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Der Todestanz
Martín konnte sich nicht erklären was in ihn gefahren war. Er hatte sich in ein Zimmermädchen des Continentals verliebt. War es vielleicht Heimweh? Bei einem kurzen Wortwechsel hatten sie sich als Landsleute erkannt. Reflexartig hatte er sie zu einem Strandbesuch an ihrem freien Tag überredet. Danach waren sie zum Essen gegangen in einem der zahllosen Strandrestaurants. Martín bestaunte die natürliche Intelligenz Mayras, die in einem Slum aufgewachsen war und kein Hehl daraus machte. Wie viele Lateinamerikaner war sie illegal nach Spanien eingewandert . Er bewunderte ihren Willen, sich trotz ihrer kümmerlichen Schulbildung in jeder Situation zurecht zu finden und zu versuchen ihr Leben zum Besseren zu wenden. Im Vergleich mit ihr schnitt er schlecht ab. Seine Eltern waren nicht arm, er hatte studiert, war im Besitz eines Passes der europäischen Gemeinschaft und hatte nichts Besseres zu tun gefunden, als Flüchtlinge in seinem Catamarán von Nordafrika nach Spanien zu transportieren. Was ihn dabei antrieb, war weniger der finanzielle Gewinn; manchmal, wenn das “Landemanöver” reibungslos von statten gegangen war, gab er seinen Passagieren beschämt die Hälfte der Bezahlung zurück. Was ihn reizte, war die Polizei und die Küstenwache zu überlisten, sich gegen die Allmacht eines Staates zu stemmen und vor allen Dingen den gewissenlosen Menschenschmugglern Kunden wegzunehmen. Bei Gelegenheit wollte er später Mayra die Wahrheit beichten. Er hatte ihr erzählt er sei Ingenieur, was auch nicht gelogen war.
Heute hatten sie eine lange Bergwanderung hinter sich. Die Dunkelheit war bereits hereineingebrochen. Sie hatten es eilig, um den neun Uhr Zug zur Küste noch zu erreichen. Um Zeit zu sparen, nahmen sie einen Schleichweg durch einen Olivenhain. Mitten im Hain brannte ein Feuer, um das lachende Männer standen. Mayra wollte die Gruppe umgehen, aber Martín wollte keine Zeit verlieren. In unmittelbarer Nähe, sahen sie den Grund der Heiterkeit der Männer. Von dem Ast eines Olivenbaums hing eine Schlinge die um den Hals eines Galgos (spanischer Windhund) gelegt war. Der Hund musste sich auf seinen Hinterbeinen balanzieren, um nicht von der Schlinge erdrosselt zu werden. Dieses Schicksal ereilte ihn, wenn er ermüdete.
Niemand hatte sie bemerkt und jetzt schlug Martín vor, einen Umweg zu machen.
“Wir können doch nicht zulassen, was sie mit dem Hund machen “, sagte Mayra empört.
Martín zögerte.
“Bist du zu feige “, flüsterte Mayra beinahe unhörbar.
Martín antwortete nicht.
War es Verachtung oder nur ungläubiges Erstaunen, was sich in Mayras schwarzen Augen spiegelte? Ihr Blick schmerzte Martín mehr als ihre Worte.
Seine gestammelte Antwort hörte sie nicht mehr.
Sie war in den Kreis des Lichtscheins getreten und schritt taub für die gegrölten Zoten der Tierschinder auf den zappelten Hund zu, hob ihn an und ehe einer der Umstehenden sie daran hindern konnte, streifte sie die Schlinge von seinem Hals und lies ihn los.
Erst jetzt erholten sich die Kerle von ihrer Verblüffung.
“Puta del carajo”, brüllte ein bulliger Fettwanst und zerrte Mayra an den Haaren auf die Knie. Mayra krallte ihre langen Fingernägel in seinen Unterarm Er schüttelte sie wie ein Pitbull eine Katze.
Ein Knall. Aufschreiend liess der Mann von Mayra ab. Sein linker Schuh färbte sich blutrot. Martín stand neben ihm. Im Dämmerlicht verlieh ihm eine Sonnenbrille das Aussehen des Terminators. Er hielt eine Beretta in der Hand, mit dem Kolben waagrecht, wie Mayra es bei den choros – den Gangstern im Slum viel zu oft gesehen hatte.
“¡Quietos todos!”
“Auf den Boden, oder ich lege euch um!” befahl Martín mit heiserer Stimme.
“¡Sudaca de mierda!”
Martín antwortete nicht, seine Pistole bellte, als der Mann einen Schritt auf ihn zumachte. Schreiend fasste er sich an die Schulter und sank auf die Knie.
Martín drückte Mayra die Pistole in die Hand.
“Wenn sich einer rührt, jagst du ihm eine Kugel in den Leib”.
Er fasste die Schlinge, nahm mass an seinem Nacken und verkürzte das Seil mit einem Seemannsknoten.
Dann nahm er die Pistole wieder aus Mayras leicht zitternder Hand und ging ein paar Schritte auf die am Boden liegenden Männer zu. Mit dem Pistolenlauf zeigte er auf einen korpulenten Mann mittleren Alters.
“Steh auf” befahl er .
“Bring ihn her”, sagte er und deutete mit dem Lauf auf einen Eimer.
Mit der Pistole lenkte er den Mann mitsamt Eimer zu der Schlinge.
Mayra ahnte wozu Martín den Eimer brauchte.
“Übertreib nicht”, sagte sie
Martín schien ihren Einwand nicht gehört zu haben.Er stellte den Eimer mit dem Boden nach oben unter die Schlinge.
“Steig auf den Eimer”, befahl er.
Der Mann bewegte sich nicht
Martín richtete den Lauf auf den Unterleib des Mannes
“Was ist dir lieber, ein paar Minuten mit einer Schlinge um den Hals zu tanzen wie ein Galgo, oder von einer Kugel kastriert zu werden?”
Weinend stieg der Mann auf den Eimer.
Martín legte ihm die Schlinge um den Hals. Ein Fusstritt gegen den Eimer, der Mann fiel, fing sich auf seinen Zehenspitzen und tänzelte verzweifelt um das Gleichgewicht zu bewahren. Der Strick lag gespannt um seinen Hals. Wenn er ermüdete würde er sich selbst erhängen, wie ein Galgo.
Seine Kumpane wagten nicht ihm beizustehen, solange Martín sie mit der Pistole bedrohte..
Langsam wandte sich Martín zum Gehen. Er fasste Mayra bei der Hand, hielt sie fest in der seinen. Er würde versuchen sie zu halten solange er lebte.
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Die vorstehende Geschichte ist leider nicht ganz erfunden.
Dieser Spektakel wird “el baile de la muerte- der Todestanz” , oder auch “tocar el piano” – “Klavier spielen” genannt, wahrscheinlich weil der Hund verzweifelt mit den Vorderpfoten rudert um sich auf zwei Beinen halten zu koennen.
Siehe:
http://www.sos-galgos.net/2008-04-29/blickpunkt-spanien.html
Uebrigens “ Sudaca” sagen die Spanier wenn sie einen Suedamerikaner beleidigen wollen.