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Der Traum

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03.10.2001
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Der Traum

Ein lautloser Schrei. Schweißgebadet sitze ich im Bett. Hektisch rollend durchsuchen meine Augen den dunklen Raum. Doch außer der Schwärze der Nacht entdecken sie nichts. Mein Herz rast. Meine Hände gleiten durch die Decken, bis sie gefunden haben, was sie suchen. Ich höre meinen schnellen Atem und das leise Schnarchen der beiden Personen, die das Bett mit mir teilen.
‚Alles ok!‘ sage ich mir leise. ‚Es ist alles in Ordnung.‘
Langsam werde ich ruhiger. Bis die Bilder wieder da sind.

Blut. Soviel gottverdammtes Blut überall! Noch immer höre ich die Schüsse. Laut und dröhnend brennen sie sich in mein Ohr. Daniel schreit. Mit aller Kraft versuche ich ihm die Augen und den Mund zu zuhalten, drücke ihn fest an mich. So fest ich kann. Er strampelt, will sich losreißen, beißt mir in die Hand.

Es wird wieder dunkel. Ich schlafe ein, an Daniels kleinen, zerbrechlichen Körper gekuschelt. Spüre seine Hand, die nach meiner greift, um sie fest zu umklammern. Wie immer.
Ein Geräusch läßt mich aufschrecken. Ich öffne meine Augen, versuche etwas zu erkennen. Nichts. Ich schüttle unmerklich den Kopf und schließe die Augen wieder.
Als ich das nächste Mal wach werde, ist das Zimmer hell erleuchtet. Grell scheint mir das Licht der Lampe ins Gesicht. Ich richte mich auf. Noch immer geblendet und orientierungslos, als ich eine rauhe Stimme vernehme.
„Ah. Dornröschen ist erwacht. Um so besser. So macht das Ganze doch viel mehr Spaß.“ Ein widerliches Lachen folgt dem Satz. Endlich haben sich meine Augen an das Licht gewöhnt und ich sehe drei hässliche Typen, die sich bewaffnet vor dem Bettende aufgebaut haben.

Einer kommt in meine Richtung. Ich kralle meine Fingernägel der rechten Hand in Michaels Arm, kneife in der Hoffnung, dass auch er endlich wach wird. Stöhnend und fluchend richtet er sich auf. Der hässliche Mann steht nun neben dem Bett, an der Seite, wo Daniel liegt. Ich ahne, was jetzt kommt. Ich werfe mich auf Daniel. Erschrocken beginnt er zu wimmern. Hilfe suchend starre ich Michael an, doch der sitzt nur da und glotzt blöd.

Ich spüre einen dumpfen Schlag. Plötzlich wird alles schwarz.
Mein Kopf dröhnt, als ich die Augen wieder öffne. Ich höre Daniel schreien und Michael winseln.
Der Hässliche neben meinem Bett ist weg und steht wieder bei den anderen. Doch er hat Daniel auf dem Arm, der nach mir schreit und mühevoll versucht, die Arme nach mir auszustrecken.
„So Süsse.“ Es fällt ihm schwer, zu reden und gleichzeitig meinen zappelnden und um sich schlagenden Sohn unter Kontrolle zu halten.
„Lass' uns ein bisschen spielen!“ Die beiden bisher Stummgebliebenen lachen. Flehend schaue ich zu Michael, doch an seinem Zustand hat sich nichts geändert. Der Hässliche nickt dem Typen mit den fettigen Locken zu. Ich schließe die Augen, greife nach Michaels Hand. ‚Warum hilft er mir nicht? Warum sitzt er nur da?‘ Schlaff hängt seine Hand in meiner, während der Lockige über mich drüber steigt. Ich denke an Daniel. Sehe ihn vor mir. Seine braunen, leuchtenden Augen, sein blondes, dichtes Haar, seine weißen, weichen Arme, die sich um meinen Hals schlingen. Die Gedanken machen es mir leichter.
Der Gestank des einen verschwindet. Ein neuer steigt in meine Nase. Unmöglich ihn zu definieren. Ich denke an Daniel. Sehe ihn vor mir. Seine braunen, leuchtenden Augen, sein blondes, dichtes Haar. Es macht die Sache leichter. Den Dritten spür' ich gar nicht mehr. Ich denke an Daniel. Es ist vorbei.

