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Der Unfall am See

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11.11.2006
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Der Unfall am See

Der Unfall am See

Ich erinnere mich sehr genau. Es war ein kalter Junimorgen. Für einen Junimorgen eigentlich saukalt. Es war Wochenende. Damals freute ich mich noch, wenn Wochenende war. Samstag und Sonntag nicht aufstehen zu müssen. Die ganze Woche in der Schule sitzen und schwitzen und lernen. Samstag war wie eine kleine Anzahl von Ferientagen. Mit dem Sonntag waren es wirklich kleine Ferien.
Nach dem Mittagessen ging ich oft in den Wald, wir lebten in einer eher ländlichen Gegend. Dorthin ging ich mit meinem Schulfreund - er war ein Jahr über mir - und Nachbarn Peter. Entweder wir gingen in den Wald, oder wir trieben uns auf den alten, verlassenen Fabriksarealen herum. Beides hatte so seinen Reiz. Der Wald hatte die gute Luft, die Stille, die Tiere, gab einem die Geborgenheit, die man unter freiem Himmel nie spüren kann. Er ist ein Triebwerk der Erde. Ohne ihn würde sie einen regelrechten Kollaps erleiden. Das merkt man aber erst, wenn man wirklich in einem Wald gewesen ist. Nicht nur durchgegangen, nein, richtig dringewesen, geatmet, gelebt. Dann ist man richtig böse, wenn man von weitem irgendein Auto vorbeifahren hört. Diese Luftverpester, Umweltvernichter. Waldvernichter.
Wenn ich nach oben schaute, wenn die Bäume links und rechts und überall meinen Blick hinauf begleiteten, wurde mir regelrecht schwindelig. Diese mächtigen Stämme, die sich allesamt im Wind leicht mitbewegten, von unten gesehen harmlos, in der Höhe der Baumkrone oft um Meter. Ein eigenartiger Tanz, den sie vollführen, so nach dem Rhythmus des Windes, der sie streichelt und hin und her wiegen läßt. Vögel sitzen auf Ästen, schwingen mit, wissen, daß sie sicher sind im leichten Wind, der sie durch die Lüfte treibt.
Das war der Augenblick, wo mein Schulfreund und ich die kleine Natur, die wir zu begreifen in der Lage waren, so intensiv wahrnahmen, daß es keiner Worte zwischen uns bedurfte, um zu erläutern, wie erfüllend dieser Moment, diese Gefühle für einen waren. Oft sind wir lange dagesessen, verträumt und doch nicht abwesend, apathisch.
Der klare Gegensatz dazu waren die alten Fabriksgelände. Deren gab es zwei, auf einem davon war nur eine alte Halle, und ein bißchen Grund versammelte sich um sie. Alles ausgeräumt, keine Überreste alten Daseins und Werkens, öd.
Die andere Fabrik, die gleich nebenan gelegen war, war für uns Volksschüler immer ein Erlebnis. An solchen Samstagen oder Sonntagen verkrochen wir uns oft in der alten Manufaktur. Ich weiß nicht mal, welche Fabrik das einmal gewesen ist. Irgendwelche großen Maschinenteile standen da noch herum, um auf ihre endgültige Zerstörung durch Rost und Witterung (sämtliche Fenster waren zerbrochen) zu warten. Für uns war das das reinste Freizeitparadies. Lange Gänge und Hallen, gefüllt mit altem Unrat, spinnwebenüberzogenen Dingen, von denen wir nicht im Geringsten wußten, wozu sie einst dienten. Große, aus Holz gebaute Schuppen, in denen noch alte Pferdekutschen standen, morsch und faulig, mit muffigem Geruch, der das Alter erahnen läßt. Der Geruch sammelt sich noch heute in meiner Nase, wenn ich mich nur recht darauf entsinne. Dieser Geruch wird mir in meinem Gedächtnis ein Leben lang verhaftet sein. Und wenn ich mich anstrenge, und ihn wieder zurückrufe in mein Gedächtnis, dann schließe ich die Augen und sitze auf der alten Pferdekutsche und höre meinen Freund Peter nach mir rufen, er habe wieder etwas entdeckt. Das tat er oft. Und es gab wirklich viel zu entdecken. Auch nachdem wir nicht mehr an diesen Platz kamen, gab es sicher noch viele Dinge, die uns für immer verborgen geblieben waren. Ein paar alte Zeitungen vielleicht, in denen man interessante Artikel findet. Als wir das erste Mal dorthin gingen, konnten wir noch nicht einmal lesen, aber die Zeitungen sahen wir schon und spielten dann groß Direktor. Dann setzten wir uns an den alten Schreibtisch, der staubig in einem staubigen Raum stand, nahmen die Zeitung zur Hand und fühlten uns erhaben, glücklich, glückselig, zufrieden.
