wie der Typ der Frau eine Spritze an die Armvene hielt
Klingt irgendwie schräg, er sieht die „Armvene“ ja nicht direkt, sondern nur den Arm. Also ich weiß nicht, warum genau, aber ich würde es umformulieren.

Darunter lagen Klamotten, die er über sich zog, um sich zu verbergen.
Ich verstehe den „um … zu“-Nebensatz nicht. Man zieht nur Tarnkleidung an, um sich zu verbergen. Meinst du damit, dass er jetzt dasselbe anzieht, was auch die Bösewichte anhaben?

Erleichtert schlüpfte er in seine Kleider und stand auf. Vorsichtig schlich er zu einer der Türen. Er horchte daran. Es war nichts zu hören. Langsam öffnete er die Tür und spähte hinaus.
Der Satzbau mit dem Adverb am Satzanfang wird mir hier überstrapaziert (Erleichtert, vorsichtig, langsam).

Er war ratlos. Dies war sicher nicht der Weg nach draußen. Aber andererseits war da auch eine bohrende Neugier in ihm. Was ging da unten vor sich?
Ach, ich weiß nicht. Ist das nicht ein bisschen an den Haaren herbeigezogen? Ich meine, er hat doch Panik und will erstmal nur raus, vielleicht die Polizei rufen, oder so etwas. Und dann geht er in den dunklen Keller? Wirklich aus Neugier oder weil du als Autor das so willst?

Sie hatten eine Wache bei den Autos gelassen. Er schlug sich in die Büsche und schlich sich auf die Rückseite des Parkplatzes. Jetzt sah er sie: es waren drei oder vier schwarzgekleidete Kerle, die um die Autos patrouillierten. Kai sah auch sein Auto. Aber es war ihm unmöglich, es zu erreichen.
Mal von der Logik her. Warum lassen sie VIER Männer draußen bei den Autos und nicht nur einen und dafür noch drei bei den Bewusstlosen? Dieses Mittel scheint ja nicht so sicher zu wirken, wenn sich Leute davon so schnell unterholen. Da würde ich doch eher das „Bewusstlos werden“ genau beobachten und nicht die Autos.

Die Pflanzen raschelten leise im schwachen Nachtwind.
Dieser extrem Adjektiv-lastige Stil beginnt mich zu stören.

Sollen sie ruhig, dachte Walter. Ihm war heute nicht nach Sadismus.
Ach na ja. Der Bösewicht denkt von sich selbst nicht als Bösewicht, auch wenn er böse ist. Vielleicht eher: Ihm war heute nicht so nach Spaß/Frauen/Poppen.

Natürlich hatte der Erfolg der Gruppe auch etwas mit der Dummheit der Leute zu tun. Es war wirklich verwunderlich, wie viele sich freiwillig in die Hand des Fünften Clearings begaben. Der Name war natürlich, wie fast alles andere, Tarnung, ein schlechter Witz. Die Leute wollten dazu gehören, wollten aus ihrem langweiligen Leben ausbrechen, eine höhere Bewusstseinstufe erreichen. Diese Trottel, dachte er und grinste.
Der Text erklärt das Offensichtliche. Und wenn man etwas liest, was sonnenklar ist, langweilt es.

Gruß
Quinn

 

Tach Spalatus!

Jau, viel habe ich Quinns Kritik nicht hinzuzufügen. Mir hat's auch gut gefallen. Und dass am Ende Werwölfe im Spiel sind, finde ich herrlich abgedreht. Ich mag sowas.

Besonders hat mir der Tanz-Absatz gefallen ("Auch Kai tanzte ..."). Diese kurzen, abgehackten Sätze - prima umgesetzt. :thumbsup:

Die Flucht-Szene, in der Kais Angst wächst und wächst, hätte ich auch ein wenig gekürzt, oder zumindest öfter mal ein anderes Stilmittel verwendet als diese vielen Fragen:

Was ging hier nur vor? Autos? Um welche Autos ging es dabei? [...] Ging es darum? Und wenn, was hatten diese Typen mit den Leuten vor? Wollten sie sie auch verkaufen?
Das las sich auf Dauer ein wenig anstrengend und nahm ein wenig vom Tempo der Geschichte.