Daniel weint. Ich sehe sein nasses Gesicht, die geröteten Augen. Ich versuche, zu lächeln. Er lächelt zurück.
Michael hat seine Stimme wiedergefunden. Daniel zuckt zusammen. Der Schrei geht durch Mark und Bein. Können Männer wirklich so kreischen? ‚Halt's Maul!‘ brüllt es in mir. ‚Denk an Daniel. Willst du ihm noch mehr Angst machen, du Idiot? Halt dein Maul!‘
Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis Michael verstummt und er wieder in Apathie zurücksinkt. Nun ist er an der Reihe. ‚Er hat es verdient.‘ denke ich mir.
Der Gedanke erschreckt mich. Der mit dem undefinierbaren Geruch fesselt Michael. Sein dünner Körper wehrt sich nicht. Ich will nicht sehen, was sie mit ihm anstellen, schließe die Augen und drehe mich weg.

Der Hässliche legt Daniel wieder neben mich. Daniel krallt seine Finger in meine Haare. Versteckt sein Gesicht in meinem. Ich küsse die feuchten Augen. Presse ihn an mich. Sein Körper zittert und bebt. Ich höre Michaels Schreie nicht. Will sie nicht hören. Will nichts sehen. Daniel hat aufgehört zu zittern. Er ist erschöpft, ist eingeschlafen. Bis der erste Schuss zu hören ist.
Das Knäuel, das wir bilden, zuckt zusammen. Daniel will den Kopf heben, ich drücke ihn nach unten. Er schreit wieder. Michael heult wie ein kleines Kind. Der Treffer war wohl nicht tödlich. Der nächste Schuss fällt. Und noch einer. Michaels Weinen hat aufgehört.

Daniel schreit. Mit aller Kraft versuche ich ihm die Augen und den Mund zu zuhalten, drücke ihn fest an mich. So fest ich kann. Er strampelt, will sich losreißen, beißt mir in die Hand.
Ich richte mich auf, schaue dem Hässlichen in die Augen. Ich brauche nichts zu sagen. Er weiß es und er nickt. Ich lächle müde, dankbar, nicke zurück und beuge mich über Daniel, um ihn ein letztes Mal zu küssen, sein Haar zu berühren, seine Hand zu drücken, ihn zu spüren. Und ich bete. Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben. Bete dafür, dass Daniel das alles irgendwann vergisst und mich so in Erinnerung behält, wie er mich kennt.

Ein lautloser Schrei. Schweißgebadet sitze ich im Bett. Hektisch rollend durchsuchen meine Augen den dunklen Raum. Doch außer der Schwärze der Nacht entdecken sie nichts.


© Pandora (K.B.) 2002

 

San: hättest mal besser bis zuende lesen sollen... ich finde es etwas seltsam, dass Du einen Text kritisierst, den Du nicht zuende gelesen hast, ist doch sonst nicht Deine Art.

 

Hi Pan!

Eine großartige Geschichte! Kann mich nur Mirko anschließen...

Ich hatte weder Verständnis- noch sonstige Probleme beim Lesen, habe überhaupt nichts auszusetzen:

:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:

Alles liebe
Susi :)

 

WOW!!!
Die Geschichte wirkt real. Viel zu real.
Wann gibts das auf Papier?

with respect,
SkyLAX

 

Hi Ski,

danke.

Die Story gibts auf Papier, wenn sich genug Spender finden, die dem Webmaster die Kosten fürs Buch bezahlen ;)

Gruß, pandora

 

Hallöchen Pandora,

hab deine Geschichte jetzt auch mal gelesen und fand sie echt super. Lag wahrscheinlich an mir - die andern hams ja geblickt - daß dieser Michael der Mann ist, ich dachte es wär auch ein Sohn und ich wurde schon sauer auf die Mutter, weil sie nur an diesen Daniel dachte und nicht auch an ihren anderen Sohn, den Michael... Naja... Denkfehler von mir...