Oft, wenn wir uns wieder in dem alten Gebäude aufhielten, kam ein Gewitter auf, und wir spielten, unsere Firma vor den drohenden Unwettern retten zu müssen und rannten daraufhin wie verrückt hin und her, in der ganzen Fabrik, uns lief der kalte Schauer ständig über den Rücken hinab, und durch unser gespieltes und doch ehrgeizig betriebenes Herumgerenne hielt der kalte Schauer an, und es gesellte sich ein wenig Angst dazu, die jedoch nicht unangenehm auf uns wirkte, eher erbaulich, erregend, aufregend, wie eben in einem richtigen Abenteuerfilm, oder in einer Geschichte, die von entdeckerischen Jungens handelt, die irgendwo etwas finden oder verbocken, und dafür das Gespräch im Dorf sind, deren wir damals sehr viel lasen, denn dadurch, daß Peter gleich bei mir um die Ecke wohnte, lasen wir alle die selben Bücher, und kaum hatte also Peter eines ausgelesen bekam ich es, und umgekehrt verhielt es sich genauso, obzwar wir keine Bücherei hatten wo wir uns unsere Geister-, Grusel- und Abenteuergeschichten ausborgen konnten. Die Bücher mußten uns unsere Eltern kaufen und da diese nicht allzuviel Geld hatten, obwohl sie für ihre Kinder, also für Peter und mich keine Kosten scheuten, mußten sie versuchen, ob sie nicht von irgendwelchen Märkten und Auktionshäusern die Bücher billiger beschaffen könnten, denn bei unserem Lesedrang waren im Monat gut und gerne drei oder vier Bücher ratzeputz ausgelesen. Manches Buch verdiente es, nochmals gelesen zu werden, ja, es gab da wirklich ein paar klassische Geschichten und Bücher, die ich mehr als fünfmal gelesen hatte, und nie wurden sie mir langweilig, immer wieder fand ich etwas Neues in den Zeilen, eine neue Eigenschaft, eine neue Spur, einen neuen Gedankengang, der mich alsdann beschäftigte, obwohl ich sehr genau wußte, wie das Buch endete, aber das war mir egal. Die Geschichte war so verteufelt gut, daß es sich lohnte, sich etwas mehr Gedanken über sie zu machen, als sie nur zu lesen.
Also saßen wir oft bei solchen Unwettern in den alten Büros und fühlten uns wohlig geborgen vor den nassen Gefahren, die draußen lauerten.
Und manchesmal, wenn wir wild in den Gängen und Räumen und Hallen herumrannten, fanden wir wieder etwas Neues, eigentlich Altes, das uns faszinierte. Oft war es ein Buch oder altes Gerät, mit dem wir dann unbeholfen und nichtswissend herumalberten.
Eines Tages gingen wir in den komplett mit Spinnweben verhangenen, von uns noch unentdeckten Keller hinab. Dort war es absolut dunkel. Keine Lichtschalter konnten wir finden. Nur manchmal bahnte sich ein Lichtstrahl durch kleine Mauerritzen seinen Weg und leuchtete ein bißchen den Platz aus, wo er auftraf. Viel weiter konnte er nicht leuchten, denn das bißchen Licht, das in den Keller drang, wurde von den schwarzen Wänden unbarmherzig verschluckt.
Vielleicht gab es ja irgendwo Lichtschalter, gefunden haben wir jedoch keinen. So nahmen wir gelegentlich Kerzen mit hinunter in die modrigen Räume. Ganz genau genommen waren es gar keine wirklichen Räume. Es standen da nur viele Säulen herum, die die oberen Geschosse stützten. Wände gab es fast keine. Nur eine lange, sicherlich tragende. Aber sonst nur solche Säulen.
Und dann gab es da diesen hinteren Raum.
Dieser war als einziger von allen Kellerabteilen ordentlich mit Wänden abgetrennt. Da wir den restlichen Keller ja auf einmal sahen, sofern sich die Augen an das schwache Licht der Kerzen gewöhnt hatten, blieb uns dort unten nur ein Raum verborgen.
