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Der Tod
Das Trampeln der Schritte hallte in dem Flur wider. Die Schatten erhoben sich aus ihren dunklen Nischen und das Nichts erschien vor mir und raubte mir meinen Verstand. Denn es war schwarz wie die Nacht, und doch so hell wie die Sonne. Es war warm wie die Liebe und so kalt wie der Hass. Es war so klein wie ein Baby und so groß wie ein Riese. Es war ein Nichts und bestand aus tausend Leben. Und jedes Leben schrie aus seinem tiefsten Sein heraus. Seelen, es waren Seelen. Sie zu zählen ginge über meinen Verstand hinaus. Denn das Nichts hatte alle vergangenen Leben in sich aufgesaugt, um selber nicht zu vergehen.
Dieses Wesen war der Tod. Seine Sense schlug tausend Leben und seine leeren Augen sahen unendlich viele Seelen.
Und nun griff seine kalte Hand, aus modernden Knochen und zerfetzter Haut, nach mir. Und glaube mir wenn ich dir sage, dass selbst meine Ohren zu schreien begannen, als mein Brüllen erklang. Denn seine Augen waren so leer wie der schwarze Ozean und so tief wie die Schlucht ins Höllenreich. Kein Leben, kein Verstand, nicht einmal Gefühl schien in diesem Wesen zu existieren. Es lebte nur um zu töten, und es tötete um zu leben.
Meine Zeit scheint gekommen, so muss ich wohl gehen. Doch eines will ich noch loswerden. Auf wunden Knien hocke ich vor ihm und stammele und stottere. Ich winsele nicht um mein Leben, denn es war schon verwirkt, als des Vaters Weibe mich in das Licht dieser Welt entließ. Doch ich flehe. Ich flehe um einen letzten Tag und eine letzte Nacht, um niederzuschreiben was mir widerfahren ist. Und wenn die Uhr ihren letzten Schlag getan hat, werde ich mich meinem Schicksal ergeben.
Und das Wesen, es sah mich an. Seinen leeren Augen brannten wie Feuer in meinem Leib. Die kalten Knochenhände, sie fassten mich an beiden Handgelenken, und unvorstellbare Schmerzen betäubten meine Sinne.
Als ich erwachte musste ich sehen, dass ich gezeichnet war. Von nun an waren meine Stunden gezählt. Ein letzter Tag ward mir geschenkt, eine letzte Nacht ward mir gegeben. Und so setzte ich mich geschwind auf des alten Tisches Stuhl und begann zu schreiben, wie ich noch nie zuvor geschrieben habe.
Ich schrieb bis meine Hände schmerzten. Ich hörte nicht auf, bis meine Augen brannten. Ich ließ nicht nach, bis mein Körper in sich zusammen fiel und mich hinab ins Reich der Träume riss.
Eine Stimme schrie wie tausend Leben. Die Dunkelheit, sie holte mich ein und umwarb mich mit ihren eisigen Fängen. Und wie ich auch rannte, so spürte ich, wie kalte Knochenhände mich berührten und umklammerten.
Ich schrie, ich sei noch nicht bereit. Ich flehte, er solle mir noch mehr Zeit geben, doch er widersprach. Seine Stimme dröhnte in meinem Kopf. Er warf mich auf die wunden Knie und zwang mich in seine leeren Augen zu blicken. Und dann holte er aus, und die schwere Sense, sie fiel, schwer wie ein Stein, auf mich herab. Panisch verschloss ich meine Augen. Mit meinem ganzen Geiste betete ich zu Gott und rief ihm zu: „Vergebe mir meine Sünden, vergebe mir meine Untaten. Du allein bist Herr, und deiner ist das Himmelreich.“ Doch da dröhnten Stimmen vom Himmel, und ein Engelschor schrie wie ihm Wahn. „Keine Strafe, außer die Feuer der Hölle können meine Sünden hinfort waschen.“
Und die Sense schlug hernieder. Doch weder spürte ich Schmerz, noch Leid. Kein Kummer überkam mich, keine Sorge lag mehr auf meiner Seele. Ich fühlte mich, als wäre ich tausend Jahre alt. Keine Freiheit schien je schöner, kein Gefühl je emotionaler. Doch als die Feuer der Hölle aufloderten und wie wildes Getier nach mir griffen, da zersprang jede Himmelswelt in mir, und mir wurde die Grausamkeit des Herrn vor Augen geführt.
Ich öffnete meine Augen, und der Schweiß, er brannte wie Feuer in ihnen. Ein Traum, es war nur ein Traum. Ich dankte Gott dafür. Die Kerzen waren erloschen, so entzündete ich geschwind eine neue. Mein Blick fiel auf das Pergament, welches ich zuvor geschrieben, doch es war nicht mehr dort.
Der dumpfe Gong der Uhr ertönte. Ein Schauer durchfuhr meinen Körper und ließ mich vor lauter Angst erstarren. Ich fuhr herum, und der Schein der Kerze fiel wie ein Schleier auf den Boden. Und dann hatte ich gefunden, wonach ich vergeblich gesucht habe. Die Seiten, welche ich geschrieben, sie waren in der Hand des Nichts. Der Tod, er war gekommen. Die Zeit war verronnen. Und meine Angst schien schlimmer als zuvor. Er hob seine moderige Knochenhand, und sein langer Finger zeigte auf mich. Und so stand ich auf, und ging schlurfenden Schrittes zu ihm hinüber, warf mich auf die wunden Knie und sah in seine leeren Augen. Kein Leben, kein Verstand, nicht einmal Gefühl schien in diesem Wesen zu existieren. Es lebt nur um zu töten, und es tötet um zu leben. Und nun fiel seine Sense auf mich, um zu nehmen, was ich nie besaß. Ich hörte mich schreien, wie nie zuvor. Eine Seele unter vielen, ein Schrei unter einem Chor aus Toten.