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Der Verdammte
Gabriel hielt den Atem an, als die massige Gestalt des dunklen Reiters aus dem Dunkel des Tannenwaldes auftauchte. Kaum zwanzig Schritt vor ihm zügelte der Verdammte sein monströses schwarzes Ross, das Gabriels eigenes Pferd mindestens um Haupteslänge überragen musste und dessen Augen in bedrohlichem Rot glühten. Der Blick des Verdammten, dessen Gesicht hinter dem aus einem menschlichen Schädel gefertigten Visier verborgen lag, fiel auf Gabriel und ließ den altgedienten Ritter unter seinem Harnisch erschaudern.
„Glaub nicht, dass ich vor dir geflohen bin, Ritter!“, donnerte die Stimme des Verdammten über die Lichtung. „Ich habe dir Gelegenheit gegeben, deine Jagd abzubrechen, und ich gebe dir auch jetzt noch Gelegenheit zur Flucht. Ich will dich nicht töten, Ritter, doch ich werde es tun, wenn du darauf bestehst.“
Gabriel zog sein Schwert und griff mit der Linken fester um die Zügel. Zum ersten Mal in seinem leben fürchtete er sich vor einem Kampf. Sein Herz selbst schrie danach, umzukehren und vor diesem menschgewordenen Dämon zu fliehen, dem er gegenüberstand. Allein der Gedanke an seinen Schwur und die Gräuel, die der Verdammte begangen hatte, ließ ihn standhaft bleiben.
„Charon Todbringer, ich fordere dich im Namen des Königs und unseres Herrn, des allmächtigen Gottes, zum Kampf. Für die Untaten, die du verübt hast, soll der Tod die einzig gerechte Strafe sein.“, rief Gabriel als Antwort zurück.
Der Verdammte lachte unter seiner Maske. Es war ein Geräusch von so purer Bösartigkeit, dass Gabriels Pferd scheute und sich nur mühsam beherrschen ließ.
„Wohlan denn!“, bemerkte der Verdammte und stieg in provozierender Lässigkeit aus dem Sattel. Trotz der bitteren Kälte trug er nur lederne Beinkleider und ein kurzärmeliges Kettenhemd, das die von gewaltigen Muskeln bedeckten Arme freiließ. Seine eisenbeschlagenen Stiefel drückten bei jedem Schritt tief in den Boden. Über seinen von langem schwarzem Haar bedeckten Schultern schaute der aus Knochen geschnitzte Griff des mächtigen Zweihandschwerts auf seinem Rücken hervor.
Gabriel stieg ebenfalls vom Pferd. Den weißen Schild mit dem blutroten Kreuz darauf in der Linken, das Schwert in der Rechten stellte er sich seinem Feind gegenüber, fixierte den ihn bei weitem überragenden Krieger durch den Sichtschlitz seines Visiers. Vorsichtig, den Schild vor dem Körper, näherte er sich seinem Kontrahenten. Er hatte gegen genug dieser gottlosen Teufel gekämpft, um zu wissen, dass nicht nur pure Gewalt, sondern auch Heimtücke und Hinterlist zu ihren Waffen zählten. Mehr als einer seiner Waffenbrüder war von einem geschleuderten, vergifteten Dolch niedergestreckt worden oder wie ein Tier einer sorgsam platzierten Falle zum Opfer gefallen.
Doch Charon Todbringer schien nichts dergleichen in seinem verdorbenen Sinn zu haben. Er stapfte mit ausgestreckten Armen auf den Ritter zu und verhöhnte ihn: „Was ist los?! Hast du Angst vor mir? Das solltest du.“ Seiner Kehle entrang sich ein bestialisches Knurren, das an einen hungrigen Wolf gemahnte. Im selben Moment zog der Verdammte in einer Bewegung, die beinahe zu schnell für Gabriels Auge war, sein Schwert, um es sofort auf die Deckung des Ritters hinabzuschmettern.
Gabriels Schildarm durchfuhr ein dumpfer Schmerz. Heulend ließ der Verdammte dem ersten weitere Hiebe folgen, und Gabriel stemmte sich in seinen Schild, um der bloßen Wucht des Angriffs standhalten zu können. Mit zusammengebissenen Zähnen stieß der Ritter sein eigenes Schwert nach dem Bauch seines Gegners, doch Charon schmetterte die Klinge beiseite, nur um weiter auf Gabriels Schild einzudreschen. Das mit Eisenstreben verstärkte Holz begann zu splittern.
„Vater unser, der du bist im Himmel...“, betete Gabriel, einen weiteren Ausfall versuchend. Er scheiterte an den übermenschlichen Reflexen des Verdammten. „Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme...“
„Narr!“, brüllte Charon. „Deine Worte haben ebenso wenig Wert wie dein jämmerlich geführter Stahl!“
„Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden...“ Gabriel riss den Schild nach oben, um einen weiteren Hieb abzuwehren, und warf sich unter der Deckung des schützenden Holzes hindurch dem Verdammten entgegen, seine Klinge nach vorn stoßend. Unter der grässlichen Fratze des Schädels rang sich ein erstauntes Keuchen hervor, als der Stahl durch das Kettenhemd tief in Charons Brust drang. Vom Schwung seines eigenen Schlages wurde der Körper des riesigen Mannes weiter auf die Klinge gespießt, während sein Zweihänder Gabriels Schild spaltete.
Gabriel spürte, wie sein linker Arm unter der Gewalt des Schlages brach. Er unterdrückte den Schrei, stemmte sich gegen Charons wie erstarrt dastehenden Leib, um die Klinge wieder freizubekommen. Das Schwert mit sich reißend taumelte er zurück, mit dem zerschmetterten Schild an seinem nun nutzlos herabhängenden Arm, während aus der tiefen Wunde des Verdammten dunkles Blut über seinen blitzenden Kettenpanzer floss.
Langsam senkte sich der Blick der leer blickenden Augenhöhlen auf die Wunde. Charons gewaltige Pranke tastete über seine Brust, und für einen kurzen Moment betrachtete der Verdammte still das dunkle Nass auf seiner Hand, bevor er in rasselndes Gelächter ausbrach. „Zuwenig, Ritter! Nicht schlecht, aber zuwenig! So wirst du mich nicht bezwingen.“ Mit zwei Sätzen war er wieder bei Gabriel, um neue Hiebe auf den Ritter niederhageln zu lassen, ganz so, als sei die tödliche Wunde in seiner Brust nicht mehr als ein Kratzer.
In Gabriel stieg Verzweiflung auf. Wenn ihn das nicht getötet hatte, was vermochte es dann?!
Ihre Klingen kreuzten sich, nur wenige Fingerbreit von Gabriels Helmvisier entfernt. Gabriel blickte in die Augenhöhlen der Schädelmaske und erkannte schaudernd, was sich dahinter in der abgrundtiefen Schwärze verbarg. Seine Finger versagten den Dienst, und das Schwert entglitt ihm. Er begann, in endloser Verzweiflung zu schreien.
„Ja, jetzt weißt du es.“, schnarrte der Verdammte und nickte, bevor er seinen Zweihänder durch de Leib des Ritters trieb. Gabriels Körper zuckte und wand sich, als die verfluchte Klinge das Leben aus ihm heraus saugte. Das Letzte, was die Augen des sterbenden Ritters sahen, war das eingefrorene Grinsen eines blanken Schädels.