Was ist neu

Der Umzug

Mitglied
Beitritt
25.03.2003
Beiträge
794
Zuletzt bearbeitet:

Der Umzug

Hallo liebe Leserinnen und Leser, erlauben Sie, dass ich mich Ihnen kurz vorstelle? Ich heiße Ovum, das ist lateinisch und bedeutet Eizelle. Der Name Eizelle klingt mir aber zu gewöhnlich, deshalb bevorzuge ich die lateinische Version. Eine meiner Schwestern hat gerade einen Spanien-Tick, sie nennt sich seit kurzem Óvulo, naja, immer noch besser als die französische Übersetzung Oef.
Ich lebe mit allen meinen Schwestern schon seit ewigen Zeiten in einer riesigen Wohngemeinschaft, die wir kurz und schmerzlos „Ovarium“ getauft haben. Draußen über dem Eingangstor hängt ein großes Schild, auf dem dieser Name geschrieben steht, und darunter für diejenigen, die des Lateinischen nicht so mächtig sind, die deutsche Übersetzung „Eierstock“. Rechts von uns gibt es noch eine WG, und jetzt stellen sie sich doch mal diese Frechheit vor, die nennen sich auch „Ovarium“. Ist das nicht fantasielos?
Auf jeden Fall lebt es sich gut in unserem Stock. Jede von uns hat ihr eigenes Zimmer, bei uns heißen die Follikel, oder Eibläschen. Die Wände unserer Follikel sind sehr dünn und hellhörig, sodass wir immer hören, was sich im Nachbarbläschen alles abspielt. Wir brauchen übrigens nur zwei Wochen im Monat zu arbeiten, nicht schlecht, oder? Wir machen in Hormonproduktion, müssen Sie wissen, haben uns auf Östrogene spezialisiert.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass wir eine reine Frauen-WG sind? Noch niemals hat ein männliches Wesen seinen Fuß über unsere Schwelle gesetzt.
Wir haben den Männern einen lustigen Spitznamen gegeben, Samenfäden. Ich weiß gar nicht mehr, wer von meinen Schwestern sich das ausgedacht hat.
Nicht dass es noch nie einer von diesen Samenfäden probiert hätte, zu unserem Haus zu gelangen. Oh doch, schon viele haben den Versuch gewagt, aber noch keiner hat es geschafft, sie sind fast alle in dem langen Tunnel, der zu unserem Haus führt umgekommen. Ich habe noch nie einen zu Gesicht bekommen, aber einige meiner Schwestern haben einmal zur Haustür heraus in den Tunnel gespingst, und von weitem einen Blick auf sie geworfen. Sie sollen sehr schlank und athletisch sein und furchtbar flink.
Jeden Monat muss eine von uns die WG verlassen und darf nie wieder zurückkehren. Das ist aber erst seit einiger Zeit so. In den ersten zwölf Jahren unseres Lebens, da sind wir alle zusammengeblieben.
Es sei eine sehr wichtige Aufgabe, die wir zu erfüllen hätten, haben mir meine Schwestern erklärt, nur die Allerreifesten unter uns werden ausgewählt und ich glaube es hat irgendetwas mit den Samenfäden zu tun. Ich bin schon ganz aufgeregt, das können Sie mir glauben. Wann werde ich wohl an der Reihe sein? Morgen? Nächste Woche, in ein paar Monaten?

Es ging aber dann doch noch schneller, als ich gedacht hatte. Aber lassen Sie mich der Reihe nach erzählen.
Schon ein paar Tage vorher hatte man mir mitgeteilt, dass ich die Nächste sein würde, konnte kaum mehr schlafen vor Nervosität.
Dann sprang die Tür meines Follikels auf. Wie von Geisterhand wurde ich aus dem Stock geschleudert und landete im Tunnel. Hatte ich schon erwähnt, dass er bei uns nur „der Eileiter“ genannt wird? Auf jeden Fall konnte ich mich noch nicht einmal mehr richtig von meinen Schwestern verabschieden, so schnell ging alles.
Seit zwölf Stunden irre ich jetzt hier schon ganz alleine umher, merke, wie ich ständig schwächer werde. Am liebsten würde ich wieder zurück zu unserem Stock gehen, doch das darf ich ja nicht.
Aber was ist das? Dahinten bewegt sich irgendetwas. Da kommt einer. Ach, was sage ich da, einer...H u n d e r t e . Oh Gott, sie rasen auf mich zu, lauter... Samenfäden. Hiiilfe, die sind ja überall. Hey, was tut ihr denn da, geht weg, lasst mich in Ruhe. Iihh, die knabbern mich an, können Sie sich das vorstellen?
Die versuchen einfach, in mich einzudringen, einer hat es schon fast geschafft.
Ah, aua...jetzt ist er drinnen. Na Gott sei Dank, nun lassen wenigstens die anderen von mir ab. Was meinst du? Rede doch mal etwas lauter.
Wissen Sie, was der Samenfaden gerade zu mir gesagt hat? Er hat eine neue Wohnung für uns. Eine schöne, geräumige Wohnung, den Mietvertrag hat er auch schon unterschrieben. Neun Monate dürfen wir da wohnen. Ist das nicht toll? Ach, ich freue mich schon. Tja, nun müssen wir uns leider verabschieden, ich habe jetzt viel zu tun, muss in unsere neue Wohnung umziehen.
Machen Sie es gut, vielleicht sieht man sich ja irgendwann mal wieder. Tschüss.

