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Der verhinderte Nobelpreis

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03.05.2006
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Der verhinderte Nobelpreis

Alles fing an mit einen falsch zugestellten Brief. Absender: eine Holzhandlung. Was hatte ich als Chemiker mit Holz zu tun? Ich brachte den Brief zurück auf die Poststelle, wo sich Herr Fuchser inmitten von Briefmarken, Rosen und Radiergummis mit riesigen Paketen abplagte.
„Die Adresse stimmt nicht?“
„Doch, aber der Name nicht!“
„Ja, und?“
„Der Brief ist nicht für mich.“
„Und woher wissen Sie das?“
„Weil er an einen Herrn Wohlfahrt gerichtet ist. Ich heiße Wolfram.“
„So. Und wo wohnen Sie?“
„Ich sagte doch schon, die Straße stimmt.“
„Lieber Herr Wolfram, wenn die Straße stimmt und die Nummer, wo ist das Problem?“
Ich versuchte es ihm zu erklären.
Die Schlange hinter mir und ihr Unmut wuchsen gleichzeitig proportional. Entnervt gab ich auf.
Zuhause öffnete ich den Brief. Eine Rechnung für 500 Festmeter Buchenholz ließ mich erblassen. Sofort rief ich bei dieser Holzfirma an.
Nach endlosen Takten Mozart meldete sich eine Frau Riebensam, die mich verband mit einem Herrn Trübhold, der seine Unterlagen nicht finden konnte und mir eine andere Telefonnummer nannte. „Ja, Donnersberg“, vermittelte dort ein mächtiger Bass Autorität. Ich legte mein Problem dar. Herr Donnersberg riet mir den Brief einfach zu vergessen.
„In den Müll damit!“
Ein Monat verging, als erneut ein Schreiben an Wohlfahrt im Briefkasten lag. Von derselben Firma. Eine Zahlungserinnerung.
Tags darauf zwei weitere Briefe: Rechnungen über mehrere tausend Euro für computergesteuerte Holzzuschneidemaschinen. Ich lachte auf. Allein die Größe der Maschinen hätte ausgereicht, eine Grundstückshälfte zu bedecken. Somit war ja der Irrtum erwiesen. Meine anfängliche Aufregung war mittlerweile einer souveränen Gleichgültigkeit gewichen. Schließlich waren dies Geisterrechnungen für Dinge, die ich gar nicht besaß.
Auch die sechsstelligen Rechnungsbeträge für Maurerarbeiten und Dachdeckerlohn ließ ich lächelnd verschwinden. Hier erlaubte sich jemand einen Scherz. Mein Haus war alt und hatte seit Jahren keine Handwerker mehr gesehen. Es war zwecklos, den ominösen Rechnungsstellern hinterherzutelefonieren. Jeder behauptete, die Leistungen seien auftragsgmäß erbracht worden. Meine Beteuerungen über meine Identität, der Hinweis, dass ich niemals diese Leistungen in Anspruch genommen hätte - sinnlos. Manchmal erntete ich dafür am anderen Ende der Leitung ein hässliches Lachen, oft war es auch das ratlose Angebot, man wolle der Sache auf den Grund gehen. Offensichtlich mit wenig Erfolg. Mahnungen flatterten mir ins Haus über Beträge, die mich schwindeln machten und jeden Tag kamen neue Rechnungen über Grundstücksgestaltung mit Granitsteinen, Leimbinderträger ungeheuerster Ausmaße, Regenrinnenanfertigungen und schließlich der Gipfel: eine gerichtliche Aufforderung meine Schulden von 3 Millionen Euro unverzüglich zu begleichen.
Ich brodelte wie ein Vulkan. Entschlossen schrieb ich einen geharnischten Brief. „Mit empörtem Gruß“ setzte ich noch darunter, siegessicher, denn soviel Borniertheit war mir im Leben noch nicht vorgekommen.
Dann wartete ich.
Keine weitere Rechnung. Auch in den nächsten Tagen: nichts. Kein Telefonanruf. Nichts.
Sieh da, dachte ich, endlich haben sie ihren Irrtum eingesehen. Dann eines Morgens klingelte es.
„Ein Einschreiben“, der Blau-Uniformierte streckte mir ein Formular entgegen.
„Für mich?“