Anfangs überlegten wir lange, ob wir nach hinten gehen sollten. Denn wenn uns die Kerzen ausgingen, durch einen Windhauch zum Beispiel, standen wir im Dunkeln, und ich möcht nicht beschwören, ob ich in der bedrückenden Dunkelheit dieses miefenden Kellers in der Lage gewesen wäre, eine Kerze wieder anzuzünden. Sollte die Kerze ausgehen, hatten wir vor und und hinter uns cirka 15 Meter leere Finsternis, die doch vor Gefahren lauerte. Säulen, Geräte und vieles mehr.
Irgendwann faßten wir den Entschluß, doch nach hinten in den letzten Raum zu gehen. Aber trotz unseres bescheidenen Alters – wir werden etwa neun oder zehn Jahre gewesen sein – heckten wir einen Sicherheitsplan aus, um uns nicht den erwähnten Gefahren gegenüberzusehen. Wir sammelten einige Kerzen. Einige klingt lustig, es werden etwa an die 150 bis 200 Kerzen gewesen sein. Um diese unglaubliche Menge an Kerzen zu besorgen, denn kaufen konnten wir sie nicht, dazu hatten wir kein Geld, und schenken konnten wir uns sie auch nicht lassen, das hätte Mißtrauen und viel zu viele Fragen auf den Tisch geworfen, gingen wir des nächtens in den lauen April- und noch laueren Maitagen auf den hiesigen Friedhof und – genau – stahlen die Kerzen. Ich muß wohl wirklich nicht ausführen, wie uns zumute war. Zum ersten waren wir mitten in der Nacht von zuhause ausgerissen. Und zweitens fanden wir uns ebenfalls mitten in der Nacht auf dem Friedhof wieder. Mein Freund Peter brachte manchmal etwas zu essen mit, damit wir uns ein wenig von der schaurigen Atmosphäre ablenken konnten, die so ein verlassener, hügeliger Friedhof um Mitternacht ausstrahlt. So aßen wir meistens auf den Stufen vor dem Friedhof unsere Stullen, oder was immer Peter, und manchmal auch ich, mitbrachten. Dann, von einer gewissen Ruhe geprägt, kletterten wir über die niedere Mauer und sahen nach noch nicht allzu abgebrannten Grabkerzen. Und sogar hier haben wir Vorkehrungen getroffen. Aus den großen Abfalltonnen, von denen ein paar im Friefhof herumstanden, fischten wir sämtliche ausgebrannte Kerzen heraus. Da galt es natürlich zu beachten, daß man die gestohlene, frische Kerze mit einer gleichen, zumindest mit einer ähnlichen Kerze ersetzt. Somit könnte man zwar sagen, daß sie von schlechter Qualität waren, sollte jemand diesen „Verlust“ bemerken, doch niemand würde auf die Idee kommen, zu ahnen oder zu vermuten, jemand könnte die Kerzen gestohlen haben.
Ob solcher genialen Einfälle, wie uns es zumindest vorkam, waren wir immer besonders stolz und wiegten uns infolgedessen in gestärkter Sicherheit.
Die Kerzen brachten wir an den nächsten Tagen, meist sofort am nächsten Tag in ein Versteck in der alten Fabrik. Das war schon eine Anstrengung, die ganzen Kerzen nach Hause zu bringen und sie dort kurzzeitig zu verstecken, um sie dann wieder wegzubringen, ohne daß jemand aus der Familie davon etwas bemerkt hätte. Falls uns da jemand draufgekommen wäre, ich glaube wir hätten Hausarrest für ein Jahr bekommen. Hausarrest war damals noch ein beliebtes Mittel um Kinder und Jugendliche einzuschüchtern, heute kümmert sich kein Mensch um einem Hausarrest. Schon gar nicht Kinder. Und da schon gar nicht die eigenen. Brummst du denen Hausarrest auf, oder versuchst es zumindest, bei der nächsten Gelegenheit legen sie noch einen drauf, und man ist immer der, der am kürzeren Ast sitzt. Obwohl es eigentlich ja nicht so ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und eines Morgens also trafen wir uns in den alten Hallen. Jeder hatte ein paar Streichhölzer mitgenommen. Nach und nach zündeten wir die Kerzen an. Das dauerte ein wenig, zumal die Kerzen etwas feucht geworden waren. Doch schließlich hatten wir alle entflammt. Wir stellten sie sodann quer durch die ganze Halle auf. Allmählich wurde die ganze