Also: Mir hat's gut gefallen. Quinns Anregungen kann ich mich nur anschließen; das muss nicht zweimal erwähnt werden.

Kleinvieh:

Ekstase. Das war es, was Kai gesucht hatte. Und hier, beim Tanzen mit den anderen Nackten im Tempel des Fünften Clearings, hatte er es gefunden
Grammatikalisch ist das zweite "es" natürlich richtig, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, es bezöge sich noch auf die Ekstase und müsste daher ein "sie" sein. Rein vom Gefühl her. Keine Ahnung ... Wollte ich nur anmerken.

Er setzte sich neben die Frau, die Schaum vor dem Mund hatte.
Das ging ja fix. Der Schaum klingt in diesem Nebensatz so selbstverständlich. Lass ihn doch aktiv werden und schäumen und hervortreten. Fänd ich schöner.

Wie weit war es bis zur nächsten Stadt?
Da er ja mit dem Auto gekommen ist, sollte er das doch wissen, oder? Hat mich ein wenig gestört.

... und ein Pochen in seinem Kopf zu dröhnen begann.
Pochen oder Dröhnen. Eins von beiden reicht.

Das war aber nur Kleinkram. Mir hat's gefallen. Gerne gelesen. :)

Bis denne,
Fisch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn und Fisch,
danke erst mal fürs lesen und Kommentieren. Also ich muss ganz einfach zugeben, dass ich stilistisch sicher noch an mir arbeiten muss. Hatte jetzt auch ein dreiviertel Jahr Schreibpause.
Speziell die Sachen die du, Quinn, bemängelt hast ( Adjektive etc. ) sind einfach Patzer. Ist so. Ich hab die ganze Sache noch mal durchgesehen, dem Mittelteil überarbeitet ( Keller ist raus. War wirklich unlogisch. Nur noch eine Wache am Parkplatz ...) und vor allem den Schluss geändert ( Jagd usw.) . Aber da bin ich mir jetzt echt nicht so ganz sicher. Wäre super, wenn ihr das mal lesen könntet. Ist der Schluss jetzt zu absurd/grotesk/abgedreht?

Vielen Dank euch beiden. Freut mich total, wenn's teilweise gefallen hat. Vielleicht ist's ja jetzt noch etwas besser. (Hoffe ich. )

schönes Ostern

Spalatus

Nachtrag: Ich bin immer noch unzufrieden mit dem Plot. Das Ende macht mir zu schaffen. In der Form, wie es jetzt online ist, gefällt es mir nicht. Ist mir irgendwie zu persiflageartig - mit diesen sozialistischen Kollektivzombies. Hab seitdem zwei alternative enden geschrieben, aber auch damit bin ich noch unzufrieden. Mal sehen.

 

Ich hab das Ganze etwa ab der Mitte völlig umgeschrieben. Ist jetzt weniger Persiflage .. eher so was wie ein Psychokrimi. Finde ich wenigstens.

Grüsse
Spalatus

 

Hallo Spalatus!

Mir hat Deine Geschichte recht gut gefallen, wobei das nicht zwangsläufig eine Sekte sein muß, vielmehr geben die Männer sich nur als solche aus, sind aber doch Betrüger (nicht nur), oder? Der Horror, so wie ihn die meisten hier mögen, kommt jedenfalls nicht zu kurz in Deiner Geschichte, ist aber auch nicht übertrieben.
Besonders spannend fand ich die Szene im Feld, hingegen hat mir der Schluß, also das brutale Niederfahren der Männer mit dem Auto, weniger gefallen – eher hätte ich die Geschichte für den Protagonisten schlecht ausgehen lassen.
Das mit den Drogen zu Beginn, genauergesagt, was er alles ausprobiert hat, sich aber danach immer leer gefühlt hat, klingt ein bisschen zu an den Haaren herbeigezogen, und vor allem trifft das Gefühl der Leere wohl nicht auf alles zu, was Du da aufgezählt hast. Ich würde mich für zwei, drei davon entscheiden. Wobei, wenn er wirklich so auf spiritueller Suche war, wie Du beschreibst, würde ich da eher zu Dingen wie Stechäpfeln, Tollkirschen, Fliegenpilz u. ä. greifen.