Als die Frau vergewaltigt wurde und dabei an ihren Sohn dachte, das finde ich persönlich schon etwas derb. Ich hab mir schon gedacht, daß du dadurch ihr die Situation erleichtern willst, aber bei mir kams ein bißle anders an. Sie wird gepumpert und denkt dabei an ihren Sohn...

Trotzdem finde ich an deiner Geschichte echt nix auszusetzen, find sie echt gelungen!!

Viele Grüße, Korina.

 

Hi Morphin,

wow. Ein sehr aufrichtiger Kommentar. Vielleicht weiß ich gerade deshalb nicht, was ich dazu sagen soll.

Wie meinst du deinen letzten Satz?

Gruß, Pandora

 

Respekt Pandora.
Ich als Neuling wollte nur mal sagen das deine Geschichte eine der besten ist, die ich hier gelesen habe, ohne den anderen nah treten zu wollen. Ich war gefangen und geschockt von deiner Erzählweise und dem Ende. Bin sonst kein Weichei was Geschichten angeht, aber deine Geschichte hat mir eine Gänsehaut verpasst (auch wenn sie nicht von Spannung kommt).
Kurz gesagt ein grosses Lob und schreib weiter so grossartige Storys.

Oliver Engelberg
Resident2000Production

Wir sind der singende und tanzende Abschaum dieser Welt.

 

Hi,

danke für das Kompliment. Werde mich bemühen ;)

so long, Pandora

 

Moin Pan!

:thumbsup:

Also...eigentlich gibt es ja nicht mehr viel über deine Story zu sagen: außer, dass sie mir wirklich gefallen hat und spannend geschrieben war.

Die Sache mit der Wiederholung war mir auch anfangs aufgefallen, dann haben sich meine grauen Zellen aber gemeldet und mir zugeflüstert: "Überleg doch mal, eine Wiederholung dieser Dimension kann man als Autor doch kaum übersehen, also ist das Absicht!"
So, oder ähnlich, hat es sich bei mir abgespielt. :D

In dem Sinne,
liebe Grüße,
Jasmin

 

Whow...

wieder mal in der Kartoffelkiste einen Knaller entdeckt... und was für einen!!!

Inhaltlich wurde ja schon viel diskutiert. Daher fasse ich mich kurz:

Meine Güte, hat das Ding Speed... eine der wenigen Geschichten, die mich beim Lesen wirklich atemlos gemacht haben. Der Schrecken des Grundthemas und das Stakkato der Sätze hämmern einem die Geschichte geradezu ins Hirn.

Etwas Mitreißenderes habe ich in der Rubrik "Horror" noch nicht gelesen.

Röööööschpekt!!!! :thumbsup:

THX
Somebody

 

Hi Pan,

ja, eine wirklich Temporeiche Story. Gut geschrieben und schockierend. Allerdings fand ich die Tatsache, dass alles wirklich nur ein Traum ist irgendwie ernüchternd. Hatte das am Ende eigentlich so verstanden, dass sie ihren eigenen Sohn umbringt, damit das diese Verbrecher nicht tun. Und das sie danach schweißgebadet aufwacht. Im Nachhinein natürlich blöd von mir, immerhin hätte sie dann ja selber tot sein müssen. Trotzdem hätte ich es irgendwie besser gefunden, wenn das alles doch passiert wäre und sie seither immer wieder den gleichen Alptraum hätte.

Mhhh, aber trotzdem bleibt der sehr gute Gesamteindruck.

Ich kralle meine Fingernägel der rechten Hand in Michaels Arm,
Find ich misslungen. Schreib dich einfach "Ich kralle meine Fingernägel in Michaels Arm"

Ansonsten, echt gute Story, trotz fehlender Pointe. Der Titel ist halt Programm ;)

lieben gruß
*Christian*

 

Hallo Pandora!

Ich weiss, es ist nicht gerade üblich, Geschichten, die bereits in der fünten Seite dieser Rubrik weilen mit einer Antwort zu bestücken.