Kellerhalle erleuchtet. Alle Wände flackerten furchteinflößend im zuckenden Schein der Kerzen, aber wir hatten nur ein Ziel: den Raum am anderen Ende. Natürlich nahmen wir uns genügend Kerzen mit nach hinten. Mein Freund Peter hatte irgendwoher sogar eine Fackel auftreiben können. Mit dieser bestückt beschlossen wir, daß er nach hinten gehen soll, während ich an der Türe zu diesem dunklen Raum warte. Er sagte mir, ich solle etwa eine Stunde warten, dann muß ich jemand benachrichtigen, es könnte ihm ja etwas zugestoßen sein. Ich versprach ihm das natürlich, obwohl ich genau wußte, daß ich in der Fast-Dunkelheit eine Stunde noch weniger abschätzen kann als bei normalen Verhältnissen. Das sagte ich ihm natürlich nicht. Alsdann ging er hinein und hatte wahrscheinlich ein ähnlich banges und mulmiges Gefühl wie ich im Bauch.
Da saß ich nun, wartend. Minuten zählen versuchend. Bei dem Versuch versagend.
Alles, was ich denken konnte, war: Komm bald wieder da raus, erzähl mir, was da drinnen ist.
Langsam erloschen die ersten Kerzen. Aber nicht, weil sie abgebrannt, sondern, weil der Docht im heißen Wachs ertrank. Eine nach der anderen ging aus. Langsam, aber unaufhaltsam. Zwar würde es noch einige Stunden dauern, bis der Schein so schwach geworden wäre, daß man zuwenig sah, um nach draußen zu gelangen, aber es jagte mir doch einen kalten Schauer über den Rücken, immer weniger brennende Kerzen zu sehen. Aber wegsehen war nicht. Wohin sollte ich sonst sehen? In das Dunkel hinter mir, in das mein Freund entschwunden? Nur die Finsternis betrachtend, nicht wissend, was sich in ihr verbirgt?
Ich hörte nicht mal mehr die Geräusche, die mein Freund beim Weggehen verursacht hatte. Wie weit ging es da noch nach hinten? Ich wagte mir nicht vorzustellen, was passieren könnte.
Was ist, wenn er wirklich nicht mehr kommt? Was ist, wenn ich die Stunde falsch einschätze, zwei oder drei Stunden vergeblich auf ihn warte, dann erst Hilfe hole, vielleicht zu spät?
Für immer zu spät?
Es mögen vielleicht 40 oder 50 Minuten seit seinem Verschwinden vergangen sein, da hörte ich plötzlich ein Geräusch. Schleppend, schlurfend. Wie eine Mumie, die sich mühsam zu mir schleppt, um mich zu erdrosseln.
Ich konnte das Geräusch nicht orten. Es hallte von allen Wänden wider.
Kann sein, daß jemand von draußen kommt, um uns zu suchen? Unsere Eltern wußten, daß wir auf dem alten Gelände oft spielten, fanden aber nichts dabei.
Kam das Geräusch von hinter mir? Ich wartete zu. Das Schlurfen wurde immer lauter. Mir war, als hörte ich ein Raunen und Greinen, kann sein, daß ich mich täuschte.
Doch ich sollte recht behalten.
Hinter mir tauchte Peter langsam aus dem Dunkel auf. Ohne Fackel, sonst hätte ich ja seinen Lichtschein schon bemerkt. Ich zündete noch ein paar Kerzen an, die wir uns zur Sicherheit mitgenommen hatten. Als der Docht sich aufrichtete und das Licht der Flammen zu voller Größe anwuchs, erschrak ich. Vor mir stand zwar Peter, aber völlig durchnäßt und zerfetzt. Die Kleider hingen nur noch so von seinem Körper herunter. Beide brachten wir kein Wort heraus. Ich war glücklich, ihn wieder zu sehen, lebendig. Er sagte ebenfalls kein Wort, deutete mit dem Zeigefinger nur nach oben. Raus hier, wollte er mir mitteilen, ich hätte aber ohnehin nichts anderes vorgehabt.
Ihn stützend brachte ich ihn nach oben, wo er in den staubigen Bürosessel im Erdgeschoss hineinsackte und ohnmächtig wurde.
Ich fächelte ihm kühle Luft zu, es war gottseidank ohnehin nicht sehr warm.
Nach einer halben Minute etwa kam er wieder zu sich. Langsam versuchte er zu sprechen. Nur schwer gelang es ihm, Worte zu formulieren.
„Die Stufen - so glitschig - kalt - ich - ich rutschte - die Stufen. Die Stufen, sie sind so rutschig gewesen.“
Ich mahnte ihn freundlich, sich zu beruhigen.
„Ich rutschte aus - auf den Stufen. Es war alles so naß und rutschig. Die Fackel - sie - ins Wasser, da unten war Wasser. Die Fackel fiel mir aus der Hand, wie ich die Stufen hinuntergefallen bin. Ich - ich habe mich nirgends fest - nirgends etwas zum Festhalten. Ich rutschte. Konnte nicht - ...“
Er sank wieder in sich zusammen.
Gleich darauf kam er aber wieder zu sich.
„Langsam“, sagte ich.
„Ich bin die gesamte Stiege hinuntergefallen. Unten ist ein See - oder ein Brunnen, so viel Wasser, ich weiß es nicht. Ich habe gedacht ich muß ertrinken, es war so schrecklich. Alles was nicht Wasser war, war so glitschig, daß ich mich nicht halten konnte. Dann sah ich das Skelett. Ich habe geschrien, so laut, daß ich wußte, du mußt es hören. Scheinbar war ich doch schon zu weit weg, zu weit unten. Mit Glück bin ich irgendwie zur Stiege zurückgekommen. Das Skelett. Es war wie beleuchtet. Da unten muß irgendwo eine Verbindung nach oben sein, irgendein Schacht vielleicht. Ich weiß es nicht. Das Skelett, es lag mit dem Gesicht nach unten. Am Bauch. Ich konnte nicht länger hinsehen. Mir war schlecht, es drehte sich alles.
Mit den Fingernägeln im Schlamm an der Wand und Morast auf den Stufen habe ich mich raufgehantelt. Das hat gedauert, ich habe geglaubt, ich schaffe es nicht nach oben, sondern rutsche immer wieder ab. Wirklich, kaum habe ich ein oder zwei Stufen geschafft, bin ich wieder abgerutscht. Die Treppe ist endlos lang. Sicher 50 oder 60 Stufen. Wie ich dann wieder oben war, habe ich nach dir gerufen, aber du hast mich wahrscheinlich nicht gehört. Oben war es wieder völlig dunkel. Ich habe mich durch den Raum getastet, wo ich hergekommen bin. Ich kann mich nicht genau erinnern, wie der ausgesehen hat, andauernd prallte ich irgendwo dagegen. Komplett ohne Licht, verstehst du? Es war schrecklich. Ich habe schon geglaubt, ich finde den Ausgang nicht mehr, wo du auf mich gewartet hast. Dann sah ich aber den Schimmer von den Kerzen, und langsam bin ich weitergegangen, und dann habe ich dich gesehen.“
„Du hast mir auch einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als du so gejammert hast und geschlurft bist hinter mir. Das kannst du mir glauben“ sagte ich ohne ihm dafür den kleinsten Vorwurf zu machen.
„Das wollt ich nicht. Ehrlich, aber mein Fuß hat so weh getan. Ich glaube, ich habe ihn mir irgendwo beim Sturz aufgeschlagen.“
Erst jetzt bemerkte ich die große Wunde am Schienbein, die sich bis zur Wade erstreckte. Ich befahl ihm, sofort ins Krankenhaus zu gehen. Beziehungsweise zu meinen Eltern, da die seinen wahrscheinlich viel zu viel Aufruhr gemacht hätten.
Die Wunde mußte genäht werden, Peter bekam einen Verband, hatte aber bald darauf keine Schmerzen mehr im Bein.
Meine Eltern schauten zwar ein wenig verdutzt aus der Wäsche, als wir bei ihnen ankamen, Peter voller Algen und am Bein voller Blut, aber sie gaben sich mit der Antwort zufrieden, wir hätten beim kleinen See im Wald einen Unfall gehabt. Oder so. Irgendeine gelogene Geschichte habe ich ihnen erzählt, aber das war im Moment auch nicht so wichtig, wichtiger war, daß Peter ins Krankenhaus kam.
Ein, zwei Jahre nach unserem gefährlichen Ausflug wurde die Fabrik niedergerissen. Peter und ich erzählten keiner Menschenseele etwas von diesem Tag. Wir schworen uns, bis zu einem gegebenen Zeitpunkt diese Geschichte niemandem zu erzählen.
Und dieser Zeitpunkt, so glaube ich heute alter Mann, ist nun gegeben, auch Peter ist sicher dieser Ansicht. Er ist vor kurzem gestorben.
Nach seinem Begräbnis fuhr ich mit meinem Rollstuhl - die Zeichen der Zeit nagen auch an mir - zu dem Platz, wo früher die alte Fabrik stand. Ich zündete die Kerze, die ich vom Friedhof mitgenommen hatte an, setzte sie auf die Erde, und ich glaube sie steht unweit von den Kerzen, die damals auch brannten, damals an einem kalten Junimorgen.

 

Guten Tag!

Ich möchte die Geschichte nicht groß kommentieren, muss aber vorausschicken, dass sie schon ziemlich alt ist (alte Rechtschreibung, etc). Ein belangloses "Jugendwerk" sozusagen, ein bisschen auch als Schreibübung. Vielleicht gefällt sie trotzdem jemandem?

Liebe Grüße

 

Hallo stopmakingsense!

Dann will ich mir diesen Text mal auch noch vornehmen. Allgemein muss ich sagen, dass du eher Kommentare bekommst, wenn du die bereits gegebenen auch beantwortest. Sonst denkt nämlich jeder, dass du dich eh nicht dafür interessierst.

Der Einstieg ist nicht gerade gelungen. Kurze Sätze rattern Informationen runter: "Ich erinnere mich sehr genau. Es war ein kalter Junimorgen. Für einen Junimorgen eigentlich saukalt. Es war Wochenende. Damals freute ich mich noch, wenn Wochenende war. Samstag und Sonntag nicht aufstehen zu müssen." => Für den Leser nicht grade ansprechend.

"Dorthin ging ich mit meinem Schulfreund - er war ein Jahr über mir - und Nachbarn Peter." => Hier sollte auch der Schulfreund schon einen Namen haben. - Erst nach langem Lesen habe ich kapiert, dass Peter Schulfreund und Nachbar in ein und derselben Person ist.

"Der Wald hatte die gute Luft, die Stille, die Tiere, gab einem die Geborgenheit, die man unter freiem Himmel nie spüren kann. Er ist ein Triebwerk der Erde. Ohne ihn würde sie einen regelrechten Kollaps erleiden." => Philosophiert der Autor gern, oder hat das in dem Text irgendeinen bestimmten Zweck?

"Große, aus Holz gebaute Schuppen, in denen noch alte Pferdekutschen standen" => Bisher hatte ich von der Fabrik einen anderen Eindruck. Jetzt denke ich irgendwie an Miss Marple.

"Als wir das erste Mal dorthin gingen, konnten wir noch nicht einmal lesen, aber die Zeitungen sahen wir schon" => Diese Formulierung ist ziemlich verquer. Als ob man das Sehen genau wie das Lesen lernen müsste.

"Oft, wenn wir uns wieder in dem alten Gebäude aufhielten, kam ein Gewitter auf" => Diese Formulierung gefällt mir auch nicht. Kommen die Gewitter nur, wenn sich die Jungen in dem Gebäude aufhalten?