Was mir nicht ganz klar war, ist:

Mein Auto… wenn ich es zu meinem Auto schaffe, kann ich weg.
Aber er war nackt.
Wo sind meine Sachen?
Warum braucht er zum Flüchten unbedingt sein Gewand? Daß er es wegen dem Autoschlüssel braucht, fällt ihm ja erst hier ein:
Er war nackt und brauchte seine Klamotten. Inzwischen erinnerte er sich wieder: sie lagen hier irgendwo zwischen all den anderen Kleidungsstücken und in seiner Jacke steckte der Schlüssel seines Autos.
Also vielleicht den Autoschlüssel schon vorher erwähnen, denn sein Leben kann er auch nackt retten.

Stilistisch fand ich sie großteils gut zu lesen, was den kleinen anderen Teil ausmacht, hier der Reihe nach:

»einer abgelegenen, ehemaligen LPG in Ostdeutschland,«
– Was ist das bitte? Abkürzungen sollte man in Geschichten grundsätzlich vermeiden.

»Hier jedoch… hier schien es anders zu laufen. Nach seiner Ankunft hatte sich ein Mitglied der Gruppe – Kai vermied das Wort Sekte - ausgiebig Zeit für ihn genommen,«
– Leertaste auch vor die drei Punkte (kommt mehrmals vor); ohne Leertaste nur dann, wenn ein Wortteil dadurch ersetzt wird.
– hier hast Du einmal einen langen und einmal einen kurzen Gedankenstrich – den langen machst Du im Word mit Strg + -

»wie das Fünfte Clearing funktioniere.«
– funktionierte

»( was eigentlich nur weitere Therapiestufen waren )«
– ohne Leertasten bei den Klammern

»bei dem das Individuum absolut Free wurde.«
– wieso denn dieses englische Wort?

»Mehrere Leute rissen sich die Kleider vom Körper, und tanzten wilder.«
– ohne Beistrich (Komma)

»Auch Kai tanzte. Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper. Ekstase.«
– Den ersten Satz würde ich mir sparen, warum nicht einfach: »Kai rann der Schweiß in Strömen über den Körper. Ekstase.« Was sonst, als daß er tanzt, sollte der Leser dabei denn glauben?

»Er hatte die Augen geschlossen wie die meisten der anderen auch.«
– geschlossen, wie

»Nur noch Wenige tanzten und traten dabei auf die Leiber unter ihnen.«
wenige

»Musik, die sich mittlerweile verändert hatte: harte Industrialklänge wummerten durch die Halle.«
– ganzer Satz nach dem Doppelpunkt: groß weiter

»neben die Frau, aus deren Mund mittlerweile weißer Schaum gequollen war.«
– »quoll« statt »gequollen war«

(Dazwischen gibt es mindestens vier Mal die drei Punkte, denen die Leertaste fehlt.)

»„Walter, kommst du mal?“, rief jemand. Der Kerl mit der Spritze sah hoch. „Was ist? Ich bin hier noch nicht fertig.“«
– bei Sprecherwechseln bitte Zeilenwechsel

»Inzwischen erinnerte er sich wieder: sie lagen hier irgendwo zwischen all den anderen Kleidungsstücken …«
– groß nach dem Doppelpunkt, da ganzer Satz

»und in seiner Jacke steckte der Schlüssel seines Autos.«
– gehört der Schlüssel dem Auto oder ist es »sein Autoschlüssel«?

»Er hatte keine Zeit zu verlieren. Er kam unter dem Tisch hervor, durchwühlte die Haufen, zu denen man die Klamotten zusammengelegt hatte. Nach einer Weile hatte er alles zusammen:«
– dreimal »hatte«
– »zusammengelegt« klingt meiner Meinung nach zu ordentlich, vielleicht »aufgeschichtet«?
– hatte er alles beisammen

»Er zog sich an und schlich zur Tür. Er horchte daran.«
– Vorschlag: Er zog sich an und schlich zur Tür, horchte daran.

»Durch diesen Gang war er in die Halle gekommen - dies war der Ausgang.«
– wieder ein kurzer Gedankenstrich

»Etwa nach halbem Weg durch den Gang näherte er sich einer Stahltür auf der linken Seite,«
– »durch den Gang« kannst Du streichen, weil es eh klar ist

»deren blauer Lack von Rost überwuchert war.«
– Lack wird nicht vom Rost überwuchert, wenn da Rost ist, ist an der Stelle vermutlich kein Lack mehr, denn Lack schützt ja vor Rost.