„Für wen denn sonst!“ Möglicherweise war er ahnungslos. Er war neu. Ich bestätigte den Empfang. Der Beamte grüßte und ging. Mit einem Blick auf das Kuvert erkannte ich meinen Fehler, aber zum Reklamieren war es zu spät. Morgen würde ich den Postboten auf den Fehler aufmerksam machen. Der Brief kam ungeöffnet zum Stapel aller noch nicht entsorgten Schriftstücke des Herrn Wohlfahrt.
Dann kamen keine Rechnungen mehr, keine Mahnungen, aber auch kein Postbote. Nur einmal wurde noch ein Blumenstrauß und eine Pralinenschachtel abgegeben mit einem Glückwunschkärtchen zum neuen Heim. Ich legte sie zu dem Übrigen. Meine Aufmerksamkeit war voll und ganz auf ein Reduxverfahren gerichtet, das vor der Vollendung stand. Es würde die Chemiewelt revolutionieren. Kernpunkt meiner Transreduktionsreaktion war ein hochaggressives Sauerstoffatom, das gezielt auf Moleküle geschleudert, die Zwischenraumluft zwischen den Neutronen und Elektronen nanosekundenschnell absorbierte, die Atome wie Kaugummi verklebte, so dass die Molekülstruktur des Stoffes in sich zusammenfiel wie ein geplatzter Luftballon. Die revolutionäre Volumenreduktion wäre die nobelpreisverdächtige Lösung des globalen Müllentsorgungsproblems.
Einmal gelang mir die Verwandlung eines Zehnmeterzeitschriftenstapels in einen Zweimicrokubikzentimetermüllwürfel. Allerdings hatte die Mischung wohl einen entzündlichen Bestandteil enthalten, so dass die Zelluloseatome zu einem stinkenden Aschehäufchen verbrannten.
Ich stand kurz vor dem Durchbruch, als ein Dauerklingeln und forderndes Pochen mich von meiner Arbeit wegriefen
Eine Menge schimpfender, gestikulierender Leute lärmte vor meinem Haus, darunter Polizisten und ein sehr ernster Herr. Ich überlegte, ob meine Experimente zu Geruchsbelästigungen geführt hatten. Ich öffnete mit einem unguten Gefühl die Tür.
„Sie sind der Besitzer des Anwesens Rosengasse 8 in Bischofshofen?“ fragte der seriöse Herr.
„Ja, das bin ich. Gibt es ein Problem?“ Im Hintergrund lachten ein paar Männer schreiend auf. „Wenn es mit dem Gestank zu tun hat...“, begann ich meine Rede, wurde aber sofort unterbrochen. „Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie laut Gesetz verpflichtet sind, bis heute abend um 20 Uhr, das Anwesen Flurstück 444 zu räumen. Sie sind trotz mehrfacher Aufforderung und gerichtlicher Belehrung den Zahlungsaufforderungen nicht nachgekommen und haben somit das Recht verwirkt, gerichtlich Beistand zu erhalten. Ihr Besitz ist hiermit konfisziert!“ Ich verstand kein Wort. Neben mir drängten wütende Männer ins Haus, das sie im Nullkommanichts leer räumten und meine Forschungsarbeiten vernichteten. Pünktlich um 8 Uhr stand ich mit meiner wenigen Habe vor meinem Haus und musste zusehen, wie der Notar den Kuckuck anbrachte.
Das alles liegt nun schon ein halbes Jahr zurück und ich lebe seither an einem Ort, an dem mich keine Post erreicht. Als sich tatsächlich einmal ein Brief zu mir verirrte, von irgendeinem Nobelpreiskomitee - welch kindischer Trick-, steckte ich ihn- nicht ohne Schadenfreude - mit dem Vermerk “Absender unbekannt“ in einen Briefkasten.
Bei dieser Gelegenheit schlich ich mich zurück in die Rosengasse. Der ungewohnte Anblick ließ mich zurückprallen: auf meinem ehemaligen Besitz erhob sich eine riesige Leimbinderbalkenhalle, in der Buchenhölzer zu Tirolerhäusern verarbeitet wurden. Der granitsteingepflasterte Hof zeugte vom gutgehenden Geschäft. „Zimmerei und Holzfachgeschäft“ prangte in großen Lettern über der Einfahrt. Einen Moment setzte mein Herzschlag aus, dann griff ich in meine Jackentasche, in der ich das letzte Superkomprimationssauerstoffatom aufbewahrte und warf es in die Fertigungshalle, die sich mit einem satten Puff in Holzspäne- und Sägemehlpampe verwandelte. An der Toreinfahrt zerrieselte der Name Wohlfahrt.