Doch ich habe mir schon längstens vorgenommen, die besten Geschichten zu loben, die ich als 'Gast', vor längerer Zeit, hier gelesen habe.

Also, die Geschichte trifft voll meinen Geschmack. Die Sätze werden einem regelrecht in den Kopf gebrannt.

Wie viele Male wird sie das die ganze Nacht lang noch träumen müssen...?

Zitat:
[Und noch einer.Michaels Weinen hat aufgehört.]
Nur ein kleiner Leerschlag noch und die Geschichte ist perfekt...

MfgVan

 

Hi Imperator, Alli, Somebody, Anima und Van Horebeke,

dank euch allen fürs Lesen und die Komplimente :)

Leerzeichen hab ich eingefügt. Irgendwas entgeht einem immer ;)

Pan

 

Hallo!

Bin auch eine von denen, die die Story zweimal lesen mussten, aber so ganz klar ist mir immer noch nicht, was du damit ausdrücken willst. So richtig gruselig fand ich sie eigentlich auch nicht. Ja, ist schon übel, wenn plötzlich irgendwelche "hässlichen" kommen und einen erschiessen, aber es war ja nur ein Traum.
Na ja, bei dem vielen Lob hier bin sicher nur ich die Blöde, die mal wieder nichts schnallt. Nichts für ungut.

Arry

 

Nur, weil Webmaster es erwähnt hat: Ist diese Geschichte jetzt in das Buch gekommen?

r

 

Hi Arya, danke fürs Lesen und Kommentieren. Was ich damit ausdrücken will: daß einem Geträumtes oft so real vor kommt, daß man in den ersten Minuten nach dem Aufwachen nicht zwischen Realität und Traum unterscheiden kann.

Rel: nein, ist sie nicht.

 

Ähm, hi, hab die Geschichte mal wieder ausgegraben, und zwar, weil mir ehrlich was auf der Zunge brennt:

Eine Familie wird von ein paar sehr bösen Männern im Schlaf überrascht.
Sie wird vergewaltigt und sonst sind die Typen auch nicht nett.
Zu guter letzt wacht "sie" auf.

Ich verstehe leider absolut nicht in welcher Hinsicht das ganze irgendwie aus der Art geschlagen, geschweige denn originell sein soll.
Wie viele Geschichten hat man schon gelesen, die sich zu Schluss als Traum entpuppen?
Hunderte? Tausende triffts wohl eher, und die fand ich alle nicht gut.
Also, ich will hier echt niemandem auf die Füße treten, aber bitte klärt mich auf, wenn mir hier ein paar feine Spitzen entgangen sind.

Danke, vanta

 

@Vantandriel:

Wie viele Geschichten hat man schon gelesen, die sich zu Schluss als Traum entpuppen?
Unzählige, und diese Pointe ist gerade in "Horror" zu recht verhasst, weil sie meistens nur eine Ausrede ist um sich keinen Schluss ausdenken zu müssen.
Hier liegt der Fall aber doch etwas anders, weil es keine Pointe ist dass es nur ein Traum ist, sondern das ist von Anfang an klar. Hier geht es eher darum, wie real Träume einem erscheinen können - und dass sie, obwohl sie nicht die Wirklichkeit zeigen, manchmal sogar die Macht haben Gefühle und Gedanken zu erzeugen, die einen noch im Wachen verfolgen.

G.

 

Wo wird die Realität in Gegensatz zum Traum gesetzt?
Die Relation wird nicht hervorgekehrt, der Gegensatz.
Und der Traum lebt in keiner Weise in der Wirklichkeit weiter-
sie hat den Alptraum, dann wacht sie auf, und alles ist schlagartig vorbei- die Geschichte inbegriffen.

Der "Wachzustand" kommt praktisch nicht vor, und ist es nicht in jeder x- beliebigen "Alles- war- nur- ein- Traum"- Geschichte so, dass das Erträumte vollkommen real erscheint?

Ich kann deiner Argumentation nicht zustimmen.

 

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