»Seine Phantasie ging mit ihm durch und zeigte ihm Bilder – einen Folterkeller wie aus einem Horrorfilm: an Fleischerhaken aufgehängte Körper. Abgetrennte Gliedmaßen. Eingeweide. Schwarzvermummte Folterer. Und Pfützen von hellrotem Blut. Fontänen von Blut.«
– Und wo sind die Folterinstrumente? ;-)

»bewegte sich gebückt auf den heckenumsäumten Fußwegen auf die Autos zu«
– würde nur von einem Weg sprechen und die Wiederholung von »auf« vermeiden: bewegte sich gebückt den heckenumsäumten Fußweg entlang auf die Autos zu

»Kai sah auch sein Auto. Aber er konnte es nicht erreichen.«
– würde da einen Satz draus machen

»er verdrängte alles außer dem einen Gedanken: Weg.«
– hier folgt kein ganzer Satz, daher klein nach dem Doppelpunkt.

»Er verlor jegliches Zeitgefühl. So wusste er nicht, wie lange oder wie weit er schon gelaufen war,«
– das »So« am Satzanfang gefällt mir nicht sehr, wie wär’s mit »Er verlor jegliches Zeitgefühl, wusste nicht, …«?

»Sie fühlten sich weich an unter seinen Füssen und mit jedem Tritt,«
– Füßen

»Kai taumelte weiter, hetzte weiter, keuchte, hustete, der Schleim tropfte ihm von den Lippen,«
– eins der beiden »weiter« würde ich streichen und nach »hustete« würde ich einen Punkt machen.

»Er bemerkte, wie sie näher kamen.«
– oder einfach: Sie kamen rasch näher.

»Er fühlte sich nicht fit, er war ausgelaugt und schwach.«
– das zweite »er« kannst Du streichen

»Seine Beine zitterten. Sie waren vermutlich ausgeruht.«
– Soso. ;) Typischer Fall von falschem Bezug, besser: Seine Verfolger waren vermutlich ausgeruht.

»strömte ihm der gleiche Geruch entgegen, dem er gerade begegnet war.«
– dem er gerade entkommen war.

»Da hörte Kai Maisblätter rascheln, und wie sich Schritte näherten.«
– Da hörte Kai Maisblätter rascheln und Schritte sich nähern.

»Er wollte aufstehen, stellte aber fest, dass ihm sofort schwindlig wurde und blieb liegen.«
– Warum muß er es erst feststellen? Er wollte aufstehen, doch wurde ihm sofort schwindlig und er blieb liegen. Zum Beispiel. ;-) Wenn Du den Satz aber so läßt, gehört ein Beistrich nach »wurde«

»„Herein“, sagte er schließlich, und er hörte, wie seine Stimme zitterte.«
– „Herein“, sagte er schließlich. Seine Stimme zitterte.

»Am nächsten Tag entließ man ihn aus dem Krankenhaus. Auf eigene Verantwortung, wie es hieß, denn bei seiner Einlieferung hatte man in seinem Blut eine extrem hohe Konzentration von Halluzinogenen festgestellt.«
– Nein, auf eigene Verantwortung geht man nur, wenn man selbst gehen will. Sie können ihn nicht von sich aus auf eigene Verantwortung nach Hause schicken, und in dem Fall würden sie das bestimmt nicht tun. Es sollte also schon er selbst sein, der da gehen will.

»„Wissen Sie etwas von den anderen?“ fragte Kai.«
– anderen?“, fragte

»Restlos entmutigt beschloss er schließlich, nach Hause zu fahren.«
– »schließlich« kannst Du streichen

»Gegen ein Uhr Mittags kam er an.«
mittags

»Spinnweben und Staub bedeckten alles in diesem Raum in dicken Schichten.«
– Entweder würde ich »in dicken Schichten« überhaupt streichen, oder schreiben »Dicke Schichten aus Spinnweben und Staub …«

»murmelte er vor sich hin wie ein Mantra, als er einstieg und losfuhr.«
– finde, umgedreht klingt es besser: murmelte er wie ein Mantra vor sich hin