 

Hi Blanca,

ungewohnte Erzählperspektive :)
Du erzählst das alles ganz locker, es liest sich angenehm. Ein bisschen fühle ich mich an Woody Allen als Spermium in "Was sie schon immer über Sex wissen wollten..." erinnert. Hat Dich der Film vielleicht inspiriert?
Mein einziger Kritikpunkt ist, dass die Geschichte vorhersehbar ist. Da man von Anfang an weiß, woram man als Leser ist, ahnt man, was kommen wird, jedenfalls, wenn man in Sexualkunde aufgepasst hat :D
Trotzdem sind Formulierungen wie "Mietvertrag" und "Iiii, die knabbern mich an" ein Schmunzeln wert.

Fazit: Sprachlich prima, inhaltlich vorhersehbar, gute Umsetzung einer netten Idee.

Uwe

 

Hi Uwe,
danke fürs Lesen.
Ehrlich gesagt habe ich den Film von Woody Allan noch nicht gesehen. Ech hoffe, ich habe mich jetzt nicht geoutet. :dozey:

Du hast natürlich recht, der Verlauf der Geschichte ist vorhersehbar. Aber ich wollte schon am Anfang die Identität der Erzählerin preisgeben. Wenn der Leser denken würde, dass es sich um eine normale Person handele, deren Alltag dort beschrieben wird, würde er es wahrscheinlich als langweilig empfunden haben.

Anscheinend hast Du ja gut in Sexualkunde aufgepasst.
:D :p

LG
Blanca

 

Hi,
eigentlich sollte man das ja nicht machen, mit einem Posting seine eigene Geschichte wieder auf die erste Seite bringen:deal: :ak47: :aua: , aber ich fand es einfach schade, dass sie mit nur einer Kritik sang und klanglos verschwunden ist.
Zumal dies hier soetwas wie ein Experiment für mich war und ich gerne wissen würde, wie diese Art von Geschichten bei den Lesern ankommt. Gut oder Quatsch?

Man möge mir verzeihen.:D :cool:

LG
Blanca

 

Hallo Blanca!
Ich verzeihe Dir natürlich!
Sonst hätte ich diese lustige, locker geschriebene Geschichte glatt verpasst! Das wäre zu schade gewesen. Nee, ehrlich ich finde sie wirklich gut!

LG Ulrike
P.S. Sorry mein Kommentar hilft Dir in keiner Weise weiter-aber ich hab einfach nix zu meckern :rolleyes:

 

Hallo Ulrike,

Danke fürs Lesen. Freut mich natürlich, dass sie Dir gefallen hat.

LG
Blanca

 

Hallo Blanca!

Ich fand Deine Geschichte sehr amüsant – auf jeden Fall eine ausgefallene Idee und auch lustig beschrieben! :thumbsup:

Was ich irgendwie nicht so gut fand, ist der Sprung in der Mitte, bei »So, nun ist es vollbracht, …« – beim Lesen hat es mich hier rausgerissen, nachdem ich gerade begann, in der Geschichte zu versinken.
»Hatte ich schon erwähnt« finde ich auch nicht so gut, aber das ist sicher Geschmacksache – ich würd es einfach erwähnen, ohne Frage davor. ;)

Was heißt denn »gespingst«? :shy:

Und ein paar Kleinigkeiten hab ich auch noch gefunden:

»Ich heisse Ovum«
»bei uns heissen die Follikel«
– heiße(n)

»ein grosses Schild«
– großes

»ich habe unseren Stock verlassen. Aber lassen Sie mich …«
– Wortwiederholung „lassen“


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Blanca,

ja, deine Geschichte mag zwar vorhersehbar sein, dennoch ist sie so locker, flüssig und vor allem amüsant geschrieben, dass mensch gerne bis zum Ende weiterliest! Very nice!
sonah

 

Hallo Blanca,

Glückwunsch – dir ist eine äußerst originelle und amüsant zu lesende Kurzgeschichte gelungen. Auf die Idee muss man erst mal kommen.
Hab' den lockeren Text sehr gerne gelesen, die Vorhersehbarkeit störte mich nicht.
Der Titel passt gut. :thumbsup:

Viele Grüße – Michael :)

 

Hehe, Sylvia!
Die Geschichte ist toll - trotz der Vorhersehbarkeit finde ich deine Formulierungen witzig. Die Idee ist auch klasse, also rundum gelungen.

Liebe Grüsse,
Manuela

 

Hallo Häferl, Sonah, Michael und Marana,
danke für eure Kritiken. Ich war ein paar Tage weg, deswegen kommt meine Antwort erst heute. Es freut mich, dass euch meine Geschichte gefallen hat.
@Häferl: gespingst bedeutet heimlich geschaut. Vielleicht ist das ein spezieller Begriff aus dem Rheinland, ich komme nämlich ursprünglich aus der Kölner Gegend.
Zu den Doppel S, ich habe leider nur eine spanische Tastatur, auf der keine Esszets drauf sind. Ich weiss, Du hast mir mal den Tipp gegeben, einfach eins in den Text zu kopieren, was ich auch bei Texten, die ich irgendwo einschicke, mache, aber hier lasse ich es mal einfach aus Bequemlichkeit stehen.
Die Wortwiederholung und den Mittelteil habe ich etwas abgeändert. Wenn Du allerdings eine bessere Idee hättest, bin ich für Tipps dankbar.

Ansonsten, nochmal Danke an alle
LG
Blanca

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom