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Der ungebetene Gast
10 Uhr morgens klingelte es an der Tür. Ich war vom letzten Abend noch völlig verkatert und ging mit entsprechend freudiger Erwartung zum Öffnen. Auf einen Schlag war ich stocknüchtern. Oh mein Gott, es war meine Mutter! Sie lächelte mich strahlend an, in der Hand eine ihrer Tupperbehälter mit Blümchenmuster.
"Hallo mein Schatz, Überraschung!"
"Was machst du denn hier?"
"Ich dachte, ich komme einfach mal vorbei."
"Aus Rostock? Du kommst von Rostock bis nach Dessau, nur um mal schnell hallo zu sagen?"
Doch spätestens als sie wie durch Zauberhand einen großen Koffer zum Vorschein brachte, wußte ich, dass es nicht bei einem kurzen Hallo bleiben würde. Mum stellte den Koffer im Schlafzimmer ab und sah sich grimmig in meiner Wohnung um.
"Wie das wieder aussieht, wir müssen dringend putzen."
"Putzen?!"
In meinem Entsetzen ergriff ich den letzten Strohhalm.
"Wo hast du denn Papa gelassen?"
Der gute, alte Papa, er wird ihren Putzplan sicher bald durchkreuzen.
"In Rostock, ich habe ihn verlassen."
"Was?!"
Sie achtete nicht weiter auf meinen entsetzten Gesichtsausdruck und stapfte wie ein Feldwebel in die Küche. Nach ca. 0,5 Sekunden kam sie mit angeekeltem Gesichtsausdruck zurück. Sie schaute mich an und schüttelte den Kopf.
"Mädchen, dein Abwasch lebt ja schon."
"Klar, der hat ne eigene Demokratie gegründet", sagte ich verwirrt. So ein Schock noch mitten in der Nacht war einfach nicht fair!
"Naja, es wird dringend Zeit, dass ich dir mit dem Haushalt etwas helfe."
"Wie jetzt, helfen?"
Ihr Gesicht, begann wieder zu strahlen. Ich hatte Angst.
"Ich ziehe erstmal bei dir ein.
Peng, das hatte gesessen. Ich musste sie angeglotzt haben wie ein Wesen vom Mars, aber sie achtete nicht auf mich, sondern machte sich ans auspacken. Okay, dachte ich, keine Panik kriegen, ich muss die Frau aus meiner Wohnung rauskriegen, die Schlösser auswechseln, die Stadt verlassen, nein, besser gleich das Land, sicher ist sicher, ich muss..., ich muss..."Eine Rauchen", murmelte ich. Ich zündete mir eine Zigarette an und inhalierte tief.
"Schatz, rauchst du etwa?"
"Aber nein, natürlich nicht, davon bekommt man Krebs, falls dus nicht weißt."
Ich verdrehte leicht die Augen und zog mit meiner Zichte gen Küche.
"Ich rieche aber den Qualm".
Dann halt deinen Zinken eben in eine andere Richtung, dachte ich düster.
"Kann gar nicht sein", sagte ich stattdessen. Ich hatte bohrende Kopfschmerzen.
"Aber worüber habt du und Papa euch denn gestritten? Ihr kriegt das schon bald wieder hin." Sonst drehe ich hier nämlich durch, fügte ich in Gedanken hinzu.
"Dieser Mann hat mich zum letzten Mal beleidigt. Aber lassen wir das, und knöpfen uns lieber erstmal deine Wohnung vor."
Und das tat sie auch, die Gute kam über meine Wohnung wie der heilige Thor, der Putzlappen war ihr Hammer und der Eimer ihr Schild und nichts war vor ihr sicher. Die ersten Stunden versuchte ich, sie so gut es ging zurückzuhalten, ein Unterfangen, das ungefähr so aussichtsreich war, wie der Versuch, eine rollende Lawine durch starkes Pusten aufzuhalten.
"Du musst mehr Ordnung in deinem Schrank halten." "Ja, Mama."
"Die Fenster müssen einmal die Woche geputzt werden." "Ja, Mama."
"Die Komode müssen wir mal ausmisten." "Jaaaaaa, Mama."
Wie weh würde es wohl tun sich aufzuhängen?So ging es den ganzen Tag, ratatam, ratatam. Am Abend stand sie plötzlich mit einer Flasche von meinem Apfelschnaps vor mir. Ich rechnete mit einer längeren Standpauke über die bösen Schäden von Alkohol, stattdessen schnappte sie sich ein Glas und begann zu kippen. Ich konnte mal wieder nur staunen. Ich hatte sie nie etwas stärkeres als O-Saft trinken sehen.
"Mum, willst du villeicht mit mir über den Streit mit Papa reden?"
"Aber nein, es geht mir bestens. Ich hab jetzt Lust auszugehen."
"Du willst ausgehn?"
"Ja, ich hab so hart an deiner Wohnung gearbeitet, jetzt hab ichs mir auch verdient, ein bisschen zu chillen."
Ich zog die Augenbrauen hoch, hatte sie da eben chillen gesagt? Sie sah mich etwas unsicher an.
"Benutzt ihr diese Modewörter eigentlich noch?"
"Ja, aber ich hör jetzt damit auf."
"Also los, lass uns endlich gehen."
Sie warf mir meine Jacke zu und stürmte zur Tür.
Wir gingen in eine meiner Stammdiscos, ich wendete all meine Überredungskunst an, um sie davon abzubringen. Tja, viel kann ich davon nicht besitzen, denn sie dachte nicht daran, sich umstimmen zu lassen. Wir also rein in die Disco und sie war voll am abtanzen. Ich verzog mich erst mal und sah mir das Schauspiel von meinem Barhocker aus an. Zwischendurch kippte sie einen Schnaps nach dem anderen.
"Mama, hör auf so viel zu trinken, du kippst noch aus den Latschen."
Mein weiser Rat fand wenig Gehör, als sie sich neben mir wieder einen Fuchs bestellte.
"Ach hör auf zu zetern, ich weiß, wie viel ich vertrage."
Klar, davon war ich völlig überzeugt. Ich machte mich unterdessen auf den Weg zum Klo. Auf dem Rückweg begann ein Typ mich zu belöffeln.
"Hey Süße, willst du was trinken, du siehst ja wirklich klasse aus, du hast tolle Augen."
Jaja, du Möchtegernromeo für Arme und Bedürftige. Deine Blicke zielen aber nicht gerade auf meine Augen. Er dackelte hinter mir her und quatschte auf mich ein. Ich wurde immer genervter.
"Verzieh dich, du Spinner."
Er sa mich beleidigt an.
"Warum bist du denn so zickig?"
Mir platzte der Geduldsfaden.
"Okay pass auf, meine Mutter hat sich in meiner Wohnung eingenistet, sie auf den Kopf gestellt, meine Minibar ausgeräumt, ich hab Kopfschmerzen, bin auf Nikotinentzug und deshalb ist das Letzte, was ich brauchen kann ein notgeiler Möchtegernaufreißer, der mich zublubbert, also verschwinde einfach."
"Nur ein kleiner Drink, jetzt komm schon."
Oh Herr, nimm mich zu dir. Ich schob mich an ihm vorbei und erstarrte. Meine Mutter hatte die glorreiche Idee, auf die Theke zu hüpfen und jetzt zappelte sie da oben rum wie Rumpelstilzchen ums Lagerfeuer. Ich ging steif vor Wut zu ihr rüber.
"Mama, komm sofort von der Theke runter."
Sie hatte noch Zeit irgendwas unverständliches zu lallen, dann kippte sie um. Ein besorgter Gast kniete sich neben sie.
"Ist sie verletzt?"
"Quatsch", antwortete ich schroff, "die ist nur stockbesoffen."
Ich hiefte mein Mutterherz unter den erstaunten Blicken der anderen Discobesucher durch den Haupteingang.
"Mum, dafür stecke ich dich in ein staatliches Altersheim."
Ich schleppte sie zum nächsten Taxi und ließ mich erschöpft auf den Beifahrersitz fallen. Zu Hause packte ich sie, nachdem ich ihr zum x-ten Mal den Papst an den Hals gewünscht hatte, ins Bett.
Am nächsten Morgen weckte mich die Türklingel. Unter einem schrecklichen Gefühl von Déjà-vu ging ich an die Tür.
"Papa?!"
"Hi, mein Hübsche, ich und Mama haben Streß, kann ich ne Weile zu dir?"
Nun, nachdem ich geschrien, geweint und den beiden gedroht habe, sie wegen Belästigung anzuzeigen, haben wir doch noch eine Einigung getroffen. Mama und Papa bleiben erst mal bei mir und ich, ich suche mir gerade ein Hotel.