»Er öffnete die Autotür nur halb und lehnte sich nur ein Stück hinaus.«
– öhm, also ich würde ihn überhaupt nur das Fenster runterkurbeln lassen, halb geöffnet wirkt irgendwie seltsam, wenn er Angst hat. (Ich würde da jedenfalls eher zusperren als aufmachen! ;))

»Er war etwa Mitte Vierzig, hatte eine Stirnglatze, sehr kurzes graues Haar,«
vierzig
– So, wie Du den beschreibst, würde ich ihn älter schätzen. :D

»hätten Sie sich von Acker gemacht, wäre alles in Ordnung gewesen«
– vom Acker

»Es reicht ihm nicht, dass er davon gekommen ist,«
– zusammen: davongekommen

»Ein kleiner Wixer, der in der Scheiße von anderen Leuten rumrühren muss,«
– Rum soll er nicht rühren, sondern »umrühren«.


So, das war’s,

liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Spalatus,

im Gegensatz zu den Anderen hat mir deine Geschichte leider gar nicht zugesagt. Das liegt zum einen an den vielen Logiklöchern. Wie ist es möglich, bei einem so wichtigen Ereignissen einfach eines der Opfer zu übersehen? Wie nachlässig muss man da Handeln. Außerdem kommt die Betäubungsmasche mit dem Tee nicht gut rüber. Wie können die Veranstalter sicher gehen, dass die Tassen wirklich ausgetrunken werden und wenn sie sich doch sicher sein können (weil es einfach zum Ritual gehört oder so), warum verhält sich Kai dann anders?
Außerdem fehlen mir die Beweggründe für das Massaker und wie es gelingen kann soviele Personen unbemerkt abschlachten zu lassen und das mehrmals.

Kai selbst finde ich auch als Figur nicht unbedingt tief. Am Anfang bringst du Beispiele für seine Sinnsuche, aber das bleibt doch ziemlich blass. Außerdem kommt es ziemlich übertrieben rüber, dass soeiner dann auch nach Heroin greift. Das ist so krass, dass es einer näheren Erklärung braucht um glaubhaft rüberzukommen.
Seine Ängste hast du ab der stelle, wo er durchs nächtliche Maisfeld stolpert gut geschildert. Da kann ich siene Gefühle nachvollziehen. Dennoch, wirklich mitfiebern konnte ich mit ihm nicht, dazu blieb er mir zu oberflächlich.

Ich hätte gerne mehr über die Rituale gelesen, die dem Massaker vorrausgehen. Der Tanz und der Gruppensex waren mir da zuwenig und ich glaube, das wäre eine perfekte Methode auf interessante Weise Atmosphäre aufzubauen - daran fehlt es deiner Geschichte leider.
Bring noch ein paar kreative, verstörende Rituale mit rein, irgendweilches verrücktes (aber nachvollziehbares!) Zeug!

Die Stelle, wo er im Krankenhaus aufwacht, hat was. Da trifftet die Story dann in die Gefilde des Mystery-Thrillers und ich hätte mir gewünscht, dass es auf der Linie weitergeht und der Anfang irgendeine interessante Wendung bekommt. Kam leider nicht. Stattdessen das Maisfeld und die Begegnung mit den Bösen. Das wirkt ziemlich an den Haaren herbei gezogen meiner Meinung nach. Auch ihr ruhiges Handeln, obwohl sie sich bestimmt vorstellen hätten können, wie ein Überlebender ihres Massakers ausrasten wird.

So, das ist also meine Meinung zu deiner Geschichte. Wie gesagt, überzeugen konnte sie mich leider nicht, aber interessante Ansätzewaren vorhanden, und ich hoffe einfach mal, dass die in deinen nächsten Geschichten stärker zum Ausdruck kommen. Bis dann!

 

Hallo Anteron und Susi,
danke fürs Lesen und Kommentieren.
Ich muß gleich vorweg sagen: diese Geschichte ist noch nicht fertig und ich bin selbst noch keineswegs zufrieden damit. Das heißt, wahrscheinlich ändert sich auch der Plot noch. Ich hab selber noch ein gewaltiges Logikloch entdeckt ... wo, sage ich nicht.
Aber die Geschichte wird noch besser, versprochen.

Grüsse
Spalatus

 

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