 

Hallo Thesi,

ich bin nicht ganz sicher, ob du die leichten Unlogiken nicht als surreale Elemente extra verwendet hast. Vor allem, als am Ende die Tischlerei tatsächlich an Ort uns Stelle ist, kommt es mir so vor.
Dann solltest du aber auch die große Verschwörung etwas deutlicher machen. Im Moment fragt man sich immer, warum der Prot denn so machtlos agiert.
Wilder wäre es sicherlich, wenn er sogar bei einer Gegenüberstellung erkannt worden wäre oder man ihm seine eigener Unterschrift auf einem Lieferschein präsentiert.
Stilistisch passt dieser nacherzählende Anekdotenstil für mein Gefühl nicht zu der Geschichte. Der nimmt ihr für mein Gefühl einiges an Wahnwitz und Atmosphäre. Es wirkt ein bisschen inkonsequent wie Nasstrockenrasierer. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,
zunächst mal vielen Dank für Deinen Kommentar. Die surrealen Elemente waren durchaus beabsichtigt, ebenso die "Machtlosigkeit" des Protagonisten. Schließlich kommt es häufig vor, dass man ganz alltäglichen Dingen hilflos gegenüber steht, weil sie plötzlich eine Eigendynamik entwickeln.
Womit ich allerdings Probleme habe, ist der "nacherzählende Anekdotenstil". Was genau meinst du damit? Und wie könnte/sollte das anders sein?
Grüße
thesi

 

Hallo Thesi,

eine Frage: in der Schule habe ich gelernt, dass ein Atom winzig klein ist. Wie also kann der Protagonist ein Atom in seiner Tasche aufbewahren und dann auch noch gezielt herausholen?

Verwirrte Grüße
DracheBarbara

 

Hallo DracheBarbara,
was man in der Schule lernt, ist eine Sache, was man draus macht, eine andere. Ich weiß, dass ein Atom winzig klein ist, genauso hat es keine Luft zwischen den Neutronen und Elektronen, weil Luft ja selber wieder aus Atomen besteht. Diese Geschichte ist also nicht wirklich real, aber mir hat es Spaß gemacht, mit der Vorstellung zu spielen, dass man aus Atomen die Luft entfernen kann und sie dann auch noch werfen kann. Ein bisschen verrückt darf man doch sein, oder?
Ich hoffe, Du bist nun nicht mehr so verwirrt. Es gibt übrigens einen Meister in diesem Metier: das als Buchempfehlung: Flan O'Brien - Der dritte Polizist, das Beste, was ich je gelesen habe.
Grüße
thesi

 

Hallo Thesi,


sicher darfst du verrückt sein. Wer will das verbieten?
Wahrscheinlich habe ich die Geschichte zu wörtlich genommen. *g*

Danke für die Empfehlung, ich werde mich mal darüber schlau machen.


Mit freundlichem Gruß
DracheBarbara

 

Thesi schrieb:
Womit ich allerdings Probleme habe, ist der "nacherzählende Anekdotenstil". Was genau meinst du damit? Und wie könnte/sollte das anders sein?
Damit meine ich die sprachliche Umsetzung. Für die Absurdität ist es mir nicht ausformuliert genug, wirkt finde ich eher, als ob man das gerade jemandem in der Kneipe erzählt oder eben in einem Schulaufsatz schreibt.
Du schreibst, es hätte dir Spaß gebracht, es zu schreiben. Von diesem Spaß kommt bei mir nichts an. Es fehlt mir ein bisschen an der Lust am Formulieren und Ausschmücken.

Da es sich aber trotzdem flüssig liest, ist es natürlich Geschmacksache.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,
interessante Unterscheidung, die Du da machst:

als ob man das gerade jemandem in der Kneipe erzählt oder eben in einem Schulaufsatz schreibt.
Das sind aber zwei verschiedene Dinge, oder?
Das mit dem Ausschmücken stimmt, ich hab ne Menge wieder weggestrichen, weil ich dachte, das würde stören, weils von der Haupstsache ablenkt. Ich werde Deinen Tipp beim nächsten Mal berücksichtigen. Vielleicht stell ich die Geschichte auch mal ungekürzt hier rein?
Gruß
thesi

 

Hi Thesi,

oft steht ja auch einiges in einer Geschichte, das nicht wichtig ist. Darum gebe ich dir mal ein paar Beispiele.
Du setzt, das ist meistens richtig, auf Dialoge. Leider werden die von recht leblosen Menschen geführt. Herr Fuchser hat weder ein Aussehen, noch eine Marotte oder eine Ausdrucksweise.
Die wachsende Schlange am Schalter zeigt Unmut. Wie tut sie das? Wenigstens ein oder zwei Personen könnten aus ihr hervortreten und etwas sagen. Herr Fuchser könnte auf diese Form der Solidarisierung aus dem Publikum sogar mehr oder weniger unverschämt reagieren in dem er zu besänftigen versucht oder hilflos mit den Schultern zuckt und ironisch so etwas sagt, wie "Der Kunde ist König".

Nur zwei Hinweise, wie ich mir "ausformulieren" vorstelle. :)

Lieben Gruß, sim

 

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