Und solche Sätze kannst du doch nicht ernst meinen? => "Oft, wenn wir uns wieder in dem alten Gebäude aufhielten, kam ein Gewitter auf, und wir spielten, unsere Firma vor den drohenden Unwettern retten zu müssen und rannten daraufhin wie verrückt hin und her, in der ganzen Fabrik, uns lief der kalte Schauer ständig über den Rücken hinab, und durch unser gespieltes und doch ehrgeizig betriebenes Herumgerenne hielt der kalte Schauer an, und es gesellte sich ein wenig Angst dazu, die jedoch nicht unangenehm auf uns wirkte, eher erbaulich, erregend, aufregend, wie eben in einem richtigen Abenteuerfilm, oder in einer Geschichte, die von entdeckerischen Jungens handelt, die irgendwo etwas finden oder verbocken, und dafür das Gespräch im Dorf sind, deren wir damals sehr viel lasen, denn dadurch, daß Peter gleich bei mir um die Ecke wohnte, lasen wir alle die selben Bücher, und kaum hatte also Peter eines ausgelesen bekam ich es, und umgekehrt verhielt es sich genauso, obzwar wir keine Bücherei hatten wo wir uns unsere Geister-, Grusel- und Abenteuergeschichten ausborgen konnten."
=> Ohnehin, es interessiert den Leser wenig, wer wem seine Bücher leiht u.s.w.

"bei unserem Lesedrang waren im Monat gut und gerne drei oder vier Bücher ratzeputz ausgelesen." => Oh, bitte! Da habe ich in meiner Jugend aber erheblich mehr gelesen.
=> Aber das Ganze interessiert den Leser nicht. Wo bleibt die Geschichte, die du uns erzählen willst? Bedenke, dass du deinen Text in der Rubrik "Spannung" angesiedelt hast.

"Ganz genau genommen waren es gar keine wirklichen Räume."
"Und dann gab es da diesen hinteren Raum" => Widerspruch

"unseres bescheidenen Alters – wir werden etwa neun oder zehn Jahre gewesen sein" => Das Alter der Protagonisten solltest du nicht in der Mitte des Textes verstecken.

"Kerzen. Einige klingt lustig, es werden etwa an die 150 bis 200 Kerzen gewesen sein. Um diese unglaubliche Menge an Kerzen" => In den letzten Sätzen hast du das Wort "Kerzen" bestimmt fünfzehn Mal erwähnt.

=> Übrigens frage ich mich, was der Titel mit dem Text zu tun hat. Ich habe schon mehr als die Hälfte gelesen, aber ein See kam noch nicht vor.

"Das dauerte ein wenig, zumal die Kerzen etwas feucht geworden waren" => Kerzen durchfeuchten nicht. Vielleicht die Dochte.

"Mein Freund Peter hatte irgendwoher sogar eine Fackel auftreiben können." => Und wozu dann die Kerzen?

"Langsam erloschen die ersten Kerzen. Aber nicht, weil sie abgebrannt, sondern, weil der Docht im heißen Wachs ertrank." => Ziemlich merkwürdige Kerzen haben die Jungs da geklaut.

"Ich wartete zu."
"Mir war, als hörte ich ein Raunen und Greinen" => Was?

"Vor mir stand zwar Peter, aber völlig durchnäßt und zerfetzt." => Der zerfetzte Junge kann noch stehen und laufen?

"Erst jetzt bemerkte ich die große Wunde am Schienbein, die sich bis zur Wade erstreckte. Ich befahl ihm, sofort ins Krankenhaus zu gehen." => Urkomisch!

"Die Wunde mußte genäht werden, Peter bekam einen Verband, hatte aber bald darauf keine Schmerzen mehr im Bein.
Meine Eltern schauten zwar ein wenig verdutzt aus der Wäsche, als wir bei ihnen ankamen" => Übrigens, diese umgedrehte Reihenfolge hast du oft im Text. Erzähle chronologisch, das macht den Text auch interessanter.

Ernsthaft, ich weiß nicht so recht, was ich dir raten soll. Den Text radikal kürzen, stringent erzählen, Belangloses weglassen.
(Vielleicht liest du im Gegenzug mal mein "Sonnenuntergang bei der alten Fabrik" aus der Rubrik Jugend - darfst du gerne verreißen.)

Grüße
Chris

 

hallo an alle,
sorry für die späte antwort und danke für die kritik. ich bin hier nicht angemeldet, um jmd zu "verreißen". die kg gehört halt zum ersten, das ich überhaupt geschrieben habe. ich sollts vielleicht wieder lassen!

adieu
stopmakingsense

 

Nicht doch!
Bloß weil deine ersten Geschichten nicht perfekt sind, brauchst du doch nicht das Handtuch werfen. Es fängt jeder klein an. Wir sind doch alle hier, um was zu lernen.
Also, nicht aufgeben, ein bisschen an den Texten arbeiten und schon wird das was richtig Gutes.

Grüße
Chris

 

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